Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufige Begrenzung von Zahlbeträgen. MfS. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Ist § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 AAÜG (in Kraft getreten am 1.8.1991, geändert durch Gesetz zur Änderung des RÜG vom 18.12.1991 und des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung vom 24.6.1993), insoweit mit Art 14 Abs 1 S 1 Regelung 1 und Art 20 Abs 1 GG vereinbar, als der Höchstbetrag der Versichertenrenten des Sonderversorgungssystems des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit auf 802,00 DM begrenzt worden ist?

 

Normenkette

AAÜG § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1993-06-24, Nr. 1 Fassung: 1991-12-18, Nr. 1 Fassung: 1991-07-25; GG Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Cottbus (Entscheidung vom 12.05.1992; Aktenzeichen S 3 An 45/92)

 

Tatbestand

Streitig ist die Kürzung der Invalidenrente des Klägers von 990,00 DM auf 802,00 DM ab 1. August 1991.

Der am 24. August 1939 geborene Kläger stand vom 29. Juli 1959 bis zum 28. Februar 1990 hauptberuflich im Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS = Stasi), zuletzt im Range eines Oberstleutnants. Durch Bescheid des Ministerrates der DDR, Amt für Nationale Sicherheit, vom 20. April 1990 wurde ihm die im November 1989 beantragte Invalidenrente ab 1. März 1990 in Höhe von 2.110,00 M (= 75 vH der "beitragspflichtigen" Durchschnittsvergütung von März 1989 bis Februar 1990 in Höhe von monatlich 2.812,50 M) gewährt. Grundlage hierfür war die mit Wirkung zum 1. März 1953 eingeführte Versorgungsordnung des MfS (zuletzt Ordnung Nr 7/87, dort Teil IV Nr 2). Seit dem 1. Juli 1990 wurde ihm die Rente in Höhe von 990,00 DM gezahlt. Grundlage hierfür war § 2 Buchst a des DDR-Gesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des MfS vom 29. Juni 1990 (GBl I S 501 - StaSiVersAufhG). Nachdem der Kläger im Oktober 1990 nachuntersucht worden war, verfügte das Bundesverwaltungsamt durch Bescheid vom 27. März 1991, die Invalidenrente werde bis auf weiteres in Höhe von 990,00 DM gezahlt. Rechtsgrundlage hierfür war Art 9 Abs 1 und Abs 2 des Einigungsvertrages (EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S 889) idF des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II S 885) iVm Anlage II zum EV, dort Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 (im folgenden: EV Nr 9) Buchst a, b und c; danach galt das Gesetz über die Aufhebung der Stasi-Versorgungsordnung bis zur Überführung in die Rentenversicherung zum 31. Dezember 1991 - soweit EV-gemäß - fort; das Versorgungssystem war insoweit bis dahin vom Funktionsnachfolger iS des Art 13 Abs 2 EV (hier: der Beklagten) weiterzuführen.

Mit dem streitigen Bescheid vom 31. Juli 1991, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 7. November 1991, setzte das Bundesverwaltungsamt die Invalidenrente des Klägers ab 1. August 1991 auf 802,00 DM fest. Zur Begründung verwies das Amt auf § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG: Nach dieser Vorschrift ist der Höchstbetrag einschließlich des Ehegattenzuschlags für Zahlbeträge der Leistungen des Sonderversorgungssystems des MfS für Versichertenrenten auf 802,00 DM begrenzt. Die Begrenzung gilt vom ersten des auf die Verkündung des AAÜG folgenden Kalendermonats; das Gesetz ist am 31. Juli 1991 verkündet worden. Das Amt habe daher die Begrenzung ab 1. August 1991 vornehmen müssen und auch in Härtefällen nicht davon abweichen dürfen; eine Anhörung sei gemäß § 10 Abs 5 AAÜG nicht erforderlich gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat die streitigen Verwaltungsentscheidungen durch Urteil vom 12. Mai 1992 aufgehoben und die beklagte Bundesrepublik Deutschland verurteilt, dem Kläger die Rente in der am 1. Juli 1990 gezahlten Höhe von 990,00 DM bis zum 31. Dezember 1991 zu gewähren; die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die seit dem 1. Januar 1992 die Rente weiterzahlt, ist verurteilt worden, dem Kläger diese Rente in Höhe von 990,00 DM ab dem 1. Januar 1992 zu gewähren. Das SG ist im wesentlichen folgender Auffassung: Der Kläger habe Anspruch auf Weiterzahlung des Gesamtzahlbetrages vom Juli 1990 gemäß EV Nr 9 Buchst b Satz 4. Nach dieser Vorschrift darf bei Personen, die am 3. Oktober 1990 leistungsberechtigt sind, bei der Anpassung nach Satz 3 Nr 1 aaO der Zahlbetrag nicht unterschritten werden, der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen war. Der Kläger erfülle diese Voraussetzungen. Die streitigen Verwaltungsentscheidungen könnten nicht auf § 10 AAÜG gestützt werden; die Regelung des EV genieße nämlich einen materiellen Vorrang in dem Sinne, daß eine Abänderung zwar möglich, Abweichungen in essentiellen Grundsätzen - wie vorliegend im Unterschreiten garantierter Mindestzahlbeträge - jedoch ausgeschlossen sei.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer - vom SG zugelassenen - (Sprung-)Revision vor, die Nichtanwendung des § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG verstoße gegen Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes (GG). Die Konkurrenz zwischen zwei Normen des einfachen Bundesrechts sei zugunsten der jüngeren Rechtsnorm, des § 10 Abs 2 AAÜG, zu lösen, zumal der Gesetzgeber bewußt eine Änderung der Rechtslage habe herbeiführen wollen. Das SG habe die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung überschritten. Der Denkschrift zum EV (BT-Drucks 11/7760 S 355 ff) komme keine Rechtsqualität zu, welche die grundgesetzliche Normenhierarchie abändere. Die Gesichtspunkte der Vertragstreue und des Vertrauensschutzes stünden der Änderungsmöglichkeit nicht entgegen. Auch andere Verfassungsnormen seien nicht verletzt. Das Vorbringen der Beklagten ergibt sich im übrigen aus ihrem Schriftsatz vom 15. Dezember 1992 (Bl 47 bis 55 der Akte).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. Mai 1992 aufzuheben und

die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für im Ergebnis zutreffend. Jedoch müsse § 10 Abs 2 AAÜG letztlich einer verfassungsgerichtlichen Prüfung unterzogen werden. Der Kläger hat im Revisionsverfahren am 25. Mai 1993 und am 6. August 1993 zwei Rechtsgutachten des Prof. Dr. A., D., (Bl 69 bis 90 und Bl 91a bis 152 der Akte) vorgelegt und erklärt, er mache sich den Inhalt zu eigen; er nimmt weiterhin auf eine Stellungnahme des Prof. Dr. A. Bezug, die er im April 1992 im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegt hat (Bl 21 bis 45 der SG-Akte).

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. Mai 1992 aufzuheben und

die Klage abzuweisen.

Ihr ist die Revisionsbegründungsschrift der Beklagten am 22. Dezember 1992 zugestellt worden. Sie hat sich in ihrem ersten beim Bundessozialgericht (BSG) am 27. Januar 1993 eingegangenen Schriftsatz vollinhaltlich auf den Vortrag der Beklagten bezogen. Ferner trägt sie vor, daß sie nicht selbst Revision beim BSG eingelegt habe, sei unschädlich. Denn der notwendig Beigeladene sei nach § 74 SGG iVm § 62 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entsprechend den Regelungen über die notwendige Streitgenossenschaft als durch den nicht säumigen "Streitgenossen" vertreten anzusehen; es komme auch eine direkte Anwendung der Regelung über die notwendige Streitgenossenschaft in Betracht. Das weitere Vorbringen der Beigeladenen ergibt sich aus ihren Schriftsätzen vom 22. Januar 1993 und vom 9. März 1994 (Bl 62 und Bl 173 bis 178 der Akte).

 

Entscheidungsgründe

Das BSG muß gemäß Art 100 Abs 1 Satz 1 GG (iVm §§ 13 Nr 11, 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG)) das Revisionsverfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einholen, weil es für die Entscheidung über die Revision der Beklagten auf die Gültigkeit des § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG ankommt (dazu unter A), diese Vorschrift zur Überzeugung des Senats verfassungswidrig ist (dazu unter B) und nicht verfassungskonform ausgelegt werden kann (dazu unter C).

A: Für die Entscheidung über das mit der Revision der Beklagten verfolgte Begehren, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage gegen den streitgegenständlichen - und für die Rechtsstellung des Klägers gegenüber der Beigeladenen für die Zeit ab 1. Januar 1992 jedenfalls bis März 1994 vorgreiflichen - Rentenkürzungsbescheid vom 31. Juli 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1991 abzuweisen, kommt es unumgänglich auf die Gültigkeit des § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG an. Andere Gründe, die zu einem Erfolg des Rechtsmittels der Bundesrepublik Deutschland führen könnten, liegen nicht vor und können im Blick jedenfalls auf den Kürzungszeitraum vom 1. August 1991 bis zum 31. Dezember 1991 nach der derzeitigen Gesetzeslage auch nicht mehr eintreten (dazu unter A 3.).

1. Falls § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG ungültig ist, ist das Urteil des SG im Ergebnis jedenfalls insoweit zu bestätigen, als darin die Rentenkürzung durch die Beklagte aufgehoben worden ist. Zulässig ist mindestens die Anfechtungsklage gegen die streitigen Entscheidungen der Beklagten nach den - anzuwendenden (§ 17 AAÜG) - Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Andere Gründe für einen denkbaren Erfolg der Klage bestehen nicht und können jedenfalls in Hinsicht auf den streitigen Zeitraum vom 1. August 1991 bis zum 31. Dezember 1991 nicht eintreten:

Die Beklagte hat als zuständiger Versorgungsträger iS von § 8 Abs 4 Nr 2 AAÜG (Funktionsnachfolgerin iS von Art 13 Abs 2 EV) die ihr in der Eingriffsermächtigung des § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Abs 5 AAÜG zwingend vorgeschriebene Begrenzung der Leistungen ab 1. August 1991 verfahrensfehlerfrei durch Bescheid vorgenommen; spezialgesetzlich war sie von einer Anhörung des Klägers entbunden. Der Kläger gehört zu dem von der Norm betroffenen Personenkreis. Er bezog auf der bundesgesetzlichen Grundlage von EV Nr 9 Buchst b Satz 2 iVm § 2 Buchst a StaSiVersAufhG als ehemals "Versicherter" eine weitergezahlte Invalidenrente aus der speziellen "Pflichtversicherung" der Versorgungsordnung des MfS. Diese weitergezahlte Sonderversorgungsrente war durch EV Nr 9 dem Sachgebiet "Rentenversicherung" zugeordnet worden. Sein Rentenanspruch auf Zahlung von 990,00 DM monatlich war ferner durch den bindend (§ 77 SGG) gewordenen Bescheid der Beklagten vom 27. März 1991 konkret anerkannt (vgl BSGE 72, 50, 54 bis 57). Das AAÜG ist am 1. August 1991, am Tag nach der Verkündung des RÜG (am 31. Juli 1991) in Kraft getreten (Art 42 Abs 8 RÜG). Der Kappungsbescheid vom 31. Juli 1991 wurde mit seiner Bekanntgabe im August 1991 wirksam.

An dem Erfolg der Klage würde sich nichts ändern, wenn die seit dem 1. Januar 1992 zuständige Beigeladene einen Bescheid über die dem Kläger seit dem 1. Januar 1992 nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zustehende Rente erließe. Hiervon würde der streitige Zeitraum vom 1. August 1991 bis zum 31. Dezember 1991 nicht erfaßt. Im übrigen schließen §§ 6, 7 AAÜG, falls sie verfassungsgemäß sind (vgl dazu BSGE 72, 50, 63 letzter Absatz), im Falle des Klägers auch heute (März 1994) noch aus, daß ihm eine SGB VI-Rente von wenigstens 990,00 DM monatlich zu zahlen wäre (vgl die von der BfA vorgelegte Berechnungsskizze, Bl 186 der BSG-Akte). Insbesondere läßt das Gesetz eine Nachzahlung für die Vergangenheit nicht zu.

2. Falls § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG gültig ist, hat das BSG - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - diese Vorschrift anzuwenden:

a) Sie wird weder durch EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5, sog Zahlbetragsgarantie) noch durch andere bundesrechtliche Normen, die im Rang (Art 20 Abs 3 GG) unter der Verfassung stehen, verdrängt:

Jedenfalls die Regelungen in EV Nr 9 enthalten Sozialverwaltungsrecht, nämlich Bestimmungen über sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften, Rechte, Ansprüche, Verwaltungszuständigkeiten und Kostentragung; diese gelten gemäß Art 45 Abs 2 EV "als Bundesrecht" (nicht: als Bundesverfassungsrecht). Abgesehen davon, daß der EV die Normenhierarchie des GG nur im Wege der Änderung des Textes des GG hätte umgestalten können, regelt er solches auch nicht. EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) enthält also gegenüber § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG kein höherrangiges, sondern nur älteres Bundesrecht und insbesondere keine Kompetenzsperre für den förmlichen Bundesgesetzgeber. Dessen jüngeres Gesetz bricht gemäß Art 20 Abs 3 Regelung 1 GG die ältere Regelung in EV Nr 9, wenn es ansonsten formell und materiell verfassungsgemäß ist.

EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) ist auch nicht kraft Spezialität vorrangig anzuwenden. Denn § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG bestimmt hierzu in sachthematischer Überschneidung, daß die sog Zahlbetragsgarantie, die ausschließlich zusatz- oder sonderversorgungsberechtigten Bestandsrentnern und rentennahen Jahrgängen einen Mindestnominalwert der Rente gewährleistet, nur für einen Teil der von ihr Begünstigten nicht gilt. Für diese wird der Mindestbetrag durch einen niedrigeren Höchstbetrag ersetzt. Hierin erschöpft sich der Regelungsgehalt dieser Vorschrift sowie des gesamten § 10 AAÜG, der bundesrechtlich übernommene Renten aus der Sozialpflichtversicherung der DDR (Abs 4 aaO), "reine" DDR-Zusatzrenten (Abs 3 aaO) und SGB VI-Renten überhaupt nicht "begrenzt" (§ 307b Abs 3 Satz 2 SGB VI; hierzu BSGE 72, 50, 56, 58).

EV Nr 9 Buchst b Satz 4 enthält keine Regelung iS eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zugunsten Dritter (hier: der von der "Zahlbetragsgarantie" begünstigten Rentner und rentennahen Jahrgänge). Schon deshalb ist nicht aufzuzeigen, daß die uU in einem solchen (hier: quasi-völkerrechtlichen Staats-)Vertrag des Bundes ausgestalteten verwaltungsrechtlichen subjektiven Rechte von Privatpersonen gegen Hoheitssubjekte den Vertragsgesetzgeber nur kraft Bundesgesetzes binden, also die Änderungskompetenz des parlamentarischen Gesetzgebers letztlich nicht beschneiden.

b) Ein verfassungsrechtlicher Geltungs- oder Anwendungsvorrang zugunsten von EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) und gegen das jüngere Bundesgesetz besteht weder nach Art 59 Abs 2 GG, der als Handlungsform das Vertragsgesetz als "einfaches" Gesetz vorsieht, noch nach Art 25 GG, weil Vertragsrecht den allgemein anerkannten Regeln vorgeht und EV Nr 9 Buchst b Satz 4 auch keine derartige Regel positiviert. Insbesondere verleiht der Grundsatz der Vertragstreue den Vertragsinhalten keinen Vorrang vor sonstigen Bundesgesetzen. Gleiches gilt im Blick auf eventuelle - in Art 23 Satz 2 GG aF nicht vorgesehene - "Beitrittsbedingungen" der DDR für das Wiedervereinigungsgebot, das den damaligen Vertragsgesetzgeber noch gebunden hat. Auch aus dem Völkerrecht ergibt sich ein solcher Vorrang nicht.

3a) Der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zumindest im Rahmen der zulässigen Revision der Beklagten steht nicht entgegen, daß die Beigeladene selbst keine Revision eingelegt hat, obwohl das SG sie verurteilt hat, dem Kläger ab 1. Januar 1992 eine Rente in Höhe von monatlich 990,00 DM zu zahlen. Falls das BSG in der beim Endurteil gesetzmäßigen Besetzung verneinen sollte, daß die Revisionseinlegung und -begründung durch die Beklagte prozeßrechtlich zugunsten der Beigeladenen wirkt, müßte es gleichwohl aufgrund der Revision der Beklagten für den streitigen Zeitraum vom 1. August 1991 bis zum 31. Dezember 1991 allein anhand von § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG entscheiden, ob die Kürzung rechtmäßig war.

b) Das BSG darf das Revisionsverfahren nicht aussetzen und eine "endgültige" Verwaltungsentscheidung über die Höhe der Rente des Klägers (mit der Folge aus § 171 Abs 2 SGG) etwa deshalb abwarten, weil der streitige Kappungsbescheid nur eine "vorläufige Begrenzung von Zahlbeträgen" vorgenommen hätte (so aber die rechtlich irreführende Überschrift des § 10 AAÜG). Denn die Vorschrift entzieht monatlich einen Teil (ein Fünftel) des Rentenanspruches endgültig und unrevidierbar (vgl BSGE 72, 50, 58 f). Daran würde - wie bereits angesprochen - auch nichts ändern, wenn die Beigeladene einen Verwaltungsakt über die seit dem 1. Januar 1992 nach dem Rentenrecht des SGB VI zustehende Rente unter Anwendung der §§ 6 Abs 5 und 7, 7 AAÜG erließe. Da die inhaltliche Wirksamkeit dieser Vorschriften - anders als die des § 10 AAÜG - erst am 1. Januar 1992 begonnen hat, bliebe der Zeitraum bis zum 31. Dezember 1991 hiervon unberührt, wäre also allein nach § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG zu beurteilen. Deshalb ist nicht im einzelnen darzulegen, daß § 7 AAÜG eine Beseitigung der Beschwer des Klägers auch für die Folgezeit (1. Januar 1992 bis jedenfalls März 1994) ausschließt.

c) Die Entscheidungserheblichkeit des § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG wird ferner auch nicht dadurch entfallen, daß die - dem Kläger erst noch zu gewährende (§ 307b Abs 3 Satz 3 SGB VI) - SGB VI-Rente während des Vorlageverfahrens vor dem BVerfG oder des später fortzusetzenden Revisionsverfahrens den Monatsbetrag von 990,00 DM (weil von § 10 AAÜG nicht betroffen) in Zukunft übersteigen wird. Denn seine ab August 1991 eingetretene, bis zu jenem zukünftigen Zeitpunkt andauernde, rückwirkend nicht ausgleichbare und - nach der Überzeugung des BSG - verfassungswidrige Beschwer durch monatliche Rentenkürzung um ein Fünftel entfällt nicht.

Dies ist zu erörtern, weil dem Schreiben des BVerfG (1 BvL 45/92) vom 24. Januar 1994 an das SG Halle (S 5 An 411/91), das der Kläger dem BSG vorgelegt hat (Bl 182 bis 184 der BSG-Akte), die gegenteilige Auffassung zu entnehmen sein könnte. Darin bittet das BVerfG das SG "um Überprüfung, ob der Vorlagebeschluß aufrechterhalten bleiben kann": Aufgrund des Rentenbescheides der BfA erhalte der Kläger (jenes Verfahrens) jedenfalls seit Januar 1993 eine höhere monatliche Rente als 990,00 DM. "Insoweit erweist sich die ursprüngliche Zahlbetragsbegrenzung beim Kläger ab 1. August 1991 jedenfalls nur als 'vorläufig', weil sie nicht von Dauer war. Die Entgeltbegrenzung ist dem Kläger nur zeitweise zugemutet worden." Ferner heißt es: "... dürfte nunmehr, unabhängig von meinen Hinweisen im Schreiben vom 17. November 1992, die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Norm im gegenwärtigen Verfahrensstand des Ausgangsverfahrens nicht mehr in vollem Umfang zweifelsfrei feststehen."

Das BSG vermag der bisherigen veröffentlichten (einschließlich der im vorgenannten Schreiben zitierten) Rechtsprechung des BVerfG nicht zu entnehmen, daß die Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG entfällt, wenn die - nach Ansicht des Fachgebietsgerichts - verfassungswidrige Eingriffsnorm dem Bürger Rechtsbeeinträchtigungen nur zeitweise, nicht auf Dauer zumutet, der verfassungswidrige Eingriff aber nach dem Gesetz endgültig und nicht revidierbar ist. So wird das BSG in jedem Falle zumindest darüber entscheiden müssen, ob die Rente des Klägers von August 1991 bis Dezember 1991 zu Recht monatlich um 188,00 DM gekürzt worden ist.

Dem BSG ist aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG auch nicht erkennbar, daß das GG den Bürgern zumutet, verfassungswidrige Rechtsbeeinträchtigungen jedenfalls dann endgültig hinnehmen zu müssen, wenn diese ihm "nur zeitweise zugemutet worden" sind; eine iS von § 31 Abs 1 BVerfGG (unabhängig von dessen Reichweite) in diesem Sinne bindende Entscheidung des BVerfG, die eine Vorlage deswegen uU ausschlösse, ist nicht auffindbar (hingegen zB: BVerfGE 71, 364, 394). Revisionsgerichtlich ist im übrigen durch eine ständige Rechtsprechung (seit BSGE 72, 50; dazu BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats vom 7. Juli 1993, 1 BvR 620/93 ua) klargestellt - und das BSG hält nach erneuter Überprüfung daran fest -, daß die sog "vorläufige Begrenzung von Zahlbeträgen" (Überschrift von § 10 AAÜG) nach dem einfachen positiven Gesetzesrecht eine endgültige, unrevidierbare, durch nichts ausgleichbare Teilentziehung von Rentenansprüchen nur für einige Bestandsrentner (und einige aus den rentennahen Jahrgängen) ist.

B: Das BSG ist überzeugt, daß § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG jedenfalls deshalb verfassungswidrig (und ungültig) ist, weil er einen - auch eigentumsrechtlich geschützten - Anspruch des Klägers auf einen bestimmten Zahlbetrag ohne verfassungsgemäßen Zweck und deshalb unter Verstoß gegen Prinzipien des Rechtsstaats (Art 20 Abs 1, 14 Abs 1 GG) um 20 vH monatlich kürzt:

1. Dem Kläger stand am 31. Juli 1991 nach dem ab 3. Oktober 1990 gültigen Bundesrecht, welches für das BSG ausschließlicher Prüfungsmaßstab ist (§ 162 SGG), gemäß EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (iVm dem als Bundesrecht fortgeltenden § 2 Buchst a StaSiVersAufhG) ein iS des EV "rentenversicherungsrechtlicher" Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer Rente von monatlich 990,00 DM zu:

Dieser Anspruch war durch Bundesgesetz begründet. Der Inhalt des Bundes-Vertragsgesetzes ergibt sich insoweit aus EV Nr 9 Satz 4 und 5 (vgl BVerfGE 12, 281, 288; 63, 131, 140 stRspr). Dieser bestimmt, daß einem abgegrenzten und bestimmbaren Personenkreis - anders als der großen Mehrzahl der in einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem "Versicherten" - an das SGB VI anpaßbare Leistungen, zu denen ua Invalidenrenten gehören, gerade dann auf Dauer wenigstens in Höhe des im Juli 1990 rechtmäßig zustehenden Gesamtzahlbetrags weiterzugewähren sind, wenn die nach dem SGB VI berechnete - und frühestens ab 1. Januar 1992 zu gewährende - Rente niedriger ist (stRspr des BSG seit BSGE 72, 50, 67).

Der Anspruch war dem Kläger durch den materiell bestandskräftig (bindend iS von § 77 SGG) gewordenen Bescheid der Beklagten vom 27. März 1991 auch konkret verbindlich anerkannt worden. Die beiden darin formularmäßig angedeuteten Vorbehalte waren gegenstandslos (Nachuntersuchung) bzw nicht einschlägig (Besteuerungsvorbehalt); der Zusatz "bis auf weiteres" enthält keine wirksame auflösende Befristung oder Bedingung iS von § 32 SGB X, der seit dem 1. Januar 1991 anzuwenden war. Deswegen ist nicht aufzuzeigen, daß alle Zusätze wegen Gesetzeswidrigkeit nicht hätten angewandt werden dürfen (vgl stellv BSGE 67, 104, 111 ff, 121 mwN).

Es ist einem verfassungsgemäßen Gesetz vorbehalten, die Einschränkung einer solchen Rechtsposition zu regeln.

2. Dieser im Sozialverwaltungsrecht begründete Anspruch genoß darüber hinaus den grundrechtlichen Schutz des Art 14 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 GG:

Satz 4 (und Satz 5) von EV Nr 9 ist in dessen sachlichen Anwendungsbereich das erste und einzige iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG inhaltsbestimmende Bundesgesetz.

a) Der Bundesgesetzgeber war auch gegenüber den deutschen Staatsangehörigen, die in der früheren DDR lebten und zudem deren Bürger waren, an deren (Menschen- und) Grundrechte gebunden (Art 1 Abs 3 GG), als er das Vertragsgesetz zum EV beschloß und damit - zukunftsorientiert - deren Rechtsverhältnisse im wiedervereinigten Deutschland regelte. Er mußte also ua die Aufgabe der Überführung, Beseitigung, Kürzung und Ausgestaltung ihrer der Existenzsicherung bei Invalidität und Alter dienenden, auf der Grundlage einer entgeltlichen Beschäftigung entstandenen vermögenswerten Rentenansprüche von vornherein verfassungs-, insbesondere grundrechtsgemäß (Art 14 Abs 1 Satz 1 GG) vornehmen, dh er durfte dem Vertragsgesetz nur zustimmen, wenn dessen Inhalt grundgesetzgemäß war (vgl BVerfGE 12, 281, 288; 14, 263, 278; 74, 203, 214; stRspr; deswegen: Art 143 GG).

b) Er hat - erstmals und im Zusammenhang von EV Nr 9 ausschließlich - durch EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5), dessen rechtlicher Inhalt in keiner Hinsicht unklar (oder gar selbstwidersprüchlich) ist (dazu BSGE 72, 50, 58 f, 61, 65 f, 67 f), für alle zusatz- oder sonderversorgungsberechtigten Bestandsrentner (und die dort genannten rentennahen Jahrgänge) eine Inhaltsbestimmung iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 Regelung 1 GG getroffen. Dabei hat er die auf entgeltlicher Beschäftigung in der DDR beruhenden Rentenansprüche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Invalidität), Alter und Tod aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (auch aus dem des MfS) als in die gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) überführbar gewertet. In dieser (SGB VI) werden den Versicherten Anwartschaften, Rechte und Ansprüche - ggf modifiziert von jetzt überwiegend steuerfinanzierten Sondertatbeständen des sozialen Ausgleichs und der sozialen Entschädigung - nur als Äquivalent eigener Arbeit und Leistung, nicht fürsorgerisch als "soziale Wohltaten" zuerkannt. Hierbei hat der Vertragsgesetzgeber sich von dem bislang im deutschen Sozialversicherungsrecht (abgesehen von bestimmten nationalsozialistischen Regelungen) durchgehaltenen Systemprinzip der politisch-moralischen Neutralität des Rentenrechts bestimmen lassen (vgl zB §§ 72 bis 74 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 GG (G 131) fallenden Personen; auch BSGE 15, 89, 91). Deshalb hat der Vertragsgesetzgeber bei der sog Zahlbetragsgarantie nicht nach Zusatz-, Sonderversorgungs- und "echten" Rentenversicherungsansprüchen und ebensowenig nach dem moralischen, politischen, wirtschaftlichen oder weltanschaulichen "Wert" der Erwerbstätigkeit, welche dem Anspruchserwerb zugrunde lag, oder etwa nach "Beiträgen" unterschieden.

Dadurch hat der Bundesgesetzgeber ua entschieden, daß auch die auf einer entgeltlichen Beschäftigung beim MfS beruhenden Ansprüche auf eine Invalidenrente nach Rechtsgrund und Zweck geeignet und dazu bestimmt sind, in eine SGB VI-Rente umgewandelt zu werden. Dabei müssen diese Ansprüche den SGB VI-Vorgaben angepaßt und ggf ungerechtfertigte Leistungen abgeschafft, überhöhte abgebaut und gewisse Besserstellungen vermieden werden. Diese sog Systementscheidung (dazu BSGE 72, 50, 67) und das Programm, die künftige SGB VI-Rente von Bestandteilen freizuhalten, die nicht auf Arbeit und Leistung, sondern auf politischer Begünstigung beruhten (dazu BSGE 72, 50, 66, 69 f), waren Grund und Gegenstand der sog Zahlbetragsgarantie. Denn für den Bundes-Vertragsgesetzgeber lag aufgrund des SGB VI vom 18. Dezember 1989 auf der Hand, daß durch diese Anpassung allen ein Teilverlust ihrer Rechte angesagt war, die ab dem 3. Oktober 1990 noch Anwartschaften oder Ansprüche aus einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem mit höherem (Gesamt-)Zahlbetrag als nach den künftig, dh ab 1. Januar 1992 anzuwendenden Grundsätzen des SGB VI hatten, und zwar soweit (ab 1. Januar 1992) und solange (uU auf Lebenszeit) eine Differenz zum Zahlbetrag der SGB VI-Rente fortbestand.

Auf diese in den Grundzügen angekündigte neue Rechtslage konnten sich aber - in aller Regel und typischerweise - die Bestandsrentner und besonders rentennahen Jahrgänge nicht mehr einstellen. Deswegen hat der Bundesgesetzgeber - nur, aber für alle versorgungsberechtigten Bestandsrentner und rentennahen Jahrgänge - bestimmt, daß diesem abgegrenzten Personenkreis zumindest und in jedem Fall der Nominalwert ihrer Gesamtansprüche auf Altersversorgung aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem, der ihnen für Juli 1990 (rechtmäßig) zu erbringen war (beim Kläger: 990,00 DM monatlich), ungeschmälert erhalten bleiben soll. Der Bundesgesetzgeber hat also bewußt entschieden, daß den Rentnern dieser - nicht dynamisierbare (BSGE 72, 50, 52 f, 65) - Betrag gerade auch dann zustehen soll, wenn er über dem Höchstbetrag einer künftigen SGB VI-Rente liegt.

c) Hinsichtlich dieses Personenkreises und ihrer der Existenzsicherung dienenden, grundsätzlich (politisch-moralisch neutral betrachtet) auf eigener Arbeit beruhenden Ansprüche und deren Höhe hat der Bundesgesetzgeber auf weitere Differenzierungen augenfällig "bewußt" verzichtet:

Etwa im Blick auf Ansprüche aus der MfS-Versorgung, die letztlich auf einer Tätigkeit für die Stasi beruhen, war nicht unbekannt, daß diese Organisation nicht etwa nur zB zur Spionageabwehr oder zur Bekämpfung der Drogenkriminalität eingesetzt wurde, sondern als "Schild und Schwert der Partei" das wichtigste Unterdrückungsinstrument des einheitssozialistischen Gewaltregimes war (zur MfS-Tätigkeit stellv Gill/Schröter, Das MfS, Berlin 1991; Statut des MfS vom 30. Juli 1969). Ferner war bekannt, daß der von der Bundesrepublik Deutschland beratene DDR-Gesetzgeber die typischerweise als politisch überhöht erachteten Gesamtansprüche der Rentner und rentennahen Jahrgänge aus systemnahen oder systemtragenden Zusatz- und Sonderversorgungssystemen bereits auf 2.010,00 DM bzw - beim MfS - auf 990,00 DM gekürzt hatte. Damit waren die Renten der MfS-Versorgten damals auf höchstens das Doppelte der damaligen DDR-Durchschnittsrente festgesetzt. Die von der Volkskammer noch vorgesehene Rentenanpassung ist durch EV Nr 9 Buchst b außerdem noch gestrichen worden. Zudem war - wie gesagt - voraussehbar, daß auch diese Bestandsrentner (und die rentennahen Jahrgänge) typischerweise nicht mehr im Stande sein würden, durch eigene Erwerbstätigkeit eine zweite oder gar dritte Säule der Alterssicherung aufzubauen. Die existenzsichernde Bedeutung und die Privatnützigkeit der von der "Zahlbetragsgarantie" erfaßten Ansprüche lag auf der Hand. Der Bundesgesetzgeber hat hierbei auch nicht danach unterschieden, ob überhaupt und ggf in welcher Höhe "Beiträge" gezahlt worden waren.

d) Gleichfalls wurde in EV Nr 9 Buchst d (und e) entschieden, daß die Altlasten aus den (Zusatz- und Sonder-)Versorgungssystemen letztlich aus Steuermitteln finanziert werden sollten, soweit die Einnahmen und das wirtschaftlich verwertbare Vermögen der Versorgungssysteme hierfür nicht ausreichten. Hierbei handelt es sich um eine (iS des EV) rentenversicherungsrechtliche Spezialregelung zu EV Art 4 Nr 4 (= jetzt: Art 135a Abs 2 GG). Denn schon 1990 war im wesentlichen bekannt, daß zur Deckung von Renten- und Versorgungsansprüchen gewidmete und geeignete Vermögenswerte bei der MfS-Versorgung wie bei der Mehrzahl der Versorgungssysteme nicht einmal ansatzweise vorhanden waren. Demgemäß sind derartige "Versicherungsvermögen" weder auf die Beklagte noch auf die Beigeladene übergegangen. Ua schon deswegen stehen gerade die Verbindlichkeiten aus der Zahlbetragsgarantie entgegen Art 135a Abs 2 GG mit dem Übergang von Vermögenswerten der DDR auf den Bund nicht im Zusammenhang und beruhen auch nicht auf Maßnahmen der DDR oder ihrer Rechtsträger, sondern allein und originär auf der Entscheidung des Bundesgesetzgebers im EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5). Zugleich war hierdurch klargestellt, daß die "Zahlbetragsgarantie" auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 1991 sowohl beitrags-, als auch steuerfinanzierte Ansprüche (SGB VI-Rente und Rentenzuschlag) in einem Gesamtanspruch verbinden sollte (§ 307b Abs 3 Satz 2 SGB VI; BSGE 72, 50, 55 f).

3. § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG ist gegenüber EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) ein neues, ab 1. August 1991 zugreifendes inhaltsbestimmendes Gesetz. Dieses beschränkt zugleich die Freiheit eines Teils der Bestandsrentner (und rentennahen Jahrgänge) zur eigenverantwortlichen wirtschaftlichen Selbstbestimmung (vgl BVerfGE 69, 272, 300) und zwar besonders einschneidend, weil der schon niedrige Ausgangswert von 990,00 DM monatlich um ein Fünftel auf 802,00 DM gesenkt wird (vgl zB Anlage 1 zu § 114 ZPO, § 850c ZPO). Die Vorschrift ist (mindestens) deshalb verfassungswidrig, weil sie kein verfassungsgemäßes öffentliches Interesse verfolgt, das diese Beschränkung rechtfertigt (vgl BVerfGE 8, 71, 80; 76, 220, 238; 34, 139, 146; 87, 114, 139; 18, 121, 132; 21, 150, 155). Aus dem Gesetzestext und den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, welcher verfassungsgemäße öffentliche Belang den Eingriff legitimiert (vgl BVerfGE 31, 275, 293 f; 58, 81, 121) und dadurch gefördert werden soll (und könnte), daß die Rentenansprüche des von § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG betroffenen Teils der Bestandsrentner (und rentennahen Jahrgänge) monatlich um 20 vH gekürzt werden:

a) Daß mit der Kappung der weitergezahlten Renten eines Teils der sonder- und zusatzversorgungsberechtigten Bestandsrentner und rentennahen Jahrgänge Zwecke der "Konsolidierung des Bundeshaushalts" (oder der Länderhaushalte; beides typischerweise zu Lasten der Sozialhilfeträger) oder der Umschichtung von Haushaltsmitteln verfolgt worden sind, hat im Gesetz keinen Ausdruck gefunden; dies ist auch nicht Gegenstand der Beratungen gewesen (dazu und zur Entstehungsgeschichte des § 10 AAÜG: BSGE 72, 50, 70 ff mwN). Daher ist nicht darzulegen, daß andernfalls gerade im Blick auf § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG ua das Gebot des Interventionsminimums und der (Lasten-)Gleichheitssatz verletzt wären.

b) Soweit die Materialien (einschließlich derjenigen des Gesetzes zur Ergänzung der Rentenüberleitung (Rü-ErgG) vom 24. Juni 1993 (BGBl I S 1038)) darauf hindeuten, es könne beabsichtigt gewesen sein, "Täter" zu treffen, die das Regime durch Unrechtstaten unterstützt haben, wäre dies eine strafrechtsähnliche Sanktion und daher rechtsstaatswidrig. Denn die Unschuldsvermutung schützt die Beschuldigten ua auch vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches, prozeßordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist; sie verlangt den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl BVerfGE 74, 358, 371 mwN). Grundgesetzwidrig wäre dabei auch die einem Rechtsstaat fremde Kollektivbestrafung (vgl BVerfGE 6, 132, 221 f).

Die Vorgabe in EV Nr 9 Buchst b Satz 3 Nr 2, Zusatz- und Sonderversorgungsansprüche zu kürzen oder abzuerkennen, wenn nach Einzelfallprüfung Verstöße ua gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit festgestellt worden sind, hat das AAÜG nicht verwirklicht (dazu BSGE 72, 50, 65 f). Auf deren Verfassungsmäßigkeit - etwa im Vergleich zu §§ 72 ff G 131 - ist daher nicht einzugehen.

c) Soweit das Ziel anklingt, den am 1. August 1991 namentlich bekannten Bestandsrentnern (und den im wesentlichen bestimmbaren rentennahen Jahrgängen iS von EV Nr 9 Buchst b Satz 5, anders abgegrenzt in § 4 Abs 4 AAÜG) den geschützten Zahlbetrag deswegen teilweise zu entziehen, weil sie sich in der DDR - wenn schon nicht rechtswidrig und schuldhaft, so doch - als "systemnah oder systemtragend" moralisch oder politisch "sozialfeindlich" oder "sozialschädlich" verhalten hätten, läge eine Legal- oder (wegen § 10 Abs 5 AAÜG) Administrativkonfiskation vor. Derartige subjektiv-zweckgerichtete politische Rechtsbeeinträchtigungen waren schon unter der Weimarer Reichsverfassung unzulässig und sind auch durch Art 14 Abs 1 und Art 3 Abs 3 GG verboten (stellv Papier in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Kommentar, Bd II, Art 14 Rz 577 mwN).

d) Sollte der Eingriff dazu dienen, den Wünschen der "Opfer" nach Vergeltung oder dem Empfinden einer ua durch Meinungsumfragen (vgl Bundesarbeitsblatt 1994, 11, 15 ff) ermittelten "Mehrheit" nachzukommen, die StaSi-Rentner müßten iS der "sozialen Gerechtigkeit ausgleichend" schlechter gestellt werden als die anderen Rentner, wäre dies ein schon mit der Grundrechtsbindung der gesetzgebenden Gewalt unvereinbarer Zweck. Zwar sind Überlegungen zur Akzeptanz gesetzlicher Regelungen nicht nur zulässig, sondern sogar ein Gebot gesetzgeberischer Klugheit. Die grundrechtliche Begrenzung des Gesetzgebungsermessens (hier: durch Art 14 Abs 1 und 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 3 GG) schließt aber von vornherein aus, die Befriedigung des "Volksempfindens" als legitimierenden Hauptzweck eines Eingriffs anzuerkennen (vgl BVerfGE 7, 377, 403 f; 17, 306, 313 f).

e) Soweit in den Materialien die "Besitzschutzregelung" des EV als "nicht sachgerecht", "sozialpolitisch unvertretbar" oder "unerträglich" bezeichnet worden ist, wurde nicht aufgezeigt, weshalb von den Funktionsnachfolgern (allein zu ihren Gunsten wirkt § 10 AAÜG) nicht mehr ertragen werden konnte, daß alle Bestandsrentner den Anspruch auf den im EV garantierten Rentenbetrag behielten. Der den StaSi-Versorgten gewährleistete Betrag von 990,00 DM lag schon 1993 weit unter dem Betrag der SGB VI-Durchschnittsrente der Männer im Beitrittsgebiet. Dies war im Juli 1991 schon vorauszusehen. Dem Gesetz selbst ist nicht zu entnehmen, welcher öffentliche Belang durch die Rentenhöhe von 990,00 DM ("unerträglich") beeinträchtigt worden und weshalb die Kappung der Renten der MfS-Bestandsrentner (und rentennahen Jahrgänge) auf 802,00 DM geeignet und erforderlich sein könnte, die Beeinträchtigung des unbenannt gebliebenen öffentlichen Interesses zu mildern oder zu beseitigen (vgl BVerfGE 30, 250, 262 f).

f) Es ist ferner aus dem Gesetz nicht ersichtlich und in den Materialien nicht dargetan, daß § 10 AAÜG einer objektiven "Änderung" gegenüber den Verhältnissen Rechnung tragen soll, die für die Festsetzung der "Zahlbetragsgarantie" in EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) maßgebend gewesen und nach dem Inkrafttreten des EV eingetreten sind. Der Umstand, daß der Vertragspartner "DDR" der Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, stellt gerade den Anlaß für die "Zahlbetragsgarantie" dar, welcher der Bundesgesetzgeber in Kenntnis der hier streitgegenständlichen Problematik durch förmliches Gesetz zugestimmt hat.

g) Nicht erkennbar ist ferner, daß § 10 AAÜG der Beseitigung eines bei Abschluß des EV gegebenen "Irrtums" der Bundesrepublik Deutschland über die tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen und Folgen der "Zahlbetragsgarantie" dient. Es war nämlich ua bekannt, daß für die Abgeltung der Ansprüche aus der MfS-Versorgung kein "Versicherungsvermögen" vorhanden war, das auf die Funktionsnachfolger hätte übergehen können. Die in der MfS-Versorgung vorgesehenen "Beiträge" (Ordnung Nr 7/87, Teil I Nr 3) waren bloße Gehaltskürzungen zugunsten des allgemeinen Staatshaushalts der DDR. Auch die Aufgaben, Mittel und Methoden der Stasi und ihre Bedeutung für das einheitssozialistische Unterdrückungssystem waren bekannt, ebenso die Zahl der Bestandsrentner und die Größenordnung der rentennahen Jahrgänge. Die Bundesregierung und die Berater, welche sie der DDR-Regierung, insbesondere aus dem Bereich der Arbeits- und Sozialordnung, zur Verfügung gestellt hatte, konnten damals die Auswirkungen dieser Garantie auch schon unter Würdigung des bereits als Hauptstück des Rentenreformgesetzes beschlossenen SGB VI erkennen. Der Bundesgesetzgeber wußte außerdem, daß der von der Volkskammer in § 2 Buchst a StaSiVersAufhG ab 1. Juli 1990 festgesetzte Rentenbetrag von monatlich 990,00 DM dem Zweifachen der damaligen Durchschnittsrente entsprach, rentenstrukturell einer Rente aus Beiträgen an der Beitragsbemessungsgrenze gleichkam und Ergebnis eines Kompromisses war, nachdem ursprünglich eine Begrenzung auf 1.200,00 DM vorgeschlagen gewesen war. Insbesondere war der Hauptzweck der Zahlbetragsgarantie klar, den Begünstigten Zahlbeträge oberhalb der für sie vorgesehenen SGB VI-Rente zu gewährleisten. Deshalb war deren Dynamisierung durch EV Nr 9 gerade abgeschafft worden (vgl BSGE 72, 50, 61 f, 65).

h) Soweit in den Materialien gesagt wird, § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG (vor allem aber §§ 6, 7 aaO, die das BSG (vgl BSGE 72, 50, 62 f) auch im vorliegenden Fall nicht anzuwenden hat) diene der Beseitigung von "Privilegien" und "politischen Vergünstigungen", ist das im positiven Gesetzesrecht nicht nachvollziehbar:

Zwar ist die Rücknahme von im Einzelfall "rechtswidrig" zuerkannten Versorgungsansprüchen ein legitimer Zweck rechtsstaatlicher Normen, soweit Vertrauensschutz nicht entgegensteht. Solchen Rücknahmen steht aber EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) ohnehin nicht entgegen. § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG regelt aber nicht die Rücknahme von im Einzelfall rechtswidrig zuerkannten Ansprüchen.

Die Vorschrift ordnet hingegen die Kappung aller Ansprüche von MfS-Bestandsrentnern (und rentennahen Jahrgängen) auf Zahlbeträge von mehr als 802,00 DM bis zu 990,00 DM an, also gerade auch der rechtmäßig erworbenen und bundesgesetzlich anerkannten Ansprüche. Rechtsstaatlich verboten ist aber, zu dem Zweck, zu Unrecht erlangte Rechtspositionen zu beschneiden, materiell berechtigte Ansprüche gleichfalls zu beseitigen (vgl BVerfGE 24, 75, 102 f).

Ferner ist zwar die Beseitigung von Sondervorteilen verfassungsgemäß, die der einheitssozialistische Staat einzelnen oder Gruppen von Systemträgern gerade wegen ihrer engen Verbindung zum SED-Regime gewährt hatte (vgl BVerfGE 16, 254, 274). Worin jedoch bei einem durch Bundesgesetz garantierten Anspruch auf eine Rente von 990,00 DM eine einheitssozialistische "Privilegierung" oder "politische Vergünstigung" liegt, die nur der Bundesgesetzgeber gewährt haben könnte, ist nicht ersichtlich. Der Abbau von Sondervorteilen bei der MfS-Versorgung war bereits durch die - von der Bundesrepublik Deutschland beratene - DDR, nämlich durch das StaSiVersAufhG (und durch das Rentenangleichungsgesetz der DDR) nachhaltig erfolgt (vgl stellv Gill/Schröder, Das MfS, 1991, 270 ff). Der Bundesgesetzgeber hat dies - unter zusätzlicher Abschaffung von Dynamisierungen - in EV Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5 als hinreichend erachtet, dem Kreis der Bestandsrentner und rentennahen Jahrgängen eine "Zahlbetragsgarantie" zu erteilen.

i) § 10 Abs 2 Satz 1 AAÜG dient nicht dem Zweck der Änderung des Systems der Rentenversicherung:

Gesetz und Materialien lassen nicht erkennen, daß ein Systemprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung aufgehoben und durch einen neuen Handlungs- oder Wertungsgrundsatz ersetzt worden wäre. Der Eingriffsinhalt des § 10 AAÜG nF verdeutlicht nur den politischen Willen, einem Teil der Zusatz- oder Sonderversorgungsberechtigten den ihnen bundesrechtlich gewährleisteten Gesamtanspruch teilweise zu entziehen.

Insbesondere das Prinzip der "politisch-moralischen Neutralität der Rentenversicherung" wird durch § 10 AAÜG nicht etwa allgemein aufgehoben und durch den Grundsatz verdrängt, der bisherige rentenversicherungsrechtliche Erwerbstatbestand der entgeltlichen Beschäftigung werde generell durch den Zusatz eingeschränkt, er sei nur anspruchsbegründend, wenn und soweit eine typisierende moralisch-politische Bewertung der verrichteten Tätigkeiten dies anerkennt. § 10 AAÜG stellt einen derartigen neuen Grundsatz nicht einmal für die jeweiligen Gruppen der Bestandsrentner mit "unbegrenzten" und mit gekürzten Gesamtansprüchen auf. Erst recht ist nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber diesen Grundsatz allgemein (zB auch zu §§ 72 ff G 131) einführen wollte. Die "Begrenzung" dient also nicht der Systemveränderung, sondern allenfalls der punktuellen und selektiven Systemdurchbrechung.

Als solche könnte sie zwar Willkür indizieren (vgl BVerfGE 76, 130, 139 f; 81, 156, 207). Ob diese vorliegt, könnte aber nur beurteilt werden, wenn ein verfassungsgemäßer Zweck des Eingriffs bekannt wäre, der die "Systemdurchbrechung" als sachlich vertretbar oder aber ua als unverhältnismäßig erscheinen ließe. Der Gesetzeszweck liegt hier jedenfalls nicht in einer (nicht vorhandenen) Absicht des Gesetzgebers, das System der Rentenversicherung strukturell zu ändern.

k) Da kein objektiver öffentlicher Belang erkennbar ist, der im Rechtsstaat legitim wäre und durch die Rentenkappung gefördert werden könnte, kann § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG nur als Ausdruck der Einschätzung des Bundesgesetzgebers verstanden werden, er selbst habe mit der bundesrechtlichen "Zahlbetragsgarantie" ua den Bestandsrentnern aus der MfS-Versorgung rentenversicherungsrechtlich mehr zuerkannt, als ihm jetzt bei erneuter Überlegung recht dünkt. Die Kappung ist somit bloßer Ausdruck des Willens, eine bereits bundesgesetzlich verfestigte, in verwaltungsrechtliche Individualrechte sowie in eigentumsgeschützte Positionen konkretisierte staats- und sozialpolitische Entscheidung zT zurückzunehmen und in tatbestandlicher Rückanknüpfung durch eine davon abweichende neue Wertung zu Lasten der bislang rechtlich Begünstigten zu ersetzen. § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG "dient" somit ausschließlich der politischen Selbstkorrektur des Bundesgesetzgebers. Er hat jedoch keinen rechtsstaatlichen Korrekturmaßstab hierfür benannt. Nur eine solche Selbstkorrektur kann sinnvoll mit in den Materialien (zuletzt zB in BT-Drucks 12/4810 S 21) auffindbaren Formulierungen gemeint sein, die Leistungen sollten an die maximale Leistungshöhe nach dem SGB VI herangeführt werden. Genau solches sollte aber EV Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5 verhindern. Eine Angabe des objektiven Gemeinwohlbelangs, dem das "Abgehen von den Vorgaben des EV" dient, fehlt durchgängig.

Hat jedoch die gesetzgebende Gewalt - wie hier EV Nr 9 Buchst b Satz 4 (und 5) - durch Bundesgesetz subjektive Rechte und Ansprüche der Bürger begründet, kann sie - weil rechtsstaatlich gebunden - diese nicht mehr nach Belieben (Willkür) entziehen (vgl BVerfGE 60, 16, 42; 17, 306, 314, 318). Die Maxime, die sie zum Prinzip des neuen Gesetzes gemacht hat, muß zumindest andeutungsweise aus diesem erkennbar und ferner geeignet sein, nicht nur dessen Inhalt, sondern auch den Rechtsentzug, also die Rücknahme der bisherigen gesetzlichen Zusage zu rechtfertigen.

Dies gilt gerade auch dann, wenn die gesetzgebende Gewalt nachträglich meint, sie habe durch das bisherige Gesetz im politischen Sinn einen Fehler gemacht. Sie unterliegt nämlich bei einem Korrekturversuch ua den vorgenannten rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Bindungen. Denn gegenüber diesen Rechtsschranken des GG kann der Gesetzgeber sich gerade nicht auf sein freies Ermessen oder auf unbenannte staatspolitische Notwendigkeiten berufen, unter denen er das von ihm erlassene neue Gesetz für vernünftig und gut hält (vgl BVerfGE 1, 14, 36). Besteht also die "Selbstkorrektur" in einem Eingriff in bundesgesetzlich zuerkannte und individuell (hier: durch Verwaltungsakt) konkretisierte (und darüber hinaus eigentumsrechtlich geschützte) Rechtsansprüche, ist sie nur zulässig, wenn ein aus dem neuen Gesetz erkennbarer verfassungsgemäßer öffentlicher (Gemeinwohl-)Belang den Eingriff notwendig macht (vgl BVerfGE 72, 175, 196 ff; 76, 256, 356 ff; 76, 1, 50 ff; 77, 308, 322 ff und die oben unter B 3 vor Buchst a genannte Rspr). Dies ist hier nicht der Fall.

I) Art 143 Abs 1 GG rechtfertigt dieses Verhalten der gesetzgebenden Gewalt nicht. Denn § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG enthält kein "längstens bis zum 31. Dezember 1992" vom GG abweichendes Recht, sondern gilt in direkter sowie entsprechender Anwendung (§ 4 Abs 4 AAÜG) dauerhaft für alle erfaßten (Versorgungs-)Rentenansprüche, bis die SGB VI-Rente (ohne den Rentenzuschlag; dazu BSGE 72, 50, 56) später 990,00 DM monatlich übersteigt. Ferner war durch EV Nr 9 Buchst b Satz 4 und 5 "die völlige Anpassung an die grundgesetzliche Ordnung" bereits verwirklicht, weil die sog Zahlbetragsgarantie "von Bestimmungen des GG nicht abwich".

Nach alledem ist § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG verfassungswidrig, weil er keinen verfassungsgemäßen öffentlichen Belang verfolgt. Nur ein verfassungsgemäßer Zweck der Rentenkürzung könnte Prüfungsmaßstab sein, ob diese ein geeigneter, erforderlicher, verhältnismäßiger und willkürfreier Eingriff ist (vgl BSGE 72, 50, 60).

C: Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift ist nicht möglich. Der Gesetzeswortlaut ist zwar im Blick auf die irreführende Überschrift und den aus rentenversicherungsrechtlicher Sicht ungenauen Gebrauch des Ausdrucks "Versichertenrente" nach allgemeinem Sprachgebrauch in gewissem Umfang (siehe oben) auslegungsbedürftig. Er gibt jedoch aufgrund der juristisch fachdogmatischen Interpretation ohne Restzweifel zu verstehen, daß die Bestandsrentner, die "Versicherte" in der Sonderversorgung des MfS waren und eine Rente erhielten, deren Höhe bundesrechtlich auf 990,00 DM monatlich festgesetzt war, ab 1. August 1991 nach materiellem Bundesrecht nur noch 802,00 DM beanspruchen können. Ansprüche aufgrund von Dauerverwaltungsakten mit höherem Zahlbetrag sind gemäß Abs 5 aaO - wie beim Kläger erfolgt - durch Verwaltungsakt (Bescheid) zu kürzen.

In dem gesamten zugänglichen Schrifttum zu § 10 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AAÜG findet sich keine Stimme, die einen Weg aufzeigt, wie diese Vorschrift verfassungskonform ausgelegt werden könnte. Das BSG (E 72, 50) hat zwar im Wege verfassungskonformer teleologischer Reduktion des persönlichen Anwendungsbereichs des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AAÜG aF entschieden, daß die Bestandsrentner aus den nicht "systemnahen" Zusatzversorgungssystemen von der Durchbrechung der "Zahlbetragsgarantie" nicht betroffen sind (so auch BT-Drucks 12/4810 S 32); der Gesetzgeber hat sie jetzt aber gleichfalls und rückwirkend einer Kürzung (Höchstbetrag: 2.700,00 DM) unterworfen. Der politische Wille zur og Selbstkorrektur ist jetzt eindeutig (vgl BVerfGE 82, 6, 12 f; Beschluß vom 3. November 1992 - 1 BvR 1243/88, BSGE 72, 50, 52), ein verfassungsgemäßer Zweck aber nicht ersichtlich.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668352

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