Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der teilweisen "Nichtleistung" einer Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) wegen Anrechnung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV).

Die Klägerin ist die Witwe des 1920 geborenen W. Sch. (Versicherter), dem die Beklagte seit Januar 1986 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährte. Der Versicherte verstarb am 5. Dezember 1992 an den Folgen eines Arbeitsunfalls, den er am 17. November 1992 als abhängig beschäftigter Rentner erlitten hatte. Die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft bewilligte der Klägerin ab 5. Dezember 1992 Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen UV (Bescheid vom 25. März 1993; ab 1. Juli 1993 monatlich 1.131, 60 DM). Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligte ihr ab 1. Januar 1993 aus der RV eine sog Große Witwenrente. Den Wert dieses Rechts stellte sie im Bewilligungsbescheid vom 15. September 1993 in Höhe von 1.061, 58 DM fest, zahlte ihr die Hinterbliebenenrente wegen des Rechts der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der UV jedoch nur in Höhe von zuletzt (ab 1. Juli 1993) 56, 52 DM monatlich.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beklagte erteilte während des Widerspruchsverfahrens im Hinblick auf eine vom 1. Januar bis 11. März 1993 nicht vorliegende Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Neuberechnungsbescheid (Bescheid vom 14. März 1994) und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 1994 zurück, weil die Hinterbliebenenrente der Klägerin auf einem Arbeitsunfall beruhe, der vor dem Tod des Versicherten und damit vor dem die Witwenrente auslösenden Ereignis eingetreten sei.

Das Sozialgericht (SG) München hat die Beklagte verurteilt, - unter Abänderung der Bescheide vom 15. September 1993 und 14. März 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 1994 - der Klägerin ab Rentenbeginn die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen RV ungekürzt ohne Anrechnung der Rente aus der UV zu gewähren. Zur Begründung hat das SG u.a. ausgeführt: Die Hinterbliebenenrente sei aus der originären Versichertenrente abgeleitet; sie habe die Funktion, den Unterhalt der Hinterbliebenen des verstorbenen Versicherten etwa auf dem Niveau des bisherigen, durch die Renteneinkünfte des Versicherten bestimmten Lebensstandards zu sichern. Auch habe nach der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Rechtslage der Nichtanrechnungsschutz des § 1278 Abs. 3 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht nur für Versicherten-, sondern auch für Hinterbliebenenrenten gegolten. Mit § 93 Abs. 5 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) habe der Gesetzgeber keine neue Regelung des Anrechnungsschutzes bei Hinterbliebenenrenten schaffen wollen, da nach dem Wortlaut der amtlichen Begründung "Abs 5 dem geltenden Recht entspricht" (Urteil vom 21. September 1995). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 27. Juni 1996 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine Verletzung des § 93 Abs. 5 SGB VI gerügt.

Sie beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1996 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. September 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beklagte hat gemäß § 93 SGB VI die Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der UV ab dem 1. Februar 1997 zu Recht auf deren Hinterbliebenenrente aus der RV angerechnet. Insoweit konnten das Urteil des SG, das den angefochtenen Anrechnungsverwaltungsakt aufgehoben hatte, und das des LSG, welches die gegen das sozialgerichtliche Urteil eingelegte Berufung der Beklagten nach der für das Berufungsgericht maßgeblichen Rechtslage zu Recht zurückgewiesen hatte, wegen des Gültigwerdens neuen Bundesrechts am 27. September 1996 keinen Bestand haben. Denn die neue gesetzliche Anrechnungsregel ist verfassungsgemäß, soweit sie in tatbestandlicher Rückanknüpfung (sog unechte Rückwirkung) Rentenbezugszeiten nach dem 27. September 1996 betrifft (dazu unter A); jedoch durfte die beklagte BfA das neue Recht in Fällen der vorliegenden Art erst für Bezugszeiten ab 1. Februar 1997 im Einzelfall umsetzen; daher ist ihre Revision unbegründet, soweit sie die davorliegenden Rentenbezugszeiten betrifft (dazu unter B).

A. 1.§ 93 SGB VI regelt die Voraussetzungen, unter denen der RV-Träger als Schuldner des Versicherten, der ihm gegenüber ein Recht auf eine RV-Rente hat, den in der Höhe des Wertes dieses Rechts entstandenen monatlichen Ansprüchen seines Gläubigers auf Zahlung teilweise anspruchsvernichtend durch (Dauer-) Verwaltungsakt (Festsetzung eines monatlichen Anrechnungsbetrages) entgegenhalten darf (und muß), dieser habe für denselben Monat außerdem einen Anspruch auf UV-Rente gegen einen UV-Träger; durch diesen Anspruch gegen einen Dritten werde der Nachteil bereits teilweise ausgeglichen, den abzugelten die RV - insoweit nachrangig zur UV - versprochen habe (sog Anrechnung). § 93 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI bestimmt verwaltungstechnisch, daß "beim Zusammentreffen einer eigenen Rente aus der RV mit einer Verletztenrente" die Rente aus der RV insoweit ganz oder teilweise nicht geleistet wird, als beide Renten zusammen vor Einkommensanrechnung einen bestimmten Betrag - den sog Grenzbetrag - übersteigen (zur Systematik und Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift vgl. Urteil des Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Gleiches gilt - worauf es vorliegend ankommt - gemäß § 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI beim Zusammentreffen einer Hinterbliebenenrente aus der RV und einer entsprechenden Hinterbliebenenrente aus der UV.

2. Die Beklagte hat u.a. den zuletzt ab 1. Juli 1993 maßgeblichen Anrechnungsbetrag im angefochtenen Rentenbewilligungsbescheid wie folgt ermittelt und ausgeführt:

"Die Rente trifft mit einer Leistung aus der Unfallversicherung zusammen. Sie ist nur insoweit zu zahlen, als sie zusammen mit der Leistung aus der Unfallversicherung den maßgebenden Grenzbetrag nicht übersteigt.

Summe der Rentenbeträge

Rente aus der Rentenversicherung1.061, 58 DM

Leistung aus der Unfallversicherung1.131, 60 DM

Summe der Rentenbeträge2.193, 18 DM

Ermittlung des Grenzbetrages

Der Grenzbetrag errechnet sich aus dem Jahresarbeitsverdienst, der der Berechnung der Leistung aus der Unfallversicherung zugrunde liegt, und dem Rentenartfaktor für persönliche Entgeltpunkte.

Jahresarbeitsverdienst33.946, 25 DM

70% von einem Zwölftel dieses Betrages 1.980, 20 DM

vervielfältigt mit dem Faktor 0, 6.000

ergibt den Grenzbetrag von 1.188, 12 DM

Die Summe der Rentenbeträge von 2.193, 18 DM

übersteigt den Grenzbetrag um 1.005, 06 DM.

Die Rente der Rentenversicherung von 1.061, 58 DM

ist um den Betrag von 1.005, 06 DM

zu mindern. Sie beträgt somit 56, 52 DM".

Die Beklagte ist damit vom maßgeblichen Grenzbetrag ausgegangen; auch hat sie denjenigen Betrag der Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der RV zutreffend ermittelt, der mit Blick auf ihre Hinterbliebenenrente aus der UV nach § 93 SGB VI nicht zu leisten ist (zur Bestimmung des maßgeblichen Grenzbetrages und zur Ermittlung des Anrechnungsbetrages vgl. Urteil des Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R - Gliederungspunkt A 1). Sie hat § 93 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 SGB VI insgesamt sachlich und rechnerisch richtig angewandt.

3. Die Ausnahmeregelung des § 93 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wonach die Abs. 1 bis 4 nicht angewendet werden, also eine Anrechnung der Rente aus der UV auf eine entsprechende Rente aus der RV nicht stattfindet, wenn die Rente aus der UV "für einen Versicherungsfall geleistet wird, der sich nach Rentenbeginn oder nach Eintritt der für die Rente maßgeblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet hat", findet vorliegend für die Zeit ab 1. Februar 1997 gemäß § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI keine Anwendung.

a) § 93 SGB VI sieht für den Versicherten selbst vor, daß beim Zusammentreffen einer Rente aus der RV mit einer Verletztenrente aus der UV nicht beide Leistungen kumulativ geleistet werden, sondern eine Anrechnung der UV-Rente auf die RV-Rente stattfindet. Beruht die Verletztenrente allerdings auf einem Versicherungsfall, der sich nach Rentenbeginn in der RV oder nach Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet hat (Fälle des § 93 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), findet keine Anrechnung der Verletztenrente auf die Rente aus der RV statt.

§ 93 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB VI trägt dem Umstand Rechnung, daß "nach Beginn der Rente aus der RV" die zwischen RV und UV angesichts des in beiden Versicherungszweigen versicherten Personenkreises überwiegend bestehende Parallelität des - inhaltlich verschiedenen - Versicherungsschutzes regelmäßig nicht mehr vorliegt: Nimmt ein Rentner nach Beginn seiner Rente aus der RV eine sog Rentnerbeschäftigung auf, so kann das hieraus erzielte Entgelt für das bestehende Recht auf Rente aus der RV keine rechtliche Bedeutung mehr haben. Deswegen besteht keine Kongruenz der Versicherungsgegenstände und Sicherungsziele mehr. Es wäre daher sachlich nicht gerechtfertigt, diejenigen Drittleistungen aus der UV auf die Zahlungsansprüche aus dem Recht auf Rente aus der RV anzurechnen, die nach Eintritt eines Arbeitsunfalles das unfallbedingt entgangene Arbeitsentgelt gerade aus der Rentnerbeschäftigung ersetzen sollen. Spielt bereits das aus der Rentnerbeschäftigung erzielte Arbeitsentgelt für die Rente aus der RV keine Rolle, so gilt dies erst recht entsprechend für die an die Stelle des Entgelts tretende Lohnersatzleistung (vgl. hierzu eingehend Urteil des Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R - unter B 6 m.w.N.).

b) Von der Rechtsprechung wurden § 56 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und § 1279 RVO bzw. § 93 Abs. 5 SGB VI in seiner vor Inkrafttreten des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461) maßgeblichen Fassung dahin ausgelegt, daß auch bei den Hinterbliebenen eine Anrechnung ihrer Hinterbliebenenrente aus der UV auf jene der RV nicht stattfindet, wenn bereits beim Versicherten eine Anrechnung ausgeschlossen war. Zuletzt hatte der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 21. Juni 1995 (SozR 3-2600 § 93 Nr. 1) u.a. ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, daß sich die in § 93 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI genannte "Rente aus der Unfallversicherung" nur auf die Verletztenrente des Versicherten beziehe. Hinsichtlich des "Arbeitsunfalles" könne nur auf den vom Versicherten erlittenen Unfall abgestellt werden, da ein eigener Unfall der Witwe allenfalls zu einer Verletztenrente aus eigener Versicherung führen würde, die dann nicht mehr der Regelung des § 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI unterfallen würde. Die Hinterbliebenenrente leite sich aus der originären Versichertenrente ab. Sie habe die Funktion, den Unterhalt der Hinterbliebenen des verstorbenen Versicherten etwa auf der Stufe des bisherigen, durch die Renteneinkünfte des Versicherten bestimmten Lebensstandards zu sichern. § 93 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI sei hinsichtlich des "Rentenbeginns" daher im Falle des Zusammentreffens von Hinterbliebenenrenten dahin auszulegen, daß maßgebender Zeitpunkt nicht der Beginn der Hinterbliebenenrente (der stets nach dem Arbeitsunfall liegen würde), sondern der Beginn der Versichertenrente sei. Nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht habe der Nichtanrechnungsschutz des § 1278 Abs. 3 Nr. 1 RVO nicht nur für Versicherten-, sondern auch für Hinterbliebenenrenten Geltung beansprucht. Man könne nicht davon ausgehen, der Gesetzgeber habe mit § 93 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI eine Neuregelung hinsichtlich des Anrechnungsschutzes bei Hinterbliebenenrenten schaffen wollen. Zwar enthalte § 93 SGB VI verschiedene Änderungen gegenüber dem alten Recht (z.B. Herabsetzung des Grenzbetrages); dies gelte jedoch nicht für die Nichtanrechnungsvorschrift des Abs. 5, da diese nach dem ausdrücklichen Wortlaut der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs dem geltenden Recht entsprechen sollte.

Diese Auffassung des 5. Senats des BSG, welcher auch der 8. Senat des BSG in seinen Vorlagebeschlüssen nach Art 100 Abs. 1 des Grundgesetzes ≪GG≫ vom 28. Mai 1997 (dazu unten) beigepflichtet hat, gibt die objektive ("einfachgesetzliche") Rechtslage, die vor dem Gültigwerden (dh dem Eintritt der äußeren Wirksamkeit) des WFG bestand, zutreffend wieder; der erkennende Senat tritt ihr ausdrücklich bei.

c) Durch das WFG wurde § 93 Abs. 5 SGB VI um seinen jetzigen Satz 3 dahin ergänzt, daß bei Hinterbliebenenrenten stets eine Anrechnung stattfindet: Die nach § 93 Abs. 5 Satz 1 SGB VI für bestimmte Versichertenrenten angeordnete Anrechnungsfreiheit ist für die Hinterbliebenenrenten nicht anwendbar.

4. Die Anrechnung von Hinterbliebenenrenten aus der UV auf entsprechende Renten aus der RV auch in den Fällen, in denen beim Versicherten eine Anrechnung gemäß § 93 Abs. 5 Nr. 1 SGB VI nicht stattfand, ist (für die Zeit nach Inkrafttreten des WFG) verfassungsrechtlich nicht zur beanstanden. Prüfungsmaßstab ist insoweit Art 3 Abs. 1 GG (dazu unter 5), nicht dagegen Art 14 GG.

Zwar können zu den von Art 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen RV gehören (vgl. BVerfGE 53, 257 ≪289 f≫); sie genießen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (vgl. BVerfGE 53, 257 ≪290 f≫; 69, 272 ≪300≫). Diese Voraussetzungen liegen jedoch, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zunächst offengelassen hatte (vgl. BVerfGE 55, 114 ≪131≫; 69, 272 ≪299≫), hinsichtlich der Ansprüche von Versicherten in der gesetzlichen RV auf Versorgung ihrer Hinterbliebenen nicht vor (Beschluß des Ersten Senats vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86) : Zwar werden die Hinterbliebenenrenten wie alle Leistungen der gesetzlichen RV aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber sowie aus dem Bundeszuschuß finanziert, jedoch beruhen Hinterbliebenenrenten nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht auf einer dem einzelnen Versicherten individuell zurechenbaren Leistung, die eine Zuordnung der zugrundeliegenden gesetzlichen Ansprüche zur verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie rechtfertigen könnte.

Nach Ansicht des BVerfG fehlt bei Hinterbliebenenrenten der hinreichende personale Bezug zwischen der Beitragsleistung des Versicherten und der später an seine Hinterbliebenen geleisteten Rente. Das System der gesetzlichen RV sei zwar auch durch das Versicherungsprinzip geprägt und gerechtfertigt, jedoch werde dieses Prinzip durch soziale Gesichtspunkte modifiziert. Denn die gesetzliche RV beruhe im wesentlichen auf dem Gedanken der Solidarität ihrer Mitglieder sowie des sozialen Ausgleichs und enthalte von jeher ein Element der "Fürsorge". Auch die Hinterbliebenenrente sei eine vorwiegend "fürsorgerisch" motivierte Leistung, weil sie ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt werde (vgl. BVerfGE 76, 256 ≪300 f≫). Während der Versichertenrente Beiträge zugrunde liegen, werde die Hinterbliebenenrente ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt. Der Gedanke des sozialen Ausgleichs werde dadurch betont, daß die Fürsorge für die eigenen Angehörigen bei der individuellen Beitragsbemessung des Versicherten unberücksichtigt bleibe. Vielmehr trage jeder Versicherte über seinen Beitrag zugleich auch zur Versorgung aller Hinterbliebenen von Versicherten bei. Auch wer keine unterhaltsberechtigten Angehörigen hat, zahle gleiche Beiträge (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 23 des Umdrucks; BVerfGE 48, 346 ≪357 f≫).

Wenn danach bereits aus der Sicht des Versicherten die aus seiner Versicherung abgeleiteten Ansprüche seiner (potentiellen) Hinterbliebenen in der gesetzlichen RV nicht dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs. 1 GG unterfallen, steht auch den Hinterbliebenen kein weitergehender Schutz zu (zum Vertrauensschutz als Schutz des Bestandsinteresses des Versicherten und des Hinterbliebenen an der gesetzlich jedem Beitragszahler versprochenen Hinterbliebenensicherung siehe unten).

5.§ 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI verstößt nicht gegen Art 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, daß wesentlich Gleiches nicht ohne sachlichen Grund ungleich und - was vorliegend ebenfalls in Betracht kommt - wesentlich Ungleiches nicht ohne sachlichen Grund gleich behandelt wird (vgl. BVerfGE 1, 264 ≪275 f≫; 4, 144 ≪155≫; 9, 124 ≪129≫; 86, 81 ≪87≫). Beide Gesichtspunkte des Art 3 Abs. 1 GG sind vorliegend von Bedeutung: Hinterbliebenen von Versicherten, deren Arbeitsunfall oder Berufskrankheit rechtlich wesentliche Todesursache war, haben ein Recht auf Hinterbliebenenrenten sowohl aus der RV als auch aus der UV, was jedoch dazu führt, daß die Rente der RV wegen Anrechnung der UV-Rente nicht in vollem Umfang ausgezahlt wird (Ausgangsgruppe); demgegenüber erhalten Hinterbliebene von Versicherten, die eine Hinterbliebenenrente nur aus der RV beziehen, weil der Versicherte keinen zu seinem Tod führenden Arbeitsunfall erlitten hatte, die RV-Rente in voller Höhe ohne Anrechnung ausbezahlt (Vergleichsgruppe). Diese Ungleichbehandlung der Ausgangsgruppe gegenüber der Vergleichsgruppe ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt (dazu unter a). Gleiches gilt für die generelle Anrechnung von Hinterbliebenenrenten aus der UV auf entsprechende Renten der RV ohne Rücksicht darauf, ob beim Versicherten selbst eine Anrechnung seiner Verletztenrente auf die Versichertenrente der RV stattfand (dazu unter b).

a) Die durch § 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI für Hinterbliebenenrenten angeordnete Anrechnung von Hinterbliebenenrenten aus der UV auf die Rente aus der RV ist durch ausreichende Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt.

Sachliche Gründe i.S. von Art 3 Abs. 1 GG ergeben sich allerdings nicht bereits aus einem allgemeinen öffentlichen Interesse daran, mit Leistungen, die Elemente der "Fürsorge" aufweisen, möglichst sparsam umzugehen und diese nur zu gewähren, wenn der potentiell Leistungsberechtigte konkret "bedürftig" ist. Hinterbliebenenrenten der RV und UV weisen zwar - vage gesprochen - "Elemente der Fürsorge" auf; jedoch handelt es sich dabei nicht um eine "Fürsorge des Staats (der Allgemeinheit) " für die Hinterbliebenen von Versicherten, sondern um ein gesetzlich angeordnetes solidarisches Füreinandereinstehen, einen Akt des sozialen Ausgleichs, (nur) der kraft Gesetzes in dem öffentlich-rechtlichen Verband der RV (in der Regel zwangsweise) zusammengeschlossenen Versicherten untereinander, das nichts mit "öffentlicher Fürsorge" i.S. von Art 74 Nr. 7 GG oder mit "Versorgung" i.S. von Art 74 Nr. 10 GG oder mit "Sozialhilfe" i.S. des Bundessozialhilfegesetzes zu tun hat.

Mit Blick auf das Interesse der Versicherten an einer zweckgerichteten und situationsangemessenen Verwendung ihrer Versicherungsbeiträge ist es allerdings sachlich gerechtfertigt, Renten aus der RV beim Zusammentreffen mit einer Hinterbliebenenrente aus der UV teilweise nicht zu leisten, wenn und soweit das mit dem Recht auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente verfolgte Ziel bereits durch sachlich (und zeitlich sowie persönlich) kongruente Leistungen anderer Versicherungsträger erfüllt wird. Insoweit haben die Versicherten ein berechtigtes Interesse daran, daß ihre Beitragsleistungen nicht für die Finanzierung von Leistungen verwendet werden, die - unabhängig davon, daß sie sozialpolitisch unerwünscht sein mögen - aus dem gesetzlich ausgestalteten Sicherungszweck von UV und RV nicht zu rechtfertigen sind. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Drittleistung (Hinterbliebenenrente aus der UV) deckt vorliegend im Umfang der erfolgten Anrechnung den Bedarf, zu deren Absicherung das Recht aus der RV erworben und zugesagt wurde. Insoweit besteht zwischen Versicherungsgegenstand und Sicherungsziel der UV-Rente und Versicherungsgegenstand und Sicherungsziel der Rente der RV Übereinstimmung i.S. sachlicher Kongruenz, die die angegriffene Regelung sachlich rechtfertigt. Die Drittleistung wird zudem aus einem Versicherungssystem erbracht, in das im wesentlichen derselbe Personenkreis eingebunden ist (Gruppenidentität).

Als sachlich kongruente und damit anrechenbare Leistungen kommen dabei nur Hinterbliebenenrenten in Betracht, die in der klassischen Sozialversicherung erworben wurden; nur insoweit besteht der für eine "Zurechenbarkeit" von Zahlungen des jeweils anderen Leistungsträgers als Erfüllungssurrogat zugunsten des RV-Trägers erforderliche sachliche Zusammenhang. Den klassischen Zweigen der Sozialversicherung (Krankenversicherung, RV und UV) ist gemeinsam, daß in sie im wesentlichen die gleichen Personengruppen einbezogen sind und die Versicherten den gesetzlich bestimmten Versicherungsschutz sowie die daraus folgenden Rechte und Ansprüche jedenfalls im Fall des gesetzlichen Leitbildes des versicherten Arbeitnehmers als Gegenleitung für die von ihnen geleistete Arbeit/versicherte Beschäftigung erworben haben. Die Rechte und Ansprüche auf Versicherungsleistungen setzen in den genannten Zweigen der Sozialversicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) eine Minderung (oder Gefährdung) der gesundheitlichen Fähigkeit zum Erwerb (geschütztes Gut) durch Krankheit, Behinderung, Arbeitsunfall/Berufskrankheit oder (in typisierender Unterstellung:) durch Alter (also durch die jeweils versicherten Risiken) in einem die jeweils verschiedene Anspruchsschwelle überschreitendem Ausmaß voraus. Der mit der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ggf jeweils in unterschiedlicher Weise verbundene Ausfall an Erwerbseinkommen aus der beendeten, unterbrochenen oder eingeschränkten Beschäftigung oder Tätigkeit ist - neben dem Bedarf nach Rehabilitation - der trotz aller Unterschiede im Kern sachlich kongruente Versicherungsgegenstand, der in diesen drei Versicherungszweigen durch Lohn- oder Einkommensersatzzahlungen nach Maßgabe des jeweils eigenständig definierten Sicherungsniveaus (Sicherungsziels) ausgeglichen werden soll.

Gegenstand der Hinterbliebenenversicherung ist der durch den Tod des Versicherten entgangene Unterhalt, den der Versicherte (wie typisierend unterstellt wird) zuvor aus seinem Erwerbseinkommen geleistet hatte. Die Hinterbliebenenrente hat - wie das BVerfG sagt - Unterhaltsersatzfunktion (vgl. Beschluß vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86; BVerfGE 17, 1 ≪10≫; 39, 169 ≪186 f≫; 48, 346 ≪359≫; 66, 66 ≪76≫; 75, 78 ≪107≫). Allerdings knüpft die RV bei der Bestimmung des Versicherungsgegenstandes der Hinterbliebenenrente nicht an die konkret zum Todeszeitpunkt bestehende unterhaltsrechtliche Lage an, also insbesondere nicht an die konkrete Unterhaltsfähigkeit des Versicherten und die konkrete Unterhaltsbedürftigkeit der Hinterbliebenen im Zeitpunkt des Leistungsfalles (Tod des Versicherten). Vielmehr wird der Wert der Hinterbliebenenrente nach Maßgabe des Wertes derjenigen "Rangstelle" ermittelt, die der Versicherte während seiner Zugehörigkeit zur RV durch eigene Beitragszahlung erworben hatte (vgl. § 63 SGB VI). Ihr Sicherungsziel wird im Verhältnis zur Altersrente des Versicherten durch den Rentenartfaktor bestimmt; er beträgt bei der sog Großen Witwenrente 0, 6 (§ 67 Nr. 6 SGB VI), so daß sich der Wert dieser Rente auf sechs Zehntel des Werts der Altersrente des Versicherten (bezogen auf den Todeszeitpunkt) beläuft. Das in der RV zugesagte Sicherungsniveau ist deshalb als proportionale, vom Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls abhängige Größe vor Eintritt des Versicherungsfalles betragsmäßig nicht bezifferbar. Es hängt vor allem sowohl von der vom Versicherten erworbenen "Rangstelle" innerhalb der Versichertengemeinschaft als auch vom durchschnittlichen Einkommensniveau der Versicherten im Zeitpunkt des Rentenzugangs ab (sog aktueller Rentenwert; zum Sicherungsniveau in der UV und RV vgl. Urteil des Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R - unter B 4 c).

Das von der RV zugesagte Sicherungsniveau ist auch dann erreicht und das von der RV zugesagte Versorgungsversprechen eingehalten, wenn und soweit dem Hinterbliebenen bereits aus der UV eine ebenfalls generalisierend dem Unterhaltsersatz dienende Hinterbliebenenrente gewährt wird. Dies ist unmittelbar einleuchtend, wenn z.B. ein tödlicher Arbeitsunfall während des "regulären Berufslebens" (keine Rentnerbeschäftigung) sowohl das Recht auf eine Hinterbliebenenrente aus der RV und eine solche aus der UV begründet; in diesem Fall liegt auf der Hand, daß der Unterhalt des Hinterbliebenen nicht mehrfach gedeckt werden soll. Die Grenzbetragsregelung des § 93 Abs. 3 SGB VI stellt jedoch sicher, daß dem Hinterbliebenen im Ergebnis aus seinen Hinterbliebenenrenten jedenfalls ein Betrag verbleibt, der der jeweils höheren Rente aus der RV oder der UV entspricht. Der Einräumung eines Freibetrages nach § 93 Abs. 2 SGB VI bedarf es in Fällen der Hinterbliebenenrenten nicht, zumal in der Person des Hinterbliebenen kein Tatbestand immateriellen Schadens vorliegt, der durch die anrechnungsfreie Gewährung einer Rente aus der UV ausgeglichen werden müßte.

Nach allem bestehen somit sachliche Gründe dafür, bei der Ausgangsgruppe (Hinterbliebene, die ein Recht auf eine Hinterbliebenenrente sowohl aus der RV als auch aus der UV haben) eine Anrechnung der UV-Rente auf die RV-Rente vorzunehmen und sie damit rechtlich anders zu behandeln als die Vergleichsgruppe (Hinterbliebene, die ein Recht auf Hinterbliebenenrente nur aus der RV haben), bei der es zu einer ungeschmälerten Zahlung der RV-Rente kommt.

b) Die Anrechnungsregelung ist mit Art 3 Abs. 1 GG auch insoweit vereinbar, als sie innerhalb der Ausgangsgruppe (Hinterbliebene, denen eine Hinterbliebenenrente sowohl aus der RV als auch aus der UV zusteht) gemäß § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI nicht danach differenziert, ob beim Versicherten selbst eine Anrechnung seiner Verletztenrente auf die RV-Rente stattfand, oder ob dies bei einer aus einer Rentnerbeschäftigung resultierenden Verletztenrente gemäß § 93 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht der Fall war.

Hinterbliebene von Versicherten, deren Verletztenrente auf die Rente aus der RV nicht angerechnet wurde, weil es sich um "privilegierte" Renten der UV aus einer "Rentnerbeschäftigung" oder die UV-Rente eines freiwillig versicherten Unternehmers handelt, werden gemäß § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI rechtlich ebenso behandelt wie die Hinterbliebenen von Versicherten, bei denen eine Kumulation von Renten aus der UV und der RV nach Maßgabe des § 93 Abs. 1 SGB VI ausgeschlossen war. In beiden Fällen findet eine Anrechnung der Rente aus der UV auf die Rente aus der RV statt, obgleich möglicherweise die (auch zu Unterhaltszwecken einsetzbare) finanzielle Leistungsfähigkeit desjenigen Versicherten höher war, dessen Verletztenrente nicht auf die RV-Rente angerechnet wurde. Deshalb trat vor Inkrafttreten des § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI ein Ruhen (Nichtleistung) der Witwenrente nicht ein, wenn der Versicherte selbst ebenfalls die anrechnungsfreie Zahlung zweier Renten verlangen durfte (stRspr des BSG, zuletzt 5. Senat des BSG, SozR 3-2600 § 93 Nr. 1 S. 4 m.w.N.). Maßgeblich war, daß Anknüpfungspunkt der Hinterbliebenenrenten das dem verstorbenen Versicherten zuletzt (insgesamt) zustehende Renteneinkommen als Erwerbsersatzeinkommen war, welches die Unterhaltssituation des Hinterbliebenen geprägt hatte. Da das Gesetz vor dem Gültigwerden des WFG für diese Fälle keine "Antikumulierungsvorschrift" enthielt, mußte sich die sozialversicherungsrechtlich begründete höhere Leistungsfähigkeit/Unterhaltsfähigkeit des Versicherten also auch in den Hinterbliebenenrenten fortsetzen.

Dem steht neuerdings § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI entgegen. Darin liegt jedoch keine verfassungswidrige Gleichbehandlung dieser objektiv ungleichen Sachverhalte, sondern eine aus der Systematik der Sozialversicherung im Ergebnis noch zu rechtfertigende neue Konkretisierung des Gegenstandes der RV-Hinterbliebenenversicherung. Denn auch nach neuem Recht erhält der Hinterbliebene zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis aus der gesetzlichen Sozialversicherung dasjenige, was ihm aus der RV an Hinterbliebenenversorgung versprochen war, nämlich eine Rente in Höhe von mindestens sechs Zehnteln des Wertes, der dem Versicherten zuletzt an Altersrente zustand. Der (Hinzu-) Verdienst des Versicherten aus einer gemäß § 93 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB VI "privilegierten" Rentnerbeschäftigung ist nach Beginn der Rente in der RV (dh nach Beginn einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder einer Vollrente wegen Alters) sowohl für die Altersrente selbst wie auch für die Hinterbliebenenrente irrelevant. Die Höhe der RV-Rente des Versicherten wird durch einen derartigen Hinzuverdienst nicht mehr beeinflußt; weder der Versicherte selbst noch seine Angehörigen können damit rechnen, aus der Rentnerbeschäftigung weitere oder höhere Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung und eine über den Tod des Versicherten hinausgehende dauerhafte Einkunftsquelle zu erhalten.

Soweit durch die dargestellte Rechtsänderung infolge der Einfügung von § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI durch das WFG allein zukunftsorientiert in tatbestandlicher Rückanknüpfung (sog unechter Rückwirkung) der Gegenstand der Hinterbliebenenversicherung i.S. der "Antikumulierung" neu bestimmt worden ist, gibt es keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Argumente dafür, das (Vertrauens-) Bestandsinteresse der Hinterbliebenen und der Beitragszahler am bisherigen Rechtszustand könne das öffentliche Interesse an der Änderung überwiegen. Zwar dürfen Beitragszahler und ihre Ehegatten (und Kinder) grundsätzlich darauf vertrauen, die gesetzlich zugesagte Hinterbliebenensicherung werde im wesentlichen Bestand haben und nicht ohne ausreichenden sachlichen Grund und nicht unverhältnismäßig geändert oder gar aufgehoben werden. Sie sind nicht etwa gehalten, wegen einer scheinbaren "Unsicherheit der Hinterbliebenenrenten" oder einer vermeintlichen "Unzuverlässigkeit des Gesetzes" (hier: des SGB VI) lebenslang anderweitige Vorsorge für den Todesfall so zu treffen, als habe der Deutsche Bundestag hierfür keine Witwen-/Witwer- und Waisenrenten versprochen und ausgestaltet. Vielmehr können und dürfen sie sich im Rechtsstaat i.S. des GG bei ihrer Lebensplanung in diesem existentiell bedeutsamen Bereich darauf verlassen, daß der Deutsche Bundestag seine gesetzlich gegebenen Versprechen einhält. Sie müssen aber auch berücksichtigen, daß diese Gesetze ggf und in den genannten Grenzen veränderten Rahmenbedingungen, insbesondere der Belastungssituation der aktuellen Beitragszahler, angepaßt werden müssen. Das Interesse an verläßlicher Lebensplanung hat in den Fällen der vorliegenden Art schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung, weil es sich bei den Hinterbliebenenrenten aus der UV nicht um planmäßig i.S. eines zielgerichteten Aufbaus einer "Hinterbliebenenversorgung" erwerbbare Rechte handelt. Die Hinterbliebenenrente wird in der UV nur dann gewährt, wenn der Tod des Versicherten auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen ist. Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung in der UV ist dabei allerdings nicht der atypische Fall einer erst nach Beginn einer Rente aus der RV aufgenommenen Beschäftigung und eines daraus resultierenden Versicherungsfalles, sondern der Eintritt dieses versicherten Risikos bei einem im "normalen" Erwerbsleben und Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmers.

Zwar mögen auch aus einer nach Beginn der Rente aus der RV ausgeübten Beschäftigung im Einzelfall dauerhafte Einkünfte (Arbeitsentgelte etc) zu erzielen sein, welche die Leistungsfähigkeit des Versicherten mitbestimmen und seine Unterhaltsfähigkeit steigern (was als sachlicher Grund dafür anzusehen ist, ihm die anstelle des Arbeitsentgelts tretende Lohnersatzleistung der Verletztenrente neben der Rente aus der RV jedenfalls für die Dauer der ansonsten ausgeübten Rentnerbeschäftigung auch im Hinblick auf die den Lohnersatz dienenden Bestandteile der Verletztenrente anrechnungsfrei zu belassen). Die aus der Rentnerbeschäftigung erzielten Arbeitsentgelte dienen in der UV jedoch weder dem kontinuierlichen und zielgerichteten Aufbau einer eigenen Versorgung noch einer sozialversicherungsrechtlichen Sicherung von Hinterbliebenen über die Beendigung der Beschäftigung hinaus. Weder der Versicherte noch der Hinterbliebene können deshalb damit rechnen oder darauf vertrauen, daß die Rentnerbeschäftigung dauerhaft auch über den Tod des Versicherten hinaus zusätzlich zur Rente aus der RV den durch Hinterbliebenenrenten auszugleichenden Versicherungsgegenstand prägt.

Dennoch wird auch hier - ebenso wie wenn es sich um einen tödlichen Arbeitsunfall oder eine tödliche Berufskrankheit im Rahmen einer versicherten Hauptbeschäftigung handelte - eine UV-Hinterbliebenenrente unter Einschluß der dem Ausgleich immaterieller Schäden dienenden Rentenbestandteile in der Regel lebenslang (Ausnahme: Wiederverheiratung) und nicht nur solange gewährt, wie die Rentnerbeschäftigung nach arbeitsvertraglicher Vereinbarung oder nach den Gesamtumständen des Falles (mutmaßlich) ausgeübt worden wäre (zur vergleichbaren Situation bei den Versichertenrenten siehe Urteil des Senats vom 31. März 1998 - B 4 RA 49/96 R - unter B 6). Damit wird im Ergebnis Unterhaltsersatz in Form einer Hinterbliebenenrente an Hinterbliebene auch für Zeiten gewährt, in denen die Rentnerbeschäftigung die Unterhaltssituation nicht mehr hätte prägen können. Insoweit ist es sachlich gerechtfertigt, wenn § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI im Ergebnis der aus der Rentnerbeschäftigung resultierenden Hinterbliebenenversorgung in Gestalt der Grenzbetragsregelung nur insoweit Bedeutung beimißt, wenn und soweit das in der UV vorgesehene Sicherungsniveau über demjenigen der RV liegt.

B. Die Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit sie die Aufhebung der Anrechnung der Hinterbliebenenrente aus der UV auf die entsprechende Rente der Klägerin aus der RV auch hinsichtlich solcher Rentenbezugszeiten betrifft, die zeitlich vor dem Zeitpunkt lagen, zu dem die BfA die Regelung des WFG (Anfügung eines Satzes 3 an § 93 Abs. 5 SGB VI) erstmals hätte gegen die Klägerin rechtmäßig umsetzen können (dazu unter 1). Die Beklagte hat vorliegend dadurch gegen Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verstoßen, daß sie ausweislich ihres Revisionsvorbringens - mit der Rechtsprechung des BSG - der zutreffenden Ansicht war, daß vor dem Gültigwerden des WFG eine derartige Anrechnung nicht dem geltenden Recht entsprach, gleichwohl aber an dem angefochtenen rechtswidrigen Anrechnungsverwaltungsakt festhielt und sich darauf berief, ihr müßten aufgrund ihres gesetzwidrigen Vorgehens die sich daraus zu Lasten der Klägerin ergebenden Vorteile verbleiben (dazu unter 2).

1. Durch Art 1 Nr. 17 WFG wurden § 93 Abs. 5 SGB VI die Sätze 2 und 3 angefügt. Diese Rechtsänderung trat gemäß Art 12 Abs. 8 WFG zwar "mit Wirkung vom 1. Januar 1992" und damit verfassungswidrig (echt) "rückwirkend" in Kraft (dazu unter a); jedoch konnte das am 27. September 1996 im Bundesgesetzblatt verkündete WFG, das sich nicht selbst vollziehen konnte, rechtmäßig erstmals durch Verwaltungsakte der Beklagten umgesetzt werden, die dem Erlaß des WFG zeitlich nachfolgten und die - falls für Bezugszeiten davor bereits eine Verwaltungsentscheidung ergangen war, den Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) genügen mußten (dazu unter b).

a) Bei der durch Art 1 Nr. 17 WFG getroffenen Regelung handelt sich um keine bloße gesetzliche Klarstellung dessen, was schon immer geltendes Recht war, sondern um eine konstitutive Änderung der bis zum Erlaß des WFG maßgeblichen Rechtslage. Das BSG hatte als der für Sozialversicherungsrecht oberste Gerichtshof des Bundes in Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung erklärt, daß nach dem vor Gültigwerden des WFG geltenden Recht eine Witwenrente aus der gesetzlichen RV trotz Zusammentreffens mit einer Witwenrente aus der gesetzlichen UV jedenfalls dann nicht "ruhte", wenn der Versicherte das Recht auf Rente aus der RV erworben hatte, bevor der Arbeitsunfall eintrat (vgl. BSGE 27, 230 = SozR Nr. 2 zu § 1279 RVO; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr. 1). Hieran hat sich nichts dadurch geändert, daß mit Wirkung vom 1. Januar 1992 der inhaltsgleiche § 93 SGB VI an die Stelle u.a. von § 56 AVG (§ 1279 RVO) trat.

Soweit Art 12 Abs. 8 WFG dieser Rechtsänderung "Rückwirkung" zum 1. Januar 1992 verleiht, liegt eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen (sog echte Rückwirkung) vor. Denn es besteht die Anordnung des Deutschen Bundestages an die RV-Träger, ab dem Gültigwerden des Gesetzes, d.h. dem Eintritt seiner äußeren Wirksamkeit im Zeitpunkt seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt gemäß Art 82 Abs. 1 Satz 1 GG, sich so zu verhalten, als habe das neue Recht bereits ab dem 1. Januar 1992 gegolten. Die RV-Träger haben also wegen dieses auf Zeiten vor dem Gültigwerden des Gesetzes bestimmten zeitlichen Geltungsbereichs ("rückwirkende Inkraftsetzung") die pflichtige Aufgabe, die neue Anrechnungsvorschrift auch für Rentenbezugszeiten vor dem 27. September 1996 (zurück nur bis zum 1. Januar 1992) durchzusetzen. Für die Zeiten davor bleibt es bei der bisherigen - anrechnungsfreien - Rechtslage. Diese Aufgabenzuweisung ist insoweit wegen Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot für rechtseinschränkende Gesetze verfassungswidrig; es liegt nämlich keine der vier Fallgruppen vor, in denen ausnahmsweise eine belastende Rückbewirkung von Rechtsfolgen durch Gesetz (für Zeiten vor dem Gesetzesbeschluß) erlaubt sein kann (vgl. BVerfGE 13, 261 ≪271 f≫; 72, 200 ≪242 f≫; 23, 12 ≪32≫; 88, 384 ≪403 f≫; 21, 117 ≪131 f≫). Insbesondere wird eine "unklare" Rechtslage i.S. dieser "Rückwirkungsausnahmen" nicht dadurch herbeigeführt, daß Stellen der vollziehenden Gewalt beschließen, von einer in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung geklärten und vom Deutschen Bundestag seinem Gesetzesbeschluß zugrunde gelegten Gesetzeslage nachträglich abzuweichen.

Der 8. Senat des BSG, der diese Ansicht ebenfalls teilt, hat deshalb mit Beschlüssen vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95, SozR 3-2600 § 93 Nr. 3 S. 30 ff; 8 RKn 9/95, S. 27ff. des Umdrucks; 8 RKn 28/96, S. 24ff. des Umdrucks), in denen es u.a. um die teilweise Rücknahme der Bewilligung einer Großen Witwenrente aus der RV wegen Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen UV ging, den Rechtsstreit jeweils (zum Teil) ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob Art 12 Abs. 8 WFG insoweit gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt, als darin Art 1 Nr. 17 des Gesetzes für einen Zeitpunkt vor dem endgültigen Gesetzesbeschluß vom 9. Juli 1996 in Kraft gesetzt wird. Der erkennende Senat teilt die verfassungsrechtliche Beurteilung der Rückwirkungsproblematik durch den 8. Senat des BSG in den og Vorlagebeschlüssen.

b) Jedoch kommt im hier zu entscheidenden Fall eine Vorlage nach Art 100 Abs. 1 GG mangels Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht in Betracht. Denn in Fällen der vorliegenden Art, in denen der RV-Träger durch Anrechnungsverwaltungsakte, die vor dem 27. September 1996 bekanntgegeben wurden, UV-Hinterbliebenenrenten für Bezugszeiten davor auf die Zahlungsansprüche aus dem Recht auf RV-Hinterbliebenenrenten unter Verstoß gegen Art 20 Abs. 3 GG gesetzwidrig angerechnet hatte, müssen die Klagen der Hinterbliebenen hiergegen jedenfalls für Bezugszeiten bis zu dem Zeitpunkt Erfolg haben, zu dem der RV-Träger die neue Anrechnungsregelung erstmals rechtmäßig hätte in einem belastenden Anrechnungsverwaltungsakt durchsetzen können. Dies ist der mit dem 1. Februar 1997 beginnende Bezugszeitraum.

Die (oben unter a) beschriebene (insoweit verfassungswidrige) gesetzliche Aufgabenzuweisung an die RV-Träger, die neue Anrechnungsregel auch für Bezugszeiten vor dem Gültigwerden des WFG (frühestens) am 27. September 1996 anzuwenden, ist - was keiner Darlegung bedarf - kein sog sich selbst vollziehendes Gesetz. Insbesondere deutet der Wortlaut des Art 12 Abs. 8 WFG nicht einmal an, der Deutsche Bundestag habe selbst Rentenbewilligungen, die ohne eine der neuen Regel entsprechende Anrechnung verlautbart worden waren, rückwirkend aufheben oder bestehende Rechte von Hinterbliebenen auf Korrektur bislang gesetzwidriger Anrechnungsentscheidungen unmittelbar durch Gesetz beseitigen wollen. Dies setzte im übrigen Kenntnisse der Umstände jedes Einzelfalles voraus. Die Vollziehung der Gesetze im Einzelfall ist Aufgabe der Exekutive (stellvertretend BVerfGE 95, 1 ≪16≫ m.w.N.). Deshalb müssen die RV-Träger die Aufgabe (deren Verfassungsmäßigkeit im folgenden unterstellt wird), die neue Anrechnungsregel auch rückwirkend gegen Hinterbliebene durchzusetzen, mit den ihnen gesetzlich durch verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlagen eingeräumten Eingriffsbefugnissen im jeweiligen Einzelfall erfüllen. Auf der Hand liegt, daß auch im Sozialverwaltungsrecht nicht allein von einer Aufgabenzuweisung auf eine Ermächtigung geschlossen werden darf, in Rechte oder (hier) Ansprüche der Bürger (durch Verwaltungsakt) einzugreifen.

Augenfällig gestaltet Art 12 Abs. 8 WFG keine Eingriffsermächtigung aus. Es gibt keine Andeutung im Text dieser Vorschrift, die RV-Träger sollten unmittelbar durch sie befugt werden, der bisherigen Rechtslage entsprechende begünstigende Verwaltungsakte mit belastender Wirkung für die Vergangenheit abzuändern oder bestehende Rechte der Bürger auf Korrektur bislang gesetzwidriger Anrechnungsentscheidungen rückwirkend zu beseitigen; Eingriffstatbestände sind nicht einmal ansatzweise ausgeprägt worden; sogar minimale Vertrauensschutzregelungen fehlen. Da es keine anderen vorrangig anzuwendenden Ermächtigungsgrundlagen gibt, dürfen die RV-Träger die Aufgabe nur mit ihren "normalen" Befugnissen aus § 117 SGB VI und aus dem SGB X, hier vor allem aus den §§ 44ff. SGB X erfüllen.

Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkungsanordnung des Art 12 Abs. 8 WFG kommt es deswegen nur an, soweit die RV-Träger aufgrund dieser Befugnisse die neue Anrechnungsregel gegenüber den betroffenen Hinterbliebenen noch für Bezugszeiten vor dem Gültigwerden des WFG (frühestens) am 27. September 1996 rechtmäßig durchsetzen können (der Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses ist ggf nur für die Frage der Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden Gesetzes erheblich). Dies ist grundsätzlich nur der Fall, wenn vor dem 27. September 1996 noch überhaupt kein Verwaltungsakt über die Bewilligung eines Rechts auf Hinterbliebenenrente bekanntgegeben worden, das Erstbewilligungsverfahren also erst nachher durch Erlaß eines Bescheides nach § 117 SGB VI abgeschlossen worden war. Gleiches gilt außerdem, soweit eine rückwirkend belastende Entscheidung nach den §§ 45 bis 49 SGB X, von denen hier nur § 48 Abs. 1 SGB X in Betracht kommt, gesetzlich erlaubt ist. Hatte der RV-Träger sich aber vor dem Gültigwerden des WFG gesetzmäßig verhalten und deshalb die Rentenbewilligung ohne eine Anrechnungsentscheidung ausgesprochen, wäre diese für ihn bindend (§ 77 SGG). Wegen der Rechtsänderung durch das WFG, die er außenwirksam frühestens ab dem 27. September 1996 beachten durfte, hätte er nur nach einem (rechtmäßigen) Verwaltungsverfahren, mit dem der Bürger frühestens ab diesem Datum hätte überzogen werden dürfen, und ausschließlich mit Wirkung für Bezugszeiten nach Bekanntgabe des Abänderungsbescheides (gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X) die neue Anrechnungsregel im Einzelfall wirksam machen dürfen.

Im vorliegenden Fall hatte die BfA in den angefochtenen Bescheiden eine (der neuen Regel entsprechende) Anrechnung für Bezugszeiten ab 1. Januar 1993 verfügt, die gesetzwidrig war. Die Vorinstanzen haben diese rechtswidrige Belastung deshalb in ihren vor dem Gültigwerden des WFG ergangenen Urteilen zu Recht aufgehoben, also sowohl dem damals objektiv bestehenden Abwehr- als auch dem Korrekturanspruch der Klägerin (ua aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X) zum Recht verholfen. Allerdings muß das BSG im Revisionsverfahren Bundesrecht, das nach dem Wirksamwerden des angefochtenen Urteils gültig wird, seiner Entscheidung zugrunde legen, obgleich die Vorinstanz es nicht maßstäblich anwenden durfte (BSG SozR 3-6180 Art 13 Nr. 2 S. 7 f: zu § 300 SGB VI). Die §§ 45, 48 SGB X wie auch das WFG geben nicht einmal ansatzweise eine Ermächtigung, einen entstandenen, bestehenden und selbständig übergangsfähigen (stellvertretend BSG SozR 1200 § 59 Nrn 4, 5, 6) Rechtsanspruch gegen die Verwaltung auf Rücknahme (Aufhebung) eines belastenden (hier: Anrechnungs-) Verwaltungsaktes zu entziehen. Dieser Korrekturanspruch aus § 44 SGB X entstand hier mit Erlaß des Rentenbewilligungsbescheides, soweit dieser die Anrechnung verfügte; er bestand neben und unabhängig vom (Abwehr-) Recht der Klägerin aus dem materiellen Recht, das sie vorliegend durch (isolierte) Anfechtung der Anrechnungsentscheidung (durch Widerspruch und Anfechtungsklage) primär geltend gemacht hatte. Da es für die Entstehung dieses selbständigen Korrekturanspruchs aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X allein darauf ankommt, ob der belastende Verwaltungsakt (hier: die Anrechnung) im Zeitpunkt seines Erlasses dem damals objektiv gültigen Recht, zu dem das erst Jahre später gültig gewordene WFG nicht gehörte, entsprach, und weil der Klägerin durch die Anrechnung ihr zustehende Sozialleistungen entgangen sind, mußte die BfA die Anrechnungsentscheidung zurücknehmen (und die rechtswidrig einbehaltenen Beträge verzinst nachzahlen).

Dagegen konnte sie nicht einwenden, die Klägerin habe sich seit dem 27. September 1996 auf diesen Korrekturanspruch nach Treu und Glauben nicht mehr berufen dürfen, weil wegen des WFG die bislang rechtswidrig einbehaltenen Geldbeträge nunmehr als zu Recht "nicht geleistet" gelten müßten. Dieser Einwand griffe nämlich nur durch, wenn die BfA ermächtigt gewesen wäre, den bestehenden, selbständigen Korrekturanspruch der Klägerin, den sie rechtswidrig nicht erfüllt hatte, durch Verwaltungsakt aufzuheben; dies war - wie ausgeführt - aber nicht der Fall; im übrigen käme eine die Treuwidrigkeit begründende Pflicht der Klägerin zur sofortigen Rückzahlung einer Nachzahlung an die BfA nur in Betracht, wenn die Beklagte befugt gewesen wäre, die neue Anrechnungsregel nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X rückwirkend durchzusetzen. Auf der Hand liegt aber, daß keiner der Fälle der Nrn 2 bis 4 dieser Vorschrift erfüllt ist. Die Beklagte konnte sich daher im Rahmen der ihr gesetzlich zur Aufgabenbewältigung eingeräumten Befugnisse rechtmäßig nur wie folgt verhalten: Sie hätte gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ihre Anrechnungsentscheidung im angefochtenen Bescheid zurücknehmen und - erst recht als diese durch das SG wirksam aufgehoben war - die rechtswidrig einbehaltenen Beträge ("verzinst") nachzahlen müssen; sodann hätte sie nach der Verkündung des WFG im Bundesgesetzblatt von Amts wegen (§ 18 Satz 2 Nr. 1 SGB X) gegen die Klägerin ein Verwaltungsverfahren (iS von § 8 SGB X) einleiten müssen mit dem Ziel, die - nunmehr anrechnungsfreie - Rentenbewilligung wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X insoweit abzuändern, als es die neue Anrechnungsregel erforderte. Daraufhin hätte sie alle im Einzelfall für die Anrechnung erheblichen Tatsachen, die sich seit 1993 geändert haben konnten, von Amts wegen aufklären (§§ 20, 21 SGB X) und nach Abschluß der Ermittlungen die Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 SGB X mit angemessener Frist hierzu anhören müssen. Nach Würdigung ihrer ggf eingegangenen Stellungnahme hätte die BfA frühestens mit Wirkung zum Beginn des nächsten auf die Bekanntgabe des (Teil-) Aufhebungs- und des (Teil-) Neufeststellungsverwaltungsaktes folgenden Monats die Anrechnung der UV-Hinterbliebenenrente auf die RV-Hinterbliebenenrente verfügen dürfen. Für ein solches die Mindestelemente eines i.S. des GG rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens beachtendes Vorgehen hätte die BfA im Regelfall sicher etwa drei Monate gebraucht, so daß von einer Bekanntgabe der neuen Entscheidungen frühestens im Januar 1997 und damit einer Umsetzung der neuen Regel zum 1. Februar 1997 auszugehen ist. Die am 27. September 1996 gültig gewordene Rechtsänderung ist aber - wie oben zu A ausgeführt - für danach liegende Bezugszeiten verfassungsgemäß. Es kommt also für die Entscheidung des Rechtsstreits i.S. von Art 100 Abs. 1 GG nicht auf die Frage an, ob die "echt rückwirkende" Einführung der Anrechnung verfassungsgemäß ist.

2. Ferner - und auch hierauf stützt der Senat seine Entscheidung außerdem - handelte die Revisionsführerin entgegen dem auch sie bindenden rechtsstaatlichen Grundsatz von Treu und Glauben im Verwaltungsrechtsverhältnis, als sie ihre bei Einlegung am 18. September 1996 objektiv noch in vollem Umfang unbegründete Revision nunmehr uneingeschränkt weiterverfolgte, obwohl sie - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG von ihr ausgeführt und auf Nachfrage bestätigt wurde - inzwischen die richtige Rechtserkenntnis erlangt hatte, daß sie sich in den angefochtenen Anrechnungsentscheidungen und auch vor den Vorinstanzen rechtswidrig verhalten hatte, weil sie nicht hätte anrechnen dürfen. Trotz Kenntnis der Rechtswidrigkeit des von ihr vorgenommenen Eingriffs in das Hinterbliebenenrentenrecht der Klägerin, hat die BfA nicht nur davon abgesehen, den Gegenstand der Revision entsprechend zu begrenzen, und nicht nur abgelehnt, den og bestehenden Korrekturanspruch der Klägerin aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erfüllen, sondern auch für sich in Anspruch genommen, ihr stehe die Möglichkeit einer "echt" rückwirkenden Umsetzung der neuen Anrechnungsregel offen, dies deshalb, weil sie sich bislang gesetzwidrig verhalten habe. Hieran hat die BfA auch nach dem Hinweis des Gerichts auf den Grundsatz von Treu und Glauben und auf die (og) Bindungen im Falle eines früher gesetzmäßigen Verhaltens festgehalten. Sie hat im Revisionsverfahren vorgetragen, sie teile (nunmehr) die vom 5. und 8. Senat des BSG herausgearbeitete Rechtsmeinung (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung des Senats vom 31. März 1998). Sie räumt damit ein zu wissen, daß sie der Klägerin seit Rentenbeginn (1. Januar 1993) weniger Rente ausgezahlt hat, als dieser rechtmäßig zustand. Dennoch beruft sie sich jetzt darauf, das WFG sei ihr gleichsam dadurch "zu Hilfe gekommen", daß es § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI rückwirkend in Kraft gesetzt und ihr anfänglich rechtswidriges Verhalten (Unterlassen ungekürzter Rentenzahlung) nachträglich legitimiert habe. Hätte sich die Beklagte von Anfang an rechtmäßig verhalten, hätte sie der Klägerin das Recht auf die RV-Rente ungekürzt, also ohne Anrechnung der UV-Rente bewilligen und zahlen müssen. Eine Umsetzung der durch das WFG verlautbarten Rechtsänderung wäre - wie ausgeführt - in zeitlicher Hinsicht erst nach Verkündung des WFG und in rechtsstaatlich korrekter Weise nicht vor Ablauf eines Vierteljahres nach Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt möglich gewesen, mithin nicht für Rentenbezugszeiten vor dem 1. Februar 1997. Dieses Verhalten widerspricht strikt dem Gebot, sich im Verwaltungsrechtsverhältnis gegenüber dem Bürger nach Treu und Glauben zu verhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518234

SozSi 1999, 299

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