Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Ihr Ehemann ist Beamter und nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern beihilfeberechtigt und privat krankenversichert. Für den knapp sechsjährigen Sohn bestehen ebenfalls Beihilfeansprüche und eine private Krankenversicherung. Die Familienversicherung über die Mutter scheitert am Einkommen des Vaters.

Im Alter von etwa sieben Monaten (Ende Februar/Anfang März 1993) mußte der Sohn stationär behandelt werden. Die Klägerin wurde aus medizinischen Gründen mit ins Krankenhaus aufgenommen. Ihren Antrag auf Zahlung von Kinderpflegekrankengeld lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 11. Mai 1993, Widerspruchsbescheid vom 11. November 1993). Auch die Klage hatte keinen Erfolg, weil das Sozialgericht (SG) ebenso wie die Beklagte den fraglichen Anspruch nur für denkbar hielt, wenn sowohl die Betreuungsperson als auch das Kind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.

Hiergegen richtet sich die Sprungrevision der Klägerin, mit der eine Verletzung des § 45 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gerügt wird. Die Beschränkung auf gesetzlich versicherte Kinder laufe dem mit der Vorschrift angestrebten Schutz von Ehe und Familie zuwider und benachteilige verheiratete Frauen gegenüber alleinstehenden oder geschiedenen Versicherten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. November 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Mai 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1993 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 25. Februar 1993 bis zum 3. März 1993 Krankengeld zu gewähren, hilfsweise,

das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht nach Art 100 Grundgesetz vorzulegen.

Die Beklage beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß der Klägerin kein Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld für die fragliche Zeit zusteht.

Nach der Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGB V vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I 2325) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie nach ärztlichem Zeugnis zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben müssen, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person diese Aufgaben nicht übernehmen kann und das Kind das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Anspruchsdauer ist nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 SGB V beschränkt. Ergänzend verpflichtet § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V den Arbeitgeber zur unbezahlten Freistellung des Versicherten, soweit nicht aus dem gleichen Grund ein Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht.

Der Anspruch der Klägerin scheitert daran, daß ihr Sohn Max, den sie während seiner stationären Behandlung vom 25. Februar bis zum 3. März 1993 betreut hat, nicht "versichert" war; auf die übrigen Anspruchsvoraussetzungen kommt es infolgedessen nicht an. Die in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorausgesetzte Versicherung des Kindes muß in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen. In einem Gesetz über die gesetzliche Krankenversicherung müssen Aussagen über "Versicherte" auf den in dieser Versicherung geschützten Personenkreis bezogen werden; eine andere Auslegung käme allenfalls in Betracht, wenn sich dafür aus dem übrigen Gesetzestext oder dem Gesamtzusammenhang Anhaltspunkte ergäben. Die Meinung der Klägerin, die fragliche Gesetzesstelle sei auf Kinder zu beziehen, die überhaupt - also gesetzlich oder privat - versichert sind, wird nicht weiter untermauert. Die damit verbundene Ausgrenzung von Kindern, die aus irgendeinem Grund gar nicht krankenversichert sind, hätte keinen erkennbaren Sinn.

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt, daß sich ihr Anwendungsbereich auf gesetzlich krankenversicherte Kinder beschränkt. Das mit Wirkung vom 1. Januar 1974 durch das Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Dezember 1973 (BGBl. I 1925) mit § 185c Reichsversicherungsordnung in die gesetzliche Krankenversicherung eingeführte Kinderpflegekrankengeld wurde ursprünglich unabhängig von einer Versicherung des erkrankten Kindes und somit als besondere familienbezogene Leistung gewährt (vgl. BSGE 76, 1, 5 = SozR 3-2500 § 45 Nr. 1 S. 6 m.w.N.); zugleich wurden Ungleichheiten bei den arbeitsrechtlichen Ansprüchen auf Freistellung und auf Entgeltfortzahlung abgemildert (vgl. BT-Drucks 7/377 S. 1; BAGE 30, 339, 345 f; überholt durch BAGE 32, 32 und durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994, BGBl. I 1014, Art 53). Der Entwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) sah eine Beschränkung des Kinderpflegekrankengelds auf die Fälle vor, in denen das erkrankte Kind im Rahmen der Familienversicherung "nach § 10" SGB V versichert war (BT-Drucks 11/2237 S. 22, § 44; S. 181 zu § 44). Das Anliegen des Bundesrates, den Zusatz "nach § 10" zu streichen, um einen Anspruch auch dann zu gewährleisten, wenn das Kind (z.B. als Bezieher einer Waisenrente) selbst Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist, machte sich der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu eigen (BT-Drucks 11/2493 S. 17 Nr. 45; BT-Drucks 11/3320 S. 30 § 44; BT-Drucks 11/3480 S. 55 zu § 44), so daß das Gesetz ohne den Zusatz beschlossen wurde. Dieser Werdegang läßt keinen Zweifel, daß trotz der familienbezogenen Ausrichtung des Kinderpflegekrankengeldes das versicherte Kind i.S. des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V gesetzlich krankenversichert sein muß.

Die darin liegende Beschränkung stimmt mit der begrenzten Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung überein, die bei ihr Versicherten vor krankheitsbedingten finanziellen Risiken zu schützen; der Schutz vor sonstigen Risiken fällt grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Krankenkasse. Da der Betreuer, aus dessen Versicherungsverhältnis das Gesetz den Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld ableitet, selbst nicht krank ist, bedarf die Einstandspflicht seiner Krankenkasse der besonderen Rechtfertigung (ähnlich bereits BSGE 42, 221, 224 = SozR 2200 § 1504 Nr. 5 S. 15). Der einzig hierfür in Betracht kommende Versicherungsfall ist in der Person des Kindes eingetreten; diesem Versicherungsfall läßt sich der Betreuungsaufwand im Hinblick auf die in § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorausgesetzte medizinische Notwendigkeit auch zurechnen. Gehört das Kind derselben Solidargemeinschaft an wie der Betreuer, kann die Pflicht zur zusätzlichen Lohnersatzleistung aus dessen Versicherung als systemgerecht angesehen werden, weil sie zugleich ein Krankheitsrisiko dieser Solidargemeinschaft mit abdeckt. Andernfalls könnte das Kinderpflegekrankengeld lediglich - wie noch bei der Einführung im Jahre 1974 - mit versicherungsfremden Gesichtspunkten gerechtfertigt werden, denn der zusätzliche Betreuungsaufwand kommt dann nicht mehr ausschließlich der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern einer anderen Versichertengemeinschaft oder dem Unterhaltspflichtigen zugute. Nachdem sich das seinerzeitige Gleichbehandlungsproblem im Arbeitsrecht nicht mehr stellt, käme als Sachgrund nur noch der Familienlastenausgleich in Frage.

Dieser Überlegung kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, daß die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung das Gesetz lückenhaft erscheinen lasse, weil dadurch eine Leistung von der Art des Kinderpflegekrankengeldes in denjenigen Fällen ausgeschlossen ist, in denen Kind und Betreuer verschiedenen Versichertengemeinschaften angehören bzw. in denen das Lohnausfallrisiko des Betreuers oder das Krankheitsrisiko des Kindes gar nicht versichert sind. Da der Versicherungsfall Krankheit, der den Betreuungsbedarf auslöst, in der Person des Kindes eintritt, betrifft dieses Problem die Reichweite von dessen Krankenversicherung: Handelt es sich wirklich um eine Lücke, besteht diese nicht im Gesetz, sondern in der Versicherung des Kindes. Der Sohn der Klägerin ist beihilfeberechtigt und privat krankenversichert. Wird der Lohnausfall der betreuenden Bezugsperson als Krankheitsnebenkosten von diesen Sicherungssystemen nicht erfaßt, ist das kein Grund, die gesetzliche Krankenkasse für die angebliche Sicherungslücke einstehen zu lassen.

In Übereinstimmung damit hat der Senat die Möglichkeit einer Lückenschließung durch Analogie bei einer ähnlichen versicherungsrechtlichen Konstellation ausdrücklich auf die Fälle beschränkt, daß sowohl Betreuungsperson als auch betreuungsbedürftiges Kind gesetzlich versichert sind. Der Anspruch auf Haushaltshilfe nach § 38 SGB V besteht nach dem Urteil des Senats vom 23. November 1995 nicht nur bei einer Krankenhausbehandlung des den Haushalt führenden Versicherten, sondern auch dann, wenn dieser mit seinem erkrankten Kind in das Krankenhaus mitaufgenommen werden muß; den Grundgedanken des § 38 SGB V hielt der Senat jedoch nur für anwendbar, soweit die Krankenkasse auch für das Krankheitsrisiko des Kindes eintreten muß (BSGE 77, 102, 105 = SozR 3-2500 § 38 Nr. 1 S. 4). Die sich daran anschließende Erörterung der Anspruchsberechtigung betrifft Zuständigkeitsfragen, wenn verschiedene Krankenkassen als leistungspflichtig in Betracht kommen, was im damaligen Fall nicht zutraf. Die in der genannten Entscheidung vorgenommene Risikobeschränkung gilt auch für andere Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die einen Aufwand einer nicht versicherten Person abdecken sollen. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke in § 45 SGB V wäre deshalb auch dann kein Raum, wenn die Entstehungsgeschichte die Notwendigkeit der gleichzeitigen Versicherung von Betreuungsperson und Kind nicht bestätigte.

Darin sieht der Senat auch keine Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze. Die durch § 45 Abs. 3 SGB V bewirkten arbeitsrechtlichen Folgen der hier behandelten Beschränkung des Kinderpflegekrankengeldes sind nicht zu erörtern, weil arbeitsrechtliche Ansprüche nicht Gegenstand des Rechtsstreits sind. Aus dem gleichen Grund können verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 45 Abs. 1 SGB V aus der besseren Abdeckung des hier in Rede stehenden Lohnausfallrisikos durch Ansprüche auf bezahlten Urlaub im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht hergeleitet werden (vgl. etwa für die fragliche Zeit § 12 Abs. 2 der Sonderurlaubsverordnung für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst, BGBl. 1992 I 977, jetzt: § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7, BGBl. 1997, 978; für Angestellte: § 52 Abs. 2 Satz 1 Buchst l bb BAT, jetzt: § 52 Abs. 1 Buchst e BAT).

Der sachliche Grund für die Beschränkung des Kinderpflegekrankengeldes durch das GRG liegt - wie bereits ausgeführt - im Versicherungsgedanken; eine derartige Bereinigung der Krankenversicherung um versicherungsfremde Lasten ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (gegen die Auffassung, daß sie sogar verfassungsrechtlich geboten sei, vgl. Urteil des 12. Senats vom 29. Januar 1998 - B 12 KR 35/95 R, zur Veröffentlichung bestimmt). Schließlich kann die von der Klägerin angestrebte Erweiterung des Kinderpflegekrankengeldes auch unter dem Gesichtspunkt des Familienlastenausgleichs verfassungsrechtlich nicht verlangt werden. Abgesehen vom Fehlen einer eigenen oder vom Ehemann abgeleiteten Versicherung des Sohnes hat die Klägerin vor allem deshalb keinen Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld, weil ihr Sohn durch das den Grenzbetrag des § 10 Abs. 3 SGB V übersteigende Einkommen ihres Ehemanns von der Familienversicherung ausgeschlossen ist. Daß der Ausschluß von der Familienversicherung verfassungsrechtlich zulässig ist, hat das BSG zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift bereits entschieden und dabei insbesondere auch zur angeblichen Begünstigung nicht verheirateter Eltern Stellung genommen (BSG SozR 2200 § 205 Nr. 44 S. 118). Die Klägerin hat keine Argumente aufgezeigt, die diese Rechtsprechung als überholt erscheinen lassen könnten; die nicht näher begründete Behauptung einer Verfassungsverletzung gibt dem Senat keinen Anlaß, auf diese Frage nochmals einzugehen. Da die verfassungsrechtliche Beurteilung der nunmehr in § 45 Abs. 1 SGB V enthaltenen Leistungsbeschränkung im Vergleich zur Beschränkung der Familienversicherung, auf der jene letztlich beruht, keine Besonderheiten aufweist, sind auch andere Gesichtspunkte nicht ersichtlich, die den Anspruch der Klägerin verfassungsrechtlich stützen könnten. Insbesondere kann die Verfassungswidrigkeit nicht mit möglichen Sicherungslücken begründet werden, die sich aus der Zugehörigkeit der Familienmitglieder zu verschiedenen Systemen des Schutzes gegen die finanziellen Folgen von Krankheit ergeben, denn eine unterschiedliche Absicherung ist die zwangsläufige Folge einer Mehrzahl von derartigen Schutzsystemen. Ein verfassungsrechtliches Gebot der umfassenden Einheitsversicherung besteht nicht und wird auch von der Klägerin nicht behauptet.

Da bereits das SG den Anspruch der Klägerin zu Recht verneint hat, kann ihre Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518222

MDR 1998, 1298

NZS 1999, 29

SGb 1998, 308

SozSi 1999, 290

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