Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.04.1995; Aktenzeichen L 7 Ar 84/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. April 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten höheres Konkursausfallgeld (Kaug) unter Berücksichtigung der Abgeltung für 22 Urlaubstage, die er vor Eintritt des Insolvenzereignisses noch nicht in Anspruch genommen hatte.

Er war als Koch Arbeitnehmer der „m. … m. R. … GmbH” (MMR), die den gesamten Restaurationskomplex eines Wellenbades (Saunabar, Getränkeausschank und Imbiß) komplett mit allen Einrichtungsgegenständen von der „m. … m. … B. … … mbH” (MMBB) gepachtet hatte. Die MMBB wiederum hatte das Gesamtobjekt von der „m. … m. … W. … GmbH” (MMW) gepachtet.

Wegen Überschuldung beantragte der Geschäftsführer der MMR am 16. Dezember 1991 (Montag), das Konkursverfahren zu eröffnen, stellte am 17. Dezember die Betriebstätigkeit der MMR ein, kündigte die Arbeitsverhältnisse aller festangestellten Beschäftigten (11 Arbeitnehmer beantragten Kaug) und übergab Schlüssel, Inventar sowie die unaufgeräumten Betriebsräume (mit Getränke- und Speiseresten) der MMBB. Die MMBB schloß „wegen Reinigungsarbeiten” die Restaurationseinrichtungen für drei Tage (bis Freitag) und führte sie anschließend in eigener Regie teils mit eigenem Personal weiter. Sie übernahm aber auch zunächst fünf ehemalige Angestellte der MMR, ua den Kläger (Arbeitsvertrag vom 20. Dezember 1991). Zwischen der MMR und der MMBB gab es hinsichtlich der Übernahme des Personals keine Absprachen.

Das Amtsgericht Neuwied lehnte mit Beschluß vom 22. Januar 1992 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der MMR mangels Masse ab. Auf Antrag des Klägers vom 24. Februar 1992 bewilligte ihm die Beklagte Kaug in Höhe von DM 1.094,34 für rückständige Ansprüche auf Arbeitsentgelt, verweigerte jedoch die Zahlung von Kaug wegen einer Urlaubsabgeltung für die noch nicht in Anspruch genommenen 22 Urlaubstage: Der Urlaub sei von der MMBB zu gewähren, die als Betriebsübernehmerin (§ 613a Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) in das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der MMR eingetreten sei (Bescheid vom 2. April 1992). Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1992).

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat mit Urteil vom 6. Juli 1993 der Klage stattgegeben, wogegen das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) mit Urteil vom 25. April 1995 die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen hat: Kaug in Höhe der Urlaubsabgeltung könne nicht beansprucht werden, da wegen des Betriebsübergangs die MMBB in das Arbeitsverhältnis eingetreten sei und nunmehr den Urlaubsanspruch zu erfüllen habe. Der von der MMR geführte Restaurationsbetrieb sei der MMBB durch Rechtsgeschäft, nämlich durch die Abwicklung des Pachtvertrags, vollständig mit allen Einrichtungsgegenständen (rück-)übertragen worden. Der Betrieb sei nicht stillgelegt oder zerschlagen, sondern mit den gleichen Mitteln, teilweise auch dem gleichen Personal, bereits nach wenigen Tagen von der MMBB weitergeführt worden. Es komme insoweit nicht darauf an, daß die MMR verpflichtet gewesen sei, den Betrieb so zurückzugeben, wie sie ihn gepachtet habe, und deshalb gehindert gewesen sei, ihn stillzulegen oder zu zerschlagen.

Mit der Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 613a BGB. Der Betrieb sei auf die MMBB nicht durch Rechtsgeschäft übergegangen, sondern infolge einseitiger Besitzaufgabe. Der Geschäftsführer der MMR habe Konkurs angemeldet, die Arbeitnehmer entlassen, alles stehen- und liegenlassen und die Schlüssel des Lieferanteneingangs abgegeben. Die so bewirkte Rückgabe der Pachtsache beruhe auf gesetzlicher Verpflichtung, nicht auf Rechtsgeschäft. Die MMBB als Verpächterin stünde rechtlos da, hätte die Kündigung des Pachtverhältnisses wegen fehlender Zinszahlung stets zur Folge, daß der Verpächter in Arbeitsverhältnisse eintrete, auf die er keinen Einfluß habe nehmen können. Die Auslegung des § 613a BGB durch das LSG komme einer Enteignung gleich: Kein Verpächter könne dann noch die Kündigung des Pachtverhältnisses wirtschaftlich riskieren. Daß notwendige Reinigungsarbeiten vorgenommen worden seien, ändere nichts daran, daß der Betrieb stillgelegt worden sei. Im übrigen könnten nur bestehende Arbeitsverhältnisse auf die MMBB übergehen, diese seien aber durch die MMR gekündigt worden; keiner der Arbeitnehmer habe dem widersprochen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Landessozialgerichts vom 25. April 1995 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 6. Juli 1993 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Restaurationsbetrieb des Wellenbades sei am 17. Dezember 1991 auf die MMBB übergegangen, denn von diesem Zeitpunkt an habe die MMBB die Organisations- und Leitungsmacht über den Betrieb besessen. Eine Stillegung habe die MMR weder vornehmen wollen noch können. Auch der „Rückfall” eines Betriebs an den Verpächter sei ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang. Die Kündigung der Arbeitsverhältnisse sei wegen Verstoßes gegen § 613a Abs 4 Satz 1 BGB unwirksam gewesen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

1. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für einen Urlaubsabgeltungsanspruch, der von der Beklagten durch das Kaug auszugleichen wäre, dann nicht erfüllt sind, wenn das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB über das Insolvenzereignis hinaus fortbestanden hat. Zwar kann der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 141b Abs 1 und 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der hier maßgeblichen Fassung (vom 25. Juni 1969 ≪BGBl I 582≫, zuletzt geändert durch Art 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch vom 20. Dezember 1991 ≪BGBl I 2325≫) grundsätzlich durch Kaug ausgeglichen werden. Dies setzt aber voraus, daß er in den drei Monaten des Arbeitsverhältnisses entstanden ist, die der Ablehnung des Konkurseröffnungsantrags vorausgingen (§ 141b Abs 1 iVm Abs 3 Nr 1 AFG) und diesem Zeitraum zugeordnet werden kann. Da der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG vom 8. Januar 1963, BGBl III 800-4) nur entsteht, wenn er „wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses” nicht mehr gewährt werden kann (BSGE 51, 102, 104 = SozR 4100 § 141b Nr 16; neuerdings die Urteile des Senats vom 27. September 1994, SozR 3-4100 § 141b Nrn 11 und 12), kommt eine Abgeltung durch Kaug grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit infolge eines Betriebsübergangs fortgesetzt wird (vgl mwN BSG, Urteil vom 14. März 1989 – 10 RAr 6/87 – in ZIP 1989, 1415).

2. Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der MMR ist nach § 613a Abs 1 Satz 1 BGB am 17. Dezember 1991 auf die MMBB übergegangen. Nach dieser Vorschrift tritt, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht, dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.

Ein Betrieb geht über, indem die Leitungsmacht über eine organisatorische Einheit von sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln auf den neuen Inhaber übertragen wird, der damit „arbeitstechnische Zwecke eigensubstratnutzend” verfolgen kann (BAGE 35, 104, 106). Die Anwendung des § 613a BGB ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Betrieb stillgelegt worden ist, dh die Betriebsorganisation und damit die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft auf Dauer aufgelöst wurde. Dies äußert sich darin, daß der Betriebsinhaber die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte und wirtschaftlich erhebliche Zeitspanne nicht mehr weiterzuverfolgen. An einer solchen Absicht mangelt es, wenn zB Übernahmeverhandlungen stattfinden. Wird alsbald nach dem Übergang der Betrieb wiedereröffnet oder die Produktion aufgenommen, spricht die tatsächliche Vermutung gegen eine Betriebsstillegung (BAGE 48, 376, 388; BAGE 54, 215, 228 f). Grundsätzlich kann auch ein Pächter einen Betrieb stillegen, auch wenn er nicht in der Lage ist, die gepachteten Betriebsmittel zu veräußern (BAGE 80, 74, 79 f). An den Nachweis der Stillegung sind dann aber erhöhte Anforderungen zu stellen (BAG vom 21. Januar 1988, AP Nr 72 zu § 613a BGB, zu C III 1 der Gründe). Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt folgendes:

a) Der gesamte Gastronomiebereich des Wellenbades, der von der MMBB zu einer Wirtschaftseinheit zusammengefaßt und an die MMR (zu einem Pachtzins von DM 1,50 pro Badegast) unterverpachtet wurde, war ein „Betrieb” iS des § 613a BGB. Sein arbeitstechnischer Zweck war naturgemäß vor allem die Versorgung der Gäste des Wellenbades mit Getränken und Speisen. Es wurde somit ein eingerichteter Betrieb mit kompletter Ausstattung an die MMR zum Zwecke der Bewirtschaftung verpachtet.

Unwesentlich für das Bestehen eines Gastronomiebetriebs der vorliegenden Art als eine organisatorische Einheit von sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln sind die Aufgaben, um die sich die MMR bei der Betriebsführung zu kümmern hatte, also zB um Lieferantenverträge, die Gewerbeanmeldung, aber auch die Arbeitsverhältnisse. Es setzt keinen besonderen Aufwand voraus, entsprechende Voraussetzungen für die Betriebsführung zu schaffen. Bei den Arbeitnehmern einer Gaststätte handelt es sich nicht um Spezialisten, deren Fachkenntnisse für die Betriebsführung von derartiger Bedeutung sind, daß ohne sie die arbeitstechnische Betriebseinheit nicht existieren könnte. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an (vgl mwN BAGE 80, 74, 81).

b) Der Betrieb wurde nicht stillgelegt – weder von der MMR noch von der MMBB noch von beiden gemeinsam.

Die MMR hat zwar am 17. Dezember 1991 ihre Geschäftstätigkeit eingestellt, den Arbeitnehmern gekündigt und den Gastronomiebereich des Wellenbades (wie er lag und stand) der MMBB zurückgegeben. Damit hat die MMR, ebenso wie mit dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wenige Tage zuvor, kundgetan, daß sie selbst den Betrieb nicht weiterführen werde, was jedoch nicht notwendigerweise einschließt, den Betrieb als solchen stillzulegen (BAGE 80, 74, 81). Vielmehr sprechen die vom LSG festgestellten Tatsachen dagegen. Denn die MMR hatte den Betrieb „Gastronomiebereich Wellenbad” nach der faktischen Beendigung des Pachtverhältnisses an die MMBB so zurückzugeben, wie er übernommen worden war, also mit allen seinen wesentlichen Bestandteilen. Dazu gehören auch die sächlichen Betriebsmittel des Gastronomiebereichs, zB Theken, Möbel und Kücheneinrichtungen als organisatorische Einheit. Insgesamt sind sie als Betriebseinheit zu sehen verbunden mit dem Recht und der tatsächlichen Möglichkeit, die Gäste des Wellenbades zu bewirten. Die MMR war deshalb gar nicht in der Lage, einseitig ohne zweckgerichtete Mitwirkung der MMBB den Betrieb aufzulösen.

Aber auch die MMBB hat den Betrieb „Gastronomiebereich Wellenbad” niemals stillgelegt. Nach den Feststellungen des LSG wurden die Räume lediglich vorübergehend für drei Tage geschlossen und dann wiedereröffnet, wobei es völlig gleichgültig ist, ob durch einen neuen Pächter oder die MMBB selbst. Maßgebend ist, daß es der MMBB fortdauernd möglich gewesen ist, den Betrieb fortzuführen. Zudem ist die Zeitspanne von drei Tagen, während derer der Betrieb „für Renovierungsarbeiten” vorübergehend geschlossen war, viel zu kurz, um ohne eindeutige Stillegungserklärungen und -handlungen der MMBB eine Betriebsstillegung feststellen zu können.

Nachdem die Einstellung des Wellenbades und damit des Betriebs „Gastronomiebereich Wellenbad” von keinem der Partner eindeutig und unzweifelhaft in Erwägung gezogen wurde, kann auch von einer gemeinsamen Stillegung des Betriebs „Gastronomiebereich Wellenbad” keine Rede sein.

c) Die MMBB hat den Betrieb „Gastronomiebereich Wellenbad” am 17. Dezember 1991 „durch Rechtsgeschäft” erhalten. Ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang liegt auch bei einem „Rückfall” eines Betriebs an den Verpächter vor, vor allem dann, wenn sich an der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebs nichts ändert. Ist die Einräumung der Nutzungsbefugnis an den Pächter ein Betriebsübergang (was voraussetzt, daß, wie dargelegt, überhaupt ein Betrieb verpachtet wurde), dann liegt auch beim gegenläufigen Akt, dem „Rückfall” eines Betriebs an den Verpächter, ein Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft vor, selbst wenn der Rückgabeanspruch in den §§ 581, 556 BGB gesetzlich geregelt ist. Auch insoweit schließt sich der Senat der Rechtsprechung des BAG an (vgl mwN, auch der Kommentarliteratur, BAGE 80, 74, 83).

Die von der Revision vorgetragenen Bedenken gegen diese Rechtsprechung teilt der Senat nicht. Wer einen eingerichteten Gastronomiebetrieb ohne Personal verpachtet, und sich damit der Kosten, Mühen und auch der Risiken der Gewinnung, Überwachung und Verwaltung von Personal entledigt, muß damit rechnen, daß er bei Rückfall des Betriebs in die bestehenden Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes eintritt. Ein enteignungsgleicher Eingriff liegt darin nicht. Denn es kommt vielmehr nur jene Sozialbindung des Eigentums zum Tragen, die bereits vor der Verpachtung bestanden hätte, wenn das Personal vom Verpächter selbst zur „Komplettierung” des Betriebs eingestellt worden wäre. Daß sich ein Pächter bei der Einstellung des Personals verkalkulieren oder gar rechtsmißbräuchlich handeln könnte, gehört zu den Risiken, die der Verpächter bereits bei der Auswahl und Überprüfung des Pächters anläßlich des Abschlusses des Pachtvertrags berücksichtigen muß.

Auf den Umstand, daß die MMR dem Kläger zum 17. Dezember 1991 gekündigt hatte und er mit der MMBB am 20. Dezember 1991 einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen hatte, kommt es nicht an. Kündigungen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, sei es durch die MMR, sei es durch die MMBB, sind nach § 613a Abs 4 Satz 1 BGB unwirksam. Mit dem Vertrag vom 20. Dezember 1991 wurde lediglich das bereits kraft Gesetzes weiterbestehende Arbeitsverhältnis erneuert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1064859

KTS 1998, 503

ZIP 1998, 483

SozSi 1998, 278

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