Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesellschafter-Geschäftsführer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Beschäftigungsverhältnis des Sohnes eines AlleinGesellschafter-Geschäftsführers bei tatsächlich selbständiger Führung des Betriebes.

2. Der Arbeitslose war nicht bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie beschäftigt (§ 112 V Nr. 3 AFG), wenn er bei einer GmbH beschäftigt war, deren Allein-GesellschafterGeschäftsführer mit ihm in gerader Linie verwandt ist (Anschluß an BSG, SozR 4100 § 112 Nr. 36).

3. Es verstößt nicht gegen § 41 SGB X, wenn die Behörde nach Ablauf der dort für das Nachholen einer Begründung gesetzten Zeitgrenze der Klage auf eine höhere Leistung, als nach dem AFG bewilligt wurde, entgegenhält, der Anspruch sei dem Grunde nach nicht gegeben (Abgrenzung zu BSG, SozR 2200 § 587 Nr. 7).

 

Normenkette

SGB X § 41; AFG § 112

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) höheres Arbeitslosengeld (Alg).

Der Kläger beantragte am 1. Dezember 1982 Alg nach einem festen monatlichen Bruttogehalt von 4.778,90 DM, das er bei der Firma Bekanntmachung (B.) und S. Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) verdient habe. Alleiniger Gesellschafter - Geschäftsführer - war ursprünglich der Vater, ab Juli 1981 die Mutter des Klägers.

Der Kläger war nach der Zeit seiner Arbeitslosigkeit nicht mehr bei dieser Firma beschäftigt. Er betreibt mittlerweile einen selbständigen Containerdienst unter derselben Anschrift wie die GmbH. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) selbst beschäftigt kein Personal mehr. Wenn sie Aufträge erhält, werden diese vom Kläger als Subunternehmer abgewickelt.

Die beklagte BA bewilligte dem Kläger Alg nach einem Stundenlohn von 13,31 DM, den er aufgrund einer Beschäftigung als Kraftfahrer nach dem Tarifvertrag habe erzielen können. Dagegen ging der Kläger aufgrund des monatlichen Bruttogehalts von 4.778,90 DM (= wöchentlich 1.102,82 DM) bei einer 40-Stundenwoche von einem Stundenlohn von 27,57 DM aus. Daraufhin bewilligte die Beklagte Alg nach einem Stundenlohn von 15,28 DM, den der Kläger als Vorarbeiter nach dem Tarifvertrag für das Baugewerbe habe erzielen können (Bescheid vom 10. Januar 1983; Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1983).

Nach Klageerhebung hat die Beklagte die Alg-Bewilligung zum 16. Mai 1983 aufgehoben, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine Beschäftigung aufgenommen hat (Bescheid vom 15. Juli 1983). Seine Klage auf höheres Alg nach einem Stundenlohn von 27,57 DM und seine vom Sozialgericht (SG) zugelassene Berufung hatten keinen Erfolg, wobei der Klageantrag erst im Berufungsverfahren auf die Zeit bis zum 14. Mai 1983 beschränkt wurde (Urteil des SG vom 10. Februar 1984; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 17. November 1987).

Mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 112 Abs. 5 Nr. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Das Landessozialgericht (LSG) habe bei der Ermittlung des Tariflohns zu Unrecht diejenigen vom Kläger verrichteten Arbeiten außer Ansatz gelassen, die es als"unternehmerische Tätigkeit" bezeichnet habe.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung ihrer Bescheide für die Zeit vom 1. Dezember 1982 bis zum 2. Mai 1983 ein höheres Alg nach einem Stundenlohn von 27,57 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II.

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung begründet. Es fehlen für eine abschließende Beurteilung Feststellungen dazu, ob der Kläger in der Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) abhängig beschäftigt war.

1. Der Auffassung des LSG, zur Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) reiche es aus, wenn der Angehörige des Arbeitnehmers innerhalb einer juristischen Person entscheidend auf die Geschicke dieser juristischen Person Einfluß nehme, vermag der Senat nicht zuzustimmen.

Mit dem Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1982 in § 112 Abs 5 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) als Nr 3 die Regelung eingefügt, daß bei der Feststellung des Arbeitsentgelts der Berechnung des Alg für die Zeit einer Beschäftigung bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie das Arbeitsentgelt nach Abs 7, höchstens das Arbeitsentgelt dieser Beschäftigung zugrunde zu legen sei. Dem wurde mit dem HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) angefügt: "Dies gilt nicht, wenn der Arbeitslose für diese Beschäftigung ein Arbeitsentgelt erzielt hat, das auch familienfremden Arbeitnehmern bei gleichartiger Beschäftigung nicht nur in Ausnahmefällen gezahlt wird". Die Vorschrift bestimmt idF durch das 8. AFG-ÄndG vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602), daß als Arbeitsentgelt zugrunde zu legen ist für die Zeit einer Beschäftigung bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie höchstens das Arbeitsentgelt, das familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten. Nach § 242h Abs 8 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist § 112 Abs 5 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der vom 1. Januar 1988 an geltenden Fassung auch für Zeiten mit Anspruch auf Alg vor dem 1. Januar 1988 anzuwenden, wenn die Entscheidung über den Anspruch auf Alg am 31. Dezember 1987 noch nicht unanfechtbar war, wie dies hier der Fall ist.

Das BSG hat nach Erlaß des angefochtenen Urteils (17. November 1987) entschieden, daß § 112 Abs 5 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in den Fassungen bis zum 8. AFG-ÄndG auf den bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) beschäftigt gewesenen Arbeitslosen, deren Gesellschaftergeschäftsführer in gerader Linie mit ihm verwandt ist und einen beherrschenden Einfluß auf die Gesellschaft ausgeübt hat, weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden ist (Urteil des 7. Senats vom 21. April 1988, SozR 4100 § 112 Nr 36; zustimmend Berlinger AuB 1989, 409). Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist als juristische Person der alleinige Arbeitgeber der bei ihr Beschäftigten. Auch der Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) wird hinsichtlich der Arbeitnehmer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) nicht zum weiteren Arbeitgeber. Nach der Rechtspr steht zwar ein Gesellschaftergeschäftsführer mit beherrschendem Einfluß zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) hinsichtlich der für die Gesellschaft ausgeübten Tätigkeit nicht in einem Beschäftigungsverhältnis. Eine Tätigkeit für ein Unternehmen kann nämlich nicht nur im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder als Unternehmer, sondern auch aufgrund eines selbständigen Dienstverhältnisses erfolgen. Deshalb wird zur Frage einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Gesellschaftergeschäftsführers in erster Linie auf die Selbständigkeit abgestellt und nicht darauf, ob der Betreffende als Arbeitgeber anzusehen ist (BSG SozR 2100 § 7 Nr 7; zum Alleingesellschafter vgl Urteil des Senats vom 9. November 1989 - BSGE 66, 69). Auch zum Unfallversicherungsrecht hat das BSG in Fortführung der Rechtspr des RVA stets entschieden, daß eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) als juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit Unternehmerin ihres Betriebes ist und ein Gesellschafter nicht ihr Mitunternehmer sein kann; der Gesellschafter ist entweder in einem Beschäftigungsverhältnis oder aufgrund eines unabhängigen Dienstvertrages für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) tätig (BSGE 45, 279, 280 mwN).

Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht. Die umfangreiche Rechtspr zur Versicherungspflicht eines GmbH-Geschäftsführers, die oft eheliche oder verwandtschaftliche Beziehungen zu Gesellschaftern dieser Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu berücksichtigen hatte (vgl hierzu die tabellarische Rechtsprechungsübersicht in BB 1987, 410, 411), läßt es im Zusammenhang mit den Gesetzesmaterialien unwahrscheinlich erscheinen, daß der Gesetzgeber diesen Tatbestand nur versehentlich nicht einbezogen hat.

Dem steht die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. Januar 1986 zu § 2 Abs 3 Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) nicht entgegen (SozR 5420 § 2 Nr 35). Wird ein landwirtschaftliches Unternehmen von einer juristischen Person betrieben, so "gelten" die Gesellschafter und die Mitglieder der juristischen Person unter bestimmten Umständen als landwirtschaftliche Unternehmer. Hierzu hat der Senat in der angeführten Entscheidung die Auffassung bevorzugt, daß § 2 Abs 3 Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) auch die im Unternehmen mitarbeitenden Familienangehörigen von Gilt-Unternehmern erfaßt. Im vorliegenden Fall ist hierauf nicht näher einzugehen, da das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) anders als das Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) keine "Gilt-Unternehmer" kennt. Damit scheitert der Klageanspruch entgegen der Auffassung des Landessozialgericht (LSG) nicht an § 112 Abs 5 Nr 3 AFG.

2. Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob der Kläger zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) während der Anwartschaftszeit als Arbeitnehmer in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, wie dies der Anspruch auf Alg voraussetzt (vgl §§ 104, 168, 173a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 7 SGB IV).

Arbeitnehmer ist, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert die Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16). Das Weisungsrecht kann allerdings erheblich eingeschränkt sein. Bei Diensten höherer Art, beispielsweise bei einem im Krankenhaus beschäftigten Chefarzt, genügt die Eingliederung der Dienstleistung in eine von anderer Seite vorgegebene Ordnung des Betriebes (BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1).

Die Rechtspr hat beim Geschäftsführer einer GmbH, der aufgrund seiner Beteiligung an der Gesellschaft auf diese beherrschenden Einfluß ausüben kann, eine Eingliederung grundsätzlich verneint. Dagegen wird bei einem Geschäftsführer, der am Kapital der Gesellschaft nicht beteiligt ist, in der Regel ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angenommen; allerdings kann auch bei einem Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung eine abhängige Beschäftigung zu verneinen sein, wenn die Gesellschaft ihr Direktionsrecht nicht ausübt (SozR 2100 § 7 Nr 7 und BSG Urteil vom 29. Oktober 1986 - 7 RAr 43/85 - BB 1987, 406).

Insbesondere beim Geschäftsführer einer Familiengesellschaft, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist, wird der Ausnahmefall in Betracht kommen, daß er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne daß ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten (BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 RAr 25/86 - BB 1989, 72). In der zuletzt angeführten Entscheidung wurde die Geschäftsführerin einer GmbH, deren Mutter Alleingesellschafterin war, nicht als abhängig beschäftigt angesehen. Die Gesellschafterin hatte die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) erworben, um die Existenz ihrer Tochter zu sichern, so daß die Interessen der Gesellschafterin und der Geschäftsführerin weitgehend deckungsgleich waren. Im Anstellungsvertrag war weder das monatlich auszahlbare Gehalt noch der jährliche Anspruch auf Tantieme der Höhe nach bestimmt. Diese sollten durch Gesellschafterbeschluß nach den jeweiligen geschäftlichen Erfordernissen festgelegt werden und durften einen Betrag nicht unterschreiten, dem die Geschäftsführerin widersprach. Bei einem solchen Sachverhalt ist eine abhängige Beschäftigung auch dann zu verneinen, wenn der Alleingesellschafter zugleich Alleingeschäftsführer ist und die Tätigkeit der faktischen Leitung des Betriebes formal auf der Ebene unter dem Geschäftsführer ausgeübt wird.

Andererseits steht der versicherungsrechtlichen Wirksamkeit eines vereinbarungsgemäß vollzogenen Arbeitsvertrages zwischen Eheleuten oder Verwandten nicht entgegen, daß die Abhängigkeit unter Eheleuten oder Verwandten im allgemeinen weniger stark ausgeprägt ist und deshalb das Weisungsrecht des Ehegatten oder des Verwandten möglicherweise mit gewissen Einschränkungen ausgeübt wird (BSGE 34, 207). Diese Betrachtungsweise gilt entsprechend für die Prüfung, ob trotz ehelicher oder verwandtschaftlicher Beziehungen zu einem Gesellschafter ein Beschäftigungsverhältnis mit der Gesellschaft vorliegt (zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) & Co KG, BSG Urteil vom 15. Dezember 1981 - 2 RU 27/80 - Die Beiträge 1987, 54).

Der Kläger, der weder Gesellschafter noch Geschäftsführer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) war, hat nach den Feststellungen des Landessozialgericht (LSG) weit über die übliche Arbeitszeit hinaus - zum Teil allein, zum Teil zusammen mit anderen Beschäftigten der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) - alle anfallenden Arbeiten erledigt. Er hat die Arbeit eingeteilt, die Verhandlungen mit dem Steuerberater, mit Lieferanten und Kunden geführt und das einzustellende Personal ausgesucht. Damit allein läßt sich jedoch unter den gegebenen Umständen eine abhängige Beschäftigung weder verneinen noch bejahen. Diese Feststellungen können zwar dahin zu deuten sein, daß der Kläger wie ein Alleinunternehmer bzw wie ein Gesellschafter mit beherrschendem Einfluß für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ohne Eingliederung in den Betrieb tätig war. Ihm könnte die selbständige Leitung des Betriebes im Vorgriff auf eine beabsichtigte Übertragung der Gesellschaft überlassen worden sein.

Die Feststellungen des Landessozialgericht (LSG) lassen aber auch die Deutung zu, daß dem Kläger die Leitung des Betriebes zunächst nur "probeweise" überlassen war. Wollten die Eltern, daß der Kläger den Betrieb in der bisherigen Art fortführte, und erlaubte es ihre Mitarbeit im Betrieb verbunden mit ihrer Rechtsstellung als Gesellschafter und Geschäftsführer, diesen Willen durchzusetzen, so bestand für den Kläger die fremdbestimmte betriebliche Ordnung iS einer Beschäftigung fort, auch wenn er sich innerhalb des durch die bisherige Betriebsführung vorgegebenen Rahmens frei bewegen durfte. Auf die in diesem Zusammenhang der Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse zukommenden Bedeutung hat der Senat bereits in seiner Entscheidung hingewiesen, daß der Alleingesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu dieser auch bei Ausführung einer untergeordneten Tätigkeit nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen kann (BSG Urteil vom 9. November 1989 - BSGE aaO).

In diesem Zusammenhang wird das Landessozialgericht (LSG) Feststellungen dazu zu treffen haben, aus welchen Gründen 1981 die Geschäftsanteile auf die Mutter des Klägers und nicht auf den Kläger (geb. am 25. Februar 1949) übertragen wurden. Ferner ist zu klären, wie es bei Fortbestehen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zur Kündigung des Klägers kommen konnte. Insoweit ist auch von Bedeutung, aus welchen Gründen die erneute Tätigkeit des Klägers für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) als Subunternehmer erfolgte, und nicht in einem Arbeitsverhältnis oder aufgrund einer Übertragung der GmbH. Soweit das Ergebnis dieser Ermittlungen keine eindeutige Beurteilung erlaubt, ist auch zu klären, ob der Kläger neben seinem Festgehalt eine Gewinnbeteiligung erhielt.

3. Ohne die zum Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses hiernach erforderlichen Feststellungen ist dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Die Beklagte ist nicht gehalten, den Kläger unabhängig vom Vorliegen einer Beschäftigung wie einen Beschäftigten zu behandeln. Die Beklagte hat zwar jahrelang Beiträge entgegengenommen. Das schließt indes nach der ständigen Rechtspr im Leistungsfall eine Überprüfung der versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht aus (BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 11/7 RAr 71/87 mwN).

4. Die Prüfung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entfällt auch nicht deshalb, weil die Beklagte Alg, wenn auch in einer geringeren Höhe als der Kläger beansprucht, bewilligt und insoweit das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung angenommen hat. Die Bindung der Behörde an eine im Bescheid gegebene Begründung wurde in der Rechtspr des BSG bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt gesehen, ob dem entsprechenden Satz der Begründung nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht eine solche Bedeutung zukommt, daß er unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten als selbständige Feststellung im Sinne eines Verfügungssatzes zu werten ist. So wurde zB der Bescheid des Unfallversicherungsträgers, daß eine Unfallentschädigung abgelehnt werde, weil der entschädigungspflichtige Arbeitsunfall zu keiner meßbaren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) geführt habe, iS der weiteren bindenden Feststellung verstanden, daß ein Arbeitsunfall anerkannt werde (SozR 1500 § 77 Nr 18), während die (nicht vom Rentenausschuß vorzunehmende) Bewilligung des Sterbegeldes wegen eines Arbeitsunfalls keine für die Witwenrente bindende Anerkennung des Arbeitsunfalls enthält (BSG SozR 2200 § 589 Nr 8). In der Kriegsopferentschädigung werden im Bescheid über die Festsetzung des Berufsschadensausgleichs auch die Feststellungen zum "Einstufungsgerüst" als weitere Verfügungssätze bindend (BSGE 39, 14, 16; 62, 1, 2), insbesondere die Prognose, welchen Beruf der Beschädigte ohne die Schädigung ausüben würde (BSG Urteil vom 27. Oktober 1989 - SozR 1300 § 45 Nr 49). Auch soweit der Begründung eines Bewilligungsbescheides keine weiteren selbständigen Feststellungen zu entnehmen sind, wird in bestimmten Grenzen ein Auswechseln der Gründe als unzulässig angesehen, insbesondere hinsichtlich der in einem Rentenbewilligungsbescheid berücksichtigten Versicherungszeiten (BSGE 38, 157, 158 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; SozR 1500 § 77 Nr 56). Dadurch wird die Befugnis des Gerichts eingeschränkt, einen Verwaltungsakt aus anderen als den von der Behörde angegebenen Gründen aufrechtzuerhalten. Hierzu ist noch nicht geklärt, inwieweit die in § 35 SGB X angeordnete Begründungspflicht ein Auswechseln der Begründung nach Ablauf der in § 41 SGB X genannten Zeitgrenze ausschließt und dementsprechend die Überprüfung durch das Gericht auf die gegebene Begründung einschränkt.

Der Auffassung, daß jenseits der Zeitgrenze des § 41 SGB X ein Nachschieben von Gründen unzulässig sei (Badura in Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl, § 41 II 3), insbesondere iS eines Auswechselns der Gründe durch wesentlich neuen Vortrag (Meyer/Borgs, VwVfG, 2. Aufl, § 45 RdNrn 17, 29 f; Kopp, VwVfG, 4. Aufl, § 45 RdNr 19), ist hinsichtlich der in der Begründung mitzuteilenden Ermessenserwägungen zuzustimmen, weil bei Ermessensentscheidungen die gerichtliche Überprüfung auf die im Verwaltungsverfahren mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt ist (BSG SozR 1300 § 35 Nr 4). Eine weitergehende Bindung des Gerichts an die von der Verwaltung gegebene Begründung ist dem § 35 SGB X nicht zu entnehmen.

Der Senat verkennt nicht, daß sich damit das Fehlen einer Begründung nach Ablauf der in § 41 SGB X gesetzten Zeitgrenze nur auf die Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen einen in die Rechte des Klägers eingreifenden Verwaltungsakt auswirkt. Soweit der Kläger, wie hier, mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage einen Ablehnungsbescheid bekämpft, kann sich das Fehlen der Begründung auf die Entscheidung des Gerichts nicht auswirken, das den Leistungsanspruch unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen hat (BSGE 59, 27, 28 = SozR 2200 § 1259 Nr 92).

Zu der Frage, inwieweit die Behörde an eine im Bescheid gegebene Begründung zugunsten des Klägers gebunden ist, sei es, daß diese der Sache nach weitere Verfügungssätze enthält, die die Behörde binden, sei es aufgrund der Rechtspr zum Auswechseln der Begründung, können den §§ 41 und 42 SGB X keine für alle Rechtsgebiete einheitlichen Grundsätze entnommen werden. Dies ist vielmehr unter Berücksichtigung der Eigenart des jeweils betroffenen materiellen Rechtsgebiets zu beantworten. Das gilt insbesondere für die Frage, ob in der Festsetzung einer zu niedrigen Leistung auch hinsichtlich des streitigen Erhöhungsbetrages die verbindliche Feststellung liegt, daß der Anspruch dem Grunde nach besteht.

Stellt der Unfallversicherungsträger die Erhöhung der Unfallrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 587 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF zu niedrig fest, so ist der Erhöhungsbetrag dem Grunde nach damit anerkannt und vom Gericht im Höhenstreit nicht zu überprüfen (BSG SozR 2200 § 587 Nr 7). Der Grundsatz, daß ein Leistungsbewilligungsbescheid die Behörde nur hinsichtlich der bewilligten Leistung bindet, ist im Recht der Unfallversicherung und im Recht der Rentenversicherung in vielerlei Hinsicht durchbrochen. Der Rentenbescheid stellt nicht nur den Rentenzahlbetrag verbindlich fest, sondern zB auch die Rentenart oder in der Unfallversicherung den Grad der MdE. Das Rentenrecht kennt darüber hinaus die Anerkennung von Versicherungszeiten durch Verwaltungsakt als Vorabentscheidung über Elemente des späteren Rentenanspruchs. Auf dieser Grundlage wurde entschieden, auch wenn die Anrechnung von Versicherungszeiten im Rentenbescheid nicht selbständig in Bindung erwachse, verstoße der Versicherungsträger gegen das Verbot des Nachschiebens von Gründen, wenn er die zusätzlich geltend gemachte Versicherungszeit anstelle einer bisher berücksichtigten Versicherungszeit anrechne (BSGE 38, 157, 158 = SozR 2200 § 1631 Nr 1). Gleichwohl bindet der Bescheid über die Ablehnung einer Rente wegen EU, da die Wartezeit nicht erfüllt sei und Erwerbsunfähigkeit (EU) nicht vorliege, den Versicherungsträger nicht dahin, bei einem späteren Rentenantrag vorher entrichtete Beiträge als vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (EU) entrichtet anzusehen (BSG Urteil vom 6. September 1989 - SozR 1500 § 77 Nr 70). Zweifelhaft ist, inwieweit der Versicherungsträger sich durch die Zubilligung einer Zeitrente an die Beurteilung bindet, daß ohne Änderung der Verhältnisse weiterhin Erwerbsunfähigkeit (EU) oder Berufsunfähigkeit (BU) vorliegt (hierzu SozR 2200 § 1276 Nr 11).

Demgegenüber hat die Rechtspr zum Arbeitsförderungsrecht weit strenger an dem Grundsatz festgehalten, daß sich die Bindungswirkung des Bescheides auf die bewilligte Leistung beschränkt und die Verpflichtung des Gerichts, den streitigen Anspruch unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, weder durch die Bindungswirkung einzelner Sätze der Begründung noch durch ein Verbot des Auswechselns der Gründe eingeschränkt wird. Sie hat es insbesondere zugelassen, daß die Klage gegen die Ablehnung von Alg oder Alhi wegen Erlöschens des Anspruchs nach einer zweiten Sperrzeit abgewiesen wurde, weil unabhängig vom Erlöschen des Anspruchs wegen fehlender subjektiver Verfügbarkeit kein Anspruch bestehe (BSG SozR 4100 § 119 Nr 12). Sie hat ferner die Abweisung einer Klage auf höheres Alg ohne Anrechnung des Einkommens aus einer kurzzeitigen Beschäftigung mit der Begründung bestätigt, daß die Beschäftigung die Kurzzeitigkeitsgrenze übersteige und den Leistungsanspruch insgesamt ausschließe (SozR 4100 § 115 Nr 1). Gleiches gilt für die Abweisung einer Klage gegen eine Alg-Rückforderung, weil der Bescheid zwar nicht auf die zunächst angeführte verfassungswidrige Regelung, wohl aber auf die danach erlassene verfassungsgemäße Neuregelung gestützt werden könne (SozR 1700 § 31 Nr 1) und für die Abweisung einer Klage auf Alg, obgleich der von der Beklagten geltend gemachte Ruhensgrund (§ 118 AFG) nicht zutraf, aber wegen fehlender Verfügbarkeit oder Anrechnung von Einkommen nach § 117 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) oder wegen einer Sperrzeit (§ 119 AFG) kein Leistungsanspruch bestand (SozR 4100 § 118 Nr 13 insoweit nur verkürzt abgedruckt). Daher ist bei der Klage auf höheres Alg wegen Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgelts hinsichtlich des Unterschiedsbetrages zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines Alg-Anspruchs dem Grunde nach vorliegen, insbesondere ob die Anwartschaftszeit des § 104 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erfüllt ist.

Sollte das Landessozialgericht (LSG) bei der damit erforderlichen Prüfung zu dem Ergebnis kommen, daß ein Beschäftigungsverhältnis vorlag, so ist es unter den gegebenen Verhältnissen nicht zulässig, das bezogene Entgelt in eine Arbeitnehmervergütung und eine nicht beitragspflichtige Vergütung der Unternehmertätigkeit aufzuteilen. Insoweit bedarf es nicht der Entscheidung, ob bei der Beschäftigung eines Gesellschafters zwischen einer beitragspflichtigen Beschäftigungsvergütung und einer nicht beitragspflichtigen Vergütung für Gesellschaftertätigkeiten unterschieden werden kann. Denn der Kläger war nicht Gesellschafter und erst recht nicht Unternehmer. Er hat seine Gesamttätigkeit entweder - eingeordnet in eine fremdbestimmte Ordnung - in einem Beschäftigungsverhältnis verrichtet, oder - aufgrund eines unabhängigen Dienstvertrages - als freier Mitarbeiter.

 

Fundstellen

BSGE, 168

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