Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Leistungsbewilligung bei Mitverschulden des Leistungsträgers. atypischer Fall. Ermessensausübung. Begründungszwang bei teilbarem Streitgegenstand

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Mitverschulden des Leistungsträgers an einer Leistungsüberzahlung kann in allen Fällen des § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 derart von (atypischer) Bedeutung sein, daß die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung die Ausübung von Ermessen erfordert (Anschluß an BSG vom 11.1.1989 10 RKg 12/87 = SozR 1300 § 48 Nr 53).

2. Die rückwirkende Aufhebung von Arbeitslosenhilfe gemäß § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10 bedarf der Ausübung von Ermessen, wenn der Umfang der Leistungsüberzahlung auch darauf beruht, daß der zuständige Arbeitsvermittler die Leistungsabteilung des Arbeitsamtes nicht über die ihm vom Arbeitslosen mitgeteilte Aufnahme einer Nebentätigkeit unterrichtet hat.

 

Orientierungssatz

Der gesetzliche Begründungszwang des § 164 Abs 2 SGG erfordert, daß bei einem teilbaren Streitgegenstand sich die Begründung auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstreckt, hinsichtlich derer eine Abänderung der Entscheidung begehrt wird.

 

Normenkette

SGG § 164 Abs 2; SGB 10 § 48 Abs 1 S 1; SGB 10 § 48 Abs 1 S 2 Nr 3; AFG § 134 Abs 4 S 1, § 115 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.09.1988; Aktenzeichen L 3 Ar 93/88)

SG Konstanz (Entscheidung vom 21.08.1987; Aktenzeichen S 7 Ar 181/87)

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 9. September 1985 bis 30. Juni 1986 und die Rückforderung von 743,61 DM.

Die Klägerin bezog von der Beklagten gemäß Bescheid vom 12. Juni 1984 Alhi ab 21. Mai 1984. Ende des Bewilligungsabschnitts war der 30. Juni 1985. Die Klägerin übte zunächst vom 19. Oktober 1984 bis längstens 24. Juli 1985 eine Beschäftigung als nebenberufliche Lehrkraft aus (4 Wochenstunden, monatlich 249,20 DM; ab 1. Januar 1985 monatlich 257,60 DM). Dies teilte sie der Beklagten erst im Juli 1985 mit. Mit Bescheiden vom 18. Juli 1985 gewährte die Beklagte ihr daraufhin ab 1. Juli 1985 die Alhi bis 30. Juni 1986 weiter, und zwar für die Zeit vom 1. bis 24. Juli 1985 unter Anrechnung des Einkommens aus ihrer Beschäftigung. Für die Zeit vom 19. Oktober 1984 bis 29. Juni 1985 hob die Beklagte die Bewilligungsentscheidung teilweise auf und forderte 797,50 DM zurück. Den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14. August 1985 hat die Klägerin nicht angefochten.

Ab 9. September 1985 übte die Klägerin ihre Beschäftigung im bisherigen Umfang und zu der bisherigen Entlohnung weiter aus. Das teilte sie dem Arbeitsamt Konstanz - Nebenstelle Radolfzell - jedenfalls bei der Anhörung anläßlich der Weiterbewilligung der Alhi für die Zeit ab 1. Juli 1986 mit dem am 10. Juni 1986 eingegangenen Fragebogen mit. Die Bescheinigung des früheren Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigung und die gezahlte Vergütung datiert vom 11. Juli 1986. Ob und wann die Klägerin die Weiterbeschäftigung einem Bediensteten der Vermittlungsabteilung - dem Zeugen H.       - schon früher mitgeteilt hat, ist nach Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) zwischen den Beteiligten streitig.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 1986 (Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 1987) hob die Beklagte nach vorheriger Anhörung der Klägerin die Bewilligung von Alhi wegen nachträglicher Anrechnung von Nebeneinkommen für die Zeit vom 9.9.1985 bis 30. Juni 1986 (Ende des Bewilligungsabschnitts) gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) teilweise auf und machte die Erstattung von 743,61 DM geltend. Dabei ging die Beklagte davon aus, daß es sich um einen normalen Erstattungsfall handele, Ermessen also nicht auszuüben sei. Die Erstattungsforderung verrechnete die Beklagte durch weiteren Bescheid vom 22. Dezember 1986 mit einer Nachzahlungsforderung der Klägerin und begründete im Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 1987 ihre Ermessensausübung zur Aufrechnung gemäß § 154 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Mit ihrer Klage hat die Klägerin ua geltend gemacht, daß sie den zuständigen Arbeitsvermittler H.       bei der Außenstelle Radolfzell des Arbeitsamtes Konstanz schon im Juli 1985 und auch später wiederholt auf die Tatsache ihrer Nebenbeschäftigung hingewiesen habe. Das Sozialgericht (SG), dem eine dienstliche Äußerung des Herrn H.       vorlag, hat mit Urteil vom 21. August 1987 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das LSG, das den Arbeitsvermittler H.       als Zeugen gehört hat, hat sein Urteil vom 21. September 1988 wie folgt begründet:

Es habe nicht festgestellt werden können, daß die Klägerin ihre Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt habe. Die Voraussetzungen der Nr 2 des § 48 Abs 1 SGB X seien daher nicht erfüllt. Die Beklagte habe jedoch gemäß § 48 Abs 1 SGB X den Bewilligungsbescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Abs 1 Nr 3 SGB X aufheben können. Die Klägerin habe nach Erlaß der Bewilligungsentscheidung vom 18. Juli 1985 Einkommen erzielt, das teilweise zum Wegfall des Leistungsanspruchs geführt habe. Die Beklagte habe die Bewilligungsentscheidung auch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X aufgehoben. Nach dieser Vorschrift müsse die Behörde die Rücknahme eines Verwaltungsaktes innerhalb eines Jahres aussprechen seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bzw die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse rechtfertigten. Die Kenntnis der Behörde müsse sowohl hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als auch hinsichtlich der groben Fahrlässigkeit des Betroffenen vorliegen. Nur bei Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen sei eine Aufhebung oder Rücknahme eines Verwaltungsakts möglich. Erforderlich sei jedoch nicht, daß die Behörde schon die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und/oder die grobe Fahrlässigkeit des Betroffenen kenne. Es komme vielmehr nur auf die Kenntnis der sie bedingenden Tatsachen an. Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme eines Verwaltungsakts rechtfertigten, habe die Behörde dann erlangt, wenn ihr sämtliche Tatsachen bekannt geworden seien, die für die Rücknahme eines Verwaltungsakts erforderlich seien, ohne daß die Behörde noch weitere Ermittlungen anstellen müsse. Ob die Kenntnis der Behörde genüge oder ob die Kenntnis gerade des zuständigen Sachbearbeiters erforderlich sei, sei umstritten. Diese Frage könne hier jedoch offen bleiben, weil die Beklagte die vollständige Kenntnis der für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung erforderlichen Tatsachen erst mit dem Zugang der Verdienstbescheinigung des Landesamtes für Besoldung und Versorgung am 22. Juli 1986 erlangt habe. Erst ab diesem Zeitpunkt sei sie nämlich in der Lage gewesen, zu entscheiden, ob und inwieweit eine Anrechnung nach § 115 AFG vorzunehmen sei. Diese Kenntnis sei aufgrund der Mitteilung der Klägerin an den Zeugen H.       noch nicht eingetreten. Diesem seien, wie er glaubhaft angegeben habe, nur die Tatsachen der Weiterbeschäftigung bekannt geworden, nicht aber auch die Höhe der Vergütung. Diese Angabe sei jedoch erforderlich gewesen, um die Höhe des Anrechnungsbetrages nach § 115 AFG zu bestimmen. Zwar möge die Klägerin im Gespräch mit dem Zeugen auch die Höhe der Vergütung angegeben haben. Dies habe den Zeugen von seinem Aufgabengebiet her jedoch nicht interessiert, so daß er einen entsprechenden Hinweis nicht zur Kenntnis genommen habe. Jedenfalls habe die Beklagte erst mit der schriftlichen Bestätigung der Vergütung durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung eine hinreichend gesicherte Entscheidungsgrundlage für die Durchführung der Anrechnung gehabt. Erst von diesem Zeitpunkt an (22. Juli 1986) habe die Beklagte über die Anrechnung befinden können, so daß der Rücknahmebescheid vom 22. Dezember 1986 noch fristgemäß ergangen sei. Für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung für die Vergangenheit hätten die Voraussetzungen des § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X nicht vorliegen müssen.

Die Aufrechnung der Erstattungsforderung mit einer Nachzahlungsforderung der Klägerin sei nicht rechtswidrig. Die Beklagte habe im Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 1987 eine zureichende Begründung für ihre Ermessensausübung gemäß § 154 AFG gegeben, die von der Klägerin im Berufungsverfahren auch nicht angegriffen worden sei. Wenn hiernach die Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 9. September 1985 vorgelegen hätten, so sei die Beklagte auch verpflichtet gewesen, die Aufhebung vorzunehmen. Sie habe zu Recht das Vorliegen eines atypischen Falles verneint. Es liege eine typische Leistungsüberzahlung vor. Umstände, die den Fall als atypisch erscheinen lassen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere sei kein grober Verwaltungsfehler festzustellen. Daß die Klägerin dem Zeugen H. gegenüber schon frühzeitig ihre Weiterbeschäftigung angezeigt habe und daß dieser es dabei habe bewenden lassen, der Klägerin eine Nebenverdienstbescheinigung zur Ausfüllung durch das Landesamt auszuhändigen, ohne der Leistungsabteilung des Arbeitsamts sofort Mitteilung hiervon zu machen, begründe keinen atypischen Fall. Dem Zeugen, dessen Verhalten sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, könne allenfalls ein leichtes Verschulden vorgeworfen werden. Er habe darauf vertrauen dürfen, daß die Klägerin das ihr von ihm übergebene Formular ausfüllen und der Leistungsabteilung des Amtes alsbald zugehen lassen würde. Daß der Zeuge der Klägerin entsprechende Formulare spätestens im Dezember 1985 ausgehändigt habe, stehe aufgrund seiner glaubhaften Angabe entgegen der gegenteiligen Bekundung der Klägerin fest. Die Aussage des Zeugen werde durch einen entsprechenden Eintrag in der BAnk vom Dezember 1985 gestützt. Auch im Hinblick auf die geringe Höhe des Erstattungsanspruchs, dessen Durchsetzung für die Klägerin keine unbillige Härte bedeute, sei ein Ausnahmefall zu verneinen. Die Beklagte habe deshalb kein Ermessen anzuwenden gehabt. Der Rückforderungsanspruch sei nach § 50 Abs 1 SGB X begründet. Seine Höhe werde von der Klägerin nicht mehr angegriffen, sie sei von der Beklagten auch richtig festgestellt worden.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 48 Abs 4 Satz 2 SGB X iVm § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X und § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X sowie § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X und § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 154 AFG.

Das LSG gehe zu Unrecht davon aus, daß für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung für die Vergangenheit die Voraussetzungen des § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X und damit die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X nicht vorliegen müßten. Schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X werde auf den gesamten Abs 4 des § 45 SGB X verwiesen. Wenn der Gesetzgeber in § 48 Abs 4 Satz 1 nur auf § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X hätte verweisen wollen, so hätte er dies klar zum Ausdruck gebracht. Die Annahme eines redaktionellen Versehens mit der Wirkung, daß die Voraussetzungen des § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X im Falle des § 48 Abs 4 SGB X nicht gelten sollten, scheide dann aus rechtsstaatlichen Gründen schon deswegen aus, weil es sich bei § 48 SGB X um die Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung handele. Eine derartige Ermächtigungsgrundlage müsse jedoch klar und eindeutig formuliert sein. Ein Versehen des Gesetzgebers müsse insoweit zu dessen Lasten gehen. Ein Redaktionsversehen scheide auch deshalb aus, weil § 48 SGB X schon einmal geändert worden sei. Wenn es sich insoweit, wie vom LSG angenommen, um ein Redaktionsversehen handeln würde, wäre dies bei der Änderung des § 48 SGB X bereinigt worden.

Zu Unrecht gehe das LSG in dem angegriffenen Urteil davon aus, daß eine Behörde nur dann Kenntnis von einer Tatsache iS des § 48 Abs 4 Satz 1 iVm § 45 Abs 4 SGB X habe, wenn die Behörde bzw deren Bediensteter einen Kenntnisnahmewillen bzw ein besonderes Interesse an der Kenntnisnahme habe. Der Zeuge H.       sei der für die Klägerin zuständige Beamte gewesen.

Entgegen der Auffassung des LSG hätte die Beklagte beim Erlaß des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides ihr Ermessen ausüben müssen, weil es sich um einen atypischen Fall handele. Wenn der Zeuge als für die Klägerin zuständiger Ansprechpartner der Beklagten bereits im August, jedoch spätestens im September 1985 Kenntnis von der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin gehabt habe und es im übrigen auch nicht ausschließen könne, daß ihm die Klägerin auch die Tatsache mitgeteilt habe, daß sie zu gleichen Bezügen weitergearbeitet habe, handele es sich insoweit um einen groben Verwaltungsfehler der Beklagten, wenn diese die Klägerin nicht unverzüglich - falls dies die Beklagte noch für erforderlich halte - zu weiteren Angaben auffordere.

Im übrigen könne auch nicht absolut auf die geringe Höhe des Erstattungsanspruchs abgestellt werden. Vielmehr sei die Höhe des Erstattungsanspruchs an den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin zu messen. Im Hinblick darauf, daß die Klägerin auch noch zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides am Rande des Existenzminimums gelebt habe, bedeute jedenfalls für die Klägerin die Durchsetzung auch des geringen Erstattungsanspruchs eine unbillige Härte. Aus diesen Gründen hätte dann die Beklagte ihr Ermessen ausüben müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide der Beklagten vom 22. Dezember 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die nachzuzahlende Arbeitslosenhilfe mit 4 % zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, soweit die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Verzinsung der nachzuzahlenden Alhi mit 4 % begehrt. Nach § 164 Abs 2 SGG ist die Revision innerhalb der Revisionsbegründungsfrist, die hier bis zum 20. Januar 1989 verlängert worden ist, zu begründen. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Hierzu ist erforderlich, daß der Revisionskläger darlegt, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG SozR 1500 § 164 Nr 22). Bei einer Mehrheit von mit dem Rechtsmittel verfolgten Ansprüchen ist für jeden von ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Begründung erforderlich. Unter einer Mehrheit von Ansprüchen sind dabei nicht notwendig nur Ansprüche im prozessualen Sinn gemäß § 123 SGG zu verstehen (BSG aaO). Der gesetzliche Begründungszwang erfordert vielmehr, daß bei einem teilbaren Streitgegenstand sich die Begründung auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstreckt, hinsichtlich derer eine Abänderung der Entscheidung begehrt wird. Hier ist der geltend gemachte Zinsanspruch ohne weiteres von dem Anspruch auf Weitergewährung der Alhi in dem bisherigen Umfang abgrenzbar. Aus welchen Gründen insoweit die angefochtene Entscheidung angegriffen wird, hat die Klägerin nicht dargelegt. Insoweit hat sie ihrer gesetzlichen Begründungspflicht nicht genügt. Schon deshalb ist die Revision in diesem Umfang gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Im übrigen ist die Revision der Klägerin zulässig und im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 22. Dezember 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 1987. Die Klägerin begehrt deren Aufhebung. Infolgedessen wird von ihrem rechtlichen Inhalt der Umfang des Anspruchs bestimmt, über den das Gericht zu entscheiden hat (§ 123 SGG). Die Beklagte hatte der Klägerin durch Bescheid vom 18. Juli 1985 Alhi für die Zeit ab 1. Juli 1985 bewilligt. In den Bestand dieses Verwaltungsakts greifen die angefochtenen Aufhebungsbescheide ein, indem sie die Bewilligung für die Zeit vom 9. September 1985 bis 30. Juni 1986 teilweise aufheben.

Zur Wahrnehmung ihres Anspruchs hat sich die Klägerin zulässig auf die reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG beschränkt. Die begehrte Aufhebung der angefochtenen Bescheide hätte ohne weiteres zur Folge, daß der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 18. Juli 1985 in seinem bisherigen Umfang wiederhergestellt wird und die Beklagte dann bei seiner Weitergeltung zur Zahlung der bewilligten Alhi für die Zeit vom 9. September 1985 bis 30. Juni 1986 in der bisherigen Höhe verpflichtet ist. Für eine Leistungsklage bestand folglich kein Raum (BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19).

Die Anfechtungsklage ist iS der Zurückverweisung begründet. Das LSG durfte die angefochtenen Bescheide auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht bereits für rechtmäßig erachten. Als Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung hat sich das LSG im vorliegenden Fall auf § 48 Abs 1 Satz 1 sowie Satz 2 Nr 3 SGB X berufen. Danach soll, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzungen liegen hier objektiv vor, wie das LSG zutreffend erkannt hat. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, wie sie bei Erlaß des Alhi-Bewilligungsbescheides vom 18. Juli 1985 vorlagen, ist ab 9. September 1985 insofern eingetreten, als die Klägerin von da ab Einkommen erzielt hat, das zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.

Wie die Beklagte zutreffend entschieden hat, minderte sich gemäß § 134 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 115 Abs 1 Satz 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung die wöchentlich zustehende Alhi für jede Kalenderwoche, in der die Beschäftigung ausgeübt wurde, um die Hälfte des um die Steuern, die Sozialversicherungsbeiträge und die Werbungskosten verminderten Arbeitsentgelts, soweit dieses Entgelt wöchentlich 15,-- DM überstieg. Nach § 115 Abs 1 Satz 1 AFG in der ab 1. Januar 1986 geltenden Fassung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (7. AFG-ÄndG) vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) ist das Nettoarbeitsentgelt zur Hälfte auf die Alhi anzurechnen, soweit es 30,-- DM wöchentlich übersteigt. Für den Zeitraum vom 9. September 1985 bis 31. Dezember 1985 (98 Werktage) ergab sich daher ein Anrechnungsbetrag von 363,09 DM und in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis 30. Juni 1986 ein Anrechnungsbetrag von 380,52 DM. Ein Fall der weitergehenden Anrechnung des Nebeneinkommens nach Maßgabe von § 115 Abs 1 Satz 2 AFG scheidet wegen dessen geringer Höhe ersichtlich aus und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

Die Beklagte hat die Bewilligungsentscheidung innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs 4 SGB X iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X aufgehoben. Entgegen der Auffassung der Klägerin bedeutet die Verweisung in § 48 Abs 4 SGB X auf § 45 Abs 4 SGB X nicht, daß der Verwaltungsakt nur in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf. Wie das BSG bereits entschieden hat (BSG SozR 5870 § 2 Nr 30) handelt es sich bei der Verweisung in § 48 Abs 4 SGB X auf den gesamten Abs 4 des § 45 SGB X um ein Redaktionsversehen. Der Gesetzgeber hat lediglich auf Satz 2 nicht aber auf Satz 1 des § 45 Abs 4 SGB X verweisen wollen. Die in § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X in Bezug genommenen Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X hat der Gesetzgeber nicht in die Regelung des § 48 SGB X übernehmen, sondern in seinem Abs 1 Satz 2 eine abschließende und selbständige Regelung darüber treffen wollen, welche Umstände die Aufhebung des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit rechtfertigen können. Lediglich die in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X genannte Frist für die rückwirkende Aufhebung soll auch für die Fälle des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X gelten. Die von der Klägerin gegen diese Auffassung vorgebrachten Bedenken überzeugen nicht.

Nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X läuft die Jahresfrist seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Hierzu gehört zunächst die Kenntnis der Tatsachen, die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ergeben. Nach dem Wortlaut des Gesetzes genügt die Kenntnis dieser Tatsachen für den Fristbeginn jedoch nicht. Das Gesetz stellt nämlich auf die Kenntnis der Tatsachen ab, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen. Folglich müssen der Behörde auch die Tatsachen bekannt sein, die § 45 Abs 2 Satz 3 oder Abs 3 Satz 2 SGB X voraussetzt. Denn nur in diesen Fällen ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit zugelassen (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X). Die Frist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X wird daher nicht schon durch die bloße Kenntnis der Tatsachen ausgelöst, die die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts begründen, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 48 Abs 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz -VwVfG- (vgl BVerwGE 70, 356) bereits entschieden hat (BSGE 60, 239, 240 f = SozR 1300 § 45 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 45 mwN). Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen (Urteile vom 15. Februar 1990 - 7 RAr 28/88 - und 21. März 1990 - 7 RAr 112/88 - beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Das LSG hat daher zutreffend darauf abgestellt, daß die Beklagte die vollständige Kenntnis der für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung erforderlichen Tatsachen erst mit dem Zugang der Verdienstbescheinigung des Landesamtes für Besoldung und Versorgung am 22. Juli 1986 erlangt hat. Erst ab diesem Zeitpunkt ist sie in der Lage gewesen zu entscheiden, ob und inwieweit eine Anrechnung nach § 115 AFG vorzunehmen ist. Erst von diesem Zeitpunkt an begann daher die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X zu laufen. Der Rücknahmebescheid vom 22. Dezember 1986 war hiernach fristgemäß ergangen. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 9. September 1985 lagen also an sich vor.

Entgegen der Auffassung des LSG steht damit jedoch noch nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes fest. Dies wäre nur der Fall, wenn die Beklagte die Aufhebung der Leistungsbewilligung ohne jegliche Ausübung von Ermessen vornehmen durfte. War dem nicht so und fehlte es - wie hier - an der erforderlichen Ermessensausübung, ist der Verwaltungsakt allein aus diesem Grund rechtswidrig (§ 39 SGB - Allgemeiner Teil - SGB I -; § 54 Abs 2 Satz 2 SGG). So kann es hier sein. § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X erlaubt die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit unter bestimmten Voraussetzungen: er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn einer der Tatbestände vorliegt, die in § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 bis 4 SGB X beschrieben sind. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 59, 111, 115 = SozR 1300 § 48 Nr 19; SozR 1300 § 48 Nrn 21, 22, 24, 26, 30, 44; BSGE 60, 180, 185 = SozR 1300 § 48 Nr 25; SozR 1300 Art 2 § 40 Nr 8) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Buchholz 436.36 § 53 BAföG Nr 5) bedeutet "soll", daß der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufhebt, daß er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Hierzu ist inzwischen klargestellt, daß die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären ist, sondern vielmehr als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden ist.

Ein solcher atypischer Fall kann hier gegeben sein, wofür es allerdings weiterer Feststellungen bedarf. Für die Frage, ob eine zur Ermessensausübung bei Anwendung des § 48 SGB X zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an (BSG aaO). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsaktes ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist auch das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falles iS einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestandes nach § 48 Abs 1 SGB X ergeben (vgl BSG SozR 1300 § 48 Nrn 24, 25; Urteil vom 21. Juli 1988 - 7 RAr 21/86 - AuB 1989, 161, 163; Urteil vom 29. November 1989 - 7 RAr 138/88 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Soweit sich der streitige Aufhebungsbescheid allein mit einem Tatbestand nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X rechtfertigen ließe - wovon offenbar das LSG ausgegangen ist - liegt allerdings ein atypischer Geschehensablauf vor, der die Ausübung von Ermessen gefordert hätte.

Dem steht nicht entgegen, daß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X für die rückwirkende Aufhebbarkeit eines Verwaltungsaktes lediglich den Eintritt bestimmter objektiver Bedingungen verlangt und die Frage eines Verschuldens des Betroffenen im Gegensatz zu den Nrn 2 und 4 des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X hier keine Rolle spielt. Zwar kann, wie das BSG entschieden hat (SozR 1300 § 48 Nrn 30 und 53) die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht losgelöst davon beurteilt werden, welcher der in den Nrn 2 bis 4 angeführten Tatbestände des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X erfüllt ist. Jedoch bedeutet dies nicht, daß subjektive Zusammenhänge bei der Beurteilung, ob ein atypischer Fall vorliegt, in den Fällen der Nr 3 des § 48 Abs 1 Satz 2 gänzlich außer acht zu bleiben haben (BSG SozR 1300 § 48 Nr 53). Ein Mitverschulden des Leistungsträgers an der Überzahlung kann in allen Fällen des § 48 Abs 2 Satz 1 SGB X von Bedeutung sein (vgl BSG SozR 1300 § 48 Nr 24). Dies gilt auch für den Umfang einer Leistungsüberzahlung. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß der Leistungsträger für die Aufhebung der Bewilligung ein Jahr zur Verfügung hat. Das bedeutet nämlich nicht, daß die Verwaltung unbesorgt weitere Überzahlungen entstehen lassen darf, obwohl sie Kenntnis von Umständen besitzt, die die Rechtmäßigkeit ihrer Leistungen berühren. Wenn keine Vorkehrungen getroffen werden, die solche den Schaden vergrößernde Vorgänge verhindern, ist dies ein grober Verwaltungsfehler (BSG SozR 1300 § 48 Nr 25) und damit eine atypische Sachlage, die die Beklagte verpflichtet, eine Ermessensentscheidung dahin zu treffen, ob und gegebenenfalls inwieweit sie von ihrem Aufhebungsrecht nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Gebrauch machen will. Eine solche Sachlage ist hier gegeben.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Zeuge H.  der Klägerin spätestens im Dezember 1985 Formulare hinsichtlich der Berücksichtigung von Nebeneinkommen ausgehändigt, nachdem ihm die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung angezeigt hat. Diese Formulare hat die Klägerin offensichtlich nicht vor dem 10. Juni 1986 ausgefüllt zurückgegeben. Daß dies erst so spät geschehen und dadurch die nicht unerhebliche Überzahlung von 743,61 DM eingetreten ist, ist auch darauf zurückzuführen, daß der Zeuge der Auffassung war, er habe mit der Aushändigung der Formulare das Seinige getan und brauchte sich nicht um die Höhe der Vergütung zu kümmern und die Leistungsabteilung nicht über die Erzielung von Nebeneinkommen zu unterrichten. Ein solches Verhalten ist - anders als das LSG meint - bereits für sich gesehen in die Kategorie eines Verwaltungsfehlverhaltens grober Art einzuordnen. Aus den Feststellungen des LSG folgt, daß der Zeuge H.       der für die Betreuung der Klägerin zuständige Arbeitsvermittler war. Auch wenn er dabei funktionell in erster Linie Aufgaben der Vermittlung wahrzunehmen hatte, oblagen ihm zugleich bestimmte versicherungsrechtlich relevante Aufgaben. Dies entspricht den innerorganisatorischen Regelungen der Beklagten über das Zusammenwirken zwischen der Vermittlungs- und der Leistungsabteilung auch in leistungsrechtlichen Fragen und erklärt sich unschwer aus der Tatsache, daß es gerade der Arbeitsvermittler ist, der den persönlichen Kontakt zu dem Arbeitslosen besitzt (vgl das für die Bediensteten der Beklagten im Bereich der Arbeitsvermittlung maßgebliche Handbuch der Arbeitsvermittlung, Arbeitsberatung und beruflichen Förderung, wo in der Arbeitshilfe "Zusammenarbeit mit der Leistungsabteilung" - 210.50 - ein umfangreicher Katalog von Aufgaben leistungsrechtlicher Art beschrieben wird, an denen die Arbeitsvermittlung mitzuwirken hat. Es heißt dort einleitend unter Nr 1: "Die Abteilung Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung wirkt bei der Prüfung wesentlicher Voraussetzungen mit. Dabei handelt es sich einerseits um Arbeiten im Zusammenhang mit der Arbeitslosmeldung und Antragstellung und um die Ausgabe der Antragsvordrucke, andererseits um Aufgaben, die während des Leistungsbezuges zu erledigen sind").

Angesichts dessen durfte der Zeuge H.       sich nicht damit begnügen, die Nebenverdienst-Vordrucke an die Klägerin auszuhändigen und hinsichtlich der mitgeteilten Nebenbeschäftigung lediglich zu registrieren, daß diese kurzzeitig sei und damit seine Vermittlungsaufgaben nicht beendete, wie er vor dem LSG ausgesagt hat. Vielmehr hätte es sachgerechter Mitwirkung am erforderlichen Verwaltungshandeln entsprochen, daß er seine Kenntnis von der Nebenbeschäftigung der Leistungsabteilung mitteilte, die dann als die zuständige Stelle in die Lage versetzt gewesen wäre, rechtzeitig diejenigen Maßnahmen einzuleiten, die zumindest eine ständig anwachsende Leistungsüberzahlung verhindert hätten (zB gem § 66 SGB I). Ob der Zeuge H.       hierzu schon nach innerdienstlichen Weisungen für Arbeitsvermittler verpflichtet war - etwa nach der oa Arbeitshilfe - kann dahinstehen. Fehlte es hieran, so mag ihn das zwar intern entlasten, bedeutete aber zugleich einen Organisationsmangel, den die Beklagte zu vertreten hätte. Daß sie sich im übrigen das Verhalten des Zeugen H.       zurechnen lassen muß, hat das LSG zutreffend ausgeführt.

Die dargelegte Anforderung an sachgerechtes Handeln des zuständigen Arbeitsvermittlers in Fällen der vorliegenden Art stellt keine Überspannung dar. Sie ist sowohl vom Interesse als auch von der Pflicht der Beklagten zur Rechtmäßigkeit ihres Verwaltungshandelns geboten. Das zeigt schon die Überlegung, daß es andernfalls nur darauf ankäme, ob der Leistungsempfänger seiner Pflicht zur Vorlage der ausgefüllten Nebenverdienst-Bescheinigung überhaupt nachkommt, um rechtswidrige Leistungen letztlich vermeiden oder rückabwickeln zu können, obwohl die Beklagte von der Tatsache, daß Nebenverdienst erzielt wird, schon weiß. Der Senat geht nicht davon aus, daß ein Inkaufnehmen dessen für die Arbeitsweise der Beklagten typisch ist, mithin auch nicht ein Verhalten ihrer Bediensteten, das hierzu beiträgt. Folglich ist von einem atypischen Fall der Leistungsüberzahlung auszugehen - jedenfalls was deren Umfang anbelangt -, so daß die Beklagte verpflichtet war, eine Ermessensentscheidung dahin zu treffen, ob und gegebenenfalls inwieweit sie von ihrem Aufhebungsrecht Gebrauch machen wollte, wenn allein der Tatbestand der Nr 3 des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X erfüllt wäre.

Indes kann, wie bereits aufgezeigt wurde, die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Hierbei ist zu beachten, welche Tatbestände des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X erfüllt sind. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine andere Beurteilung erfolgen kann, wenn sich herausstellen sollte, daß im Falle der Klägerin auch der Tatbestand der Nr 4 des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X erfüllt ist, nämlich, daß die Klägerin wußte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß ihr die Leistung in der gewährten Höhe nicht zustand. Hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Es wird dies nachzuholen haben. Erst wenn das LSG unter Betrachtung der Gesamtumstände des Falles zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beklagten auch nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X ein Aufhebungsrecht zustand, ist zu prüfen, ob auch dessen Wahrnehmung die Ausübung von Ermessen erfordert hätte. Daß dies selbst dann in Betracht kommen kann, wenn der Leistungsempfänger wußte oder grob fahrlässig nicht wußte, daß ihm Leistungen überhaupt nicht mehr zustehen, hat der Senat schon entschieden (BSG SozR 1300 § 48 Nr 25). Maßgebend für die Ausübung von Ermessen ist nämlich auch hier, ob und in welchem Umfang eine rechtswidrige Fortzahlung von Leistungen (mit) in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten, bei der sie Ermessen nicht ausgeübt hat, rechtfertigt sich mithin nur, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X erfüllt sind und die Ausübung von Ermessen nicht erforderlich war.

Da das Revisionsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht vornehmen kann, ist die Sache nach allem in dem ausgesprochenen Umfang an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650359

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