Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für das am 23. Juni 1967 geborene Stiefkind H B für die Zeit von August 1984 bis Juli 1985 Kindergeld zusteht.

Der Kläger erhielt das Kindergeld für Heike über deren 16. Lebensjahr hinaus. Nach dem Ende des Schulbesuchs begann Heike am 1. August 1983 eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Die tarifliche Vergütung betrug zunächst 572,-- DM und ab 1. August 1984 824,-- DM monatlich. Aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit Heike zahlte die Arbeitgeberin von August 1984 bis Juli 1985 jedoch lediglich eine Ausbildungsvergütung in Höhe von monatlich 749,-- DM. Heike hatte ausdrücklich auf den weiteren Spitzenbetrag des Entgelts verzichtet.

Mit Bescheid vom 21. Mai 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1984 hob die zuständige Kindergeldkasse ihre Bewilligung des Kindergeldes mit Ablauf des Monats Juli 1984 auf, weil der Stieftochter Heike des Klägers ab August 1984 aus dem Ausbildungsverhältnis eine Vergütung von mindestens 750,-- DM zugestanden habe.

Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Kindergeld für seine Stieftochter Heike für die streitige Zeit weiter zu gewähren (Urteil vom 17. September 1987). Auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. April 1989) : Die Beklagte habe die Erhöhung der Ausbildungsvergütung ab August 1984 zu Recht als eine wesentliche Änderung i.S. von § 48 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB X) angesehen. Die Stieftochter Heike habe ab diesem Zeitpunkt bei der Kindergeldgewährung nicht mehr berücksichtigt werden können, da ihr aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750,-- DM monatlich zugestanden hätten. Es sei unerheblich, daß Heike aufgrund einer Vereinbarung mit der Arbeitgeberin ab August 1984 lediglich 749,-- DM gezahlt worden seien. Diese Verzichtsvereinbarung sei unwirksam. Als tarifgebundene Vertragspartner hätten Heike und ihre Arbeitgeberin keine vom Tarifvertrag abweichende Regelung der Ausbildungsvergütung i.S. eines Verzichts treffen dürfen. Der Tarifvertrag über die Ausbildungsvergütung sei in der jeweiligen Fassung stets für allgemeinverbindlich erklärt worden, so daß auch im Zeitpunkt der Verzichtserklärung am 3. Mai 1984 ein bindender allgemeinverbindlicher Tarifvertrag vorgelegen habe. In Ermangelung einer Verzichtsermächtigung im Tarifvertrag sei die Verzichtserklärung bzw. die entsprechende Vereinbarung zwischen Heike und ihrer Arbeitgeberin unwirksam. Diesem Ergebnis stehe auch die in § 4 Abs. 3, 2. Halbsatz des Tarifvertragsgesetzes (TVG) getroffene Ausnahmeregelung nicht entgegen. Die Voraussetzungen des dort normierten Günstigkeitsprinzips lägen bereits deshalb nicht vor, weil nicht der Vertragspartner der abweichenden Regelung - die Stieftochter Heike - unmittelbar begünstigt sei, sondern der Kläger als Dritter. Der anderslautenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. November 1986 (BSGE 61, 54) könne nicht gefolgt werden. Die Günstigkeitsregelung im TVG könne nur bedeuten, daß die Entlohnung gegenüber der tarifvertraglichen Regelung im Einzelarbeitsvertrag unabhängig von sonstigen Auswirkungen tatsächlich verbessert werden könne. Für die Interpretation eines mutmaßlichen Willens sei danach kein Raum. Da eine Regelungslücke im Tarifvertrag nicht vorhanden sei, könne diese auch nicht durch eine einzelvertragliche Regelung ausgefüllt werden.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs. 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) sowie des § 4 Abs. 3 TVG durch das Berufungsgericht. Die zwischen dem Arbeitgeber und der Stieftochter Heike vereinbarte Herabsetzung der Ausbildungsvergütung müsse nach § 4 Abs. 3 TVG als gestattet angesehen werden. Insbesondere sei nicht zutreffend, daß diese Regelung nur eine Erhöhung der Vergütungsansprüche zulasse. Vielmehr sei auch deren Reduzierung erlaubt, sofern in Abhängigkeit davon wirtschaftliche Vorteile durch das Kindergeld erwachsen, das im Endergebnis dazu bestimmt sei, dem Auszubildenden zuzufließen. Die vom LSG vorgenommene Auslegung dieser gesetzlichen Bestimmung sei zu eng und werde dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht gerecht.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land NordrheinWestfalen vom 25. April 1989 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. September 1987 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere sei auch bei tarifvertraglich vorgesehenen Verzichtsvereinbarungen deren sozialrechtliche Beachtlichkeit zweifelhaft. Selbst wenn unterstellt werde, daß § 46 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches, Erstes Buch, (SGB I) bei einem Verzicht auf privatrechtliche Forderungen nicht anwendbar sei, folge daraus noch nicht die den Anspruch auf das Kindergeld wahrende Wirkung eines Verzichts auf Teile der Ausbildungsvergütung. Im übrigen folge aus der Annahme der Wirksamkeit eines Verzichts eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zum Verzicht auf Unterhalts- oder Übergangsgeld, der als unwirksam angesehen werde. Sowohl die grundsätzliche Unzulässigkeit des Vertrages zu Lasten Dritter wie das Verbot von Umgehungsgeschäften seien allgemeingültige Grundsätze für das gesamte öffentliche und private Recht. Ein Verzicht auf Teile der Ausbildungsvergütung sei nicht schon deshalb anspruchswahrend, weil die relative Unwirksamkeit dieses Verzichts nicht in § 46 Abs. 2 SGB I geregelt sei. Dieser Verzicht sei nur dann zu beachten, wenn er ausdrücklich in einem Gesetz bestimmt sei. Die in § 4 Abs. 3 TVG geforderten Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Verzichts seien jedoch nicht erfüllt. Soweit eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kind und dem Kindergeldberechtigten angenommen werde, widerspreche dies der Rechtsprechung zum atypischen Fall i.S. von § 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das LSG. Die in diesem Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um über die Rechtswirksamkeit des Verzichts auf einen Teil der Ausbildungsvergütung und davon abhängig über den streitigen Kindergeldanspruch entscheiden zu können. Denn dem Kläger steht für seine in Ausbildung befindliche Stieftochter (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BKGG) Kindergeld nur zu, wenn infolge des Verzichts ihr eine Ausbildungsvergütung von unter 750,-- DM zustand (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG). Verneinendenfalls wären die angefochtenen Bescheide wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse (§ 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X) nicht rechtswidrig.

Bei der Frage, ob der Verzicht auf Teile der Ausbildungsvergütung wirksam ist, ist von dem Urteil des 5a-Senats vom 27. November 1986 (BSGE 61, 54) auszugehen. Der vorgenannte Senat hat zu der vergleichbaren Regelung in § 583 Abs. 3 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Wirksamkeit des Verzichts auf den 749,-- DM monatlich übersteigenden tariflichen Ausbildungsvergütungsanspruch anerkannt. Der erkennende Senat folgt auch unter Berücksichtigung weiterer rechtlicher Gesichtspunkte dieser Rechtsprechung; sie ist auch auf § 2 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz, BKGG anzuwenden.

Der zwischen H B und ihrem Arbeitgeber vereinbarte Teilverzicht auf den 749,-- DM monatlich übersteigenden Teil der Ausbildungsvergütung, bei dem es sich um einen Erlaßvertrag i.S. des § 397 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) handelt (Palandt-Putzo, BGB, 48. Aufl, Anm. 6 h zu § 611), verstößt nicht gegen Normen des Sozialrechts. Insbesondere ist § 46 Abs. 2 SGB I weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Danach ist der Verzicht unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Diese Regelung verbietet sowohl nach ihrem Zusammenhang mit § 46 Abs. 1 SGB I, der ebenfalls den Verzicht auf Sozialleistungsansprüche behandelt, als auch nach ihrem Wortlaut nur den Verzicht auf öffentlich-rechtliche Sozialleistungen. Arbeitsverträge einschließlich der Entgeltvereinbarungen sind jedoch zivilrechtlicher Natur.

Aus den gleichen Gründen verbietet sich auch eine analoge Anwendung des § 46 Abs. 2 SGB I. Hierfür wäre zumindest eine sozialrechtliche Einordnung des Arbeitverhältnisses Voraussetzung.

Auch die allgemeinen Grundsätze des Sozialrechts stehen der getroffenen Vereinbarung nicht entgegen. Das Kindergeldrecht unterscheidet zwischen dem Anspruchsberechtigten (§ 1 BKGG) und den berücksichtigungsfähigen Kindern (§ 2 BKGG). Es hebt für den Anspruch teilweise auch auf die Einkommensverhältnisse der Kinder ab. Eine solche einkommensabhängige Leistung ist jedoch eine für das Sozialrecht nicht untypische Regelung. Vergleichbar sind beispielsweise die Vorschriften über die Anrechnung von Arbeitseinkommen in § 115 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und in § 1248 Abs. 4 RVO. Diesen Vorschriften ist gemeinsam, daß privatrechtliche Leistungen zwar Rückwirkungen auf die Anspruchsvoraussetzungen auf Sozialleistungen haben können. Es bedarf aber stets der ausdrücklichen Regelung, soweit derartige Einkünfte sich unmittelbar auf den sozialrechtlichen Anspruch auswirken und welche Rückwirkungen sich daraus ergeben. Insbesondere ist jeweils festgelegt, inwieweit privatrechtliche Einkünfte Sozialleistungen ausschließen. Dementsprechend sind etwa nach § 1 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) bei der Gewährung einkommensabhängiger Versorgungsleistungen Vermögensverfügungen unbeachtlich, die ohne verständigen Grund erfolgt sind. Die Rechtsprechung hat aus dieser gesetzlichen Formulierung den Grundsatz der Subsidiarität von einkommensabhängigen Leistungen im Versorgungsrechtsverhältnis abgeleitet (vgl. BSG SozR 3660 § 1 Nr. 5). Diese Subsidiarität ist aber ausdrücklich auf Teilleistungen im Rahmen des BVG beschränkt. Dasselbe gilt für die Rechtsprechung zum Unterhaltsverzicht im Zusammenhang mit den Vorschriften der §§ 1265 Abs. 1 (SozR 2200 § 1265 Nr. 35 m.w.N.) und 1291 Abs. 2 RVO. Soweit bei der Scheidung der zweiten Ehe einer wiederverheirateten Witwe ein ohne verständigen Grund erfolgter Verzicht auf Unterhalt für die Berechnung der Rentenleistungen unbeachtlich ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1291 Nr. 6; vgl. auch BVerfGE 38, 187, 200/201), ergibt sich dies aus den besonderen Interessen der Versichertengemeinschaft, die Absprachen zugunsten des unterhaltsfähigen Ehemannes verbietet. Diese Interessenlage ist auf das Kindergeldrecht nicht übertragbar. Hier führt die privatrechtliche Vertragsgestaltung auf der Seite des berücksichtigungsfähigen Kindes mit seinem Arbeitgeber nur mittelbar dazu, daß diese Verzichtsabrede eine der Anspruchsvoraussetzungen für den Kindergeldbezug des Berechtigten begründet. Wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. SozR 5870 § 2 Nr. 46 m.w.N. auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG-), dient das Kindergeld dem sozialpolitischen Zweck des Familienlastenausgleichs. Diejenigen, die dem Kind eine Heimstatt bieten und sich um sein persönliches Wohl sowie um seine Erziehung kümmern, sollen für die damit verbundenen finanziellen, mindestens aber persönlichen Opfer einen Ausgleich von der Gemeinschaft erhalten (BVerfGE 23, 258, 263f.). Demgemäß ist es nicht gerechtfertigt, für den Bereich des Kindergeldrechts nicht in Anspruch genommene Teile des Arbeitsentgelts unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips als Einkommen des Kindes i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG zu werten. Jedenfalls gilt dies, solange der Gesetzgeber keine anderslautende gesetzliche Regelung trifft.

Ebensowenig steht der dem Ausbildungsverhältnis zugrundeliegende Tarifvertrag der Wirksamkeit des Verzichts auf den 749,-- DM monatlich übersteigenden Teil der Ausbildungsvergütung entgegen. Bei tarifgebundenen Vertragspartnern richtet sich die Zulässigkeit abweichender Vertragsgestaltungen nach den Vorschriften des TVG (idF vom 25. August 1969 - BGBl. I, 1323). Nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ist ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Diese Regelung ist jedoch im Zusammenhang mit § 4 Abs. 3 TVG zu sehen, der den Parteien eines Arbeitsvertrages eine vom Tarifvertrag abweichende Abmachung auch insoweit erlaubt, wie sie durch Tarifvertrag gestattet ist - dieser Fall liegt nach den Tatsachenfeststellungen des LSG nicht vor - oder wie sie eine Änderung der tarifvertraglichen Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthält. Tarifvertragliche Rechte i.S. des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG entstehen somit nur - sie unterliegen auch insoweit nur der eingeschränkten Verzichtsmöglichkeit -, wenn keine abweichende Vereinbarung i.S. des § 4 Abs. 3, 2. Halbsatz, TVG vorliegt.

Die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 4 Abs. 3 TVG sind erfüllt. Die Vereinbarung zwischen der Stieftochter des Klägers und ihrem Arbeitgeber über den Verzicht auf den Spitzenbetrag der Ausbildungsvergütung wirkt sich letztendlich zu ihren Gunsten aus. Dies widerstreitet nicht dem in dieser Vorschrift normierten Günstigkeitsprinzip. Das TVG will nur verhindern, daß die Tarifvertragsparteien die Freiheit zur individuellen Gestaltung ihres Arbeitsverhältnisses ausschließen, obwohl die Schutzfunktion des Tarifvertrages eine derartige Beschränkung der individuellen Vertragsfreiheit nicht erfordert (vgl. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, München 1968, S. 368f.). Der Günstigkeitsvergleich ist dabei ein Werturteil (Wlotzke, das Günstigkeitsprinzip, Heidelberg 1957, S. 72), wobei sich der Beurteilungsmaßstab aus der Verkehrsanschauung und den Grundsätzen der geltenden Arbeitsrechtsordnung ergibt. Der Begünstigungsgedanke dient in erster Linie dem Wohl des Arbeitnehmers, so daß nicht das Gesamtinteresse der Arbeitnehmerschaft eines Tarifbereiches, sondern das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers maßgebend ist.

Die zwischen H B und ihrem Arbeitgeber getroffene Regelung, auf Vergütungsspitzen zum Zwecke der Erfüllung von Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld zu verzichten, ist demnach eine zulässige Abweichung vom Tarifvertrag. Das folgt aus der objektiven Gesamtbetrachtung der Vereinbarung und der subjektiven Interessen des Arbeitnehmers. Der Verzicht - inhaltlich ein Erlaßvertrag i.S. des § 397 Abs. 1 BGB - führt jedenfalls im Ergebnis dazu, daß daraus auch der Verzichtenden Vorteile erwachsen. Denn der damit erzielte Anspruch auf Kindergeld des anspruchsberechtigten Vaters - des Klägers - ist wie sonstiges Einkommen zu berücksichtigen und führt zur Erhöhung seines Familieneinkommens. Es trägt damit gleichzeitig zur Stärkung seiner Unterhaltsfähigkeit seinem Kind gegenüber bei, was sich zwangsläufig auf die Höhe des Unterhaltsanspruchs des Kindes auswirkt (§ 1603 BGB; vgl. auch BGH FamRZ 1988, 604). Sofern ein Arbeitnehmer allein dieses Interesse verfolgt - ein anderes ist auch dem zur Entscheidung stehenden Fall vom LSG nicht festgestellt worden -, ist allein die Stärkung der wirtschaftlichen Familienverhältnisse geeignet, insgesamt eine Regelung zugunsten des Auszubildenden anzunehmen. Nur so wird auch vermieden, daß in das höchstpersönliche Recht der individuellen Vertragsfreiheit, bei der vor allem subjektive Anschauungen der Betroffenen als wichtiges Indiz zu beachten sind (vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, RdNr 163 zu § 4 m.w.N.), unangemessen eingegriffen wird. Eine wie auch immer geartete Motivforschung mit dem damit verbundenen Eingriff in die private Lebenssphäre ist nicht hinnehmbar. Bei Fallkonstellationen dieser Art ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Als Richtschnur dient dabei der Sinngehalt der Gesetzesvorschrift, wie er sich in Blickrichtung auf das BKGG erschließt. Das Kindergeldrecht will, wie ausgeführt, der Bedarfssituation des Kindes, aber auch des Unterhaltspflichtigen Rechnung tragen. Daher ist - sofern gewichtige Gegengründe nicht offensichtlich sind - die Entschließung des Auszubildenden zu respektieren. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß das Kindergeld nicht dem Kind, sondern dem Berechtigten i.S. des § 1 BKGG zusteht, weil das Kindergeld wirtschaftlich dazu bestimmt ist, dem Unterhalt des vom Berechtigten unterhaltenen Kindes zu dienen (vgl. für die Fälle des Unterhaltsanspruchs auch § 48 SGB I). Die Berücksichtigung des Gesamtinteresses des in §§ 1 und 2 BKGG erfaßten Personenkreises widerspricht auch nicht, wie die Revision meint, der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 48 SGB X. Auch bei der Feststellung der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X kommt es nicht darauf an, ob das Einkommen von dem Kind oder von Kindergeldberechtigten erzielt worden ist (BSGE 59, 111, 113).

Entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht steht dieses Ergebnis auch mit einer teleologischen oder historischen Betrachtungsweise in Einklang. Zwar soll mit § 4 Abs. 3 TVG auch - und womöglich in erster Linie - in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur eine Rechtsgrundlage für übertarifliche Leistungen geschaffen werden. Dies ist jedoch nicht der alleinige Zweck der Vorschrift. Das Günstigkeitsprinzip stellt den Kollektivwillen allgemein unter den Vorbehalt des Günstigkeitsgedankens (vgl. Wiedemann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz, 5. Aufl, RdNrn 219ff. der Einleitung § 1). Führt die Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers - wie im zur Entscheidung stehenden Fall - dazu, daß eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber für den Arbeitnehmer im Ergebnis wirtschaftlich günstiger ist, so wird dadurch auch der in § 4 Abs. 4 TVG zum Ausdruck kommende soziale Schutzzweck nicht beeinträchtigt oder unterlaufen.

Auch ist der Verzicht nicht nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam, die ihren positiv-rechtlichen Ausdruck im Privatrecht gefunden haben, von ihrem Rechtsgedanken her jedoch nicht darauf beschränkt sind, sondern als allgemeine Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts anwendbar sind (Mayer/Kopp, Allg Verwaltungsrecht, 5. Aufl, § 23 I und § 37 III) und auch im Sozialrecht gelten. So ist der Erlaßvertrag der hier vorliegenden Art kein unzulässiger Vertrag zu Lasten eines Dritten (vgl. Palandt, BGB, 49. Aufl, Einf vor § 328 Anm. Vc m.w.N.), hier der Beklagten. Unter dieses Rechtsinstitut fallen nur Verträge, durch die Vertragsparteien im eigenen Namen übereinstimmende Willenserklärungen abgeben und dadurch Dritte unmittelbar verpflichten. Der Verzicht auf Gehaltsspitzen begründete jedoch keine unmittelbar bürgerlich-rechtliche Verpflichtung zu Lasten der das Kindergeld zahlenden Stelle. Ihre Verpflichtung ergibt sich allein aus den öffentlich-rechtlichen Vorschriften des BKGG. Der Umstand, daß die Kindergeldkasse infolge des Verzichts eintrittspflichtig wird, rechtfertigt nicht die rechtliche Einordnung der Vereinbarung zwischen dem Auszubildenden und seinem Arbeitgeber als Vertrag zu Lasten der das Kindergeld zahlenden Stelle.

Schließlich ist die Abrede zwischen der Stieftochter des Klägers und ihrem Arbeitgeber nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) nichtig. Bei der Präzisierung der Generalklausel des § 138 BGB ist ein Orientierungsmaßstab heranzuziehen, der sich an die der gegenwärtig herrschenden Wirtschafts- und Sozialordnung immanenten Rechtsethik anlehnt. Entscheidend sind Wertvorstellungen, die in einem bestimmten Zeitpunkt in der geistig-kulturellen Entwicklung erreicht und in der Verfassung fixiert sind (BVerfGE 7, 198, 206). Keinesfalls kann danach ein Verzicht auf Gehaltsspitzen allein nach dessen objektivem Inhalt als sittenwidrig eingestuft werden, da Zweck und Beweggrund der Vereinbarung nicht zum Inhalt des Rechtsgeschäfts gemacht worden sind. Auch aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck (vgl. BGHZ 51, 55; 86, 82, 88; Soergel-Hefermehl, BGB, 12. Aufl, § 138 RdNrn 19, 29ff. m.w.N.) läßt sich in Fällen der hier vorliegenden Art ein Sittenverstoß nicht bejahen. Der Gesamtcharakter dieser Vereinbarungen wird im wesentlichen vom subjektiven Hauptzweck des Verzichtenden geprägt, die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch zu schaffen. Dies steht aber mit der geltenden Sozialrechtsordnung nicht in einem unauflösbaren Widerspruch. Wenn der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG und ähnlichen Vorschriften (vgl. § 1262 Abs. 3 Satz 1, § 1267 Abs. 2 und § 583 Abs. 3 Satz 3 RVO) eine starre Einkommensgrenze bestimmt und damit bereits geringste unterschiedliche Geldbeträge in der Praxis zu einem "Alles-oder Nichts-Prinzip" führen, so muß dem Anspruchsberechtigten gestattet sein, sich diesen Anspruchsvoraussetzungen anzupassen. Jedenfalls kann darin kein Verstoß gegen die guten Sitten begründet sein, zumal da die Problematik aufgrund der Rechtsprechung des 5a-Senats (a.a.O.) allgemein bekannt ist und dies den Gesetzgeber gleichwohl nicht (zB im Zwölften Gesetz zur Änderung des BKGG vom 30. Juni 1989 - BGBl. I 1294 -) zu einer Rechtsänderung veranlaßt hat. Außerdem sind dahingehende tarifvertragliche Regelungen weit verbreitet, so daß der Verzicht auf Teile der Ausbildungsvergütung zum Zwecke der Erlangung des Kindergeldes oder, um hierdurch den Steuer- oder Sozialversicherungsbeitragssatz zu verringern, im Rechtsleben allgemein als wirksam angesehen wird (vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl, § 4 Anm. 202 m.w.N.). Wenn mit einer vom Tarifvertrag gedeckten Vertragsgestaltung nicht grundsätzlich ein negatives Werturteil verbunden wird, so kann auch bei Vertragspartnern, die sich außerhalb tarifvertraglicher Regelungen befinden, kein so wesentlicher Unterschied gesehen werden, daß die Annahme eines Verstoßes gegen die herrschende Rechtsethik gerechtfertigt wäre.

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung verstößt der Verzicht auch nicht deshalb gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG), weil der Verzicht auf öffentlich-rechtliche Bezüge nicht zulässig ist. Es kann sich zwar die Frage stellen, ob die Auszubildenden im öffentlichen Dienst ungleich behandelt werden, wenn ihnen ein Verzicht auf Teile der Ausbildungsvergütung verwehrt ist. Diese Frage hat der Senat aber nicht zu entscheiden. Aus der Regelung für den öffentlichen Dienst läßt sich über Art 3 GG jedenfalls nicht herleiten, daß auch für Auszubildende in der Privatwirtschaft ein Teilverzicht ausgeschlossen sein muß.

Schließlich rechtfertigt die Rechtsprechung des Bundesgerichshofes (BGH) zum Verzicht auf nachehelichen Unterhalt zu Lasten der Sozialhilfeträger eine andere Auffassung nicht. Der BGH sieht entsprechende Vereinbarungen regelmäßig als sittenwidrig und damit nichtig an (vgl. BGH NJW 1983, 1981; BGH FamRZ 1987, 40). Entscheidend wird hierbei darauf abgehoben, daß die Sozialhilfe grundsätzlich subsidiär ist und kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung in § 9 SGB I und § 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Nachrang gegenüber allen privaten Unterhaltsquellen genießt. Hierin liegt der wesentliche und entscheidende Unterschied zum Kindergeldrecht. Das Kindergeld dient allein dem Familienlastenausgleich und läßt die privaten Unterhaltsansprüche jedenfalls dem Grunde nach unberührt.

Insgesamt muß die Beklagte somit in der hier vorliegenden Streitsache den Verzicht auf Gehaltsspitzen gegen sich gelten lassen. Dabei kann der Senat auch keine stichhaltigen Argumente erkennen, um einen Verzicht auf einen bestimmten Betrag - so etwa auf die Höhe des Kindergeldbetrages für das erste Kind (50,-- DM) - zu begrenzen. Wenn ein Berechtigter den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlich vorgesehenen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpft, so ändert sich die grundsätzliche rechtliche Bewertung dieses Verhaltens nicht durch ein quantitatives Element.

Zu beachten ist jedoch, daß der Erlaßvertrag zwischen H B und ihrem Arbeitgeber dann gegen die guten Sitten verstieße und demzufolge gemäß § 138 BGB nichtig wäre, wenn Heike ihn nur zum Zwecke der Zahlung des Kindergeldes an den Kläger eingegangen, aber selbst vom Kläger nicht unterhalten worden wäre. Die tatsächliche Unterhaltsgewährung in der streitigen Zeit ist deswegen hier rechtserheblich, weil der Kläger dem Stiefkind Heike gegenüber nicht kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist. Sollte keine Unterhaltsleistung erfolgt sein, würde der Verzicht nur der Begünstigung des Klägers zu Lasten der Kindergeldkasse dienen.

Hierzu hat das LSG die - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend unterlassenen - erforderlichen Tatsachenfeststellungen nachzuholen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 238

BB 1990, 1982

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