Verfahrensgang

Thüringer LSG (Urteil vom 31.05.1994; Aktenzeichen L 3 Ar 150/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. Mai 1994 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Klägerin ab 31. Dezember 1992 Anspruch auf Altersübergangsgeld (Alüg) hat.

Die am 23. August 1937 geborene, in A … (Thüringen) wohnhafte Klägerin war von 1976 bis zum 10. Januar 1991 – zuletzt als Sachbearbeiterin bei der R … … -G … S … (Sachsen-Anhalt) – beschäftigt. Am 8. Januar 1991 meldete sie sich beim Arbeitsamt (ArbA) Nordhausen arbeitslos und beantragte ab 11. Januar 1991 Arbeitslosengeld (Alg). Am 14. Januar 1991 begann sie einen Lehrgang, den sie jedoch abbrach, nachdem sie am 18. März 1991 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) eine Beschäftigung bei der Kreisverwaltung A … aufgenommen hatte. Mit Bescheid vom 26. März 1991 bewilligte das ArbA ab 11. Januar 1991 Alg mit einer Anspruchsdauer von 676 Tagen. Später bewilligte das ArbA für die Zeit vom 14. Januar bis zum 16. März 1991 Unterhaltsgeld (Uhg) und hob die Bewilligung von Alg ab 14. Januar 1991 wieder auf.

Nach Beendigung der Beschäftigung bei der Kreisverwaltung am 29. Februar 1992 bewilligte das ArbA der Klägerin ab 2. März 1992 wiederum Alg mit einer Anspruchsdauer von 676 Tagen (Bescheid vom 19. März 1992). Ab 1. April 1992 bis 30. Dezember 1992 war die Klägerin wiederum bei der Kreisverwaltung A … vollschichtig als ABM-Kraft beschäftigt.

Am 9. November 1992 meldete die Klägerin sich beim ArbA zum 31. Dezember 1992 erneut arbeitslos und beantragte Alüg ab 31. Dezember 1992. Diesen Antrag lehnte das ArbA mit Bescheid vom 7. Januar 1993 und Widerspruchsbescheid vom 30. April 1993 ab, weil es an der Voraussetzung mangele, daß die Klägerin Alg für 832 Tage beanspruchen könnte (§ 249e Abs 2 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫). Die Klägerin habe ab 2. März 1992 Anspruch auf Alg für 830 Tage gehabt. Da ihr vom 2. bis zum 31. März 1992 für 26 Tage Alg bewilligt worden und kein neuer Anspruch hinzuerworben worden sei, bestehe seitdem eine Anspruchsdauer von 804 Tagen.

Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, der Klägerin Alüg ab 31. Dezember 1992 unter Anrechnung geleisteten Alg (11. Januar bis 12. Januar 1991 sowie ab 31. Dezember 1992) zu zahlen (Urteil vom 12. Oktober 1993). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 31. Mai 1994).

Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 249e Abs 2 Nr 3a oder b AFG. Entgegen der Ansicht des SG lasse sich der geltend gemachte Anspruch auch nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Allerdings habe die Klägerin durch Ablehnung ihres geltend gemachten Anspruchs auf Alüg einen Schaden erlitten und die Beklagte habe auch ihre Beratungspflicht verletzt. Die Beklagte hätte die Klägerin im Zusammenhang mit dem Erlaß des Bewilligungsbescheides vom 26. März 1991 darauf hinweisen müssen, daß es für die Klägerin nachteilig sei, Alg für den 11. und 12. Januar 1991 zu beziehen; denn hätte die Klägerin den Antrag auf Alg insoweit zurückgenommen, hätte sie nach Vollendung des 54. Lebensjahres 156 zusätzliche Tage mit Anspruch auf Alg erwerben können. Zwischen diesem Fehlverhalten und dem eingetretenen Schaden bestehe indes kein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang. Der geltend gemachte Schaden betreffe die Ablehnung des Alüg, die Verletzung der Beratungspflicht beziehe sich hingegen auf den Erwerb eines möglichst hohen Anspruchs auf Alg. Die Fehlerhaftigkeit der Beratung habe die Gestaltungsmöglichkeit der Klägerin hinsichtlich des Alüg im März 1991 aber noch nicht beeinflussen können, weil zu dem Zeitpunkt im Hinblick auf das Alter der Klägerin keine gesetzlichen Grundlagen für den Erwerb dieser Sozialleistung bestanden hätten. Daß ein Anspruch auf Alüg für die Klägerin überhaupt in den Bereich des Möglichen gekommen sei, beruhe auf der nachträglichen Änderung des Gesetzes und nicht in erster Linie auf der Fehlerhaftigkeit der Beratung bzw ihrer pflichtwidrigen Unterlassung durch die Beklagte. Allein die gesetzliche Herabsetzung der Altersgrenze beim Alüg vom 57. auf das 55. Lebensjahr mit Wirkung vom 1. Juli 1991 sei die wesentliche Ursache iS des sozialrechtlichen Kausalitätszusammenhangs der wesentlichen Bedingung.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs iVm §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I). Der Beklagten hätte sich aufdrängen müssen, daß es wegen ihres Bezugs von Uhg ab 14. Januar 1991 unvernünftig gewesen sei, das Entstehen des Anspruchs auf Alg für 2 Tage zu bewirken. Hätte sie den Antrag auf Alg insoweit zurückgenommen, hätte sie nach Vollendung des 54. Lebensjahres zu den bestehenden 676 Tagen weitere 156 Tage Anspruch auf Alg dazuerworben und mithin die erforderlichen 832 Tage aufgewiesen. Die Auffassung des LSG, ein Beratungsfehler werde nur dann kausal, wenn sich die unterbliebene Gestaltungsmöglichkeit auf einen konkreten Leistungsanspruch gerichtet hätte, greife zu kurz. Der Beratungsfehler wirke auch im Hinblick auf in der Zukunft liegende, noch nicht erkennbare mögliche Leistungsansprüche, wie das Bundessozialgericht (BSG) in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden habe (Urteil vom 9. August 1990 – 11 RAr 141/88 –). Die Beklagte hätte sie deshalb dahingehend beraten müssen, auf Alg für die beiden Tage im Januar 1991 zu verzichten, denn wegen des bereits verwaltungsintern bewilligten Uhg-Anspruchs bis November 1991 hätte sie kein Alg benötigt. Das Ausnutzen dieser Gestaltungsmöglichkeit hätte ihr den Anspruch auf Alüg eröffnet. Der Beratungsfehler habe somit zum Verlust ihres Anspruchs auf Alüg geführt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie schließt sich im Ergebnis der Rechtsauffassung des LSG an. Allerdings habe für sie zu keinem Zeitpunkt eine Beratungspflicht gegenüber der Klägerin bestanden. Im hier fraglichen Zeitraum hätten die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alüg zugunsten der Klägerin noch nicht vorgelegen. Der Zugang zum Alüg sei der Klägerin überhaupt erst durch die Verordnungen vom 19. Dezember 1991 (BGBl I 2342) und vom 26. Juni 1992 (BGBl I 1177) eröffnet worden, mit denen die Befristung im § 249e Abs 1 AFG zunächst bis zum 30. Juni 1992 und dann bis zum 31. Dezember 1992 verlängert worden sei. Zum Zeitpunkt der Bewilligung des Alg mit Bescheid vom 26. März 1991 habe die Klägerin die günstigste für sie erreichbare Rechtsposition erworben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alüg. Sie erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 249e Abs 2 Nr 3 AFG und kann auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als seien diese Voraussetzungen gegeben.

1. Nach § 249e Abs 1 AFG, der hier idF des Gesetzes vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1306) iVm den aufgrund der Ermächtigung in § 249e Abs 8 AFG erlassenen Verordnungen zum Alüg vom 19. Dezember 1991 (BGBl I 2342) und vom 26. Juni 1992 (BGBl I 1177) anwendbar ist, gewährt die Beklagte Arbeitnehmern, die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1992 nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung von mindestens 90 Kalendertagen in dem in Art 3 Einigungsvertrag (EinigVtr) genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) ausgeschieden sind und in den letzten 90 Kalendertagen der Beschäftigung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt dort hatten, Alüg nach Maßgabe der Abs 2 bis 7.

Mit Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß die Klägerin die Voraussetzungen des § 249e Abs 1 sowie Abs 2 Nrn 1 und 2 AFG erfüllt. Sie ist nach Vollendung ihres 55. Lebensjahres am 23. August 1992 mit Ablauf des 30. Dezember 1992 aus einer beitragspflichtigen Beschäftigung im Beitrittsgebiet ausgeschieden, wohnte auch dort und hatte sich am 9. November zum 31. Dezember 1992 beim ArbA arbeitslos gemeldet, Alüg beantragt und stand, das ist nach den Umständen zweifelsfrei, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung.

Hingegen erfüllt die Klägerin keine der beiden Alternativen des § 249e Abs 2 Nr 3 AFG. Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Alüg, wer an dem Tag, an dem die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erstmals vorliegen, bei Erfüllung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg diese Leistung für 832 Tage beanspruchen könnte (§ 106 AFG) oder nach dem 30. Juni 1991 aufgrund eines Anspruchs auf Alg mit einer Dauer von 832 Tagen Alg nicht länger als 78 Tage bezogen hat. Hieran fehlt es, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat. Bis zum 31. Dezember 1992 hatte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf Alg mit einer Dauer von mehr als 830 Tagen erworben.

2. Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann die Klägerin nicht so gestellt werden, als seien bei ihr die nicht gegebenen Anspruchsvoraussetzungen nach § 249e Abs 2 Nr 3 AFG erfüllt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann die Verletzung von Pflichten, die dem Versicherungsträger gegenüber den Versicherten aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegen, für die Versicherten einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen (vgl ausführlich Urteil des BSG vom 15. Dezember 1994 – 4 RAr 64/93 – NZS 1995, 183 f). Zu diesen Pflichten gehören vor allem spezielle Dienstleistungen des Versicherungsträgers wie Auskunft, Beratung und eine „verständnisvolle Förderung” des Versicherten (BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr 11 mwN). Diese Pflichten sind verletzt, wenn sie, obwohl ein konkreter Anlaß zu den genannten Dienstleistungen bestanden hat, nicht oder nur unzureichend erfüllt worden sind (BSG SozR 1200 § 14 Nr 15; BSGE 60, 79, 85 = SozR 4100 § 100 Nr 11; SozR 3-1200 § 14 Nr 12).

Die Beklagte hat indes keine der Klägerin gegenüber gemäß § 14 SGB I bestehende Pflicht zur Beratung verletzt. Regelmäßig wird eine derartige Pflicht durch ein entsprechendes Begehren des Berechtigten ausgelöst (vgl BSG SozR 1200 § 14 Nrn 9, 12 sowie SozR 3-1200 § 14 Nr 12). Der Versicherungsträger ist jedoch auch dann, wenn der Versicherte – wie hier – nicht ausdrücklich eine Beratung verlangt, gehalten, die Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus „spontan” auf klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, daß sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde, um sozialrechtliche Nachteile zu vermeiden. Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (BSG SozR 5070 § 10 Nr 25 S 56 mwN). Die Verpflichtung zur Beratung trifft den Versicherungsträger insbesondere im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens (vgl BSGE 60, 79, 85 f = SozR 4100 § 100 Nr 11). Um diese Fallgestaltung geht es vorliegend.

Entscheidend ist hier danach, ob das ArbA die Klägerin anläßlich der Bewilligung von Alg mit Bescheid vom 26. März 1991 „spontan” hätte beraten müssen. Das wäre der Fall gewesen, wenn zu diesem Zeitpunkt klar auf der Hand gelegen hätte, daß es für die Klägerin offensichtlich zweckmäßig gewesen wäre, den Antrag auf Alg zurückzunehmen. Das ist entgegen der Auffassung des LSG nicht der Fall, denn daß der Bezug von Alg für die Klägerin nachteilig sein oder werden könnte, lag zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Hand.

Insbesondere gehörte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht zu dem Personenkreis, der Alüg beanspruchen konnte. Nach § 249e Abs 1 AFG in der bis zum 30. Juni 1991 geltenden Fassung hätte sie nämlich, falls sie bis zum 31. Dezember 1991 aus ihrer Beschäftigung ausscheiden würde, ua das 57. Lebensjahr vollendet haben müssen, um anspruchsberechtigt zu sein. Dieser Fall konnte jedoch nicht eintreten, da die 1937 geborene Klägerin 1991 erst das 54. Lebensjahr vollendet hatte.

Offen kann in diesem Zusammenhang bleiben, ob die Beklagte im März 1991 schon wußte oder wissen konnte, daß die Altersgrenze in § 249e Abs 1 AFG durch das Gesetz vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1306) auf das 55. Lebensjahr herabgesetzt werden würde. Denn selbst wenn es so gewesen wäre, wäre ihr daraus keine Beratungspflicht erwachsen, weil die Klägerin auch diese Altersgrenze nicht mehr bis zum 31. Dezember 1991 erreichen konnte, um grundsätzlich zum Kreis der Alüg-Bezieher zu gehören.

Daß die Klägerin überhaupt einmal Anspruch auf Alüg haben könnte, war für die Beklagte im März 1991 nicht erkennbar. Erst die auf der Ermächtigung des § 249e Abs 8 AFG beruhenden Verordnungen zum Alüg vom 19. Dezember 1991 und vom 26. Juni 1992 schufen die Grundlage dafür, daß die Klägerin zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören konnte. Durch diese Verordnungen wurde nämlich die Befristung in § 249e Abs 1 AFG zunächst bis zum 30. Juni 1992 und sodann durch die weitere Verordnung bis zum 31. Dezember 1992 verlängert. Erst die letzte Verordnung begründete für Personen, die wie die Klägerin im zweiten Halbjahr 1937 geboren sind, die Möglichkeit, ggf Alüg zu beziehen. Selbst wenn sich eine Verpflichtung zu einer „Spontanberatung” auch aufgrund einer zukünftigen Rechtsentwicklung ergeben könnte, sind vorliegend keine Anhaltspunkte erkennbar, daß die Sachbearbeiter des ArbA spätestens bis zur Erteilung des Bescheids vom 26. März 1991 die genannte Rechtsentwicklung hätten erkennen können und für eine Beratung der Klägerin berücksichtigen müssen.

Daran ändert, wie der Senat bereits in seinem zur Veröffentlichung in SozR vorgesehenen Urteil vom 26. Oktober 1994 – 11 RAr 5/94 – entschieden hat, auch die Tatsache nichts, daß Art 30 Abs 2 Satz 7 EinigVtr die Möglichkeit vorsah, die für die Alüg-Regelung vorgesehene Befristung bis zum 31. Dezember 1991 „um ein Jahr” zu verlängern und demgemäß die Verordnungsermächtigung in § 249e Abs 8 AFG bestimmte, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister für Wirtschaft die in Abs 1 genannte Befristung durch Rechtsverordnung bis 31. Dezember 1992 verlängern kann, wenn dies aus arbeitsmarktpolitischen Gründen geboten ist. Denn bereits aus der Fassung der Verordnungsermächtigung wird deutlich, daß darin nur eine Verlängerungsmöglichkeit vorgesehen war, die ihrerseits an weitere Voraussetzungen, insbesondere die künftige Entwicklung des Arbeitsmarktes, geknüpft war. Die bloße Verordnungsermächtigung konnte noch keine Pflicht zur Beratung auslösen. Es war nämlich im März 1991 noch nicht abzusehen, daß im Juni 1992 eine Verlängerung des Zugangs zum Alüg bis zum 31. Dezember 1992 erfolgen würde.

Die Beklagte hat eine Pflicht zur Beratung der Klägerin auch nicht deshalb verletzt, weil sie allein im Hinblick auf den Alg-Anspruch der Klägerin davon hätte ausgehen müssen, daß die Inanspruchnahme von Alg ab 11. Januar 1991 eine offensichtlich unwirtschaftliche Gestaltung der klägerischen Ansprüche darstellte. Denn daß der Klägerin durch den Bezug von Alg für nur zwei Tage ein Nachteil im Hinblick auf einen zukünftigen Alg-Bezug entstehen könnte, war nicht erkennbar. Zwar trifft es zu, daß die Klägerin ohne die Gewährung von Alg für den 11. und 12. Januar 1991 nach Vollendung des 54. Lebensjahres im August 1991 gemäß § 106 Abs 1 AFG einen Anspruch auf Alg mit der Höchstdauer von 832 Tagen hätte erwerben können. Nach den im März 1991 bekannten Umständen war jedoch aufgrund des Alg-Bezuges und der ABM-Beschäftigung zu erwarten, daß die Klägerin nach dem Ende der ABM-Beschäftigung Anfang März 1992 zumindest einen Anspruch auf Alg von 830 Tagen erwerben würde, wie dies tatsächlich auch geschehen ist. Vor diesem Hintergrund lag es nicht nahe, die Klägerin auf die Gestaltungsmöglichkeit einer Antragsrücknahme hinzuweisen. Dies hätte nämlich nur bedeutet, daß die Klägerin für zwei Tage im Januar 1991 kein Alg, dafür nach dem 29. Februar 1992 für zwei Tage mehr Alg hätte beziehen können; der Leistungszeitraum wäre also lediglich verschoben worden.

Eine Beratung der Klägerin anläßlich der Gewährung von Alg im März 1992 war ebenfalls nicht geboten. Eine Pflicht zur Beratung wäre in diesem Zeitraum nur dann in Betracht gekommen, wenn bis zur erneuten Alg-Gewährung an die Klägerin bereits festgestanden hätte, daß sie ab 1. April 1992 ein weiteres Jahr als ABM-Kraft beschäftigt sein würde. Denn dann hätte die Klägerin die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg für 832 Tage schaffen können, wenn sie den Alg-Antrag zurückgenommen und damit praktisch auf Alg für März 1992 verzichtet hätte. Denn schon nach einer weiteren Beschäftigung von etwa vier Monaten hätte die Dauer des neuen Anspruchs nach § 106 Abs 1 AFG nicht 156, sondern 208 Tage betragen, die sich gemäß § 106 Abs 3 AFG auf 832 Tage verlängert hätte.

Ungeachtet der tatsächlichen Frage, ob Mitte März 1992 schon feststand, ob die Klägerin erneut eine ABM-Beschäftigung finden würde, hatte das ArbA indes keine Veranlassung, die Klägerin zur Rücknahme des Antrags auf Alg zu veranlassen, um Alüg beziehen zu können. Die Klägerin hatte nämlich auch zu jenem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Alüg und es war auch nicht mit ausreichender Sicherheit vorhersehbar, daß sie durch ein weiteres Tätigwerden des Verordnungsgebers zukünftig noch zu dem begünstigten Personenkreis gehören könnte. Ob der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung den Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß der Ermächtigung in § 249e Abs 8 AFG durch Verlängerung des Zeitpunktes des Ausscheidens aus einer beitragspflichtigen Beschäftigung bis zum 31. Dezember 1992 – wie später durch die Verordnung vom 26. Juni 1992 geschehen – noch ein weiteres Mal erweitern würde, war im März 1992 noch offen, jedenfalls für die Sachbearbeiter des ArbA nicht so sicher, als daß einem Arbeitslosen in der Lage der Klägerin der Verzicht auf Alg für einen Monat als sinnvolle sozialrechtliche Gestaltungsmöglichkeit hätte nahegelegt werden müssen.

Erst recht mußten die Sachbearbeiter des ArbA die Klägerin nicht hinsichtlich einer denkbaren Verlängerung ihres Alg-Anspruchs beraten, denn zu jenem Zeitpunkt hatte die Klägerin Anspruch auf 830 Tage Alg, so daß sie überhaupt nur noch einen Anspruch für zwei weitere Tage zusätzlich erwerben konnte (§ 106 Abs 1 AFG). Niemand verzichtet jedoch für etwa einen Monat auf Alg, um bei einer zukünftigen weiteren Arbeitslosigkeit für zwei weitere Tage Anspruch auf Alg zu erwerben.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172868

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