Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.08.1991)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. August 1991 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin und ihr Ehemann wohnten mit ihrer damals minderjährigen Tochter Nicole in H. …. Sie ließen diese Tochter den Reitsport ausüben. Dazu wurde die Tochter Mitglied des Zucht-, Reit- und Fahrvereins „v. L. …” H. … und Umgebung e.V. (Verein). Außerdem kauften die Klägerin und ihr Ehemann, die beide auch Mitglieder des Vereins, aber keine aktiven Reiter waren, ihrer Tochter ein Reitpferd. Nicole nahm in erheblichem Umfang auch an auswärtigen Reitturnieren und Leistungsprüfungen teil. Dorthin wurden sie und ihr Reitpferd meistens von der Klägerin in einem Pkw mit einem den Eltern gehörenden Spezialanhänger gefahren. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten die damals vierzehnjährige Nicole auch an dem auswärtigen Reitturnier in Essen-Dellwig am 23. August 1986 teilnehmen lassen. Wiederum übernahm die Klägerin den Transport und die Betreuung ihrer minderjährigen Tochter. Als am Ende das Reitpferd der Tochter wieder in den Hänger gebracht werden sollte, machte es Schwierigkeiten. Um diese zu beheben, wollte die Klägerin über die rückwärtige Klappe in den Hänger steigen. Dabei glitt sie aus, stürzte und zog sich Frakturen am linken Bein zu.

Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch der Klägerin ab, weil diese keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Sie habe im eigenen Interesse zur Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht und nicht wie eine Beschäftigte des Vereins gehandelt (Bescheid vom 27. Oktober 1987; Widerspruchsbescheid vom 21. März 1988).

Auch vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg (Urteil vom 1. Februar 1989) und dem Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21. August 1991) ist das zuletzt als Feststellungsanspruch nach § 55 Abs 1 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend gemachte Begehren der Klägerin ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin habe keinen Arbeitsunfall erlitten, weil sie die unfallbringende Handlung nicht mit einer auf die Interessen und Belange des Vereins oder eines anderen fremden Unternehmens ausgerichteten Handlungstendenz vorgenommen habe. Die gesamten Umstände des Einzelfalls sprächen dafür, daß sie stattdessen wesentlich allein eigene Angelegenheiten gefördert habe, indem sie die Personensorge über ihre eigene Tochter ausgeübt habe, zu der sie gesetzlich verpflichtet gewesen sei. Aus demselben Grunde sei auch auszuschließen, daß die Klägerin gemäß § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) wie eine Beschäftigte für ihre Tochter als Halterin des Reitpferdes im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen tätig geworden sei.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG habe das Gesamtergebnis des Verfahrens fehlerhaft gewürdigt, indem es zu dem Ergebnis gelangt sei, sie habe im privaten Interesse als Mutter und nicht im Interesse des Vereins gehandelt. Materiell-rechtlich sei im übrigen auf die äußeren Aspekte und nicht darauf abzustellen, ob der Betreute ein fremdes oder eigenes Kind sei. Abgesehen davon habe sie entsprechend der Vereinssatzung im Interesse des Vereins gehandelt und deshalb auch unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und festzustellen, daß ihr Waden- und Schienbeintrümmerbruch links Folge des am 23. August 1986 erlittenen und von der Beklagten, hilfsweise von der Beigeladenen, zu entschädigenden Arbeitsunfalls ist.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für verfahrensfehlerfrei zustandegekommen und sachlich-rechtlich zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Der Unfall der Klägerin am 23. August 1986 ist kein Arbeitsunfall gewesen. Das haben SG und LSG zutreffend erkannt.

Nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO sind gegen Arbeitsunfall zwar auch Personen versichert, die wie eine nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherte – wenn auch nur vorübergehend – tätig werden. Dies erfordert eine ernstliche, dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht; sie muß ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen; schließlich haben die Umstände, unter denen diese Tätigkeit geleistet wird, von der Art zu sein, daß sie einer Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Die Tätigkeit muß zudem in einem inneren Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen stehen.

Ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift ist jedoch ausgeschlossen, wenn eine Person im Rahmen und im Interesse ihres eigenen Unternehmens für dieses oder wie eine Unternehmerin tätig wird (BSG, 27. November 1986 – 2 RU 13/86 – mwN, HV-Info 1987, 347 = BAGUV RdSchr 15/87). Letzteres trifft auf die unfallbringende Handlung der Klägerin zu.

Dabei geht der Senat zugunsten der Klägerin davon aus, daß sowohl die – auf Eigeninitiative beruhende – Teilnahme der Tochter Nicole an dem streitigen auswärtigen Reitturnier als auch deren Betreuung im wohlverstandenen, satzungsgemäßen Interesse des Vereins lag. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hatte der Verein aber nicht die Pflicht, für den Transport und die notwendige Betreuung seines minderjährigen Mitglieds auf eigene Rechnung zu sorgen. Dieses entweder selbst oder mit Hilfe anderer Erwachsener zu besorgen, blieb den Eltern der minderjährigen Vereinsmitglieder überlassen. Hier hat die entscheidende Beurteilung anzusetzen. Es reicht für einen Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO nicht aus, daß die einzelne Verrichtung losgelöst von den sie tragenden Umständen dem Unternehmen nützlich und ihrer Art nach üblicherweise sonst dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist. Nicht alles, was einem Unternehmen objektiv nützlich und der Art der Verrichtung nach üblicherweise sonst dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist, wird in arbeitnehmerähnlicher Tätigkeit verrichtet. Vielmehr kommt der mit dem – objektiv arbeitnehmerähnlichen – Tun verbundenen Handlungstendenz ausschlaggebende Bedeutung zu. Verfolgt nämlich eine Person mit solchem Verhalten in Wirklichkeit wesentlich allein ihre eigenen Angelegenheiten, ist sie nicht mit fremdwirtschaftlicher Zweckbestimmung (BGH VersR 1985, 1082, 1083) und somit nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern eigenwirtschaftlich tätig und steht daher auch nicht nach § 539 Abs 2 RVO wie ein nach Abs 1 Nr 1 dieser Vorschrift Tätiger unter Versicherungsschutz (BSG SozR 2200 § 539 Nr 119).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG fehlte der Klägerin diese auf die Belange des Vereins gerichtete, fremdwirtschaftliche Handlungstendenz bei der unfallbringenden Handlung. Das ergab die rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung des LSG gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, gegen die die Revision keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht hat. Das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der verschiedenen Zeugenaussagen belegt, daß das LSG seine Feststellungen auf einwandfreie Beweise und nicht nur auf Vermutungen gestützt hat, wie die Revision meint. Der Senat ist an die tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 163 SGG). Danach stand vielmehr im Vordergrund der Beweggründe, daß die Klägerin bestrebt war, ihre minderjährige Tochter zu beaufsichtigen und sie im speziellen Fall entsprechend der vorangegangenen Erlaubnis der Eltern bei ihren Reitaktivitäten zu betreuen. Damit war die Handlungstendenz der Klägerin eigenwirtschaftlich ausgerichtet.

Schon deshalb geht der Hinweis der Revision auf eine „Vereinbarung” über die Beitragsentrichtung für „Platzwarte, Auskassierer, Übungsleiter und vergleichbare unentgeltlich für den Verein tätige Personengruppen” fehl. Die Klägerin war eben nicht für den Verein, sondern als Mutter für ihre Tochter tätig. Das Vorbringen der Revision unter Ziff 2 in ihrem Schriftsatz vom 29. Januar 1992 widerspricht in tatsächlicher Hinsicht den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG und ist insoweit rechtlich unbeachtlich, weil – die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Rüge nicht ordnungsgemäßer Sachaufklärung unterstellt – dieser Schriftsatz nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist abgefaßt und beim BSG eingegangen ist.

Der Senat hat bereits entschieden, daß derjenige, der eine hilfsbedürftige Person betreut, mit seiner Tätigkeit dem Haushalt als Unternehmen dient, dem diese Person angehört, seien es minderjährige Kinder oder hilfsbedürftige Erwachsene (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 6 mwN zur Auslegung des Begriffs „Haushaltung”). Dementsprechend hat der Senat auch die Betreuung einer blinden alten Frau, die im Haushalt ihrer Schwester aufgenommen war, den Verrichtungen zugeordnet, die diesem Haushalt dienen, und zwar nicht nur die Betreuungsmaßnahmen während des Aufenthaltes in den Wohnräumen, in denen der Haushalt eingerichtet war, sondern auch diejenigen während einer vorübergehenden Abwesenheit der Blinden aus Anlaß eines Kuraufenthaltes (Urteil vom 26. Januar 1988 – 2 RU 23/87 – HV-Info 1988, 712 = BAGUV RdSchr 25/88 = USK 8814 = WzS 1988, 92).

Danach verfolgte die Klägerin bei der unfallbringenden Handlung nicht nur eigene familiäre Interessen, sondern sie war zumindest als Mitunternehmerin des Familienhaushalts (Haushaltsvorstand) auch damit beschäftigt, diesem Unternehmen zu dienen, als sie ihre Tochter Nicole betreute und dabei den Unfall erlitt.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173577

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