Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.12.1993; Aktenzeichen L 17 U 107/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt höhere Altersrente. Streitig ist die Bewertung der ersten fünf Kalenderjahre seit seinem Eintritt in die Versicherung.

Der am 3. Januar 1932 geborene Kläger beantragte am 27. November 1991 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Mit Bescheid vom 28. Februar 1992 bewilligte ihm die Beklagte diese Leistung vom 1. Februar 1992 an in Höhe von 2.675,33 DM (Zahlbetrag unter Berücksichtigung des Beitragsanteils zur Krankenversicherung: 2.512,14 DM). Im Rahmen der Ermittlung von Entgeltpunkten (EP) nach § 70 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) nahm sie für die ersten 48 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (1. April 1949 bis 31. März 1953) eine gesonderte Bewertung vor. Dabei erhielten die Kalendermonate vom 1. April 1949 bis 31. Dezember 1951 (fiktiv) jeweils 0,075 EP, während die Folgemonate entsprechend den tatsächlich entrichteten Beiträgen höher bewertet wurden (1952: 0,0785 EP/Monat, 1953: 0,0890 EP/Monat).

Mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger eine Bewertung seiner ersten fünf Versicherungsjahre nach dem für ihn günstigeren Recht des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), das bis zum 31. Dezember 1991 gegolten hatte. Ein Vergleich zwischen altem und neuem Recht ergebe für ihn eine Rentenminderung von 106,28 DM im Monat. Eine derartige übergangslose Kürzung seiner vorher kalkulierten Altersversorgung sei verfassungswidrig. Die gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 8. Juli 1992 erhobene Klage blieb ebenso ohne Erfolg wie die anschließende Berufung (Urteile des Sozialgerichts Dortmund ≪SG≫ vom 6. Juli 1993 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ≪LSG≫ vom 8. Dezember 1993).

Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Die von der Beklagten zutreffend angewandte Vorschrift des § 70 SGB VI verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Nach Abs 3 dieser Bestimmung werde die Versicherungszeit des Klägers vom 1. April 1949 bis 31. Dezember 1951 zwar immer noch höher bewertet, als es den damals geleisteten Beiträgen entsprechen würde, der Umfang dieser Vergünstigung sei jedoch geringer, als es nach § 32 AVG der Fall gewesen wäre. Der darin liegende Eingriff in die den Schutz der Eigentumsgarantie genießende Rentenanwartschaft des Klägers (vgl Art 14 Abs 1 GG) halte sich in den Grenzen einer zulässigen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (vgl Art 14 Abs 1 Satz 2 GG). In Anbetracht der hier besonders großen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei die einschränkende Regelung durch Gründe des öffentlichen Interesses (Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung an die geänderten wirtschaftlichen, demographischen und sozialen Rahmenbedingungen) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt, zumal sie sich hinsichtlich der angenommenen Dauer einer Berufsausbildung an den regelmäßigen tatsächlichen Gegebenheiten orientiere. Da die Auswirkungen der Neuregelung auch im Falle des Klägers geringfügig seien, sei eine Übergangsregelung nicht geboten gewesen. Wenn sich der Stichtag für die Anwendung des neuen Rechts daran orientiere, ob ein Versicherter im Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB VI bereits Rentenbezieher gewesen sei, so könne dies nicht beanstandet werden.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger vor allem geltend: Das neue Recht führe gegenüber dem alten in zweierlei Hinsicht zu einer Verschlechterung. Er könne nur eine kürzere Zeit der fingierten Ausbildungsdauer von 48 Kalendermonaten berücksichtigt erhalten und sei zudem durch die ungünstigere Bewertung mit maximal 0,075 EP (entsprechend 90 % des Durchschnittsentgelts) beschwert. Die von ihm errechnete Rentenminderung von 106,28 DM stelle einen erheblichen Eingriff in seine Rentenanwartschaft dar. Die Regelung des § 70 Abs 3 SGB VI verstoße gegen Art 14 Abs 1 GG, weil der Gesetzgeber bei der Änderung des neuen Rentenrechts den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Vertrauensschutzgrundsatz überschritten habe. Während in (fast) allen anderen Gesetzesänderungen, die Nachteile für Versicherte brächten, mildernde Übergangsregelungen bestünden, mute der Gesetzgeber hier insbesondere den Versicherten, die ein erfülltes Versicherungsleben zurückgelegt hätten, von heute auf morgen eine erhebliche Rentenkürzung zu. Gleichzeitig werde keine Möglichkeit gegeben, diese Kürzung auszugleichen. Auf der anderen Seite erführen Versicherte, die einen lückenhaften Versicherungsverlauf aufwiesen, eine besondere Aufwertung ihrer Rente. Seit dem Jahre 1957 habe er darauf vertrauen können, daß die Bewertung der ersten fünf Kalenderjahre mit dem sich bis zum 31. Dezember 1991 ergebenden Werteinheitendurchschnitt erfolge. Des weiteren rüge er einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art 3 Abs 1 GG. Die Einführung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) zum 1. Januar 1992 stelle im Hinblick auf seinen Rentenanspruch eine unzulässige Stichtagsregelung dar. Die Versicherten, die bereits vor dem 1. Januar 1992 ihren Rentenanspruch hätten verwirklichen können, gleichwohl dieselben streitgegenständlichen Versicherungszeiten im selben Zeitraum zurückgelegt hätten, würden leistungsrechtlich gegenüber denjenigen, deren Anspruch erst danach entstanden sei, willkürlich bessergestellt. Beide hätten seit Jahrzehnten auf ein und dieselbe leistungsrechtliche Behandlung der zurückgelegten Versicherungszeiten vertraut.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG vom 8. Dezember 1993 sowie das Urteil des SG vom 6. Juli 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. Februar 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1992 zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 1992 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren, bei deren Bemessung die Beitragszeit vom 1. April 1949 bis 31. Dezember 1953 nach Maßgabe des § 32 Abs 4 Buchst a AVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung berücksichtigt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte wie die Vorinstanzen haben ihm zu Recht eine höhere Altersrente versagt.

Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich nicht nach dem AVG, sondern nach dem SGB VI, weil er erst nach der zum 1. Januar 1992 wirksam gewordenen Aufhebung des AVG (vgl Art 83 Nr 1, Art 85 Abs 1 RRG 1992) entstanden ist (vgl § 300 Abs 1 und 2 SGB VI). Da der Kläger am 2. Januar 1992 sein 60. Lebensjahr vollendet hatte, begann die ihm mit Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1992 bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (vgl § 38 SGB VI) am 1. Februar 1992 (vgl § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI). Die Beklagte hat auch die für die Rentenhöhe bedeutsamen EP (vgl dazu § 63, 64 SGB VI) zutreffend ermittelt; insbesondere sind die ersten Versicherungsjahre des Klägers nicht höher zu bewerten.

Für Beitragszeiten werden nach § 70 Abs 1 Satz 1 SGB VI EP ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage des Versicherten (vgl §§ 161 ff SGB VI) durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1 zum SGB VI) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Gemäß § 70 Abs 3 Satz 1 SGB VI erhalten Pflichtbeitragszeiten für eine Berufsausbildung für jeden Kalendermonat 0,075, mindestens jedoch die nach Abs 1 ermittelten EP. Als Pflichtbeitragszeiten für eine Berufsausbildung gelten stets die ersten 48 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (vgl § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI). Diese Regelung ist von der Beklagten ordnungsgemäß angewandt worden, indem sie beim Kläger für die Zeit von April 1949 bis Dezember 1951 (= 33 Monate) angesichts niedriger tatsächlich entrichteter Beiträge eine Höherbewertung auf 0,075 EP/Monat vornahm, während sie für die folgenden 15 Monate (Januar 1952 bis März 1953) die nach § 70 Abs 1 Satz 1 SGB VI ermittelten höheren EP zugrunde legte. Eine darüber hinausgehende Vergünstigung kann der Kläger nicht beanspruchen. Insbesondere ist auch eine für ihn günstigere Bewertung der ersten fünf Kalenderjahre seit seinem Eintritt in die Versicherung (am 1. April 1949), wie sie § 32 Abs 4 AVG vorsah, nicht möglich. Denn diese Bestimmung ist mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, gemäß Art 100 Abs 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsmäßigkeit der vom Kläger angegriffenen Regelung des § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI herbeizuführen; denn er stimmt mit den Vorinstanzen darin überein, daß diese Vorschrift mit dem GG vereinbar ist.

Prüfungsmaßstab ist Art 14 GG, da die vom Kläger in der Zeit bis zum Inkrafttreten des § 70 SGB VI am 1. Januar 1992 erworbene Rentenanwartschaft vom Schutzbereich dieser Verfassungsnorm erfaßt wird (vgl BVerfGE 53, 257, 289 ff = SozR 7610 § 1587 Nr 1; BVerfGE 58, 81, 109 = SozR 2200 § 1555a Nr 7). Es handelt sich um eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; sie genießt den Schutz der Eigentumsgarantie, weil sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient (vgl zB BVerfGE 69, 272, 300 = SozR 2200 § 165 Nr 81). Dabei ist auf die rentenversicherungsrechtliche Position des Klägers insgesamt abzustellen und nicht auf einzelne Berechnungselemente, wie hier die Bewertung der ersten Versicherungsjahre. Insofern kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, daß § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI – ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 32 Abs 4 AVG – eine Vergünstigung vorsieht, die gerade darin besteht, daß für den betreffenden Zeitraum Mindestwerte berücksichtigt werden sollen, die über die insoweit tatsächlich erbrachte Eigenleistung hinausgehen können (vgl BVerfGE 58, 81, 109; 69, 272, 301f).

Die durch das RRG 1992 erfolgte Neuregelung hat die Rentenanwartschaft des Klägers beeinträchtigt. Der damit außer Kraft getretene § 32 Abs 4 Buchst a AVG ließ für ihn eine günstigere Bewertung der ersten Versicherungsjahre zu. Nach dieser Vorschrift blieben mit Pflichtbeiträgen belegte Kalendermonate der ersten fünf Kalenderjahre seit dem Eintritt in die Versicherung (sofern sie – wie hier – vor dem 1. Januar 1964 endeten) bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage nach § 32 Abs 3 AVG außer Betracht, wenn sich dadurch ein höherer Monatsdurchschnitt aus den bis zum 31. Dezember 1964 zurückgelegten Beitragszeiten ergab. Die nicht zu berücksichtigenden Beitragszeiten waren wie Ausfallzeiten zu bewerten. Für mit Pflichtbeiträge belegte Kalendermonate war der Wert 7,50 zugrunde zu legen, wenn dieses für den Versicherten günstiger war. Da sich beim Kläger – wie das LSG aufgrund der Rentenauskunft der Beklagten vom 25. September 1991 festgestellt hat – für die Beitragszeiten vom 1. April 1949 bis 31. Dezember 1964 ein Monatsdurchschnitt von 10,12, ohne die ersten fünf Kalenderjahre (1. April 1949 bis 31. Dezember 1953) jedoch ein solcher von 12,37 ergab, waren die in den ersten fünf Jahren liegenden 57 Beitragsmonate gemäß § 32a Abs 2 AVG wie Ausfallzeiten mit insgesamt 705,09 Werteinheiten (12,37 × 57) anzurechnen. Wenn man berücksichtigt, daß nach dem alten Recht 100 Werteinheiten/Jahr der allgemeinen Bemessungsgrundlage, also dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung der Angestellten und der Arbeiter (ohne Lehrlinge und Anlernlinge), entsprachen (vgl § 32 Abs 1 AVG), so hätte der Kläger auf diese Weise eine Höherbewertung von 57 Beitragsmonaten auf über 148 % des Durchschnitts (12,37 × 12 = 148,44) erreichen können, während nach neuem Recht nur 33 (von 48 möglichen) Monaten auf den Mindestwert von 90 % (0,075 × 12 = 0,9 EP) des Durchschnittsentgelts (= 1 EP; vgl § 63 Abs 2 Satz 2 SGB VI) angehoben worden sind.

Soweit damit durch das Inkrafttreten des § 70 Abs 3 SGB VI ua auch in die bis dahin vorhandene Rechtsposition des Klägers eingegriffen worden ist, handelt es sich um eine verfassungsrechtlich zulässige gesetzgeberische Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG. Der Gesetzgeber hatte hier nicht nur deswegen eine besonders große Gestaltungsfreiheit (vgl BVerfGE 53, 257, 293), weil bei Rentenanwartschaften die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen bereits von vornherein angelegt ist (vgl BVerfGE 58, 81, 110; 70, 101, 111 = SozR 2200 § 1260c Nr 17), sondern auch, weil es lediglich um die Begrenzung von Positionen ging, die Ausdruck besonderer Vergünstigungen waren (vgl BVerfGE 58, 81, 111). Allerdings sind Eingriffe in Rentenanwartschaften nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Sie müssen zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (vgl zB BVerfGE 76, 220, 238 = SozR 4100 § 242b Nr 3). Diesen Anforderungen genügt § 70 Abs 3 SGB VI.

Das RRG 1992, durch welches das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung als Sechstes Buch in das SGB eingefügt worden ist, sollte vor allem den Belastungsverschiebungen Rechnung tragen, die durch früheren Rentenbeginn, steigende Lebenserwartung, veränderte Erwerbstätigkeit und sinkende Geburtenhäufigkeit bereits entstanden waren und sich verstärkt für die Zukunft abzeichneten. Dabei sollten die erforderlichen Veränderungen durch die Rentner, die Beitragszahler und den Bund gemeinsam getragen werden. Ziel war es insoweit, einerseits die Mechanismen zur Stabilisierung der Finanzlage der Rentenversicherung anzupassen und weiterzuentwickeln sowie andererseits wichtige Strukturelemente der Rentenversicherung (insbesondere den Grundsatz der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Rente) fortzuentwickeln und zu ergänzen. Zu den insoweit beschlossenen Maßnahmen gehört auch die gegenüber dem alten Recht eingeschränkte Höherbewertung der ersten (mit niedrigen Beiträgen belegten) Versicherungsjahre. Beabsichtigt war in dieser Hinsicht vor allem eine Konzentration auf Zeiten der beruflichen Ausbildung (vgl BT-Drucks 11/4124 S 136 ff, 143).

Zur Erreichung dieser weitreichenden Ziele war die gesetzliche Neuregelung insgesamt geeignet. Auch § 70 Abs 3 SGB VI fügt sich in dieses Konzept ein. Es wurden Vergünstigungen zurückgenommen, die dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Betonung einer Beitragsbezogenheit der Rente sowie angesichts der angespannten Gesamtlage der gesetzlichen Rentenversicherung als unangemessen erscheinen konnten. Der damit erzielte Spareffekt ist sicher nicht bloß marginal (vgl dazu allgemein BVerfGE 70, 101, 112). Die beabsichtigte Konzentration der Höherbewertung auf Zeiten der Berufsausbildung wird nicht nur durch die Regelung des § 70 Abs 3 Satz 1 SGB VI (zeitlich unbegrenzte Höherbewertung von Pflichtbeitragszeiten für eine nachgewiesene Berufsausbildung; vgl dazu § 256 Abs 1 SGB VI), sondern auch durch die zeitlichen Beschränkungen der fiktiven Ausbildungszeiten iS des Satzes 2 dieser Vorschrift (Altersgrenze und gekürzte Dauer entsprechend den typischen Verhältnissen einer Berufsausbildung) verwirklicht. Unter diesen Umständen kann auch die Erforderlichkeit dieser Maßnahme nicht verneint werden. Sie würde nur dann fehlen, wenn evident wäre, daß die angestrebte Einsparung und Konsolidierung mit weniger einschneidenden Mitteln hätten erreicht werden können (vgl BVerfGE 76, 220, 241).

Die zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erforderliche Abwägung ergibt, daß ein öffentliches Interesse an dem Inkrafttreten des § 70 Abs 3 SGB VI das Interesse der betroffenen Personen an dem Fortbestehen der günstigeren Bewertung nach altem Recht überwiegt. Die mit dem RRG 1992 verfolgten Ziele fallen erheblich ins Gewicht, da sie auf eine Verbesserung der Finanzlage wie auch der Struktur der gesetzlichen Rentenversicherung gerichtet waren. In diesem Zusammenhang haben alle Maßnahmen besondere Bedeutung, die einer Stärkung der Beitragsbezogenheit der Rente dienen. Dazu gehört auch die Regelung des § 70 Abs 3 SGB VI, soweit sie sich als Einschränkung einer nach § 32 Abs 4 AVG möglichen Höherbewertung von niedrigen Pflichtbeiträgen auswirkt. Durch diese gesetzgeberische Maßnahme wurden Versicherte wie der Kläger nicht unzumutbar belastet. Auch bei ihm ist es weiterhin zu einer Anhebung der durch die tatsächlich erbrachten Beiträge erzielten Werte (EP) gekommen. Eingriffe in selbst erworbene Beitragszeiten sind nicht erfolgt. Die vom Kläger errechnete Rentenminderung von 106,28 DM im Monat hält sich in einem vertretbaren Rahmen, wenn man berücksichtigt, daß sie bereits durch die nächsten beiden Rentenanpassungen mehr als ausgeglichen wurde (vgl dazu allgemein BVerfGE 58, 81, 117; 76, 220, 242). Da der aktuelle Rentenwert (vgl § 63 Abs 6 und 7, § 65 SGB VI) zum 1. Juli 1992 von 41,44 auf 42,63 DM und zum 1. Juli 1993 weiter auf 44,49 DM angehoben worden ist (vgl § 1 Abs 1 der Rentenanpassungsverordnung 1992 vom 5. Juni 1992 ≪BGBl I S 1017≫, § 1 Abs 1 der Rentenanpassungsverordnung 1993 vom 9. Juni 1993 ≪BGBl I S 917≫), erhöhte sich die Altersrente des Klägers in diesem Zeitraum von 2.675,32 DM auf 2.872,23 DM. Auch das BVerfG hat in einem vergleichbaren Zusammenhang Rentenminderungen von 3 bis 8 % nicht als übermäßig nachteilig angesehen (vgl BVerfGE 58, 81, 115 ff, 122). Hinzu kommt, daß sich die in § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI vorgenommene zeitliche Begrenzung der Höherbewertung auf die ersten 48 Pflichtbeitragsmonate dadurch, daß Beitragslücken – anders als nach altem Recht – unberücksichtigt bleiben, für zahlreiche Versicherte durchaus vorteilhaft auswirkt (vgl dazu zB Wehowsky, Nbl LVA Baden 1991, 9, 11). Unter diesen Umständen mußte der Gesetzgeber den betroffenen Versicherten von Verfassungs wegen nicht die Möglichkeit einräumen, durch eigene Dispositionen den Eintritt eines Schadens zu vermeiden (vgl dazu allgemein BVerfGE 75, 78, 98f, 103f = SozR 2200 § 1246 Nr 142).

Auch unter dem Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes, der ebenfalls im Rahmen des Art 14 GG zu berücksichtigen ist (vgl BVerfGE 70, 101, 114; 76, 220, 244f), vermag der erkennende Senat keine Verfassungswidrigkeit darin zu sehen, daß § 70 Abs 3 SGB VI vom 1. Januar 1992 an übergangslos auf alle neuen Rentenansprüche anzuwenden ist. Zwar ist der Gesetzgeber grundsätzlich gehalten, bei schwerwiegenden Eingriffen in eigentumsgeschützte Rechtspositionen schonende Übergangsregelungen vorzusehen (vgl zB BVerfGE 72, 9, 24 = SozR 4100 § 104 Nr 13). Dies war jedoch hier angesichts der relativ geringgradigen Beeinträchtigung der Rentenanwartschaft nicht geboten, zumal sich bei den Versicherten auch kein besonders schutzwürdiges Vertrauen in die uneingeschränkte Fortgeltung des bisherigen Rechts hat entwickeln können.

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, daß das bei Eintritt des Klägers in die Versicherung (April 1949) und während der ersten fünf Kalenderjahre (bis Dezember 1953) geltende Rentenrecht eine Höherbewertung der darin zurückgelegten Beitragszeiten noch nicht vorsah (vgl §§ 1268 ff RVO damaliger Fassung). Auch die Regelung des § 32 Abs 4 AVG, auf die sich der Kläger stützt, hat in dieser Form nicht unverändert bereits seit der Rentenreform von 1957 bestanden. Die durch das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88) eingeführte Fassung dieser Vorschrift sah zunächst nur vor, daß bei Versicherten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres in die Versicherung eingetreten waren, bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage die Pflichtbeiträge der ersten fünf Kalenderjahre außer Betracht blieben, wenn dies zu einem höheren Vomhundertsatz führte. Damit sollte ein gewisser Ausgleich dafür geschaffen werden, daß bei der Bestimmung der allgemeinen Bemessungsgrundlage nach § 32 Abs 2 AVG die Arbeitsentgelte der Lehrlinge und Anlernlinge unberücksichtigt blieben (vgl zu BT-Drucks II/3080 S 7, 12). Erst das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I S 476) schaffte die Altersgrenze (Eintritt in die Versicherung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) ab, andererseits wurden für solche Versicherte, deren erste fünf Kalenderjahre nach dem 31. Dezember 1963 endeten (Eintritt in die Versicherung also nach dem 1. Januar 1959), feste Mindestwerte (Leistungsgruppe 3 der Anlage zu § 32a AVG) eingeführt. Die vor diesem Stichtag liegenden Fälle wurden im wesentlichen wie bisher behandelt, wobei die nicht zu berücksichtigenden Beitragszeiten wie Ausfallzeiten (dh nach § 32a AVG) zu bewerten waren. Zwar ersetzte Art 20 Nr 6 Buchst b des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 (HBegleitG 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S 1857) lediglich (im Hinblick auf BVerfGE 57, 335 = SozR 2200 § 1255 Nr 13) die bisherige Leistungsgruppenbewertung durch einheitliche Werte von monatlich 7,50 (= 90 % der Durchschnittsentgelte); bereits im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens ist jedoch zum Ausdruck gebracht worden, daß die Bewertung der Pflichtbeiträge für die ersten fünf Kalenderjahre einer Überprüfung unterzogen werden sollte, um auf der Grundlage der erbrachten Leistung mehr Beitragsgerechtigkeit als bisher zu erreichen (vgl BT-Drucks 9/2074 S 102). Dieses Vorhaben ist dann erst durch das RRG 1992 eingelöst worden, wobei insbesondere die schon im bisherigen Recht angelegte Orientierung der Höherbewertung an einem Betrag von 90 % des Durchschnittsentgelts (vgl § 32 Abs 4 Buchst a Satz 3, Buchst b AVG idF des HBegleitG 1983) auch auf die bislang verschonten Altfälle (Eintritt in die Versicherung vor 1959) ausgedehnt wurde (vgl § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI). Angesichts dieser Gesetzesentwicklung konnten die Versicherten wie der Kläger nicht auf Dauer mit einem unveränderten Fortbestand ihrer besonders günstigen Rechtsposition rechnen. Im nachhinein betrachtet ist ihnen bezogen auf die durch das RVÄndG erfolgte Begrenzung der Höherbewertung eine Übergangszeit von mehr als 25 Jahren eingeräumt worden.

Schließlich liegt nach Auffassung des erkennenden Senats kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor. Auch an diese Verfassungsnorm ist der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gebunden (vgl BVerfGE 74, 203, 214 = SozR 4100 § 120 Nr 2).

Nach Art 3 Abs 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitsgrundsatz will vielmehr ausschließen, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1). Die Anwendung dieses Grundsatzes verlangt den Vergleich von Lebenssachverhalten, die nicht in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sein können. Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Elementen er als maßgeblich für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz hat das zuständige Gericht daher nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (vgl zB BVerfGE 83, 395, 401).

Der Kläger macht im wesentlichen eine Benachteiligung gegenüber älteren Versicherten mit vergleichbarem Versicherungsverlauf geltend, die bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VI die Anspruchsvoraussetzungen für Arbeitslosenaltersruhegeld (vgl § 25 Abs 2 AVG) erfüllten und dementsprechend noch in den Genuß einer Höherbewertung ihrer ersten fünf Versicherungsjahre nach § 32 Abs 4 Buchst a AVG gelangen konnten. Diese Ungleichbehandlung ist Folge des Inkrafttretens des § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI zum 1. Januar 1992 und der übergangslosen Anwendung dieser Vorschrift auf alle Rentenvorgänge ab diesem Zeitpunkt. Härten, die mit einer derartigen Stichtagsregelung verbunden sind, müssen dann hingenommen werden, wenn die Einführung des Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunktes, orientiert am gegebenen Sachverhalt, vertretbar ist (vgl BVerfGE 58, 81, 126). Dies ist hier der Fall. Zur Einführung des neuen Rechts war eine Stichtagsregelung erforderlich. Wenn der Gesetzgeber bei der Wahl des Zeitpunktes dem Schutz der Bestandsrenten den Vorzug vor dem Schutz von Rentenanwartschaften gegeben hat, so ist das nach den Gesamtumständen der vorliegenden Regelung nicht zu beanstanden (vgl BVerfGE 58, 81, 127, ähnlich auch BVerfGE 87, 1, 45). Insoweit ist insbesondere auch zu berücksichtigen, daß § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI bei größeren Beitragslücken in den ersten fünf Kalenderjahren nach dem Eintritt in die Versicherung gegenüber dem alten Recht (vgl dazu zB BSG SozR 2200 § 1255 Nrn 12, 27, 28) eine günstigere Bewertung ermöglicht.

Soweit sich der Kläger in den Vorinstanzen mit einem Beamten im Ruhestand verglichen hat, ist ebenfalls keine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG ersichtlich. Die verschiedene Behandlung von Altersrentnern der Sozialversicherung (vgl §§ 35 ff SGB VI) und Ruhegehaltsempfängern (vgl §§ 4 ff des Beamtenversorgungsgesetzes ≪BeamtVG≫) ist verfassungsrechtlich schon deshalb hinzunehmen, weil beide Regelungen wegen der besonderen Zweckbestimmung und Grundlage der beamtenrechtlichen Versorgung nicht vergleichbar sind (vgl BVerfGE 40, 121, 139 = SozR 2400 § 44 Nr 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173065

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