Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.09.1996; Aktenzeichen L 4 Kr 2404/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 1996 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) als Künstler in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert ist.

Der 1952 geborene Kläger hat die Meisterprüfung als Zupfinstrumentenmacher abgelegt. In der Zeit von 1982 bis 1992 betrieb er zusammen mit B. … M. …, der keine Meisterprüfung abgelegt hatte, ein Unternehmen in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Bau von Zupfinstrumenten. Das Unternehmen wurde in die Handwerksrolle eingetragen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1991 meldete der Kläger den kunsthandwerklichen Bau historischer Saiteninstrumente und Klangobjekte als selbständiges Gewerbe an und bemühte sich um dessen Anerkennung als freiberufliche und künstlerische Tätigkeit. Nach Auflösung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts wurde der Kläger im April 1992 mit dem handwerklichen Nebenbetrieb des Zupfinstrumentenmachers in die Handwerksrolle eingetragen; die Handwerkskammer sah die Tätigkeit des Klägers beim Bau historischer Zupfinstrumente als nicht handwerkliche, sondern künstlerische Haupttätigkeit an.

Der Kläger hatte sich bereits im Dezember 1982 an die Beklagte gewandt, um seine Versicherungspflicht nach dem KSVG klären zu lassen. Die Beklagte teilte ihm mit Schreiben vom 8. Februar 1983 mit, er sei nach dem KSVG weder renten- noch krankenversichert. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger gehöre zwar zum Kreis der selbständigen Künstler, die nach dem KSVG grundsätzlich versichert seien. Nach § 2 Abs 2 Nr 2 KSVG (in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 27. Juli 1981, BGBl I 705, ≪KSVG 1981≫) werde jedoch nicht versichert, wer als Handwerker in die Handwerksrolle eingetragen sei. Hiergegen hat der Kläger zunächst nichts unternommen. Er ist seit 1. Dezember 1982 freiwilliges Mitglied der Deutschen Angestellten-Krankenkasse. Im Januar 1991 beantragte er erneut, seine Versicherungspflicht nach dem KSVG festzustellen. Er sah in der Herstellung von Zupfinstrumenten eine künstlerische Tätigkeit, die dem Bereich Musik, eventuell auch dem Bereich bildende Kunst/Design bzw Holzgestaltung zuzuordnen sei, da aufwendiger Verzierungsschmuck individuell unterschiedlich ausgearbeitet werde. Die Beklagte lehnte die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung durch Bescheid vom 20. September 1991 ab. Der Kläger gehöre nicht zum Kreis der selbständigen Künstler, da er eine überwiegend handwerkliche Tätigkeit ausübe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. April 1992).

Das Sozialgericht (SG) holte im nachfolgenden Klageverfahren unter anderem ein Gutachten von Prof. H. … K. … (staatliche Hochschule für Musik und Theater in Hannover) ein und gab der Klage durch Urteil vom 6. Dezember 1994 statt. Der Kläger sei als Künstler anzusehen, der bildende Kunst in der Form freischöpferisch gestalteter Musikinstrumente schaffe. Die künstlerisch-eigenschöpferische Gestaltung liege nicht so sehr in der Schaffung der Instrumentenkörper und deren Verzierung, sondern vielmehr in der auf wissenschaftlicher Grundlage in freier Neuschöpfung erfolgenden Verwandlung des aus dem Werkstoff Holz gefertigten Klangkörpers in ein Gebilde mit ganz besonderer und einzigartiger musikalischer Ausdruckskraft, durch welche der Kläger untergegangene musikalische Ausdruckswelten wiederaufleben lasse und quasi nachdichte. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 20. September 1996 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers als Zupfinstrumentenmacher könne nicht als künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG angesehen werden. Sie sei weder dem Bereich bildende Kunst zuzuordnen, weil die vom Kläger geschaffenen Instrumente nicht als Gegenstände wirken sollten, sondern aufgrund ihrer Klangmöglichkeiten. Ein Instrumentenbauer zähle jedoch auch nicht zu den Musikschaffenden, weil das Instrument erst das Mittel sei, das die Schaffung von Musik ermögliche. Hinzu komme, daß der Kläger ein Handwerk im Sinne der Handwerksordnung ausübe. Zweck des KSVG sei es jedoch, bisher nicht sozial abgesicherte Personenkreise zu schützen. Diese Voraussetzung sei bei Handwerkern nicht erfüllt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 1 und 2 KSVG. Das LSG habe seiner Entscheidung einen zu engen Kunstbegriff zugrunde gelegt. Es verkenne vor allem, daß die Klangfarbe eines Instrumentes ein wesentliches Element der Musik sei. Das LSG sei zudem zu Unrecht davon ausgegangen, daß als Kunst im Sinne des KSVG nur anzusehen sei, was sich den Bereichen Wort, bildende Kunst, Musik oder darstellende Kunst zuordnen lasse. Eine solche „Kategorienmethodik” sei schon deshalb unzulässig, weil sich gerade das künstlerische Schaffen nicht in bestimmte Kategorien zwängen lasse. Das LSG habe deshalb auch dann, wenn sich der Bau historischer Saitenzupfinstrumente nicht den formalen Kategorien Musik bzw bildende Kunst zuordnen lasse, prüfen müssen, ob es sich hierbei um künstlerisches Schaffen handele. Darüber hinaus habe das LSG die Bindungswirkung des Bescheides vom 8. Februar 1983 hinsichtlich der Künstlereigenschaft des Klägers verkannt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Dezember 1994 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 1996 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Zur Entscheidung über die Versicherungspflicht des Klägers in der Künstlersozialversicherung sieht sich der Senat aufgrund der Feststellungen des LSG nicht in der Lage.

Die Klage ist nicht schon im Hinblick auf die Vorschrift des § 77 SGG (Bindungswirkung von Verwaltungsakten) begründet. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 1983 keine verbindliche Feststellung der Künstlereigenschaft des Klägers enthält. Soweit dort ausgeführt wurde, der Kläger gehöre zum Kreis selbständiger Künstler und Publizisten, die nach dem KSVG in der Rentenversicherung (RV) der Angestellten und in der gesetzlichen Krankenversicherung (KV) versichert werden, handelt es sich um einen Bestandteil der Begründung, der nicht in Bindungswirkung erwachsen ist. Die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes beschränkt sich grundsätzlich auf den Verfügungssatz. Dieser enthielt lediglich die Feststellung, daß der Kläger ab 1. Januar 1983 nach dem KSVG weder kranken- noch rentenversichert sei und er auch keinen Anspruch auf einen Beitragszuschuß zur gesetzlichen Krankenversicherung habe.

Der Begründung eines Verwaltungsaktes kann nur insoweit Bindungswirkung zukommen, als sie eine selbständige Feststellung enthält, die iS eines – weiteren – Verfügungssatzes zu werten ist (vgl Urteil des Senats vom 20. November 1996, 3 RK 5/96 – für SozR vorgesehen; BSGE 66, 168, 173 f = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; BSGE 45, 236, 237 = SozR 1500 § 77 Nr 29 mwN). Eine derartige Bedeutung kommt der im Bescheid vom 8. Februar 1983 enthaltenen Aussage, der Kläger gehöre zum Kreis selbständiger Künstler und Publizisten, die nach dem KSVG in der RV der Angestellten und in der gesetzlichen KV versichert werden, nicht zu. Nach der seinerzeit maßgebenden Rechtslage war für die Ablehnung der Versicherungspflicht nach dem KSVG sowohl in der Renten- als auch in der Krankenversicherung die Eintragung in die Handwerksrolle ausschlaggebend. Auf die Eigenschaft des Klägers als Künstler kam es danach nicht an. Die Beklagte hatte deshalb keine Veranlassung, hierüber eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Auch für den Kläger als Adressaten des Bescheides war ohne weiteres erkennbar, daß die Aussage über die Zugehörigkeit zum Kreis selbständiger Künstler und Publizisten seinerzeit für die Entscheidung der Beklagten nicht erheblich war.

Ob Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Nr 1 KSVG und in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Nr 5 KSVG besteht, läßt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht beantworten. Ist der Kläger als Instrumentenbauer Künstler und nicht Handwerker, so könnten die sonstigen Tätigkeiten, die der Kläger neben dem Bau von historischen Instrumenten ausübt, wie der Verkauf von Saiten und die Reparatur von Instrumenten, deren Umfang bisher aber nicht festgestellt worden ist, der Versicherungspflicht entgegenstehen, wenn diese Tätigkeiten mehr als geringfügig sind (§§ 4 Nr 1, 5 Nr 5 KSVG). Diese Tätigkeiten sind von dem Herstellen von Instrumenten sowie ihrem Verkauf als Verwertungsgeschäfte zu unterscheiden und zwanglos als handwerkliche Tätigkeiten einzuordnen.

Ob der Kläger als Instrumentenbauer Künstler im Sinne des KSVG ist, läßt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG ebenfalls nicht entscheiden.

Nach § 1 KSVG idF des Gesetzes zur Änderung des KSVG vom 20. Dezember 1988 – KSVG 1989 – (BGBl I, 2606) werden selbständige Künstler und Publizisten in der Rentenversicherung der Angestellten und in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen. § 20 Abs 1 Nr 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) hat sie außerdem in die gesetzliche Pflegeversicherung einbezogen.

Nach § 2 KSVG 1989 ist Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Zutreffend ist das LSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, daß das KSVG damit eine an der Typologie der Ausübungsformen orientierte Einteilung in Kunstgattungen vornimmt, die der Differenzierung bei der Abgabenerhebung dient (vgl §§ 1 und 2 der Verordnung zur Durchführung des KSVG vom 23. Mai 1984 ≪BGBl I, 709 – KSVGDV≫), den Kunstbegriff aber materiell nicht definiert. Er ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung zu erschließen (vgl zuletzt BSG SozR 3-5425 § 24 Nr 12; zum Kunstbegriff des Art 5 GG: BVerfGE 30, 173, 188 ff und 81, 108, 116; zur Zielrichtung des KSVG: BT-Drucks 9/26 S 18 zu § 2; BT-Drucks 8/3172 S 19 ff).

Soweit danach dem Kunstbegriff des KSVG eine eigenschöpferische Leistung immanent ist, hat sich der Senat entsprechend dem Schutzzweck der Künstlersozialversicherung mit einem relativ geringen Niveau der Leistung begnügt (BSG SozR 3-5425 § 1 Nr 4 und SozR 3-5425 § 24 Nr 12). Das Leistungsniveau des Klägers steht hier allerdings außer Streit; es geht darum, ob seinem Schaffen eine schöpferische Leistung zugrunde liegt, die über den Bereich des Handwerklichen hinausgeht. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Personen, die eine handwerkliche Tätigkeit iS der Handwerksordnung ausüben, grundsätzlich nicht als Künstler iS des § 2 KSVG angesehen werden können. Dies ergibt sich aus dem Zweck des KSVG, vornehmlich solche Personengruppen zu schützen, die vor der Einführung des KSVG gegen die sozialen Risiken nicht abgesichert waren. Dies trifft auf Handwerker nicht zu.

Die Abgrenzung entspricht derjenigen von Handwerk und freiem Beruf im Gewerberecht. Tätigkeiten, die dem Berufsbild eines Handwerks entsprechen, werden von der Handwerksordnung nur dann nicht erfaßt, wenn sie nicht als stehendes Gewerbe, sondern als freier Beruf ausgeübt werden (vgl Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, 2. Aufl 1984, § 1 Anm C 1 a; Honig, Handwerksordnung, 1993, § 1 RdNr 9, 15). Dies setzt voraus, daß es sich um eine freie wissenschaftliche, künstlerische oder publizistische Tätigkeit höherer Art handelt (Marcks in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Bd 1, Stand August 1996, Einl RdNr 65 ff; Friauf in: Fuhr, Kommentar zur Gewerbeordnung, Stand Februar 1989, § 1 RdNr 94).

Die für die Abgrenzung somit maßgebende Feststellung einer eigenschöpferischen Leistung ergibt sich noch nicht daraus, daß der Kläger, wie er selbst angibt, nach eigener Planung individuelle Stücke entsprechend den Vorstellungen seiner Auftraggeber fertigt. Denn individuelle Fertigung zeichnet auch das Handwerk aus und unterscheidet es insoweit von der industriellen Produktion. Für die Bewertung als künstlerische Leistung kommt es darüber hinaus darauf an, ob eine über eine rein technisch-manuelle Gestaltung hinausgehende schöpferische Leistung entfaltet wird.

Zutreffend hat das LSG erwogen, daß insoweit die künstlerische Leistung nur in dem Schaffen von Musik liegen kann, nicht dagegen in der Herstellung bildender Kunst, weil das Instrument nicht als Gegenstand der Betrachtung, sondern als Quelle von Tönen zu beurteilen ist. Den naheliegenden Vergleich mit einem Komponisten, der nicht selbst musiziert, sondern nur die Voraussetzung, das Programm, dafür schafft und unbestritten als musikschaffender Künstler gilt, hat das LSG mit dem Argument verworfen, das Bauen eines Instruments, dem man seine Klangqualität nicht ansehe, unterscheide sich von dem Komponieren dadurch, daß ein Musikkundiger beim Lesen der Noten sich sogleich auch den Klang vorstellen könne. Indessen ist es fraglich, ob ein Instrumentenkenner sich nicht auch bei den Produkten des Klägers eine Vorstellung vom Klangbild machen kann. Entscheidend ist aber, daß es auf dieses Kriterium auch für die Einstufung des Komponierens als Musikschaffen nicht ankommt. Es reicht aus, daß ein eigenschöpferischer Beitrag dazu geleistet wird, daß aus Tönen Musik wird. Nichts anderes kann auch für den Instrumentenbauer gelten, sofern er nicht nur die Erzeugung von Tönen nach den Regeln des Handwerks bewirkt, sondern an der Klangschöpfung als Musiker entscheidend mitwirkt, wie es der Kläger behauptet.

Auch das weitere Argument des LSG, nach allgemeinem Verständnis seien Instrumentenbauer, selbst die berühmtesten, nicht Musikschaffende, sondern Handwerker, überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht. Richtig ist, daß sich die Kunst historisch gesehen aus dem Handwerk entwickelt hat und berühmte mittelalterliche Künstler seinerzeit noch als Handwerker angesehen wurden. Zutreffend ist ferner, daß der Beruf des Instrumentenbauers auch heute noch als Handwerksberuf erlernt werden kann (vgl Verordnung über die Berufsausbildung zum Zupfinstrumentenmacher/ zur Zupfinstrumentenmacherin vom 27.1.1997- BGBl I 85). Daß ein Beruf allgemein als Handwerk ausgeübt wird, schließt aber nicht aus, daß im Einzelfall auf handwerklicher Grundlage Kunst ausgeübt wird. Das ist für die Berufe etwa des Goldschmieds, des Steinmetzes oder des Fotografen ohne weiteres einsichtig. § 2 Abs 2 KSVG eV führt ausdrücklich die Tätigkeiten von Gold- und Silberschmieden, Bildhauern und Lichtbildnern als künstlerische im Bereich „bildende Kunst” auf.

Wann (noch) Handwerk oder (schon) Kunst vorliegt, läßt sich allenfalls allgemein nach dem Kriterium der eigenschöpferischen Leistung beurteilen (vgl BVerfG, GewArch 1992, 133; OVG Lüneburg, OVGE Münster/Lüneburg 42, 455). Dies ist aber identisch mit dem Kunstbegriff, der sich nicht allgemeingültig beschreiben läßt, sondern sich zwischen einer elitären Auffassung über den breiten Publikumsgeschmack bis hin zu einem alles menschliche Handeln umfassenden Kunstverständnis bewegt. Hinzu kommt, daß selbst vom Standpunkt eines einzelnen Betrachters mit seinem individuellen Kunstverständnis nicht genau zu sagen ist, wo die Grenze verläuft, da die Kriterien nicht meßbar und die Übergänge fließend sind. Die Folge ist, daß häufig kaum nachvollziehbar begründet werden kann, weshalb im Einzelfall eine künstlerische Qualität vorliegt oder nicht.

Das Erfordernis, die Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung festzustellen, verlangt aber in solchen Fällen nach einem nachvollziehbaren, allgemeingültigen Abgrenzungsmaßstab. Dieser kann weder im Kunstverständnis des jeweiligen Rechtsanwenders liegen noch in dem Verständnis des überwiegenden Bevölkerungsanteils oder zumindest breiter Bevölkerungskreise. Bei Anlegung des letzteren Maßstabs würden gerade viele, besonders schutzbedürftige jüngere Menschen mit neuartigen Ideen (sog Avantgarde) nicht unter die Künstlersozialversicherung fallen, weil sich neue Entwicklungen erfahrungsgemäß oft erst nach Jahrzehnten durchsetzen und in das Kunstverständnis breiter Bevölkerungskreise eingehen. Der unter Berücksichtigung des Schutzzweckes des KSVG zutreffende Abgrenzungsmaßstab kann somit nur darin gefunden werden, ob der Schaffende mit seinen Werken zumindest in einschlägigen fachkundigen Kreisen als „Künstler” anerkannt und behandelt wird. Dies läßt sich feststellen, indem etwa nach der Teilnahme an Ausstellungen, der Mitgliedschaft in Künstlervereinen, der Aufnahme in Künstlerlexika, bei Musikschaffenden insbesondere auch nach der Mitwirkung an Musikveranstaltungen und Konzertaufnahmen sowie der Erwähnung in Programmheften oder Tonträgeraufschriften gefragt wird.

Für den vorliegenden Fall bedeutet das, daß es darauf ankommt, ob der Kläger als Instrumentenbauer in einschlägigen Musikerkreisen als Künstler angesehen und ebenbürtig behandelt wird. Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn sich aus Stellungnahmen und Zeugnissen einzelner Kunden, wie sie der Kläger beigebracht hat, ergibt, daß sich die Instrumente bei den Betroffenen großer Wertschätzung erfreuen und ihnen „höchste künstlerische Qualität” bescheinigt wird. Als einzelne Stellungnahmen reichen sie nicht aus, weil das jeweilige subjektive Kunstverständnis darin einfließt und auch nicht ohne weiteres nachzuvollziehen ist, ob die Wertschätzung sich nur auf die handwerkliche Qualität bezieht oder ob damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß der Kläger einen eigenschöpferischen Anteil an der Gestaltung der Musik hat. Fallen solche Stellungnahmen insoweit eindeutig aus, so lassen sie allerdings einen Schluß auf eine künstlerische Anerkennung in Fachkreisen zu. Als weitere Indizien kommen in Betracht, ob der Kläger bei Aufführungen mittelalterlicher Musik mit seinen Instrumenten in Programmheften oder bei Tonaufnahmen auf den Tonträgern gleichrangig mit Musikern, Dirigenten und Komponisten aufgezählt wird; das wäre von bloßer Verkaufswerbung für die Instrumente zu unterscheiden.

Die hiernach erforderlichen Feststellungen des LSG sind nicht deshalb entbehrlich, weil bereits das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten von Prof. K. … zur Künstlereigenschaft des Klägers Stellung nimmt. Zum einen hat das LSG das Gutachten und die vom Kläger eingereichten Bescheinigungen lediglich zur Kenntnis genommen, nicht aber eigenständig im Hinblick auf die Relevanz der Äußerungen für den Grad der künstlerischen Anerkennung des Klägers in Fachkreisen gewürdigt. Eine Würdigung findet sich lediglich im Hinblick auf die nicht entscheidungserhebliche Frage, ob den Verzierungsarbeiten künstlerische Qualität zukommt. Zum anderen hat der Sachverständige zur Frage der Anerkennung des Klägers in Fachkreisen nicht Stellung genommen, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, daß er selbst dem Kläger schöpferische Phantasie bei der Herstellung von Instrumenten zubilligt. Diese Wertung hat im Hinblick auf die hier maßgebende Frage durchaus Gewicht, reicht zur Beantwortung jedoch allein nicht aus. Sie ist vielmehr in die Würdigung der noch ausstehenden Ermittlungsergebnisse mit einzubeziehen.

Die Kostenentscheidung bleibt ebenfalls dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173667

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