Entscheidungsstichwort (Thema)

Sprungrevision. Zustimmung. Zustimmungserklärung. Formerfordernis. Schriftform. Abschrift. Kopie. Fotokopie. Ablichtung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zustimmung zur Sprungrevision ist nicht ordnungsgemäß nachgewiesen, wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist lediglich eine einfache Fotokopie der Zustimmungserklärung vorgelegt wird (Anschluß an BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 3; BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 2).

 

Normenkette

SGG § 161

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 14.11.1995; Aktenzeichen L 1 Kr 127/94)

SG Lübeck (Urteil vom 22.03.1994; Aktenzeichen S 7 Kr 142/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. November 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist als Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Betriebskrankenkasse. Seinen Antrag, ihm wegen eines chronischen Schmerzsyndroms am linken Bein eine stationäre Behandlung in der TMC-Klinik K…, einer auf traditionelle chinesische Heilverfahren spezialisierten Privatklinik, zu gewähren, lehnte die Beklagte nach Anhörung ihres medizinischen Dienstes ab, weil das Therapieziel auch durch eine ambulante vertragsärztliche Behandlung am Wohnort des Klägers erreicht werden könne (Bescheid vom 10. Februar 1993; Widerspruchsbescheid vom 22. April 1993). Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 22. März 1994 abgewiesen.

Nachdem ihm das Urteil am 26. Mai 1994 zugestellt worden war, hat der Kläger am 23. Juni 1994 beim SG die Zulassung der Sprungrevision beantragt und hierzu am 24. Juni 1994 die unbeglaubigte Fotokopie eines Schreibens vom 21. Juni 1994 vorgelegt, in dem die Beklagte der Zulassung der Revision zugestimmt hatte. Mit Beschluß vom 16. August 1994, der dem Kläger am 27. September 1994 zugestellt worden ist, hat das SG die Zulassung der Sprungrevision abgelehnt.

Die daraufhin am 26. Oktober 1994 eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) als verspätet verworfen. Ein nachträglich gestellter Antrag auf Zulassung der Sprungrevision unterbreche den Lauf der Berufungsfrist nur, wenn die schriftliche Zustimmungserklärung des Gegners innerhalb dieser Frist beim SG eingehe. Das sei hier nicht geschehen, denn das Schreiben der Beklagten vom 21. Juni 1994 habe bis zum Ablauf der Berufungsfrist nur als Fotokopie vorgelegen und sei dem Gericht im Original erst am 1. August 1994 zugegangen. Durch eine bloße Abschrift oder Ablichtung der Zustimmungserklärung werde die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform nicht gewahrt. Die Rechtsmittelfrist sei damit bereits im Juni 1994 abgelaufen gewesen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor (Urteil vom 14. November 1995).

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 161 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe die formalen Anforderungen an die Zustimmungserklärung zur Einlegung der Sprungrevision überspannt. Das Schriftformerfordernis sei nicht Selbstzweck, sondern solle dem Gericht die notwendige Sicherheit vermitteln, daß der Rechtsmittelgegner mit der Durchführung der Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz einverstanden sei. Dafür reiche auch eine Ablichtung der schriftlichen Zustimmungserklärung aus, zumal die Gefahr von Manipulationen praktisch auszuschließen sei. Diese Einschätzung liege auch dem Urteil des 3. Senats des Bundessozialgericht (BSG) vom 13. Februar 1964 (BSGE 20, 154 = SozR Nr 17 zu § 161 SGG) zugrunde, von der das Berufungsgericht abgewichen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. November 1995 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich zum Revisionsbegehren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat die Berufung des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist (§ 158 Abs 1 SGG).

Auch der Kläger selbst zieht nicht in Zweifel, daß die mit der Zustellung des angefochtenen Urteils am 26. Mai 1994 in Lauf gesetzte Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs 1 SGG) durch die Einlegung der Berufung am 26. Oktober 1994 nur gewahrt worden ist, wenn die Frist durch den am 23. Juni 1994 bei dem SG gestellten Antrag auf Zulassung der Sprungrevision unterbrochen worden ist und mit der Zustellung des die Revisionszulassung ablehnenden Beschlusses am 27. September 1994 neu zu laufen begonnen hat. Fristunterbrechende Wirkung in diesem Sinne kommt dem Antrag auf Zulassung der Sprungrevision indessen nach § 161 Abs 3 Satz 1 SGG nur zu, wenn der Antrag in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die schriftliche Zustimmungserklärung des Gegers beigefügt war. Letzteres war hier nicht der Fall.

Bis zum Ablauf der Berufungsfrist am 27. Juni 1994 (§ 64 Abs 3 SGG) hat dem SG das Schreiben der Beklagten vom 21. Juni 1994, in dem diese sich mit der Durchführung der Revision einverstanden erklärt hatte, lediglich in der Form einer unbeglaubigten Fotokopie vorgelegen. Damit war den gesetzlichen Formerfordernissen nicht genügt; denn zum Nachweis der in § 161 Abs 1 Satz 1 SGG für die Zustimmung zur Sprungrevision vorgeschriebenen Schriftform bedarf es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, grundsätzlich der Vorlage des eigenhändig unterschriebenen Originals oder einer gerichtlich oder notariell beglaubigten Abschrift der Zustimmungserklärung.

Der Große Senat des BSG hat bereits 1960 entschieden, daß die dem Gericht eingereichte Zustimmungserklärung den Anforderungen des § 435 Zivilprozeßordnung (ZPO) genügen muß und die Vorlage einer einfachen Abschrift die formalen Voraussetzungen des § 161 Abs 1 SGG iVm § 126 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht erfüllt (Beschluß vom 13. Februar 1960 ≪BSGE 12, 230, 234 = SozR Nr 14 zu § 161 SGG≫; ebenso Beschluß des 4. Senats vom 11. Juni 1992 ≪SozR 3-1500 § 161 Nr 2≫). Zwar hatte der Große Senat über einen Fall zu befinden, in dem das Einverständnis mit der Einlegung der Sprungrevision in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erklärt und eine einfache Abschrift des die Erklärung enthaltenden Sitzungsprotokolls vorgelegt worden war. Jedoch haben in späteren Entscheidungen sowohl der 6. Senat (Urteil vom 2. Dezember 1992 ≪SozR 3-1500 § 161 Nr 3≫) als auch der 4. Senat des BSG (Urteil vom 31. August 1994 ≪SozR 3-8570 § 11 Nr 2≫) dem Beschluß des Großen Senats entnommen, daß dieselben Formerfordernisse auch dann zu beachten sind, wenn die Zustimmung außerhalb der mündlichen Verhandlung in einem gesonderten Schriftsatz erklärt wird. Dieser rechtlichen Beurteilung, die auch vom Bundesgerichtshof (BGHZ 92, 76 = NJW 1984, 2890) und vom Bundesarbeitsgericht (unveröffentlichtes Urteil vom 19. September 1985 – 2 AZR 533/84) für die jeweils mit § 161 Abs 1 SGG inhaltsgleichen Vorschriften des § 566a Abs 2 Satz 2 ZPO und des § 76 Abs 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz vertreten wird, schließt sich der erkennende Senat an. Die von der Rechtsprechung praktizierte Formstrenge wird mit der rechtlichen Tragweite der Zustimmungserklärung sowie den Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit begründet. Im Hinblick darauf, daß mit der Zustimmung zur Sprungrevision auf das Rechtsmittel der Berufung und auf die Möglichkeit, Verfahrensmängel zu rügen, verzichtet wird (§ 161 Abs 4 und 5 SGG), muß im Rahmen des Möglichen jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, daß der Prozeßgegner die Erklärung tatsächlich abgegeben hat und für ihren Inhalt die Verantwortung übernimmt. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, die Zustimmungserklärung unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen einer Manipulationsgefahr im Einzelfall generell denselben formalen Anforderungen zu unterwerfen, die für die Rechtsmittelschrift selber und andere bestimmende Schriftsätze gelten (BSG SozR 3-1500 § 161 Nr. 3 S 7).

An dieser Entscheidung sieht sich der Senat nicht dadurch gehindert, daß es der 3. Senat des BSG in einem Urteil vom 13. Februar 1964 (BSGE 20, 154, 155 f = SozR Nr 17 zu § 161 SGG) als ausreichend erachtet hat, daß der Revisionskläger die im dortigen Fall nach Zulassung der Revision abgegebene schriftliche Erklärung des Rechtsmittelgegners, er willige in die Sprungrevision ein, dem BSG innerhalb der für die Einlegung der Revision bestimmten Frist in – unbeglaubigter – Fotokopie eingereicht hatte. In den angeführten Urteilen des 4. und des 6. Senats (SozR 3-1500 § 161 Nr 3 S 8; SozR 3-8570 § 11 Nr 2 S 14) ist bereits darauf hingewiesen worden, daß sich diese Entscheidung, wenn ihr auch formal betrachtet ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt, mit dem zuvor erwähnten Beschluß des Großen Senats inhaltlich nicht in Einklang bringen läßt, weil kein Grund ersichtlich ist, der es rechtfertigen könnte, an eine isolierte Zustimmungserklärung geringere formale Anforderungen zu stellen als an eine in der Sitzungsniederschrift protokollierte Einwilligung. Die Aussage des Großen Senats kann deshalb nur in dem Sinne verstanden werden, daß unabhängig von der jeweiligen verfahrensrechtlichen Konstellation eine einfache Abschrift oder Ablichtung des Schriftstücks, das die Zustimmungserklärung enthält, die Schriftform nicht wahrt (so ausdrücklich BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 2 S 14). Ist damit aber bereits für den gesamten Anwendungsbereich des § 161 SGG geklärt, daß die Vorlage einer unbeglaubigten Fotokopie den Nachweis der Erteilung der Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision nicht erbringt, so bedarf es trotz der entgegenstehenden Entscheidung des 3. Senats keiner erneuten Anrufung des Großen Senats (Bley, SGB/RVO GesamtKomm, Stand 1993, § 41 SGG Anm 5a; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 41 RdNr 12; jeweils mwN). Angesichts dessen braucht nicht darauf eingegangen zu werden, daß vorliegend, anders als in dem vom 3. Senat entschiedenen Fall; über die Wirksamkeit einer vor Zulassung der Revision erteilten Zustimmungserklärung und damit formal über eine andere Fallkonstellation zu befinden ist.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der verspäteten Vorlage der schriftlichen Zustimmungserklärung, die nach der Rechtsprechung des Senats (SozR 3-1500 § 137 Nr 1) nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist werden vom Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 955643

NVwZ 1998, 112

MDR 1997, 684

SozSi 1997, 400

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