Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 28.04.1961)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 28. April 1961 aufgehoben, soweit es den Berufungen der Beklagten und der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte stattgegeben hat. Die Berufungen dieser beiden Beteiligten werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für. Angestellte haben der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges zu erstatten.

von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin während der beiden, ersten Jahre ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in der Angestelltenversicherung (AnV) versicherungspflichtig war.

Die im Jahre 1939 geborene Klägerin wurde in der Seit vom 1. Oktober 1957 bis zum 30. September 1960 in der Schule für Kinderkrankenpflege am Städtischen Krankenhaus an Mariendorfer Weg, Abteilung Kinderkrankenhaus Neukölln, zur Kinderkrankenschwester ausgebildet. In einer über ihre Aufnahme angefertigten, von ihrem gesetzlichen Vertreter unterschriebenen „Niederschrift” war festgelegt, daß für die Ausbildung die Bestimmungen über die Aufnahme und Ausbildung von Lernachwestern in den städtischen Schulen für Kinderkrankenpflege maß gebend seien. Nach der Niederschrift erhielt die Klägerin ein monatliches Taschengeld nach den „jeweils geltenden Bestimmungen des Senats von Berlin”.

Dieses erhöhte sich von 40,– DM im ersten Jahr bis zum Schluß des zweiten Jahres auf 120,– DM monatlich und betrug im dritten Jahr 319,– DM monatlich. Ferner hatte die Klägerin in jedem Ausbildungsjahr Anspruch auf Urlaub; während dieses Urlaubs erhielt sie neben dem Taschengeld einem Zuschuß in Höhe der Personalverpflegungssätze. Nach den in der Niederschrift in Bezug genommenen Bestimmungen über die Aufnahme und Ausbildung von Lernschwestern (Rundverfügung II Nr. 118/1957 des Senators für Inneres vom 5. Dezember 1957) waren der Klägerin freie Wohnung, Verpflegung und Arbeitskleidung zu gewähren. Außerdem war bestimmt, daß die Lernschwestern „in einem der Berufsausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnis zum Lande Berlin” stehen (vgl. unter B II Nr. 1 der Rundverfügung).

Die Kläger in war zunächst Mitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK), am 1. Juli 1958 trat sie der damals neu errichteten beigeladenen Betriebskrankerkasse als Mitglied bei. Am 26. Oktober 1958 beantragte sie bei der beklagten AOK festzustellen, daß sie während ihrer Tätigkeit als Lernschwester rentenversicherungspflichtig sei. Mit Bescheid vom 22. Juni 1959 verneinte die Beklagte die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten, weil Lernschwestern in keinem Beschäftigungsverhältnis stünden, sondern als Fachschülerinnen anzusehen seien. Die Beklagte brachte in diesem Bescheid zum Ausdruck, daß auch die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), an deren Erklärungen zu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, sie als Einzugsstelle nach § 121 Abs. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gebunden sei, diese Ansicht teile. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Bescheid vom 11. August 1959 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der daraufhin von der Klägerin erhobenen. Klage auf Feststellung, daß ihre Tätigkeit als Lernschwester der Versicherungspflicht in der AnV unterliege, unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten in vollem Umfang stattgegeben (Urteil vom 6. April 1960). Es führte im wesentlichen aus die Klägerin werde überwiegend praktisch beschäftigt, der theoretische Unterricht trete dagegen an Umfang und Zeitaufwand ganz zurück. Die Lernschwester leisten dem Krankenhaus auch nutzbringende Tätigkeit, daß sich vom ersten Jahre an steigernde „Taschengeld” könne nur als Entgelt für den Nutzen angesehen werden, den der Ausbildungsträger habe. Er spare durch die Mitarbeit der Lernschwestern sogar Personal ein. Die konkrete Ausgestaltung der zwischen Krankenhaus und Klägerin bestehenden Verhältnisse zeige, daß die Klägerin weitgehend in den Pflegebetrieb des Krankenhauses eingegliedert sei und persönlich und wirtschaftlich abhängige Arbeit leiste. Die Klägerin sei daher nach § 2 Nr. 1 AVG in der Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVVG) vom 23. Februar 1957 als Lehrling in der AnV versicherungspflichtig.

Auf die hiergegen von der Beklagten und der beigeladenen BfA eingelegten Berufungen änderte das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG Berlin sowie die Bescheide der Beklagten dahin, daß es die Versicherungspflicht der Klägerin in der AnV für das dritte Ausbildungsjahr feststellte, im übrigen aber die Klage abwies (Urteil vom 28. April 1961). Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus: Nach der Neuregelung des Krankenpflegeberufes durch das Gesetz über die Ausübung des Berufs der Krankenschwester, des Krankenpflegers und der Kinderkrankenschwester. (Krankenpflegergesetz) vom 15. Juli 1957 (BGBl I 716; GVBl Berlin S. 855) stehe der Schulcharakter der Ausbildung weit mehr als früher im Vordergrund. Da das Krankenpflegegesetz zwischen dem Lehrgang von grundsätzlich zwei Jahren Dauer (§§ 3 bis 11) und dem anschließenden einjährigen Praktikum (§ 12) unterscheide, sei auch sozialversicherungsrechtlich ein Unterschied zwischen diesen beiden Ausbildungsabschnitten zu machen. Während des Lehrgangs werde die Lernschwester überwiegend in. Schulbetrieb ausgebildet, und zwar durch Ärzte und Unterrichtsschwestern, die in einzeln aufgeführten Pflichtfächern einen theoretischen Unterricht von insgesamt mindestens 400 Unterrichtsstunden zu erteilen hätten, der an der Krankenpflegeschule im Kinderkrankenhaus Neukölln sogar etwa 500 Stunden betragen habe. Der Lehrgang umfasse außerdem praktischen Unterricht, der von der Unterrichtsschwester, den Stationsschwestern und den Ärzten im Rahmen von Demonstrationen und praktischen Übungen durchgeführt werde. Diese Übungen seien so gestaltet, daß die Lernschwestern unter Anleitung an den im Stationsbetrieb anfallenden Arbeiten teilnähmen und die in der Praxis notwendigen einzelnen Verrichtungen so lange ausübten, bis angenommen werden könne, daß sie das erforderliche Maß an praktischen Kenntnissen erreicht haben. Zu diesem Zwecke würden die Lernschwestern dem Stationsbereich zugeteilt, wo sie sich, wenn kein theoretischer Unterricht, keine Demonstration und keine Besichtigung angesetzt sei, regelmäßig zu bestimmten Zeiten unter ständiger Aufsicht und Anleitung aufhielten. Alle im Stationsbereich anfallenden Arbeiten bei der Pflege, Wartung und Versorgung der Kranken seien nur ein Teil des vom Krankenpflegegesetz vorgeschriebenen praktischen Unterrichts; die Lernschwestern seien jedoch in die Betriebsorganisation des Krankenhauses nicht eingegliedert. Die Form der Ausbildung als praktischer Unterricht zeige sich besonders deutlich darin, daß die Klägerin zur Ausbildung in der Wochenpflege an die Städtische Frauenklinik Neukölln und in der praktischen Pflege von infektionskranken Kindern an das Städtische Kinderkrankenhaus Wedding abgeordnet worden sei. Für die Zeit der Abordnung sei dem Krankenhaus kein Ersatz gestellt worden. Sie sei also keine Arbeitskraft gewesen, die den Krankenhausbetrieb zur Verfügung gestanden hätte; dies wäre im übrigen auch mit dem; Krankenpflegegesetz nicht vereinbar gewesen. Das Land Berlin habe dies inzwischen haushaltsmäßig insofern berücksichtigt, als vom Rechnungsjahr 1960 an die Lernschwestern nicht mehr: auf das Pflegepersonal angerechnet wurden. Auch daraus, daß die Klägerin heben freier Wohnung, Kost und Arbeitskleidung ein Taschengeld erhalten habe, könne nicht auf das Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden. Die Unterbringung in der Krankenpflegeschule diene allein dem Zweck der Ausbildung für den Beruf, der eine ständige Bereitschaft zur Hilfe und Dienst am kranken Menschen erfördere; das Taschengeld sei keine Gegenleistung für geleistete Arbeit, sondern habe Fürsorgecharakter. Die Klägerin sei deshalb während des schulmäßigen Lehrgangs von zwei Jahren nicht nach § 165 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungspflichtig, sie werde vielmehr in einem „überwiegenden Fachschulverhältnis” ausgebildet. Deshalb behalte auch die nach § 22 Abs. 2 des Krankenpflegegesetzes weiter geltende Regelung des § 8 Abs. 3 der Krankenpflegeverordnung und des § 9 Abs. 3 der Säuglings- und Kinderpflege Verordnung, wonach die Lernschwestern vom Träger der Schule, auf seine Kosten gegen. Krankheit und Haftpflicht zu versichern seien, ihren Sinn. Das LSG führt ferner aus, daß im dritten Ausbildungsjahr die tatsächlichen Verhältnisse grundlegend anders seien. Als Praktikantin leiste die Lernschwester nunmehr überwiegend praktische Arbeit, sei in den Krankenhausbetrieb eingegliedert, unterliege dem. Weisungsrecht eines Arbeitgebers und sei nur noch zur Teilnahme an 50 Unterrichtsstunden verpflichtet. Während dieses Jahres seien die Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach §2 Abs. 2 Nr. 1 AVG erfüllt.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision abgelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 28. April 1961 abzuändern und der Klage in vollem Umfang stattzugeben,

Die Klägerin rügt unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 1 AVG. Die Ausbildung einer Lernschwester könne nicht mit einer Schulausbildung gleichgesetzt werden. Zwar werde der theoretische Unterricht an einer Schule abgehalten, die Lernschwester leiste jedoch während des weitaus größten Teils ihrer Ausbildungszeit durch ihre Tätigkeit am Patienten eine für das Krankenhaus nutzbringende Arbeit. Der theoretische Unterricht sei mit dem Berufsschulunterricht eines Lehrlings vergleichbar. Dabei betrage die Zahl der Unterrichtsstunden in der Berufsschule sogar etwa 1000, während für die Krankenpflege schule nur mindestens 400 Stunden in zwei Jahren vorgeschrieben seien. Ein Vergleich mit ähnlichen Berufen, zeige, daß medizinisch-technische Assistentinnen während ihrer zweijährigen Ausbildung jährlich mindestens 1500 theoretische und praktische Unterrichtsstunden hatten, Krankengymnastinnen während vier Semestern je 920 Stunden, Masseure während des einjährigen Lehrgangs mindestens 600 theoretische und 1200 praktische Stunden. Die Lernschwestern würden auch in fast allen Krankenanstalten, denen eine; Krankenpflege schule angeschlossen ist, im Verhältnis 1: 2 oder 1: 3 auf den Stellenplan angerechenet und damit als Arbeitskraft anerkannt. Auch aus § 2 Nr. 7 AVG müsse geschlossen werden, daß Lernschwestern wie die Klägerin der Versicherungspflicht in der AnV unterliegen, zumal sie unzweifelhaft nach Abschluß der Ausbildung versicherungspflichtig seien.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die beigeladene BfA sowie die beigeladene Betriebskrankenkasse schließen sich diesem Antrag an.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet, weil die Klägerin auch in den ersten beiden Ausbildungsjahren während ihrer Tätigkeit als Lernschwester im Kinderkrankenhaus Neukölln „zu ihrer Ausbildung für den Beruf einer Angestellten” beschäftigt gewesen ist (§ 2 Nr. 1 AVG). Entgegen der Auffassung des LSG. stand im Vordergrund der Ausbildung nicht der in schulmäßiger Form erteilte Unterricht, sondern die praktische Unterweisung, die im wesentlichen auf den Stationen des Kinderkrankenhauses durchgeführt wurde, in dessen Betrieb die Klägerin in ähnlicher Weise wie ein Lehrling ausgebildet und beschäftigt wurde.

Die Klägerin stand zum Träger dieses Krankenhauses in einem ihrer Ausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnis, auf Grund dessen sie in nicht unerheblichem Umfang zur Arbeitsleistung verpflichtet war. Dies ergibt sich daraus, daß sie sich, wenn kein theoretischer Unterricht stattfand und keine Demonstrationen oder Besichtigungen angesetzt waren, täglich acht Stunden im Stationsbereich des Krankenhauses aufzuhalten hatte und dort unter ständiger Anleitung und Aufsicht tätig war. Die Eingliederung in den Betrieb des Städtischen Kinderkrankenhauses Neukölln wurde durch ihre vorübergehende, Beschäftigung in der Städtischen Frauenklinik Neukölln und im Städtischen Kinderkrankenhaus Wedding nicht aufgehoben. Auch ein Lehrling wird gelegentlich in verschiedenen Betrieben seines Arbeitgebers beschäftigt, um alle wesentlichen Zweige seiner späteren Berufstätigkeit kennenzulernen. Daß für die Klägerin in dieser Zeit dem Kinderkrankenhaus Neukölln kein Ersatz gestellt wurde, kann mit Rücksicht darauf, daß für beide Teile der Ausbildungszweck im Vordergrund zu stehen hatte, nicht entscheidend sein. Ebenso widerspricht die Tatsache ihrer Zugehörigkeit zur „Kinderkrankenpflegeschule” des Städtischen Krankenhauses nicht ihrer Eingliederung in den Betrieb des Krankenhauses, zumal die Schule dem Gesamtbetrieb des Krankenhauses angegliedert war.

Die Vorschriften des Krankenpflegegesetzes vom 15. Juli 1957 (BGBl I 716) stehen der Annahme eines der Ausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Nach dem Krankenpflegegesetz setzt die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Krankenschwester” oder „Kinderkrankenschwester” die Teilnahme an einem zweijährigen Lehrgang in einer Krankenpflege- oder Kinderkrankenpflegeschule (§§ 6, 8 bis 11 des Gesetzes), das Bestehen der Prüfung (§ 13) und die Ableistung einer einjährigen praktischen Tätigkeit (§ 12) voraus. Die Lehrgänge umfassen theoretischen und praktischen Unterricht. Der theoretische Unterricht beträgt nach § 11 Abs. 3 Satz 2 des Krankenpflegegesetzes während des zweijährigen Lehrgangs mindestens 400 Unterrichtsstunden. Über den „praktischen Unterricht” schreibt das Krankenpflegegesetz nur vor, daß er von einer Krankenschwester (einem Krankenpfleger) oder einer Kinderkrankenschwester erteilt wird (§ 11 Abg. 3 Satz 3 des Gesetzes). Bei der im: Verhältnis zur gesamten Ausbildungszeit geringfügigen Zahl von theoretischen Unterrichtsstunden (bei insgesamt 500 Stunden – wie im vorliegenden Fall – entfallen während der ersten beiden Ausbildungsjahre auf die Woche im Durchschnitt nur etwa 5 Stunden) wird man von einer schulmäßigen praktischen Ausbildung der Lernschwester nur dann sprechen können, wenn der praktische Unterricht ebenfalls im wesentlichen in Forma einer schulischen Unterweisung und Belehrung durchgeführt wird, Dies dürfte zB der Fall sein bei der Ausbildung der medizinisch-technischen Assistentinnen, für die innerhalb eines zweijährigen Lehrgangs 750 Stunden theoretischer und 2250 Stunden praktischer Unterricht (§ 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für medizinisch-technische Assistentinnen vom 7. Dezember 1960, BGBl. I 874) und bei der Ausbildung der Krankengymnastinnen, für die in jedem der vier Semester des zweijährigen Lehrgangs 920 Stünden theoretischer und praktischer Unterricht vorgeschrieben sind (Anlage 1 zu § 1 Abs. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankengymnastinnen vom 7. Dezember 1960, BGBl I 885). Die Klägerin war aber, wie sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt, in gleicher Weise wie die übrigen Lernschwestern zum Zwecke, des „praktischen Unterrichts” dem Stationsbereich des Krankenhauses zugeteilt, um dort an praktischen Übungen und Demonstrationen teilzunehmen. Diese praktischen Übungen wurden so gestaltet, daß die Lernschwestern unter Anleitung an den im Stationsbereich anfallenden Arbeiten teilnahmen und in diesem Rahmen die einzelnen Verrichtungen so lange praktisch übten, bis angenommen werden konnte, daß sie die erforderliche Fertigkeit beim Verrichten solcher Arbeiten erreicht hatten. Wenn die Klägerin, wie oben dargelegt, sich im Stationsbereich des Krankenhauses täglich etwa acht Stunden aufzuhalten hatte und dort unter Aufsicht der Unterrichts- oder der Stationsschwester tätig war, so liegt es auf der Hand, daß es sich bei dieser Tätigkeit, die einer regelmäßigen Arbeitszeit von wöchentlich 48 Stunden entspricht, nur zum geringen Teil um die Teilnahme an einem praktischen Unterricht, im wesentlichen vielmehr um die praktische Anwendung der im Unterricht und durch Anweisungen erlernten Kenntnisse gehandelt hat. Es geht nicht an, bei dieser Gestaltung der praktischer Tätigkeit von einem Fachschulunterricht zu sprechen. Kennzeichnend für die Tätigkeit der Klägerin ist, daß sie während ihrer regelmäßig etwa achtstündigen Anwesenheit auf der Station dort die typischen Pflegeverrichtungen (Baden und Betten der Kranken, Feststellung der Körpertemperatur, Austragen des Essens und Betreuung hilfsbedürftiger Patienten beim Essen und anderen Verrichtungen, Ausführung ärztlicher Anordnungen wie Ausgabe von Medizin, Anlegen von Umschlägen usw.) entsprechend den Weisungen der Stationsschwester zu verrichten hatte, und zwar nicht nur vorübergehend, um diese Verrichtungen zu erlernen, sondern während der gesamten Ausbildungszeit. Die Klägerin ist somit während Anwesenheit auf der Krankenstation ähnlich einem Lehrling ausgebildet worden und hat unter Verwendung der ihr vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten für das Krankenhaus auch Arbeiten von wirtschaftlichem Wert geleistet, was bei der Tätigkeit eines Fachschülers regelmäßig nicht zutrifft. Daß die Klägerin ihre Tätigkeit auf der Station im Rahmen eines auch im Interesse des Krankenhausträgers liegenden Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat, ist auch daraus zu schließen, daß sie neben freier Wohnung, Kost und Arbeitskleidung ein der Lehrlingsvergütung vergleichbares Taschengeld von zunächst 40,– DM monatlich erhalten hat, das bis zum Ende des zweiten Ausbildungsjahres auf 120,– DM anstieg, und daß ihr für den in jedem Ausbildungsjahr zustehenden Urlaub neben dem Taschengeld ein Zuschuß in Höhe der Personalverpflegungssätze gewährt wurde.

Nach der bis zum Ende des Rechnungsjahres 1959 für die Berliner Krankenanstalten geltenden Regelung wurden die Lernschwestern in einem bestimmten Verhältnis auch, auf das Pflegepersonal angerechnet. In diese Zeit fallen, die ersten beiden Ausbildungsjahre der Klägerin. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob der Wegfall der Anrechnung als wesentliches Indiz dafür angesehen werden kann, daß die Lernschwestern nunmehr nicht mehr zur Entlastung des Pflegepersonals beitragen. Entscheidend ist jedenfalls, daß die Klägerin – was sich schon aus der Verpflichtung zur täglich achtstündigen Anwesenheit auf der Krankenstation ergibt – in den Betrieb des Krankenhauses eingegliedert war und daß sie dort zu ihrer Ausbildung für den Beruf einer Kinderkrankenschwester nicht nur nach der Art. einer Fachschülerin tätig gewesen ist, sondern daß sie während der Tätigkeit auf der Krankenstation im wesentlichen praktische Arbeit nach Weisung der Stationsschwester geleistet hat. Diese Art. der Ausbildung kann aber nicht als Ausbildung im Rahmen eines Schulverhältnisses angesehen werden. Die praktische Arbeit der Klägerin diente zwar – ähnlich wie bei einem Lehrling – ihrer Ausbildung, sie war aber zugleich Arbeitsleistung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses.

Der Senat schließt sich bei dieser Beurteilung in wesentlichen, der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Oktober 1957 (BAG 5, 32) an, die zu den vor Inkrafttreten des Krankenpflegegesetzes vom 15. Juli 1957 geltenden Recht ergangen ist. Auch die dem Ausbildungsverhältnis der Klägerin zugrunde liegenden „Ausbildungsbedingungen” (Rundverfügung II Nr. 118/1957 des Senators für Inneres vom 5. Dezember 1957) gehen von dem Bestehen eines „der Berufsausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnisses” aus. Zwar ist die Rechtsauffassung der an dem Vertragsverhältnis Beteiligten für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht nicht entscheidend. Die oben dargelegten objektiven Merkmale lassen aber deutlich erkennen, daß die Klägerin im Hinblick auf die von ihr in dem Kinderkrankenhaus ausgeübte Tätigkeit in einem der Berufsausbildung dienenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis i. S. des § 2 Nr. 1 AVG gestanden hat.

Die Vorschrift des § 22 Abs. 2 des Krankenpflegegesetzes, wonach bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung § 8 Abs. 3 der Krankenpflegeverordnung (vom 28. September 1938 – RGBl I 1310 – idF vom 8. Dezember 1942 – RGBl I 678) und § 9 Abs. 3 der Säuglings- und Kinderpflegeverordnung (vom 15. November 1939 – RGBl I 2239 – idF der VO vom 19. Juni 1940 – RGBl I 941) weiterhin Anwendung finden, steht der Annahme, daß eine Lernschwester zum Träger des Krankenhauses in einem der Versicherungspflicht unterliegenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, kann, nicht entgegen. Nach den genannten Bestimmungen sind die Lernschwestern vom Träger der Schule auf seine Kosten gegen Krankheit und Haftpflicht zu versichern, und zwar muß die Versicherung gegen Krankheit bei dem vom Reichsarbeitsminister nach § 363a Abs. 3 RVO bezeichneten Träger der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen; diese Verpflichtung besteht nicht, wenn den Lernschwestern gegen den Träger der Schule ein Anspruch mindestens auf Krankenpflege in Höhe und Dauer der Regelleistungen der Krankenkassen gewährleistet ist. Diese Bestimmungen gehen offenbar davon aus, daß die Lernschwestern zu den Trägern der Schule grundsätzlich in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, daß sie vielmehr ihre theoretische und praktische Ausbildung in einem echten Schalverhältnis erhalten, ohne in den Betrieb eines Krankenhauses voll eingegliedert und dort zur ständigen Arbeitsleistung verpflichtet zu sein. Sie berücksichtigen ferner, daß Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz, Schulschwestern und ähnliche Personen, die sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege befassen, unter bestimmten Voraussetzungen nach §. 172 Nr. 6 (früher Nr. 4) RVO versicherungsfrei sind, und stellen den Krankenversicherungsschutz der zu diesem Kreis gehörenden Lernschwestern sicher. § 2 Nr. 7 AVG idF des AnVNG (= § 1227 Abs. 1 Nr. 5 RVO nF) regelt nunmehr die Rentenversicherungspflicht dieser überwiegend aus religiösen oder sittlichen Beweggründen tätigen Personen, die grundsätzlich in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (vgl. BAG 2, 259; Nikisch „Zur rechtlichen Stellung der Rote-Kreuz-Schwestern” in Festschrift für Hueck zum 70. Geburtstag S. 1 ff). Diese Vorschrift dehnt damit gegenüber der früheren Rechtslage, die sich aus § 172 Nr. 6 RVO i.V.m. § 1 AVG (beide idF der Ersten VereinfachungsVO. vom 17. März 1945) ergab, für Zeiten der Ausbildung und unter bestimmten Voraussetzungen auch nach der Ausbildung die Rentenversicherungspflicht auf Personen aus, die als Mitglieder geistlicher Genossenschaften und ähnlicher Gemeinschaften grundsätzlich nicht zum Kreise der Arbeitnehmer gehören (vgl. Brackmann, Handb, der Sozialversicherung, Stand September 1963, Bd. II, S. 619, 746 b; Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1227 RVO Anm. IV, § 2 AVG Anm. IV). Aus dieser Regelung kann aber nicht geschlossen werden, daß Lernschwestern, die – wie die Klägerin – während ihrer Ausbildung abhängige Arbeit leisten, entgegen der Vorschrift des § 2 Nr. 1 AVG nicht der Versicherungspflicht in der AnV unterliegen.

Die Versicherungsfreiheit der infolge ihrer Eingliederung in den Krankenhausbetrieb abhängig beschäftigten Lernschwestern kann auch nicht aus § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG geschlossen werden. Diese Vorschrift bezieht sich auf Personen, die während der Dauer ihres Hochschul- oder Fachschulstudiums einer entgeltlichen Beschäftigung nachgehen. Sie erfaßt vornehmlich „Werkstudenten” oder Schüler von Fachschulen, also Personen, die neben ihrem Studium oder ihrer theoretischen oder fachlichen Ausbildung, auf einer Fachschule einer Beschäftigung nachgehen, die im allgemeinen von vorübergehender Dauer ist und den Beschäftigten während des Studiums oder Fachschulbesuchs regelmäßig nicht voll in Anspruch nimmt. Eine Tätigkeit, die auf mehrere Jahre hinaus die volle Arbeitskraft beansprucht und die nach ihrer tatsächlichen Gestaltung im Rahmen eines der Berufsausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird, kann aber nicht als eine neben dem Fachschulbesuch ausgeübte, Versicherungsfreiheit bewirkende Beschäftigung i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG angesehen werden. Einer Entscheidung, ob die einem Krankenhaus angegliederte Krankenpflegeschule überhaupt als Fachschule i. S. dieser Vorschrift anzusehen ist, bedarf es daher nicht.

Da die Klägerin auch während der ersten beiden Ausbildungsjahre nach § 2 Nr. 1 AVG versicherungspflichtig gewesen ist, muß das angefochtene Urteil, soweit es den Berufungen der beklagten AOK und der beigeladenen BfA stattgegeben hat, aufgehoben werden. Zugleich sind die Berufungen dieser beiden Beteiligten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Richter, Dr. Langkeit, Dr. Schubert

 

Fundstellen

Haufe-Index 929581

BSGE, 247

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