Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregreß. Drogensubstitution. Ersatzdrogen. Methadon. Heroin. Remedacen. Drogensucht. Suchtstoff. Opiatabhängigkeit. Patientenkontrolle. Verordnungsdauer. Arzneiverordnung auf telefonische Anforderung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei der Verordnung eines codeinhaltigen Präparates zur Heroin- und Alkoholsubstitution.

 

Normenkette

SGG §§ 103, 128, 131, 160; EKV-Ä § 1 Ziff. 4 (Fassung: 1.10.1963), § 2 Ziff. 2 (Fassung: 1.10.1963), § 17 (Fassung: 1.10.1963), § 19 (Fassung: 1.10.1963); Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUBRL) vom 4.12.1990 Anl 1 Nr. 2 Ziff. 2

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 01.09.1992; Aktenzeichen L 6 Ka 10/92)

SG Kiel (Urteil vom 14.09.1988; Aktenzeichen S 8 Ka 29/86)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 1. September 1992 wird zurückgewiesen.

Der Beigeladene zu 1) hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zur Hälfte zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Gestritten wird über die Rechtmäßigkeit eines Arzneiregresses im Ersatzkassenbereich.

Der seit Mitte 1981 in Kiel als praktischer Arzt zugelassene und an der Versorgung von Mitgliedern der Ersatzkassen beteiligte Kläger verordnete seit 1982 in einer Vielzahl von Fällen das zur Behandlung von Husten und Reizhusten vorgesehene Präparat “Remedacen” an opiat- und alkoholabhängige Versicherte als Mittel zur Drogensubstitution. Der Landesausschuß des zu 1) beigeladenen Ersatzkassenverbandes beantragte bei der Prüfungskommission der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) die Prüfung der Verordnungsweise des Klägers in den Quartalen IV/82 bis IV/83 “unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeitsprüfung”.

Mit Bescheid vom 10. April 1985 setzte die Prüfungskommission wegen der Verordnung von Remedacen in 12 Behandlungsfällen aus den Quartalen IV/82 bis IV/83 einen Regreßbetrag von insgesamt 23.537,-- DM gegen den Kläger fest, weil die Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger mit Codein (Wirkstoff im Präparat Remedacen) auf Kosten der Krankenkassen nicht möglich sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Beschwerdekommission mit Bescheid vom 4. September 1986 zurück. Sie begründete dies damit, daß sich jeder Arzt an die geltenden Regeln über die sog “Abstinenz-Therapie” bei Drogensüchtigen zu halten habe.

Im Klageverfahren hat der Kläger keinen Erfolg gehabt. Zur Begründung hat das Sozialgericht (SG) im Urteil vom 14. September 1988 ausgeführt, die Verordnung von hohen Dosen Remedacen zur Drogensubstitution sei nach der Feststellung Nr 575 der Arbeitsgemeinschaft (AG) nach § 19 des Arzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV-Ärzte) ausgeschlossen. Danach sei die Substitution mit Codein-Präparaten zur Behandlung der Drogensucht keine Vertragsleistung iS von § 1 Ziff 4 EKV-Ärzte. Die Beschlüsse der AG stellten nach Ansicht des SG eine für alle Beteiligten verbindliche Auslegung der vertraglichen Rechtslage mit Rückwirkung auf den streitbefangenen Zeitraum dar.

Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) im Verhandlungstermin vom 1. September 1992 aufgrund eines in der Sitzung gefaßten Beweisbeschlusses den Direktor des Instituts für Toxikologie der Universität Lübeck, Prof. Dr. S.… zunächst als Sachverständigen vernommen. Der Sachverständige ist vom Kläger mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden. Seinen Antrag, den Leiter der Hamburger Drogenambulanz Dr. Ch.… zur medizinischen Indikation der Remedacen-Versorgung in den 12 noch streitigen Behandlungsfällen zu vernehmen, hat das LSG nicht beschieden.

Durch Urteil vom 1. September 1992 (= E-LSG Ka 008) hat das LSG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Regreßanträge des Beigeladenen zu 1) unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung neu zu entscheiden. Es hat dargelegt, die Substitution mit Remedacen sei in den Jahren 1982/83 ein Mittel der medizinischen Heilbehandlung der Drogensucht gewesen mit der Folge, daß Vertragsärzte dieses Mittel zu Lasten der Krankenkassen hätten verordnen dürfen. Die Substitutionstherapie sei allerdings nur zeitlich begrenzt zulässig. Der Vertragsarzt müsse stets auf eine drogenfreie Behandlung mit dem Ziel der Abstinenz hinwirken und entsprechende Bemühungen gegenüber dem Versicherten auch dokumentieren. Die Verordnung von Remedacen müsse mit engmaschigen Kontrollen seitens des Arztes verbunden sein, um den tatsächlichen Verzicht auf Heroinkonsum und auf den Gebrauch anderer Drogen unter der Substitutionstherapie überwachen zu können. Diese auch aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ableitbaren Regeln für den Vertragsarzt ließen nach Ansicht des LSG die Versendung von Remedacen-Rezepten auf telefonische Bestellung regelmäßig nicht zu. Soweit in vier Behandlungsfällen Alkoholismus im Vordergrund der Sucht gestanden habe, sei der Kläger berechtigt gewesen, Remedacen zur Alkoholsubstitution als Außenseitermethode zu verschreiben, nachdem andere Formen der Behandlung erfolglos geblieben seien. Auch diese Behandlung habe der Kläger aber nicht ohne zeitliche Begrenzung durchführen dürfen.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision wendet sich der Kläger dagegen, daß das LSG die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet hat, und erstrebt die endgültige Aufhebung der Regresse. Er rügt als Verfahrensfehler, das LSG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Dem Gericht habe die fachliche Sachkunde gefehlt, um die maximale Dauer einer auf die Verabreichung von hohen Codeindosen gestützten Heroinsubstitution beurteilen zu können. Das habe das LSG offenbar ursprünglich selbst so gesehen und diese Frage für beweisbedürftig gehalten. Die Aussagen des dazu im Termin vernommenen Sachverständigen Prof. Dr. S.… habe das LSG aber nicht verwerten können, weil er – der Kläger – diesen Sachverständigen mit Erfolg abgelehnt habe. Das LSG habe nach der erfolgreichen Ablehnung nicht von einer Beweiserhebung absehen und seine Überzeugungsbildung in medizin-fachlicher Hinsicht allein auf die Sachkunde der mitwirkenden ehrenamtlichen Richter stützen dürfen. Seinem Antrag, Dr. Ch.… als Sachverständigen zu hören, sei das LSG ohne Begründung nicht gefolgt.

In der Sache ist der Kläger der Auffassung, eine Regreßfestsetzung scheide schon aus Rechtsgründen aus. § 17 Ziff 1 EKV-Ärzte differenziere danach, ob einem Vertragsarzt hinsichtlich seiner Verordnungsweise ein Verstoß gegen die “Regeln der ärztlichen Kunst” oder gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise vorgehalten werde. Hier habe der Beigeladene zu 1) seinen Regreßantrag ausschließlich auf einen Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst gestützt. Da das LSG rechtskräftig festgestellt habe, daß sein – des Klägers – Verordnungsverhalten grundsätzlich den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen habe, sei dem Antrag des Beigeladenen zu 1) die Grundlage entzogen. Ohne ausdrücklich darauf gerichteten Antrag sei die Beklagte nicht berechtigt, in einem neuen Verwaltungsverfahren zu prüfen, ob seine Verordnungsweise gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen habe. Das LSG habe zudem in der Sache selbst entscheiden müssen und sei gehindert gewesen, die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten. Hinsichtlich der Frage, ob ein Regreß dem Grunde nach berechtigt sei, stehe den Prüfgremien kein Beurteilungsspielraum und auch kein Ermessen zu, so daß hier die Gerichte durchentscheiden müßten. Da hier schon dem Grunde nach kein Regreß hätte verhängt werden dürfen, sei für die vom LSG der Beklagten aufgegebene Ermittlung von Ausmaß und Umfang der Unwirtschaftlichkeit kein Raum. Das Berufungsgericht habe den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten gegen ihre Krankenkassen verkannt. Nach den im Berufungsverfahren getroffenen eingehenden Feststellungen zu allen 12 noch streitigen Behandlungsfällen habe entschieden werden können und müssen, daß die verordneten Mengen Remedacen jeweils erforderlich gewesen seien, um die Leistungsansprüche der heroinabhängigen Versicherten auf angemessene und notwendige Heilbehandlung gegenüber ihren Krankenkassen zu erfüllen. Wenn dies aber der Fall sei, scheide ein Regreß wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise von vornherein aus.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 1. September 1992 insoweit aufzuheben, als es die Beklagte verpflichtet hat, über die Regreßanträge des Beigeladenen zu 1) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden,

hilfsweise, das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 1. September 1992 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Schleswig-Holstein zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß in der ärztlich nur unzureichend überwachten Verordnung von Remedacen zur Drogensubstitution ein Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst iS von § 17 Ziff 1 EKV-Ärzte liege, so daß der streitbefangene Regreß hier seine Rechtsgrundlage habe. Die Vorgaben des LSG für die erforderliche Neubescheidung stünden im Einklang mit den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Methadon-Substitution vom 2. Juli 1991 (Anl 1 Nr 2 zu den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vom 4. Dezember 1990 ≪BArbBl Nr 2/1991 S 33≫, zuletzt geändert durch Beschluß vom 25. Mai 1994 ≪BAnz Nr 160 S 9186≫, NUB-Richtlinien) und ermöglichten den Prüfgremien eine sachgerechte Überprüfung der einzelnen Verordnungsfälle. Zutreffend habe das LSG weiterhin Vorgaben für die engmaschige ärztliche Kontrolle beim Einsatz von Remedacen gemacht, die nach dem derzeitigen Stand von Wissenschaft und Forschung nicht zu beanstanden seien. Im übrigen stehe der Verordnungsfähigkeit von Remedacen zur Heroinsubstitution entgegen, daß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen sich für die kontrollierte Verabreichung von Methadon als Substitutionsmethode der Wahl entschieden habe.

Der Beigeladene zu 1) beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, nach den eigenen Darlegungen des Klägers diene die Remedacen-Verordnung nicht der Behandlung, sondern der Aufrechterhaltung der Sucht. Die Remedacen-Therapie ziele darauf, die Lebensumstände des opiatabhängigen Patienten zu verbessern, ohne die eigentliche Ursache seiner desolaten Situation – die Abhängigkeit selbst – behandeln zu können. Demgegenüber sei daran festzuhalten, daß Drogensucht keine Krankheit sei, wie dies auch der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in der Präambel zu Anl 1 Nr 2 der NUB-Richtlinien festgestellt habe.

Die zu 2) beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet.

Das angefochtene Urteil enthält eine Gesetzesverletzung, ist aber, soweit es angegriffen ist, im Ergebnis nicht zu beanstanden (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Zu Unrecht hat das LSG den Bescheid der Prüfungskommission vom 10. April 1985 aufgehoben. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung nur der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des Beschwerdeausschusses im Primärkassenbereich bzw der Beschwerdekommission im (früheren) Ersatzkassenbereich. Eine gerichtliche Anfechtung und Aufhebung der im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung erlassenen Bescheide von Prüfungsausschuß und Prüfungskommission scheidet – von bestimmten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – aus Rechtsgründen aus (s zuletzt Senatsurteil vom 15. März 1995 – 6 RKa 37/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Senat ist indessen an einer Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Beschränkung der Aufhebung auf die Entscheidung der Beschwerdekommission gehindert, weil er andernfalls gegen das auch im Rechtsmittelverfahren geltende Verbot der reformatio in peius verstoßen würde. Danach darf der Rechtsmittelführer nicht schlechter gestellt werden, als ihn das mit dem Rechtsmittel angegriffene Urteil gestellt hat, es sei denn, der Beklagte oder ein anderer Beteiligter hätten ebenfalls Rechtsmittel eingelegt. Hier ist der Kläger durch die Entscheidung des LSG, auch den Bescheid der Prüfungskommission aufzuheben, begünstigt, weil ihm nach Aufhebung (auch) der Entscheidung der Prüfungskommission erneut zwei Verwaltungsinstanzen zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise zur Verfügung stehen. Da er allein die Revision führt, darf der Senat an dieser für ihn günstigen Konsequenz des Urteils des LSG nichts ändern.

Das LSG kann – wie der Kläger rügt dadurch gegen die Vorschriften des § 103 und § 128 SGG verstoßen haben, daß es seine Entscheidung (auch) auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S.… gestützt hat, obwohl dieser vom Kläger mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war, und daß es dem Antrag des Klägers auf Vernehmung des Leiters der Hamburger Drogenambulanz ohne hinreichende Begründung (vgl § 160 Abs 2 Ziff 3 SGG) nicht gefolgt ist. Ob dem LSG insoweit tatsächlich Verfahrensfehler unterlaufen sind, kann jedoch offenbleiben, weil der Kläger dadurch jedenfalls nicht beschwert sein kann. Auf den für ihn ungünstigen Teil des Berufungsurteils können sich Verfahrensfehler des LSG nicht ausgewirkt haben.

Der Kläger ist nur insoweit beschwert, wie das Urteil des LSG hinter seinem Begehren zurückgeblieben ist. Nach der Fassung des Berufungsantrags ist das zwar nicht der Fall, weil das Berufungsgericht die vom Kläger begehrte Aufhebung der angefochtenen Bescheide von Prüfungs- und Beschwerdekommission ausgesprochen hat. Das Klagebegehren ist jedoch so zu verstehen, daß der Kläger die endgültige Aufhebung der Regresse erstrebt, während das LSG die Beklagte lediglich zur Neubescheidung verpflichtet hat. Durch die unterlassene Durchentscheidung kann der Kläger ebenso beschwert sein wie durch den Inhalt der “Rechtsauffassung des Gerichts”, die nach § 131 Abs 3 SGG Grundlage der neuen Entscheidung der Prüfungskommission wird und von der Rechtskraft eines Bescheidungsurteils umfaßt ist.(vgl Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. November 1994, Buchholz Nr 418.15 Rettungswesen Nr 2). Weder die Verurteilung zur Neubescheidung noch die von der Beklagten bei dieser Neubescheidung zu beachtende “Rechtsauffassung des Gerichts” iSv § 131 Abs 3 SGG sind jedoch durch etwaige Verfahrensfehler des LSG beeinflußt.

Der vom Kläger begehrten Durchentscheidung iS einer endgültigen Aufhebung der Regresse steht entgegen, daß nach der für den Senat bindenden, weil von der Beklagten und dem Beigeladenen zu 1) nicht angefochtenen Aufhebung der Entscheidungen von Prüfungs- und Beschwerdekommission der Regreßantrag des Beigeladenen zu 1) für die fünf streitbefangenen Quartale noch unbeschieden ist.

Die Auffassung des Klägers, nach dem Urteil des LSG liege ein unerledigter Regreßantrag des Beigeladenen zu 1) nicht mehr vor, trifft nicht zu. Der Kläger stützt seinen Standpunkt darauf, das LSG habe ausgesprochen, daß Remedacen zu Lasten der Ersatzkassen habe verordnet werden dürfen, woraus abzuleiten sei, daß seine Verordnung nicht als Verstoß gegen “die Regeln der ärztlichen Kunst” iS von § 17 Abs 1 EKV-Ärzte gewertet werden könne. Das mag richtig sein, führt aber nicht dazu, daß kein bescheidungsfähiger und bescheidungsbedürftiger Prüfantrag des Beigeladenen zu 1) mehr in der Welt ist. Der Beigeladene zu 1) hat – wie sich insbesondere aus dem klarstellenden Schreiben seines Landesausschusses vom 17. April 1984 ergibt – eine Prüfung der Verordnungsweise des Klägers “unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeitsprüfung” begehrt. Damit ist auf § 17 EKV-Ärzte Bezug genommen, dessen Wortlaut deutlich erkennen läßt, daß ein einheitlicher Regreßgrund und nicht – wie der Kläger meint – zwei unterschiedliche, einander möglicherweise ausschließende Regreßtatbestände geregelt werden. Nach dieser Vorschrift prüft die Prüfungskommission, ob die Verordnungsweise eines Vertragsarztes “nach den Regeln der ärztlichen Kunst dem Maß des Notwendigen und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit” entspricht.

Diese Prüfung hat bislang in den zwölf noch offenen Behandlungsfällen nicht stattgefunden. Die Prüfgremien hatten dazu – nach ihrer Auffassung folgerichtig – keinen Anlaß, weil sie schon generell die Verordnungsfähigkeit von Remedacen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verneint haben. Demgegenüber hat das LSG entschieden, daß Remedacen in den Jahren 1982/83 zu Lasten der Ersatzkassen als Mittel der medizinischen Behandlung opiat- und alkoholabhängiger Versicherter eingesetzt werden durfte. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, kann der Senat nicht überprüfen, weil der Kläger diesen Teil der Entscheidung des LSG als ihm günstig mit seinem Revisionsantrag (vgl § 202 SGG iVm § 559 Zivilprozeßordnung) nicht angreift und die Beklagte und der Beigeladene zu 1) keine Revision eingelegt bzw ihre Revision zurückgenommen haben. Der Senat kann deshalb der von der Beklagten aufgeworfenen Frage nach einem Widerspruch zwischen der Entscheidung des LSG und dem Inhalt der Anl 1 Nr 2 der NUB-Richtlinien zur Methadonsubstitution nicht nachgehen und auch zu dem Problem nicht Stellung nehmen, inwieweit die Verordnung von Codein zur Drogen- und Alkoholsubstitution nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den sog “Außenseitermethoden” rechtmäßig ist bzw von den Versicherten generell beansprucht werden kann (vgl zu letzterem Urteil des 1. Senats vom 5. Juli 1995 – 1 RK 6/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit bzw des Umfangs der Unwirtschaftlichkeit der vom Kläger verordneten Dosen von Remedacen steht den Prüfgremien ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Von diesen haben Prüfungs- und Beschwerdekommission hier noch keinen Gebrauch gemacht. Das LSG hat deshalb die Beklagte verpflichtet, eine entsprechende Prüfung nachzuholen, und hat sich gehindert gesehen, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers selbst abschließend zu beurteilen. Das steht mit Bundesrecht im Einklang und ist durch etwaige Fehler bei der landessozialgerichtlichen Urteilsbildung nicht beeinflußt.

In diesem Zusammenhang bedarf keiner Entscheidung, ob den Prüfgremien auch bei Durchführung- einer strengen Einzelfallprüfung ein Beurteilungsspielraum zukommt und auf welche Schritte des Prüfungsvorgangs sich dieser ggf erstreckt (vgl Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, 1994, RdNr 923 f). Diese Frage ist erst zu klären, wenn die Prüfgremien die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise eines Arztes nach der Methode der strengen Einzelfallprüfung (vgl dazu Senatsurteil BSGE 62, 18 = SozR 2200 § 368n Nr 54 und zur Abgrenzung zur eingeschränkten Einzelfallprüfung Senatsurteil BSGE 70, 246 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10) untersucht haben und ein entsprechender Prüfbescheid zur gerichtlichen Überprüfung gestellt wird. Eine Einzelfallprüfung durch die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung hat hier noch nicht stattgefunden; vielmehr sind erstmals im Verfahren vor dem LSG die einzelnen Behandlungsfälle dokumentiert und analysiert worden. Daß die Prüfungskommission der Beklagten auf das im Berufungsverfahren zusammengetragene Material bei ihrer neuen Entscheidung zurückgreift, liegt nahe, ändert aber nichts daran, daß sie in erster Linie für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers zuständig ist und daß ihr für ihre Entscheidung etwa hinsichtlich der anzuwendenden Prüfmethode oder zur Schätzung des Schadensumfangs ein gerichtlich nur eingeschränkter Beurteilungs- bzw Ermessensspielraum zukommt. Schon aus diesem Grund ist eine Verlagerung der Wirtschaftlichkeitsprüfung von den Prüfgremien auf die Gerichte ausgeschlossen.

Die Vorgaben, die das LSG der Beklagten als zu beachtende Rechtsauffassung iS von § 131 Abs 3 SGG für die Neubescheidung gemacht hat, stehen mit Bundesrecht im Einklang. Das Berufungsgericht hat sie zutreffend aus der Vorschrift des § 2 Abs 2 EKV-Ärzte (in der bis zum 30. September 1990 geltenden und hier noch anwendbaren Fassung) abgeleitet, wonach der Vertragsarzt auch bei der Verordnung von Arzneimitteln das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten hat. Die Einschränkungen, unter denen der Kläger in den Jahren 1982/83 Remedacen zur Opiat- und Alkoholsubstitution allenfalls hat verordnen dürfen, sind eine unmittelbare Folge seiner Verpflichtung, die Behandlungs- und Verordnungsweise auch am Maßstab der Wirtschaftlichkeit auszurichten. Im Hinblick auf die Besonderheiten einer medikamentengestützten Drogensubstitution gegenüber einer Arzneimitteltherapie, die auf die Behebung von Gesundheitsstörungen ausgerichtet ist, besteht ohne die Beachtung der vom LSG dargelegten Einschränkungen die Gefahr, daß zu Lasten der Ersatzkassen kostenintensive Verordnungen getätigt werden, die nicht geeignet sind, den vom Kläger angestrebten Behandlungserfolg herbeizuführen. In diesem Fall würden die Mittel der Krankenversicherung nutzlos aufgewandt, was dem Wirtschaftlichkeitsgebot widerspricht.

Das LSG hat entschieden, daß 1982/83 Remedacen zur Drogensubstitution nicht zeitlich unbegrenzt verordnet werden durfte, weil die Aufrechterhaltung der Sucht durch die Auswechselung des Suchtstoffs (Codein statt Heroin) krankenversicherungsrechtlich allenfalls als Vorstufe zu einer auf Suchtfreiheit zielenden Behandlung statthaft war. Exakte zeitliche Begrenzungen für die Dauer der Remedacenverordnung hat das LSG nicht festgelegt; unter dem Gesichtspunkt der Überbrückung der Zeitspanne bis zum Beginn einer echten Suchttherapie hat es einen Zeitrahmen von zwei bis drei Monaten, längstens von sechs Monaten für sachgerecht gehalten, wobei dies nicht als starre, keinesfalls überschreitbare Grenze, sondern nur als Anhaltspunkt zu verstehen ist. Die stets nur im Einzelfall festzulegende Höchstdauer der Remedacenverordnung kann bei einem Patienten, der auf einen Platz in einer Entgiftungs- bzw Entziehungseinrichtung wartet, anders zu bestimmen sein als bei einem Patienten, bei dem eine Aids-Erkrankung im Endstadium mit Heroinabhängigkeit verbunden ist. Wieder andere zeitliche Vorgaben sind denkbar, sofern Remedacen unter dem Gesichtspunkt einer allerletzten Behandlungschance eingesetzt wird, wenn alle anderen Versuche der therapeutischen Beeinflussung der Drogensucht versagt haben, ein Versuch der medikamentengestützten Therapie aber bei prognostischer Betrachtungsweise nicht völlig aussichtslos erscheint. Generalisierend hat das LSG lediglich ausgesprochen, daß Remedacen 1982/83 keinesfalls zeitlich unbegrenzt verschrieben werden durfte. Allein daran ist die Beklagte bei ihrer Entscheidung gebunden, ob die Dauer der Remedacenverordnung seitens des Klägers in den zwölf noch offenen Behandlungsfällen mit dem Gebot der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Verordnung im Einklang gestanden hat.

Die Auffassung des LSG, daß bei Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes die Verordnung von Drogenersatzstoffen zu Lasten der Ersatzkassen zeitlich nicht unbegrenzt statthaft war, stellt eine zutreffende rechtliche Bewertung dar und ist als solche dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich. Der 1. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 5. Juli 1995 – 1 RK 6/95 – zum Anspruch einer Versicherten auf Versorgung mit Remedacen dargelegt, daß die Drogensubstitution für eine Übergangszeit zweckmäßig, wirtschaftlich und medizinisch notwendig sein kann, ohne zur höchstzulässigen Dauer dieser Übergangszeit abschließend Stellung zu nehmen. Der Kläger selbst rechtfertigt seine Behandlungsweise damit, daß sie ein geeigneter Weg zu dem auch von ihm stets verfolgten Ziel der Drogenfreiheit des Patienten ist. Er nimmt für sich nicht das Recht in Anspruch, Patienten, die ein drogenfreies Leben in keiner Weise anstreben, dauerhaft zu Lasten der Krankenkassen mit Suchtstoffen zu versorgen. Wie die zeitliche Grenze im Einzelfall zu ziehen ist, entzieht sich einer generellen Festlegung und wird von der Prüfungskommission bei der Neubescheidung wertend zu beurteilen sein. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß das LSG dem Antrag des Klägers, zur medizinisch sinnvollen Dauer der Remedacentherapie den Leiter der Hamburger Drogenambulanz als Sachverständigen zu hören, im derzeitigen Verfahrensstadium, in dem noch keine wirkliche Wirtschaftlichkeitsprüfung von Seiten der Prüfgremien stattgefunden hat, nicht entsprochen hat.

Das LSG hat weiterhin entschieden, daß der Kläger unwirtschaftlich gehandelt hat, wenn und soweit er “Rezepte auf Telefonanruf” übersandt und “auswärts wohnende Patienten auf diese Weise über längere Zeiträume” versorgt hat (S 24/27 des Urteils). Diese rechtliche Beurteilung steht ebenfalls mit Bundesrecht im Einklang. Wenn – wie im vorliegenden Verfahren feststeht – Remedacen in den Jahren 1982/83 zur Opiat- und Alkoholsubstitution verordnet werden durfte, war es unter wirtschaftlichen Aspekten zwingend geboten, daß der behandelnde Arzt die substituierten Patienten ständig betreut und kontrolliert hat, um sicherstellen zu können, daß die Patienten die verordneten Dosen tatsächlich einnehmen, daß kein Beigebrauch anderer Drogen stattfindet und die Drogenersatzmittel von den Patienten nicht mißbraucht, insbesondere an andere Personen weitergegeben werden. Das hat der 1. Senat des BSG zum Leistungsanspruch der Versicherten gegenüber ihrer Krankenkasse entschieden (aaO). Der erkennende Senat schließt sich dem für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Remedacenverordnungen im vertragsärztlichen Bereich an. Die mit der Verordnung von Drogenersatzstoffen verbundenen Chancen des längerfristig angelegten, dann aber erfolgreichen Ausstiegs aus der Abhängigkeit können nur realisiert und die großen Risiken dieser Behandlungsweise (Perpetuierung der Abhängigkeit, Konsum mehrerer Suchtstoffe. Handel mit Medikamenten zur Geldbeschaffung für Heroin) können nur beherrscht werden, wenn zwischen Arzt und Patienten ein enger Kontakt besteht, der auch Elemente von Kontrolle und Überwachung des Patienten einschließt. Das hat zur notwendigen Folge, daß die Behandlung der drogensüchtigen Versicherten mit Drogenersatzstoffen sehr aufwendig ist und den Vertragsarzt in zeitlicher Hinsicht stark beansprucht. Dem tragen Ziff 2.9 und 2.10 der Anl 1 Nr 2 der NUB-Richtlinien dadurch Rechnung, daß dort bestimmt ist, daß ein Arzt in der Regel nicht mehr als zehn, in Ausnahmesituationen zeitlich befristet nicht mehr als 50 Patienten gleichzeitig substituieren soll. Wenn auch die Richtlinien des Bundesausschusses über die Methadonsubstitutionsbehandlung keine Regelung für die Behandlung mit Remedacen treffen und ohnehin 1982/83 noch nicht gegolten haben, lassen sich ihnen doch Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß bei einer zu großen Zahl heroinabhängiger Patienten in einer Arztpraxis die notwendigen engmaschigen Kontrollen der substituierten Patienten nicht gewährleistet sind. Der Vertragsarzt hat dann kaum die zeitliche Möglichkeit zu prüfen, ob die Zielvorgabe jeder medikamentengestützten Behandlung der Drogensucht, die endgültige Durchbrechung der Drogenabhängigkeit, vom einzelnen Patienten noch hinreichend intensiv verfolgt wird. Die Versendung von Remedacen-Rezepten auf telefonische Bestellung kann Ausdruck dafür sein, daß ein Arzt sich den Anforderungen, die die Substitutionstherapie an ihn stellt, entzogen hat oder ihnen wegen der großen Zahl der Patienten – der Kläger betreut nach eigenen Angaben derzeit gleichzeitig über 800 Abhängige – schon rein zeitlich nicht hat gerecht werden können.

Auf der Grundlage dieser für den wirtschaftlichen Einsatz von Remedacen als Substitutionsmittel geltenden Grundsätze hat das LSG zu Recht entschieden, daß die Führung und Kontrolle eines heroinabhängigen Patienten ausgeschlossen sind, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg lediglich auf telefonische Anforderung Remedacen-Rezepte ausgestellt werden und ein persönlicher Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Patienten nicht stattfindet. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen des LSG ergibt sich, daß die Verordnung von Remedacen auf telefonische Anforderung in der Regel die Unwirtschaftlichkeit der Verordnung indiziert, daß dies aber nicht strikt für jede einzelne Verordnung zu gelten hat. Wenn der Kläger einen Patienten über längere Zeit behandelt und kennt, ihn regelmäßig sieht und kontrollieren kann, ist es nicht schlechthin ausgeschlossen, in bestimmten Situationen die mit dem Patienten abgesprochene Dosis für einen eng begrenzten Zeitraum auf telefonische Anforderung hin zu verordnen. Doch kann es sich dabei nur um Ausnahmefälle handeln. Die Verordnung von Remedacen auf telefonische Anforderung an Patienten, die außerhalb des Einzugsbereichs der Praxis des Klägers gewohnt haben und mit denen der Kläger nicht regelmäßig in persönlichem Kontakt gestanden hat, hat das LSG zu Recht als unwirtschaftlich gewertet. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis hinsichtlich der Verordnung von Remedacen auf telefonische Anforderung muß die Prüfungskommission bei ihrer neuen Entscheidung berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Senat hat berücksichtigt, daß der Beigeladene zu 1) zunächst auch Revision eingelegt hatte und nach deren Rücknahme billigerweise einen Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI946338

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