Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 22.11.1994; Aktenzeichen L 6 Ka 41/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. November 1994 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist als Chirurg zur kassenärztlichen (seit 1. Januar 1993 einheitlich: vertragsärztlichen) Versorgung zugelassen. In der Zeit von Januar bis September 1992 betrieb er vorübergehend eine Gemeinschaftspraxis mit dem Chirurgen Dr. T …. Davor und danach praktizierte er allein. Seine Honoraranforderungen für die Quartale III/1989 bis IV/1991 wurden jeweils auf der Grundlage des § 11 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Beklagten wegen übermäßiger Ausdehnung der Kassenpraxis gekürzt. Die dagegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) Kiel durch Urteil vom 21. Oktober 1992 abgewiesen. Nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils und während des sich anschließenden Berufungsverfahrens sind weitere auf § 11 HVM gestützte Kürzungsbescheide für die Quartale IV/1992 bis II/1993 ergangen, die der Kläger nicht gesondert angefochten hat.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach die in § 11 des HVM der Beklagten vorgesehene Honorarbegrenzungsregelung in ihrer seinerzeitigen Fassung gegen höherrangiges Recht verstieß (Urteil vom 26. Januar 1994 ≪SozR 3-2200 § 368f Nr 3≫), hat die Beklagte die Bescheide betreffend die Quartale III/1989 bis IV/1991 zurückgenommen und dem Kläger die insoweit einbehaltenen Honoraranteile ausgezahlt. Die auf Aufhebung auch der Honorarkürzungen für die Quartale IV/1992 bis II/1993 gerichtete Klage hat das Landessozialgericht (LSG) abgewiesen (Urteil vom 22. November 1994). Die diesbezüglichen Verwaltungsakte seien nicht kraft Gesetzes Gegenstand des anhängigen Gerichtsverfahrens geworden. Die Regelung des § 96 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lasse sich auf den vorliegenden Sachverhalt weder unmittelbar noch entsprechend anwenden, nachdem sich durch den zeitweiligen Betrieb einer Gemeinschaftspraxis der vertragsärztliche Status des Klägers ab dem Quartal I/1992 geändert habe und damit weder in zeitlicher noch in sachlicher Hinsicht ein Zusammenhang mit den ursprünglich streitigen Honorarbegrenzungsmaßnahmen gegeben sei.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 96 Abs 1 SGG. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auch dann geboten, wenn die späteren, den Honoraranspruch des Arztes in derselben Weise wie der Ausgangsbescheid regelnden Verwaltungsakte zeitlich auseinanderliegende Abrechnungszeiträume beträfen. Daß der Kläger seine kassenärztliche Tätigkeit vorübergehend im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ausgeübt habe, ändere nichts daran, daß es auch bei den späteren Quartalen wieder um denselben Streitstoff gehe, der bereits Gegenstand der früheren Entscheidungen gewesen sei.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. November 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 8. April 1993, 22. Juli 1993 und 14. Oktober 1993 zur Zahlung von 78.222,88 DM zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Das LSG hat die Klagen gegen die nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ergangenen Bescheide vom 8. April 1993, 22. Juli 1993 und 14. Oktober 1993, mit denen das Honorar des Klägers für die Quartale IV/1992 bis II/1993 auf der Grundlage des § 11 des HVM der Beklagten in seiner damaligen Fassung wegen übermäßiger Ausdehnung der kassen- bzw vertragsärztlichen Tätigkeit gekürzt worden ist, zu Recht abgewiesen. Diese Klagen sind unzulässig, weil der Kläger die genannten Bescheide innerhalb der jeweils maßgebenden Rechtsbehelfsfristen nicht angefochten hat. Eine gesonderte Anfechtung wäre nur dann entbehrlich gewesen, wenn die Regelung des § 96 Abs 1 SGG eingreifen würde, nach der spätere Verwaltungsakte, die den ursprünglich angefochtenen Bescheid abändern oder ersetzen, kraft Gesetzes und ohne Zutun der Beteiligten Gegenstand eines gegen den Ausgangsbescheid angestrengten Gerichtsverfahrens werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind jedoch nicht erfüllt.

Für seine anderslautende Auffassung kann sich der Kläger nicht auf die in der Revisionsbegründung zitierte Rechtsprechung des BSG berufen. Der erkennende Senat hat allerdings wiederholt entschieden, daß bei Honorarstreitigkeiten auch solche Bescheide nach § 96 Abs 1 SGG in das Gerichtsverfahren einbezogen werden, die zwar den ursprünglich angefochtenen Bescheid weder ändern noch ersetzen, die darin getroffene Regelung aber für spätere Abrechnungszeiträume unverändert übernehmen und deshalb mit derselben Begründung angefochten werden (SozR Nr 14 und Nr 19 zu § 96 SGG; BSGE 27, 146, 148 = SozR Nr 21 zu § 96 SGG; SozR 1500 § 144 Nr 6; SozR 1500 § 96 Nr 14 und Nr 24 S 33 ua; zur Anwendbarkeit des § 96 SGG bei Honorarbegrenzungen wegen übermäßiger Praxisausdehnung zuletzt: Urteil vom 12. Oktober 1994 ≪SozR 3-2500 § 85 Nr 8≫ mwN). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die betroffenen Abrechnungszeiträume zeitlich nicht unmittelbar aneinander anschließen, sofern nur der Regelungsgegenstand des früheren und des späteren Bescheides und der sich daraus ergebende Streitstoff übereinstimmen, so daß jeweils im Kern über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist (Urteil vom 14. Juli 1965 ≪SozR Nr 19 zu § 96 SGG≫; vgl auch Urteil vom 7. Oktober 1981 ≪SozR 1500 § 96 Nr 24 S 33≫).

Für eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG ist jedoch kein Raum, wenn zwar die späteren Entscheidungen auf derselben Rechtsgrundlage ergangen sind und es auch um dieselbe Rechtsfrage geht, die rechtlich relevanten Sachverhaltsumstände und Tatsachengrundlagen aber in den verschiedenen Abrechnungszeiträumen nicht oder nur teilweise deckungsgleich sind. Das mit der Regelung verfolgte Ziel, im Interesse der Prozeßökonomie ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermöglichen, würde verfehlt, wenn die Gerichte gezwungen wären, im Rahmen des laufenden Prozesses auch solche nachgehenden Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen, die auf einer anderen Tatsachen- oder Rechtsgrundlage ergangen sind (vgl dazu Urteil des Senats vom 24. August 1994 ≪SozR 3-1500 § 96 Nr 3 S 5≫). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Sachverhaltsunterschiede bei der späteren gerichtlichen Entscheidung tatsächlich auswirken; es reicht aus, wenn dies nach den Umständen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. So liegt der Fall hier.

Ob eine dem Zweck der Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit dienende Honorarkürzung rechtmäßig ist, hängt neben anderem wesentlich von den tatsächlichen Verhältnissen im jeweiligen Einzelfall ab. Das zeigt auch der Vortrag des Klägers, der sich nicht allgemein gegen die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen gewandt, sondern die ihm gegenüber erfolgten Kürzungen mit der Begründung angegriffen hat, der als Indikator für einen übergroßen Praxisumfang zugrunde gelegte Honorargrenzwert werde den besonderen Gegebenheiten seiner Praxis nicht gerecht. Bestand aber die Möglichkeit, daß es für die Entscheidung maßgeblich auf die konkreten Praxisumstände ankommen würde, so fehlt es, was die ab dem 4. Quartal 1992 ergangenen Kürzungsbescheide angeht, an der für eine Einbeziehung in den Prozeß erforderlichen Identität des Streitgegenstandes. Dadurch, daß der Kläger seine bisherige Einzelpraxis Anfang 1992 in eine Gemeinschaftspraxis umgewandelt hatte, ergab sich eine völlig neue Situation. Auch wenn die Gemeinschaftspraxis bereits im Herbst desselben Jahres wieder aufgelöst und die damit verbundene Statusänderung rückgängig gemacht worden ist, konnte angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt gegenüber den früheren Abrechnungszeiträumen nicht verändert hatte. Damit war aber, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, nicht nur in zeitlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht ein die entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG rechtfertigender Zusammenhang mit den ursprünglich streitigen Honorarbegrenzungsmaßnahmen nicht mehr gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174293

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