Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Methode zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten. Heranziehung von Mietspiegeln oder Mietdatenbanken. keine Anwendung der Wohngeldtabelle. Abschlag für Warmwasseraufbereitung

 

Orientierungssatz

1. Nach den landesrechtlichen Wohnraumförderungsbestimmungen in Niedersachsen ist bei Mietwohnungen für 1-Personen-Haushalte eine Wohnfläche bis 50 qm angemessen iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2, soweit keine besonderen Fallkonstellationen vorliegen, die im Einzelfall zu einer Erhöhung der angemessenen Wohnfläche führen können.

2. Vergleichsmaßstab zur Bildung des angemessenen Mietpreises sind in erster Linie die räumlichen Gegebenheiten am Wohnort des Hilfebedürftigen. Der räumliche Vergleichsmaßstab kann im Hinblick auf dessen Größe durchaus unterschiedlich sein - je nachdem, ob es sich um einen ländlichen Raum oder ein Ballungszentrum handelt. Bei einer Stadt mit rund 163.000 Einwohnern kommt als Vergleichsraum zur Ermittlung des angemessenen Mietpreises durchaus noch das gesamte Stadtgebiet in Betracht.

3. Auf das - nach Wohnungsgrößen differenzierte - Mietniveau des unteren Segments im räumlichen Vergleichsbereich kann der Hilfebedürftig verwiesen werden, sofern sie im alsdann festzulegenden Wohnbereich zur Anmietung zur Verfügung stehen; wobei der maßgebende noch zumutbare Wohnbereich im Hinblick auf das soziale Umfeld unter Umständen enger zu begrenzen ist, als das Gebiet, das im Hinblick auf die Mietpreishöhe als Vergleichsmaßstab herangezogen wurde.

4. Die Tabellenwerte in § 8 WoGG 2 stellen grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegeln und zum anderen nicht darauf abstellen, ob der Wohnraum bedarfsangemessen ist (vgl nur BVerwG vom 27.11.1996 - 5 C 2/85 = BVerwGE 75, 168, vom 7.5.1987 - 5 C 36/85 = BVerwGE 77, 232; vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 = BVerwGE 97, 110, vom 31.8.2004 - 5 C 8/04 = NJW 2005, 310 und vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = NVwZ 2005, 1197). Einen Rückgriff auf die Tabellenwerte ist nur dann zulässig, wenn lokale Erkenntnismöglichkeiten nicht weiterführen. Hiervon kann nicht schon dann ausgegangen werden, wenn ein qualifizierter Mietspiegel iS des § 558d BGB nicht existiert.

5. Zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen Mietwohnungsmarktes muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel iS der §§ 558c und 558d BGB abstellen. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss lediglich auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben. Erfüllt das Datenmaterial die Voraussetzungen, so sind auch "Mietdatenbanken", die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 558c bzw 558d BGB nicht erfüllen, geeignet, als Maßstab für die Beurteilung der "Angemessenheit" iS des § 22 Abs 1 SGB 2 herangezogen zu werden.

6. Für die Kosten der Warmwasserbereitung dürfen von den Unterkunfts- bzw Heizkosten lediglich 6,22 Euro abgezogen werden (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R).

 

Normenkette

SGB 2 § 22 Abs. 1 S. 1; WoGG 2 § 8 Abs. 1; BGB §§ 558c, 558d

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 24.08.2006; Aktenzeichen L 8 AS 133/06)

SG Osnabrück (Urteil vom 15.02.2006; Aktenzeichen S 22 AS 363/05)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Kosten der Unterkunft (KdU) nach § 22 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung des Viertes Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I 2954) für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2005, soweit sie den von der Beklagten unstreitig gestellten Betrag von 300,- € (Kaltmiete plus Nebenkosten) überschreiten.

Die 1964 geborene Klägerin ist allein stehend und bewohnte bis August 2006 eine 53 qm große Altbauwohnung in O. Die Wohnung wurde 1902 bezugsfertig. Die monatliche Kaltmiete betrug 257,05 €. Hinzu kamen Nebenkosten in Höhe von 51,60 € (= Warmmiete von 308,65 €) und Kosten für Heizung von 54,- € monatlich. Bis 31. Dezember 2004 bezog die Klägerin Arbeitslosenhilfe plus Wohngeld und seit dem 1. Januar 2005 erhält sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bereits bei Erteilung des ersten Bescheides über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Bescheid vom 8. November 2004 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2005) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die KdU unangemessen hoch seien und sie sich um eine günstigere Wohnung bemühen müsse. Zum 1. Januar 2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Regelleistung und KdU einschließlich Heizkosten in Höhe von 698,65 €, in der noch die nach Ansicht der Beklagten unangemessen hohen KdU inklusive Heizung von 353,65 € in vollem Umfang enthalten waren (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts: 345,00 € ≪Bescheid vom 7. Februar 2005 für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2005≫). Durch Bescheid vom 23. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2005 senkte sie die Leistungen für KdU zum neuen Bewilligungsabschnitt vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2005 auf 247,50 € (Kaltmiete plus Nebenkosten) und 45,- € für Heizkosten (insgesamt KdU + Heizung = 292,50 €) (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts insgesamt: 637,50 €). Sie legte dabei für die KdU (Kaltmiete plus Nebenkosten) den um 10 % erhöhten Tabellenwert des § 8 Abs 1 Wohngeldgesetz (≪WoGG≫, ein Haushaltsmitglied, Gemeindestufe III, bezugsfertiger Wohnraum bis zum 31. Dezember 1965 = 225,- €) zu Grunde und berechnete die Heizkosten auf Grund einer angemessenen Wohnraumgröße von 50 qm. Mit ihrer Klage hiergegen war die Klägerin vor dem Sozialgericht Osnabrück (SG) erfolgreich. Das SG hat durch Urteil vom 15. Februar 2006 die Beklagte verurteilt, der Klägerin im streitigen Zeitraum weitere 63,50 € monatlich an KdU einschließlich Heizkosten zu zahlen (353,65 € ≪bisher von der Beklagten gewährte KdU + Heizung≫ + 9,- € ≪Heizkosten für 3 weitere qm≫ - 6,50 € ≪Kosten der Warmwasserbereitung, die in der Regelleistung enthalten sind≫ - 292,50 € ≪bewilligte KdU + Heizung≫ = 63,50 €). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Beklagte habe zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" in § 22 Abs 1 SGB II zu Unrecht auf die Tabellenwerte des § 8 Abs 1 WoGG zurückgegriffen. Die angemessenen KdU seien unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Zweck und Ausgestaltung des WoGG sowie der bedarfsdeckenden Leistungen zur Sicherung der Lebensunterhalts seien so verschieden, dass die Werte des WoGG nicht zum Maßstab für SGB II-Leistungen gemacht werden könnten, jedenfalls dann nicht, wenn einzelfallbezogene Erkenntnisse aus anderen Datenquellen gewonnen werden könnten. Der Ermittlung der KdU sei im konkreten Fall der Mietpreisspiegel der Stadt O. zu Grunde zu legen. Zwar handele es sich hierbei nicht um einen qualifizierten Mietspiegel iS des § 558d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern um von der Stadt O. auf Grund von Daten aus Wohngeldfällen sowie Auskünften von Mieter- und Vermieterverbänden aus ca 13.300 Datensätzen ermittelte Werte. Unter Berücksichtigung dessen ergebe sich im vorliegenden Fall ein angemessener Mietpreis von 5,19/qm. Dieser qm-Preis werde auch durch die von der Kammer eingeholten Auskünfte bei den großen Wohnungsanbietern in O. bestätigt. Unter Berücksichtigung der Produkttheorie habe die Beklagte daher im vorliegenden Fall die gesamte tatsächlich von der Klägerin gezahlte Kaltmiete plus Nebenkosten als KdU zu leisten, denn die Wohnung der Klägerin sei zwar 3 qm größer als ihr als Alleinstehender zuzubilligen sei. Dafür sei die Wohnung jedoch um 2,45 € günstiger als nach dem Mietpreisspiegel als angemessen anzusehen. Die insoweit ebenfalls zu hohen Nebenkosten würden mit 1,22 € in diesem Betrag aufgehen. Daneben habe die Beklagte die Heizkosten abzüglich der Kosten für die Warmwasserbereitung ebenfalls in vollem Umfang zu übernehmen. Mit ihrer Berufung, die sie auf den über 300,- € hinausgehenden Betrag für "Warmmiete" (gemeint ist: Kaltmiete plus Nebenkosten) begrenzt hat, macht die Beklagte geltend, dass für die Feststellung der Angemessenheit der KdU auf die Tabellenwerte zu § 8 WoGG, rechte Spalte zurückzugreifen sei. Danach, und dieses habe bei einer Internetrecherche seine Bestätigung gefunden, sei eine Warmmiete von 300,- € für eine 50 qm-Wohnung in O. angemessen. Durch Bescheide vom 12. Juni und 24. Juli 2006 erkannte die Beklagte die Heizkosten in tatsächlicher Höhe an und zahlte 127,08 € an die Klägerin nach. Zugleich hat sie erklärt, die Berufung insoweit ebenfalls nicht mehr weiter betreiben zu wollen. Durch Urteil vom 24. August 2006 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) der Berufung der Beklagten stattgegeben und das Urteil des SG aufgehoben, soweit der Klägerin durch dieses mehr als 300,- € KdU (Kaltmiete plus Nebenkosten) monatlich ohne Heizung für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zuerkannt worden sind. Im Streit ständen mithin nur noch 8,65 € monatlich x 6 Monate = 51,90 €. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf mehr als 300,- € KdU monatlich. Wenn, wie im vorliegenden Fall, kein aussagekräftiger Mietpreisspiegel vorhanden sei, sei auf die Werte der Wohngeldtabelle zurückzugreifen. Die Tabellenwerte des § 8 Abs 1 WoGG, rechte Spalte, wiesen in der Mietstufe III einen Wert von 300,- € aus. Der Mietpreisspiegel sei hier als Maßstab nicht geeignet, denn es handele sich nicht um einen qualifizierten Mietspiegel iS des § 558d BGB. Auch sei genügend verfügbarer Wohnraum in diesem Preissegment vorhanden, wie die Internetrecherche der Beklagten ergeben habe. Die tatsächlich entstanden Kosten seien auch nicht für den hier streitigen Zeitraum weiter zu übernehmen, denn die Klägerin sei bereits bei der Erteilung des ersten Bewilligungsbescheides auf ihre Kostensenkungsverpflichtung hingewiesen worden. Hinreichende Bemühungen um günstigeren Wohnraum habe sie nicht dargelegt. Bezugsfähiger Wohnraum im angemessenen Segment sei vorhanden. Dahinstehen könne daher, dass nach zutreffender Anwendung des Mietpreisspiegels sich auch kein anderes Ergebnis feststellen lasse.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der von dem LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung von § 22 Abs 1 SGB II und bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung des SG. Zudem verweist sie auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. November 2006 (B 7b AS 18/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 3), wonach für die Feststellung der Angemessenheit der Wohnungsgröße zunächst auf die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurückzugreifen sei. Alsdann sei der Wohnstandard zu ermitteln. Dem Hilfsbedürftigen stehe lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsstandard der Wohnung zu. Als Vergleichsmaßstab sei der Wohnstandard am konkreten Wohnort heranzuziehen und das Produkt aus Wohnstandard und Wohnlage zu bilden. Erst wenn alle anderen Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft seien, könne auf die Tabelle zu § 8 WoGG zurückgegriffen werden. Das Urteil des LSG entspreche diesen Vorgaben nicht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. August 2006 zu ändern, soweit das Landessozialgericht die durch die Entscheidung des Sozialgerichts Osnabrück vom 15. Februar 2006 ausgeurteilte Verpflichtung der Beklagten aufgehoben hat, der Klägerin die über den Betrag von 300,- € monatlich hinausgehenden tatsächlichen Kosten der Unterkunft (Kaltmiete und Nebenkosten) im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 zu gewähren und die hierauf begrenzte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 15. Februar 2006 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht abschließend beurteilt werden, ob der Klägerin im streitigen Zeitraum ein Anspruch auf höhere KdU zusteht. Zwar hat die Klägerin als Hilfebedürftige iS des § 7 Abs 1 SGB II einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff SGB II, einschließlich der Übernahme der KdU und Heizung (2). Es mangelt jedoch an einer hinreichenden Tatsachengrundlage, um beurteilen zu können, in welcher Höhe die Beklagte verpflichtet ist, Leistungen für KdU zu erbringen. Dabei gilt es zu klären, ob der von der Klägerin im streitigen Zeitraum angemietete Wohnraum angemessen iS des § 22 Abs 1 SGB II war. Wie der Senat bereits in seinem grundlegenden Urteil vom 7. November 2006 (B 7b AS 18/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 3) entschieden hat, ist die "Angemessenheit" der Wohnkosten in mehreren Schritten zu prüfen: Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu ermitteln (3). Alsdann ist festzustellen, ob die angemietete Wohnung dem Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard entspricht, der sich in der Wohnungsmiete niederschlägt. Vergleichsmaßstab sind insoweit die räumlichen Gegebenheiten am Wohnort des Hilfebedürftigen, wobei die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen sind ≪abstrakte Angemessenheit≫. Liegen keine Mietspiegel bzw Mietdatenbanken im Sinne der §§ 558c und 558d BGB vor, so wird der Grundsicherungsträger zu erwägen haben, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene - grundsicherungsrelevante - Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen. Dem von LSG und Beklagten aufgestellten Rechtssatz, dass dann, wenn kein qualifizierter örtlicher Mietspiegel iS des § 558d BGB vorhanden sei, der Begriff der Angemessenheit durch die Werte der Wohngeldtabelle nach § 8 Abs 1 WoGG ausgefüllt werde, folgt der Senat nicht. Zumindest dann, wenn die Erhebungen von Stadt/Gemeinde und/oder Grundsicherungsträger auf einem schlüssigen Konzept zur Ermittlung der aktuellen örtlichen Wohnraummieten beruhen, ist nicht zwingend ein Mietspiegel iS der §§ 558c f BGB zu verlangen (4). Schlussendlich gilt es festzustellen, ob für die Klägerin eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war ≪konkrete Angemessenheit≫ (5). Hinsichtlich der Kosten für Heizung wird das LSG bei seiner Entscheidung zu beachten haben, dass nicht - wie von der Beklagten angenommen und offensichtlich vom LSG übernommen - 6,50 € für Kosten der Warmwasserbereitung, sondern nach der Rechtsprechung des Senats für den hier maßgebenden Bewilligungszeitraum 6,22 € von den Kosten für Heizung in Abzug zu bringen sind (vgl BSG Urteil vom 15. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07 R) (6).

(1) Die Beklagte ist weiterhin beteiligtenfähig (zur Beteiligtenfähigkeit s zuvor: BSG Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 1). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar mittlerweile durch Urteil vom 20. Dezember 2007 (2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04) § 44b SGB II als mit Art 28 und 83 Grundgesetz (GG) unvereinbar erklärt. Die gemäß § 44b SGB II gebildeten Arbeitsgemeinschaften können jedoch für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2010 (BVerfG aaO, RdNr 207) weiterhin auf der bisherigen Rechtsgrundlage tätig werden.

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2005. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte über die Leistungen der Klägerin zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II insgesamt entschieden, also sowohl über die Höhe der Regelleistung, als auch die KdU und die Übernahme der Heizkosten für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005. Die Klägerin hat ihr Begehren jedoch ausdrücklich auf die Gewährung höherer Unterkunftskosten beschränkt; nur hierüber hat auch das LSG befunden. Diese Beschränkung des Streitgegenstandes ist, wie das BSG bereits entschieden hat, zulässig. Bei der Festsetzung der Leistungen für Unterkunfts- und Heizkosten handelt es sich um eine abtrennbare Verfügung des Gesamtbescheides, über die das Gericht bei entsprechendem Antrag isoliert entscheiden kann (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18).

(2) Nach § 7 Abs 1 SGB II (hier idF des Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ≪BGBl I 2954≫ - die Änderung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 ≪BGBl I 558≫ ist im konkreten Fall nicht von Bedeutung) erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Die Klägerin ist hilfebedürftig. Hilfebedürftig iS von § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 Abs 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Klägerin hat damit dem Grunde nach Anspruch auf Übernahme der KdU einschließlich Heizung.

Das SG hat die Beklagte insoweit verurteilt, 308,45 € und hinsichtlich der Kosten für Heizung 54,- € minus 6,50 € für Warmwasserbereitung monatlich zu zahlen. Die Beklagte hat die Berufung auf den einen Betrag von 300,- € übersteigenden Teil beschränkt. Hieraus folgt zugleich, dass das Urteil des SG bis zu diesem Betrag rechtskräftig geworden ist. Allerdings ist eine Aufspaltung in KdU und Kosten für Heizung nicht möglich (s BSG aaO). Die Beteiligten gehen daher zu Unrecht davon aus, dass die Kosten für Heizung vorliegend nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits seien, weil die Beklagte den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch insoweit im Sinne des Urteils des SG vom 15. Februar 2006 durch Bescheide vom 12. Juni 2006 und 24. Juli 2006, die nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind, voll erfüllt habe. Ob der Klägerin über 300,- € monatlich plus der von der Beklagten bereits gezahlten Kosten für Heizung weitere Leistungen nach § 22 Abs 1 SGB II zustehen lässt sich anhand der Feststellungen des LSG nicht beurteilen.

(3) Beklagte und LSG sind im vorliegenden Fall zutreffend von einer angemessenen Wohnungsgröße von 50 qm ausgegangen. Grundlage für die Bestimmung der Wohnungsgröße ist § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13. September 2001 (WoFG, BGBl I 2376). Danach können die Länder im geförderten Mietwohnungsbau die Anerkennung von bestimmten Grenzen für Wohnungsgrößen nach Grundsätzen der Angemessenheit regeln. Hierbei erlassen die einzelnen Bundesländer Richtlinien. In Niedersachsen finden sich die Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 -) in dem Runderlass vom 27. Juni 2003 (Nds Ministerialblatt 2003, Heft 27, S 580). Gemäß Ziffer B Nr 11.2 der Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 - gilt bei Mietwohnungen für Alleinstehende eine Wohnfläche bis 50 qm als angemessen. Besondere Fallkonstellationen, die im Einzelfall zu einer Erhöhung der angemessenen Fläche führen können (Ziffer B Nr 11.4 und 11.5 Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 -), liegen bei der Klägerin nicht vor.

(4) Ob die Wohnung der Klägerin gleichwohl als angemessen anzusehen ist, vermag der Senat nach den für ihn bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht zu beurteilen. Selbst wenn die Wohnungsgröße die Angemessenheitsgrenze überschreitet, kann das "Produkt Mietpreis", das sich zusammensetzt aus angemessener Wohnfläche und Wohnstandard (Produkttheorie s BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 20) gleichwohl iS des § 22 Abs 1 SGB II angemessen sein und sind die tatsächlichen Kosten ggf vom Träger der Grundsicherung zu übernehmen. Gleiches gilt für den Fall, dass sich die Wohnung nicht in dem örtlichen Umfeld befindet, in dem, gemessen am räumlichen Vergleichsmaßstab, Wohnungen des unteren Segments üblicherweise zu finden sind. Die Wohnung muss lediglich den aufgeführten Kriterien, die als Mietpreis bildende Faktoren regelmäßig im Quadratmeterpreis ihren Niederschlag finden, entsprechen. Vergleichsmaßstab zur Bildung des angemessenen Mietpreises sind insoweit die räumlichen Gegebenheiten am Wohnort des Hilfebedürftigen.

Räumlicher Vergleichsmaßstab ist, wie der 7b. Senat in seinem Urteil vom 7. November 2006 (SozR 4-4200 § 22 Nr 2) im Einzelnen dargelegt hat, in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen. Der räumliche Vergleichsmaßstab kann dabei im Hinblick auf dessen Größe durchaus unterschiedlich sein - je nachdem, ob es sich um einen ländlichen Raum oder ein Ballungszentrum handelt. Bei einer Stadt wie O. mit rund 163.000 Einwohnern kommt als Vergleichsraum zur Ermittlung des angemessenen Mietpreises durchaus noch das gesamte Stadtgebiet in Betracht. Die Feststellungen der Vorinstanzen lassen es jedenfalls bislang nicht als geboten erscheinen, auf einen hiervon abweichenden Vergleichsmaßstab abzustellen. Es ist mithin zunächst das Mietniveau des unteren Segments - nach Wohnungsgrößen differenziert - in diesem Raum festzustellen. Auf Wohnungen dieses Niveaus kann der Hilfebedürftige "verwiesen" werden, sofern sie im alsdann festzulegenden Wohnbereich zur Anmietung zur Verfügung stehen; wobei der maßgebende noch zumutbare Wohnbereich, wie das BSG bereits angedeutet hat (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 21), im Hinblick auf das soziale Umfeld unter Umständen enger zu begrenzen ist als das Gebiet, das im Hinblick auf die Mietpreishöhe als Vergleichsmaßstab herangezogen wurde.

Die Angemessenheit des Mietpreises ist unter Berücksichtigung der örtlichen Besonderheiten konkret zu ermitteln (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 17). Auch der erkennende Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), wonach die Tabellenwerte in § 8 WoGG grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft darstellen, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegeln und zum anderen nicht darauf abstellen, ob der Wohnraum bedarfsangemessen ist (vgl nur BVerwGE 75, 168; 77, 232; 97, 110 und zuletzt Urteile vom 31. August 2004 - 5 C 8/04 -, NJW 2005, 310 und vom 28. April 2005 - 5 C 15/04 -, DVBl 2005, 1326 = NVwZ 2005, 1197; vgl hierzu auch Rothkegel, aaO, RdNr 25 ff und Berlit in LPK-SGB II, § 22 RdNr 36 ff; zur Unanwendbarkeit der Tabelle zu § 8 WoGG im BSHG vgl auch Hofmann in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 12 RdNr 24; s auch Kahlhorn in Hauck/Noftz, Stand Juli 2007, § 22 RdNr 20). Das BSG lässt einen Rückgriff auf die Tabellenwerte nur dann zu, wenn lokale Erkenntnismöglichkeiten nicht weiterführen. Hiervon kann nicht schon dann ausgegangen werden, wenn ein qualifizierter Mietspiegel iS des § 558d BGB nicht existiert.

Zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen Mietwohnungsmarktes muss der Grundsicherungsträger, wie der Senat bereits im Urteil vom 7. November 2006 (SozR 4-4200 § 22 Nr 3) angedeutet hat, nicht zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel iS der §§ 558c und 558d BGB abstellen (s auch Kahlhorn in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Juli 2007, § 22 RdNr 26; s zu den vielfältigen Möglichkeiten auch Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2006, § 22 RdNr 38). Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss lediglich auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben (vgl hierzu Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 RdNr 45c). Das kann ua dann der Fall sein, wenn die Datenbasis auf mindestens 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestandes beruht. Ferner müssen die Faktoren, die das Produkt "Mietpreis" bestimmen (Standard, ggf auch ausgedrückt in Jahr des ersten Bezuges bzw der letzten Renovierung plus Wohnungsgröße und Ausstattung) in die Auswertung eingeflossen sein. Erfüllt das Datenmaterial diese Voraussetzungen, so sind auch "Mietdatenbanken", die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 558c bzw 558d BGB nicht erfüllen, geeignet, als Maßstab für die Beurteilung der "Angemessenheit" iS des § 22 Abs 1 SGB II herangezogen zu werden.

Es ist deshalb letztlich unerheblich, dass das LSG zu Recht davon ausgegangen ist, dass der von der Stadt O. vorgelegte "Mietpreisspiegel" nicht den Anforderungen an einen qualifizierten Mietspiegel entspricht, weil nach § 558d BGB ein qualifizierter Mietspiegel nur dann vorliegt, wenn er nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist. Nach der gesetzlichen Definition ist allerdings zunächst jede Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete, die von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist, ein Mietspiegel (s Börstinghaus, in Schmidt-Futterer, Kommentar zum Mietrecht, 9. Aufl 2007, nach §§ 558c, 558d BGB RdNr 8). Der qualifizierte Mietspiegel gemäß § 558d BGB muss aber darüber hinaus im Abstand von zwei Jahren an die Marktentwicklung angepasst und nach vier Jahren neu erstellt werden. Dahinstehen kann auch, ob der von der Stadt O. erstellte Mietpreisspiegel den Anforderungen an einen einfachen "Mietspiegel" iS des § 558c BGB entspricht. Zweifel bestehen insoweit, als der überwiegende Teil des Datenbestandes wohl aus "Wohngeldfällen" stammt. Diese Datengrundlage wird bei der Qualifizierung der betreffenden Mietdatenbanken als "Mietspiegel" nicht als ausreichend angesehen, da wegen der gesetzlichen Beschränkungen im WoGG bestimmte Wohnungen nicht oder nur eingeschränkt vorkommen und Wohngeldempfänger deshalb nicht das gesamte Spektrum der Mieter widerspiegeln (s Börstinghaus, aaO, RdNr 36). Dies mag für die eigentlichen Zwecke der Mietspiegel nach dem BGB - Mieterhöhungsverfahren, Neuabschluss von Mietverträgen, Prüfung von Mietpreisüberhöhungen nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz und Mietwucher nach § 291 Strafgesetzbuch sowie bei der Berechnung der Höhe der Fehlbelegungsabgabe (vgl Börstinghaus, aaO, RdNr 4, 5, 6) - von Bedeutung sein. Für den hier auszufüllenden unbestimmten Rechtsbegriff der "Angemessenheit" des Wohnraumes ist dieser Gesichtspunkt jedoch nur von untergeordneter Bedeutung. Maßgebend ist vielmehr, dass die bei Wohngeldempfängern und bei Beziehern von Grundsicherungsleistungen in Betracht zu ziehenden Wohnungen in weiten Bereichen identisch sind. Soweit mithin in den Städten und Gemeinden Statistiken geführt werden, die Datensätze über durchschnittliche Mietpreise aus Wohngeldfällen enthalten oder überwiegend aus diesen bestehen, sind diese Daten durchaus geeignet, eine Grundlage zur Bestimmung des Begriffs der "Angemessenheit" zu bilden.

Nach den Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die von der Beklagten herangezogene Datengrundlage, insbesondere der von der Stadt O. erstellte "Mietpreisspiegel", die beschriebenen Voraussetzungen erfüllt. Das LSG hat zum Mietpreisspiegel der Stadt O. lediglich ausgeführt: Da dieser nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sei, erscheine er nicht besser geeignet, die Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes abzubilden, als die Tabelle des § 8 Abs 1 WoGG. Da diesem Ansatz nicht zu folgen ist, wird das LSG die Validität der von der Beklagten herangezogenen Datengrundlage zu überprüfen haben.

(5) In Folge der fehlenden Grundlage für die Bestimmung der abstrakten Angemessenheit kann auch die konkrete Angemessenheit vom Senat nicht nachvollzogen werden. Das LSG hat zwar auf die Internetrecherche der Beklagten verwiesen und daraus den Schluss gezogen, die Beklagte habe der Klägerin sogenannte "Unterkunftsalternativen" in hinreichendem Umfang nachgewiesen (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 22). Ob sich diese jedoch im Rahmen der abstrakten Vergleichsmiete halten, kann erst dann beurteilt werden, wenn die Vergleichsmiete auf Grund der unter (4) beschriebenen Methode festgestellt worden ist. Zudem wird das LSG gegebenenfalls im Hinblick auf Umzugsmöglichkeiten den für die Klägerin maßgebenden Wohnbereich zu ermitteln haben.

(6) Hinsichtlich der Kosten für Heizung wird das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Senats für Kosten der Warmwasserbereitung lediglich 6,22 € von den Kosten für Heizung in Abzug zu bringen sind (vgl BSG Urteil vom 15. Februar 2008 - B 14/11b AS 15/07 R) und nicht - wie von der Beklagten festgesetzt - 6,50 €.

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2024453

FEVS 2009, 145

SGb 2008, 473

WuM 2010, 274

Knickrehm / Voelzke / Spellbrink 2009 2009, 115

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge