Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergleichseinkommen. derzeitiges Einkommen. Selbständiger. fiktive Größe

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beihilfe für die Witwe eines selbständig tätig gewesenen Beschädigten hängt wie der Berufsschadensausgleich davon ab, ob eine Differenz zwischen dem Vergleichseinkommen und dem Einkommen bestand, das der Beschädigte als Unselbständiger mit der verbliebenen Arbeitskraft noch hätte verdienen können.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3-4, § 48 Abs. 1; BSchAV §§ 5, 9 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 21.05.1993; Aktenzeichen L 4 V 44/92)

SG Speyer (Entscheidung vom 13.03.1992; Aktenzeichen S 12 V 137/91)

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, wie zu ermitteln ist, ob Schädigungsfolgen einen ehemals selbständig Tätigen gehindert haben, eine ausreichende Witwenversorgung aufzubauen.

Der Ehemann der Klägerin war Maurer. 1943 wurde er schwer verwundet und aus der Wehrmacht entlassen. Anschließend besuchte er bis 1945 erfolgreich die Meisterschule. Von 1946 an war er als selbständiger Maurermeister tätig, zahlte zunächst Pflichtbeiträge, dann freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter. Ab 1977, der Vollendung des 63. Lebensjahres, bezog er bis zu seinem Tod im Jahre 1989 vorgezogenes Altersruhegeld. Der Tod des Ehemannes der Klägerin ist nicht auf Schädigungsfolgen zurückzuführen. Die Klägerin begehrt aber Witwenbeihilfe nach § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Auf der Grundlage der Einkommensteuerbesoheide des Beschädigten wurde im Verwaltungsverfahren mit Hilfe der zuständigen Landesversicherungsanstalt festgestellt, daß die Witwenversorgung der Klägerin durch die Schädigungsfolgen nur unerheblich gemindert sei (Bescheide vom 21. Januar 1991 und vom 21. August 1991).

Das Sozialgericht (SG) ist aufgrund anderer Zahlen über das tatsächliche Einkommen des Beschädigten zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Differenz zwischen der tatsächlichen Witwenversorgung und der sich aus dem Vergleichseinkommen ergebenden Witwenversorgung mehr als 12 % betrage und somit die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 BVG erfüllt seien (Urteil des SG Speyer vom 13. März 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat hingegen festgestellt, daß das Einkommen, das sich der Ehemann der Klägerin habe anrechnen lassen müssen, nicht geringer gewesen sei als das Vergleichseinkommen. Er sei in die Leistungsgruppe II der Technischen Angestellten im Hoch- und Tiefbau einzustufen. Er sei durch die Folgen der Schädigung nicht gehindert gewesen, eine dem Vergleichseinkommen entsprechende Witwenversorgung aufzubauen. Der vorzeitige Rentenbezug des Beschädigten falle nicht ins Gewicht, auch wenn man davon ausgehe, daß er ohne die Schädigungsfolgen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gearbeitet hätte. Dasselbe gelte auch, wenn man ihm das etwas geringere Einkommen der Besoldungsgruppe A 9 anrechne.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und meint, maßgebend sei die Differenz zwischen der Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung und der Witwenversorgung, die sich aus dem Vergleichseinkommen ergebe. Diese Differenz überschreite bei weitem den maßgeblichen Vomhundertsatz des § 48 Abs. 1 Satz 1 Halbs 2 BVG.

Sie beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die durch das Bundessozialgericht (BSG) beigeladene Bundesrepublik Deutschland schließt sich dem Antrag des beklagten Landes an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß auch bei der Ermittlung einer schädigungsbedingten Minderung der Witwenversorgung die Rechtsgrundsätze maßgebend sind, die für die Ermittlung eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes gelten.

Ob der beschädigte Ehemann der Klägerin „durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, und dadurch die aus der Ehe mit dem Beschädigten hergeleitete Witwenversorgung … gemindert ist” (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Halbs 1 BVG), hängt davon ab, ob zwischen seinem Vergleichseinkommen und dem derzeitigen Einkommen (§ 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) eine erhebliche Differenz bestand, die sich auf die Höhe der Witwenversorgung so auswirkt, wie das in § 48 Abs. 1 Satz 1 Halbs 2 BVG beschrieben ist. Eine solche Differenz könnte im Arbeitsleben des Beschädigten allenfalls dann festgestellt werden, wenn dem abstrakt zu ermittelnden Vergleichseinkommen das tatsächliche Einkommen gegenübergestellt werden dürfte. Das ist aber nicht zulässig. Entscheidend für einen schädigungsbedingten Minderverdienst ist nicht die Gegenüberstellung des Vergleichseinkommens mit dem tatsächlichen Einkommen, sondern mit dem Einkommen, das der Beschädigte trotz seiner Beschädigung noch zumutbar erzielen könnte. Bei abhängig Beschäftigten, die im allgemeinen tariflich entlohnt werden, entspricht das tatsächlich erzielte Einkommen zwar in aller Regel dem trotz der Schädigung noch zumutbar erzielbaren Einkommen. Bei Selbständigen entspricht aber das tatsächliche Einkommen, das etwa anhand der Einkommensteuerbescheide festzustellen wäre, nicht dem zumutbar erzielbaren Einkommen. Bei ihnen ist entscheidend, was sie nach ihrer nach der Schädigung gezeigten Leistungsfähigkeit noch auf dem Arbeitsmarkt als Unselbständige erzielen könnten (vgl. BSGE 64, 283 = SozR 3100 § 30 Nr. 76; BSG SozR 3641 § 9 Nr. 3; BSG SozR 3100 § 30 Nr. 77). Eine Gewinnermittlung unter Ausschöpfung aller möglichen Beweismittel, wie das noch in dem Rundschreiben des BMA vom 29. November 1974 (Az.: VIa 2-5226-148/74, VdK-Mitt 1975, 120) vorgeschlagen wurde, hat zu unterbleiben. Nach ihren Äußerungen im Revisionsverfahren halten das beklagte Land und die beigeladene Bundesrepublik daran auch nicht mehr fest.

Zur Ermittlung hat das LSG zunächst ausgeführt, es sei hinsichtlich des tatsächlichen Einkommens davon auszugehen, daß der Beschädigte trotz seiner Schädigung die Meisterprüfung abgelegt und ca 30 Jahre lang ein Unternehmen geleitet habe. Hieraus sei nach der Überzeugung des Gerichts zu schließen, daß er auch als Unselbständiger einen ähnlichen Berufserfolg erzielt hätte.

Diese Feststellung ist ohne Rechtsverletzung getroffen worden. Es kann zwar bezweifelt werden, ob der Kläger angesichts der Schädigungen an beiden Füßen tatsächlich eine entsprechende Arbeitsstelle gefunden hätte. Es mag sein, daß der Beschädigte nur als selbständiger Maurer beruflich erfolgreich sein konnte und eine entsprechende Stelle als unselbständiger Betriebsleiter nicht oder nur mit größten Schwierigkeiten gefunden hätte. Solche Bedenken sind aber unerheblich. Entscheidend ist, daß der Beschädigte die Fähigkeit hatte, den Anforderungen entsprechender Stellen, die es gab, gerecht zu werden. Dabei muß nicht im einzelnen festgestellt werden, daß es in den letzten Jahrzehnten auch immer Stellen gab, um die sich der Beschädigte mit Erfolg hätte bewerben können.

Wenn man den Beschädigten hinsichtlich des derzeitigen Einkommens als Angestellten einstuft, ist allerdings zu beachten, daß er mit 63 Jahren schädigungsbedingt aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist und die ihm zuzurechnende Rente etwas geringer ist, als sie wäre, wenn er als Unbeschädigter erst mit 65 Jahren ausgeschieden wäre. In diesem Fall wäre offensichtlich, daß er bis zu seinem Tod Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt hätte. Damit wäre zugleich die Vermutung des § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG zugunsten der Klägerin erfüllt.

Es ist aber nicht zu rechtfertigen, die selbständig Tätigen, denen der Verordnungsgeber die Beamtenbesoldung als Grundlage des Vergleichseinkommens zubilligt, hinsichtlich des derzeitigen Einkommens als Angestellte oder Arbeiter zu behandeln. Der Selbständige ist als Unbeschädigter und als Beschädigter in die jeweils passende Gruppe der Besoldungsordnung einzustufen, weil nur damit eine sachgerechte Vergleichsbetrachtung angestellt werden kann. Insoweit hat das LSG hilfsweise festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin nach der von ihm gezeigten Leistungsfähigkeit auch als Beschädigter die Besoldungsgruppe A 9 hätte erreichen können. Das LSG hat allerdings keine Angaben darüber gemacht, bei welchen Behörden der Beschädigte sich mit Aussicht auf Erfolg hätte bewerben und in die Besoldungsgruppe A 9 hätte aufsteigen können. Solche Angaben sind aber nicht erforderlich. Es genügt die Erkenntnis, daß der Beschädigte in der Lage war, in der Bauverwaltung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 9 aufzusteigen. Dazu hat das LSG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zutreffend folgendes ausgeführt:

Maßgebend sei das Einkommen, das der Beschädigte als Bewerber um eine unselbständige Berufsstellung wahrscheinlich erzielen würde. Erst diese nach gleichen Kriterien ermittelten Vergleichsgrößen nach § 5 und § 9 Abs. 1 Nr. 2 der Berufsschadensausgleichs-Verordnung erlaubten es, soweit es im Rahmen einer pauschalierenden Regelung überhaupt möglich ist, zu einer vertretbaren Einschätzung der durch die Schädigung verursachten Einbuße an wirtschaftlich nutzbarer Arbeitskraft zu gelangen. Diese Betrachtungsweise verbiete zwar, dem Beschädigten eine bestimmte Tätigkeit mit der entsprechenden Besoldungsgruppe zuzuordnen, ohne nähere Feststellungen über geistige und körperliche Anforderungen der Tätigkeit zu treffen und davon – evtl. entsprechend seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit – einen prozentualen Abschlag vorzunehmen, der im Arbeitsleben nicht vorkomme. Dem Tatsachengericht sei es aber erlaubt, in freier Würdigung – evtl. unter Heranziehung medizinischer oder berufskundlicher Sachverständiger – unabhängig vom abstrakten MdE-Grad, das trotz Schädigung verbliebene Leistungsvermögen für eine bestimmte Tätigkeit einzuschätzen und dabei auch der Erfahrung Rechnung zu tragen, daß Beschädigte mit hohen MdE-Werten häufig in vollem Umfang den beruflichen Anforderungen gerecht werden, so daß das Vergleichseinkommen erzielt oder gar überschritten wird.

Als Beamter hätte der schwerbeschädigte Ehemann der Klägerin ohne Kürzung des bis dahin bereits erreichten Höchstruhegehalts mit 63 Jahren, wie er es getan hat, in den Ruhestand treten können (vgl. § 42 Abs. 4 Bundesbeamtengesetz, § 14 Beamtenversorgungsgesetz).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Breith. 1996, 237

SozSi 1997, 76

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