Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwerrentenanspruch nach § 303 SGB 6. Berechnung des Familienunterhalts. Gewerbebetrieb. Privatentnahme. Verlust. Pflegeleistungen für vollstationäre Unterbringung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 303 S 1 SGB 6 ergänzt die allgemeinen Vorschriften über die kleine/große Witwerrente in § 46 Abs 1 und Abs 2 SGB 6 um eine weitere Anspruchsvoraussetzung, dem überwiegenden Bestreiten des Familienunterhalts durch die verstorbene Versicherte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand.

2. Die gesamten Aufwendungen einer pflegebedürftigen Versicherten, die im Rahmen eines Aufenthalts in einem Pflegeheim anfallen, gehören als besonderer persönlicher Bedarf zum Familienunterhalt. Die monatlichen Zahlungen der Pflegeversicherung an die Pflegebedürftige sind deren Unterhaltsbeitrag, wenn sie zur Erfüllung zivilrechtlicher Zahlungsansprüche der stationären Pflegeeinrichtung gegen die Pflegebedürftige verwendet werden.

3. Bilanzierte Verluste eines Gewerbebetriebs sind schlechthin für den Unterhaltsbeitrag der Familie unbeachtlich. Privatentnahmen aus dem Gewerbebetrieb können ein Anhaltspunkt dafür sein, welche Mittel tatsächlich für die Gestaltung der Lebensverhältnisse der Familie zur Verfügung gestellt wurden.

 

Orientierungssatz

Nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 43 Abs 1 AVG (= § 1266 RVO) entwickelten Grundsätzen hat eine Versicherte den Unterhalt der Familie iS des § 303 S 1 SGB 6 "überwiegend bestritten", wenn ihr Unterhaltsbeitrag während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands vor dem Tode mehr als die Hälfte des gesamten Familienunterhalts ausgemacht hat (vgl BSG vom 1.2.1984 - 5b RJ 56/83 = SozR 2200 § 1266 Nr 23, BSG vom 16.3.1989 - 4/1 RA 17/87).

 

Normenkette

SGB VI § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 303 S. 1; AVG § 43 Abs. 1; RVO § 1266 Abs. 1; SGB IV § 15; SGB XI § 4 Abs. 2 S. 2; PflegeVG Art. 49a § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 1360, 1360a

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 10.02.2005; Aktenzeichen L 12 RA 23/02)

SG Bremen (Urteil vom 16.08.2002; Aktenzeichen S 8 RA 164/99)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob der Kläger gegen die Beklagte ein Recht auf große Witwerrente hat.

Der 1914 geborene Kläger ist der Witwer der am 4. Oktober 1997 verstorbenen Versicherten E. S.. Die Ehegatten hatten am 28. Dezember 1988 gemeinsam gegenüber der Beklagten erklärt, dass für sie die am 31. Dezember 1985 geltenden Rechtsvorschriften für Renten an Witwen und Witwer weiterhin anzuwenden sein sollten.

Die 1915 geborene Versicherte lebte seit 1993 in einem Altenpflegeheim. Sie bezog im letzten Jahr vor ihrem Tode Leistungen (Geldbeträge) aus der Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 2.800,00 DM, jährlich 33.600,00 DM. Außerdem hatte sie in dieser Zeit ein Recht auf Altersrente mit einem Jahresbetrag von 24.827,49 DM. Sie war Eigentümerin eines Einfamilienhauses, das der Kläger seit Mai 1993 allein bewohnte und dessen Mietwert jährlich 30.000,00 DM betrug. Ferner war sie Eigentümerin einer vermieteten Eigentumswohnung mit Mieteinnahmen, die nach Abzug der Kosten 18.423,00 DM (jährlich) betrugen.

Der Kläger ist Kommanditist einer GmbH & Co KG mit einer Beteiligung von 20 %. In der Zeit vom Oktober 1996 bis September 1997 machte die Gesellschaft Verluste, die sich für den Kläger auf 47.056,00 DM beliefen. In dieser Zeit entnahm er aus dem Vermögen der Gesellschaft 20.232,00 DM. Der Kläger hatte außerdem in dieser Zeit Einkünfte aus Kapitalvermögen (Erlöse aus Wertpapieren) in Höhe von 25.042,00 DM und ein Recht auf Altersrente mit einem Jahresbetrag von 32.458,95 DM.

Die Beklagte lehnte den im Februar 1998 vom Kläger gestellten Antrag, ihm ein Recht auf große Witwerrente zuzuerkennen, ab, weil die Versicherte im letzten Jahr vor ihrem Tode den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe. Beim Kläger seien die Privatentnahmen, hingegen nicht der Verlust aus dem Gewerbebetrieb zu berücksichtigen, weil es darauf ankomme, welche Beträge tatsächlich dem Familienunterhalt zur Verfügung gestellt worden seien. Das Pflegegeld sei auf Seiten der Versicherten nicht einzubeziehen, da es ausschließlich dieser und nicht der Familie zu Gute gekommen sei. Demgemäß stünden den eigenen Einkünften des Klägers in Höhe von 78.051,49 DM (32.777,49 DM Rente + 25.042,00 DM Erlöse aus Wertpapieren + 20.232,00 DM Privatentnahmen) Einkünfte der Versicherten in Höhe von 73.493,31 DM (25.070,31 DM Rente + 18.423,00 DM Mieteinnahmen + 30.000,00 DM Mietwert des Hauses) gegenüber. Die Versicherte habe demnach nicht mehr als die Hälfte des Familienunterhalts bestritten (Bescheid vom 16. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1999).

Das Sozialgericht (SG) hat die Ablehnungsentscheidung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "dem Kläger eine Witwerrente zu gewähren" (Urteil vom 16. August 2002). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 10. Februar 2005).

Das LSG hat ua ausgeführt: Nach § 303 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestehe ein Anspruch auf Witwerrente unter den sonstigen Voraussetzungen des geltenden Rechts ua dann, wenn die Verstorbene den Unterhalt der Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode überwiegend bestritten habe. Dies sei hier nicht der Fall. Denn im letzten Jahr vor dem Tode (1. Oktober 1996 bis 30. September 1997) habe der Anteil der Versicherten am Familienunterhalt nicht mehr als die Hälfte betragen. Dies ergebe sich aus der Gegenüberstellung der Einkünfte des Klägers und der Einkünfte der Versicherten im Widerspruchsbescheid, die mit geringfügigen Modifikationen hinsichtlich der Rentenhöhe (Versicherte 24.827,49 DM; Kläger 32.458,95 DM) zutreffend sei.

Die Privatentnahmen in Höhe von 20.332,00 DM seien Teil des Beitrags des Klägers zum Familienunterhalt. Hingegen seien die Verluste aus der Firmenbeteiligung des Klägers nicht als negative Einkünfte abzuziehen. Maßgeblich sei, welche Einkünfte während des maßgebenden Zeitraums dem Familienunterhalt tatsächlich zur Verfügung gestanden hätten. Bei Selbstständigen sei deshalb das Arbeitseinkommen iS des § 15 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht entscheidend. Diese Betrachtungsweise decke sich auch mit dem zivilrechtlichen Unterhaltsrecht. Die Zuschüsse der Pflegekasse zu den Unterbringungskosten in dem Pflegeheim seien hingegen nicht zu den Einkünften der Familie zu rechnen. Zwar habe die Trennung bei einem Aufenthalt eines Ehegatten in einer Pflegeeinrichtung die Familiengemeinschaft nicht aufgehoben, die Pflegesachleistungen bei vollstationärer Pflege nach § 43 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) - wie hier - stünden jedoch wegen ihrer ausschließlichen Zweckbestimmung für ein Familienmitglied nicht als Unterhaltsbeitrag für die Familie zur Verfügung.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 303 Satz 1 SGB VI und § 15 Abs 1 SGB IV. § 15 SGB IV sei auch auf § 303 Satz 1 SGB VI anzuwenden. Es bestehe eine Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Für die Feststellung seines Unterhaltsbeitrags sei der Gewinn aus Gewerbebetrieb maßgeblich. Die Privatentnahmen könnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie aus Einkommen stammten, das bereits vor Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands erzielt worden sei. Der im maßgeblichen Zeitraum zugewiesene Verlust sei hingegen als negativer Unterhaltsbeitrag zu berücksichtigen. Die Zuschüsse der Pflegekasse zu den Unterbringungskosten des Pflegeheims seien ein Beitrag der Versicherten zum Familienunterhalt. Unstreitig sei, dass sich durch die Pflegebedürftigkeit der gemeinsame Unterhaltsbedarf erhöhe. Durch die Gewährung von Pflegegeld und Pflegesachleistungen würden die durch die Pflegebedürftigkeit bedingten Mehraufwendungen ausgeglichen. Unerheblich sei, dass die Zuschüsse zweckgebunden seien und direkt an das Pflegeheim überwiesen würden. Auch im Rahmen der zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen würden Leistungen der Pflegeversicherung als unterhaltsrelevantes Einkommen des Unterhaltsberechtigten angesehen. Die verstorbene Versicherte habe somit den Unterhalt der Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tode überwiegend bestritten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Februar 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 16. August 2002 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass § 15 SGB IV im Rahmen des § 303 SGB VI nicht anwendbar sei, denn es gehe um die Unterhaltssituation der Familie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands. Diese sei nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ 1360a Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) zu bestimmen. Es komme hinsichtlich der Unterhaltsleistungen der Ehegatten auf die tatsächlichen Verhältnisse an, also auf die Beiträge, die während des maßgebenden Zeitraums zum Familienunterhalt effektiv beigesteuert worden seien. Die Feststellung der faktisch für den Lebensbedarf verfügbaren Mittel decke sich nicht mit der steuerlichen Gewinnermittlung. Da die tatsächliche Verfügbarkeit entscheidend sei, seien die Privatentnahmen zu berücksichtigen, auch wenn der konkrete Zeitpunkt dieser Entnahmen nicht belegt worden sei. Jedenfalls sei unstreitig, dass die Entnahmen im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand in die Verfügungsgewalt des Berechtigten gelangt seien. Demgegenüber seien die Pflegesachleistungen - wie hier - bei vollstationärer Pflege nach § 43 SGB XI nicht als Unterhaltsbeitrag für die Familie zu bewerten, denn sie seien zweckgebunden und kämen allein dem Pflegebedürftigen zu Gute. Auch im Rahmen des zivilrechtlichen Begriffs des Familienunterhalts seien Pflegesachleistungen nicht geeignet, den allgemeinen Lebensunterhalt zu decken.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts darüber, ob der Kläger ein Recht auf große Witwerrente hat, nicht aus.

1. Gegenstand der Revision ist das Urteil des LSG, mit dem dieses das den Klagen stattgebende Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen hat. Der Kläger verfolgt sein Begehren (§ 123 SGG), das Streitgegenstand vor dem SG und dem LSG gewesen ist, im Revisionsverfahren weiter. Er begehrt mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), die ablehnende Entscheidung der Beklagten aufzuheben, sowie mit der Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), diese zu verpflichten, ihm ein Recht auf große Witwerrente zuzuerkennen. Da das LSG auf die Berufung der Beklagten das den Klagen stattgebende Urteil aufgehoben hat, begehrt er das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, also die Wiederherstellung des Urteils des SG. Die Häufung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig.

2. Ob die Klagen auch begründet sind, also dem Kläger von der Beklagten ein Recht auf große Witwerrente zuzuerkennen ist, kann nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilt werden, insbesondere ist nicht hinreichend festgestellt, ob die verstorbene Versicherte tatsächlich den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tode überwiegend bestritten hat. Das LSG hat sich ebenso wie die Beklagte darauf beschränkt, die Einkommen der Versicherten und des Klägers gegenüberzustellen, ohne zu prüfen, welcher Familienunterhaltsbedarf damals bestand und ob die Einkommen im maßgeblichen Zeitraum auch tatsächlich für den Familienunterhalt eingesetzt wurden.

a) Anspruchsgrundlage für das vom Kläger geltend gemachte Recht auf große Witwerrente ist § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI iVm § 303 Satz 1 Regelung 2 SGB VI, nicht - wie das LSG meint - allein § 303 Satz 1 SGB VI, der lediglich eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung regelt und dadurch das neue Recht nur modifiziert.

Danach haben nicht wiederverheiratete, über 45-jährige Witwer, die mit ihrem Ehegatten bis zum 31. Dezember 1988 eine wirksame Erklärung über die weitere Anwendung des bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Hinterbliebenenrechts abgegeben haben, nach dem Tode der versicherten Ehefrau, wenn diese die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte, ein Recht auf große Witwerrente nur dann, wenn die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode überwiegend bestritten hat. § 303 Satz 1 SGB VI ergänzt lediglich die allgemeinen Vorschriften über die kleine/große Witwerrente in § 46 Abs 1 und Abs 2 SGB VI um eine weitere Anspruchsvoraussetzung.

Nach § 43 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz ≪AVG≫ (= § 1266 Abs 1 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung stand dem Witwer nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau ein Recht auf Witwerrente nur zu, "wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat". Diese Vorschrift ist zwar durch Art 2 Nr 17 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz ≪HEZG≫ vom 11. Juli 1985 ≪BGBl I 1450≫) mit Wirkung ab 1. Januar 1986 gestrichen worden und damit zu diesem Zeitpunkt außer Kraft getreten. Nach der durch Art 5 Nr 2 HEZG eingefügten Übergangsvorschrift des Art 2 § 17a Abs 2 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz konnten jedoch die Ehegatten gegenüber dem für einen der Ehegatten zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum 31. Dezember 1988 übereinstimmend erklären, dass für sie die am 31. Dezember 1985 geltenden Rechtsvorschriften für Renten an Witwen und Witwer anzuwenden sind, wenn beide Ehegatten vor dem 1. Januar 1936 geboren sind und ihre Ehe vor dem 1. Januar 1986 geschlossen worden ist. Eine diesbezügliche übereinstimmende Erklärung haben der Kläger und seine Ehefrau nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG am 28. Dezember 1988 gegenüber der Beklagten wirksam abgegeben.

b) An diese Erklärung knüpft § 303 Satz 1 Regelung 2 SGB VI an. Die Entstehung eines Rechts auf große Witwerrente setzt daher zusätzlich voraus, dass "die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode überwiegend bestritten hat."

Für die Auslegung des "überwiegenden Bestreitens des Familienunterhalts im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode" iS des § 303 Satz 1 SGB VI sind die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 43 Abs 1 AVG (= § 1266 Abs 1 RVO) entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Danach hat eine Versicherte den Unterhalt der Familie "überwiegend bestritten", wenn ihr Unterhaltsbeitrag während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands vor dem Tode mehr als die Hälfte des gesamten Familienunterhalts ausgemacht hat (vgl zuletzt BSG SozR 2200 § 1266 Nr 23 S 89; BSG, Urteil vom 16. März 1989 - 4/1 RA 17/87, veröffentlicht in JURIS). Unter "Unterhalt der Familie" iS der §§ 1360, 1360a BGB ist alles zu verstehen, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und - hier nicht einschlägig - den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen (vgl BSG aaO S 89). Hinsichtlich der Unterhaltsleistungen sind die tatsächlichen Verhältnisse während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustands mit der Folge maßgebend, dass als Unterhaltsbeiträge nur solche Leistungen und Aufwendungen berücksichtigt werden können, die in diesem Zeitraum effektiv beigesteuert bzw getätigt worden sind (vgl zuletzt BSG SozR 2200 § 1266 Nr 21 S 81; BSG, Urteil vom 16. März 1989 - 4/1 RA 17/87, veröffentlicht in JURIS).

Zutreffend ist deshalb das LSG, anders als das SG und der Kläger, davon ausgegangen, dass es nicht darauf ankommt, ob es sich um Arbeitseinkommen iS des § 15 Abs 1 SGB IV handelt. § 43 Abs 1 AVG bezweckte, dem Witwer nur dann eine Rentenleistung mit Unterhaltsersatzfunktion zukommen zu lassen, wenn die Versicherte vor ihrem Tode dauerhaft den Familienunterhalt überwiegend bestritten hatte und dieser Zustand - bei generalisierender Betrachtung - ohne den Tod für einen ins Gewicht fallenden Zeitraum fortbestanden hätte (vgl BSG SozR 2200 § 1266 Nr 15 S 60; BSG, Urteil vom 16. März 1989 - 4/1 RA 17/87, veröffentlicht in JURIS). Es kommt demnach für den Familienbedarf auf das tatsächlich Gegebene und Empfangene an; erst daraus kann hypothetisch geschlossen werden, ob der Witwer durch den Tod der Versicherten einen versicherungsrechtlich relevanten Unterhaltsverlust erlitten hat (vgl BSG SozR 2200 § 1266 Nr 20 S 78).

Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten bezieht sich grundsätzlich auf ein Jahr, im Regelfall das Jahr vor dem Tode der Versicherten. Es beginnt ausnahmsweise entsprechend früher, wenn ein sog zum Tode führendes Leiden eingesetzt und unmittelbar zum Tode geführt hat, dh wenn es wegen seiner Dauer nicht selbst einen neuen wirtschaftlichen Dauerzustand begründet hat. Ändern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Familienmitglieds innerhalb des maßgebenden Jahres dauerhaft, kommt es ebenfalls ausnahmsweise auf den dadurch begründeten Zustand an (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 23 S 90; BSG, Urteil vom 16. März 1989 - 4/1 RA 17/87, veröffentlicht in JURIS). Zutreffend ist das LSG, dem SG folgend, davon ausgegangen, dass der hier maßgebliche Dauerzustand vom Oktober 1996 bis zum Tode der Versicherten bestanden hat. Denn bereits seit 1993 waren die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse unverändert geblieben.

3. Ob das LSG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Kläger kein Recht auf eine große Witwerrente nach § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI iVm § 303 Satz 1 Regelung 2 SGB VI erlangt hat, weil die verstorbene Versicherte den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tode nicht überwiegend bestritten habe, kann auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Das LSG hat sich ebenso wie die Beklagte darauf beschränkt, die Einkommen der Versicherten und des Klägers gegenüberzustellen, ohne zu prüfen, wie hoch der Familienunterhaltsbedarf war und ob die Einkommen auch tatsächlich als Unterhaltsbeitrag für die Familie eingesetzt wurden oder ob sie zur Deckung familienfremder Lasten ausgegeben wurden. Das LSG wird in einem ersten Schritt zu prüfen haben, wie hoch nach den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen der Ehegatten der gesamte Lebensbedarf der Familie iS der §§ 1360, 1360a BGB im letzten Jahr vor dem Tode der Versicherten war. Danach wird in einem zweiten Schritt festzustellen sein, mit welchen Mitteln und von welcher Person der Bedarf gedeckt wurde. Erst in einem dritten Schritt ist durch eine Gegenüberstellung der von jedem Ehegatten wirklich aufgebrachten Mittel der Anteil jedes Ehegatten festzustellen, der dann den Schluss auf das überwiegende Bestreiten des Familienunterhalts zulässt.

a) Lebensbedarf der Familie (Familienunterhalt) ist nach §§ 1360, 1360a BGB alles, was nach den (wirtschaftlichen und persönlichen) Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und - hier nicht einschlägig - den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen (vgl stellv BSG SozR 2200 § 1266 Nr 23 S 89). Zu den Kosten des Haushalts gehören ua alle Aufwendungen für Nahrung, Kleidung, Heizung sowie alle Aufwendungen für die Beschaffung des erforderlichen Wohnraums (Miete; Bau- und Renovierungskosten), aber auch die Kosten für die Haushaltsführung selbst, zB die Aufwendungen für die Entlohnung und Verköstigung von Hausangestellten (vgl dazu Brudermüller in Palandt, BGB, 65. Aufl, § 1360a RdNr 2; Gürtner in Kasseler Kommentar, § 303 SGB VI RdNr 19 ff). Das Maß der erforderlichen Aufwendungen zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen, es hängt von den Lebensumständen und -verhältnissen der Ehegatten ab, nicht nur allein von ihrer wirtschaftlichen und finanziellen, sondern auch von ihrer sozialen und persönlichen Lage, die sie entscheidend durch ihre eigene Lebensgestaltung prägen, also auch vom Gesundheitszustand der Ehegatten (vgl BGH FamRZ 1993, 411, 412 = NJW 1993, 124, 125; dazu auch: Wacke in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl, § 1360a RdNr 2 ff; Brudermüller in Palandt, aaO, § 1360a RdNr 1 ff).

Der Familienbedarf iS der §§ 1360, 1360a BGB ist nicht dadurch entfallen, dass sich die Versicherte im Jahre 1993 in ein Altenpflegeheim begeben hatte. Denn dadurch ist noch kein Getrenntleben iS des § 1567 BGB mit Aufgabe der gemeinsamen Familienwohnung und Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft eingetreten. Dieses setzt nicht nur getrennte Wohnungen voraus, sondern erfordert einen entsprechenden Trennungswillen, der nach außen erkennbar sein muss. Hierfür sind vom LSG weder Anhaltspunkte festgestellt, noch wurde Entsprechendes vorgetragen. Der Einzug in ein Pflegeheim führt deshalb nicht zum Getrenntleben (Brudermüller in Palandt, BGB, 65. Aufl, § 1567 RdNr 2, 5; vgl auch in ähnlichem Zusammenhang: BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 5).

Die gesamten Aufwendungen der Versicherten, die im Rahmen ihres Aufenthalts im Altenpflegeheim angefallen sind, gehören zum Familienbedarf, da diese durch einen besonderen persönlichen Bedarf der pflegebedürftigen Versicherten bedingt waren. Zum Familienbedarf zählen die Aufwendungen für die Unterkunft und Verpflegung, die nach § 4 Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB XI in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung des Art 1 Nr 2 des Ersten SGB XI-Änderungsgesetzes ( 1. SGB XI-ÄndG ) vom 14. Juni 1996 (BGBl I 830) als Eigenleistung von der pflegebedürftigen Versicherten selbst zu tragen waren, sowie die pflegebedingten Aufwendungen und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege und der sozialen Betreuung iS des Art 49a § 1 Abs 1 des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG) idF des Art 2 Nr 2 des 1. SGB XI-ÄndG. Hiervon hat die Versicherte durch die Pflegekasse im streitigen Zeitraum monatlich einen pauschalen Geldbetrag von 2.800,00 DM gezahlt. Die jeweils direkte Zahlung der Pflegekasse an das Heim (Art 49a § 4 Abs 1 Satz 1 PflegeVG idF des 1. SGB XI-ÄndG) war lediglich die Erfüllung eines der Versicherten zustehenden grundrechtlich geschützten Zahlungsanspruchs gegen die Pflegekasse in Höhe der pflegebedingten und (damals auch) durch medizinische Behandlungspflege und soziale Betreuung verursachten Aufwendungen, der bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III auf einen pauschalen monatlichen Höchstgeldbetrag von 2.800,00 DM begrenzt war (Art 49a § 1 Abs 1 Nr 3 PflegeVG idF des 1. SGB XI-ÄndG).

b) Nach der Feststellung des individuell erforderlichen Lebensbedarfs wird das LSG in einem zweiten Schritt festzustellen haben, mit welchen Mitteln und von welcher Person dieser tatsächlich bestritten wurde, dh wer in welcher Höhe Unterhaltsbeiträge der Familie zur Verfügung gestellt hat.

aa) Hinsichtlich der Unterhaltsbeiträge des Klägers wird es, wie schon im angefochtenen Urteil zu berücksichtigen haben, dass bilanzierte Verluste eines Gewerbebetriebs, die nicht mit tatsächlich erbrachten Einlagen einhergehen, schlechthin für den Unterhaltsbeitrag der Familie unbeachtlich sind. Privatentnahmen des Klägers aus dem Gewerbebetrieb können hingegen ein Anhaltspunkt dafür sein, welche Mittel er tatsächlich für die Gestaltung der Lebensverhältnisse der Familie zur Verfügung gestellt hat (vgl Schürmann, FamRZ 2002, 1149 ff). Das LSG wird des Weiteren festzustellen haben, ob der Kläger mit der von ihm im streitigen Zeitraum bezogenen Rente in Höhe von 32.458,95 DM tatsächlich zum Familienunterhalt beigetragen hat, wozu auch die Befriedigung seiner eigenen individuellen Bedürfnisse gehört. In der Regel ist davon auszugehen, dass Erwerbsersatzeinkommen, wie Renten, typischerweise der Familie zur Verfügung gestellt werden. Hinsichtlich der Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 25.042,00 DM, die der Kläger nach den Feststellungen des LSG aus Wertpapieren erlöst hat, wird das LSG im Einzelnen festzustellen haben, ob sie zur Deckung des Familienunterhalts oder für familienfremde Ausgaben verwendet wurden.

Des Weiteren wird es festzustellen haben, ob der Kläger einen Unterhaltsbeitrag für die Familie auch dadurch erbracht hat, dass ihm wegen des Aufenthalts der Versicherten im Altenpflegeheim evtl nach §§ 1356, 1360 BGB die alleinige Haushaltsführung oblag. Sollte dies der Fall gewesen sein, wird es den wirtschaftlichen Wert der im Haushalt tatsächlich geleisteten Arbeiten, dh aller der Familie dienenden Arbeiten, wie zB Arbeiten im Haus, im Garten sowie im Zusammenhang mit dem Haushalt stehende Besorgungen (vgl BSG SozR 2200 § 1266 Nr 7, 14) als weiteren Unterhaltsbeitrag des Klägers zu berücksichtigen haben.

bb) Hinsichtlich der Unterhaltsbeiträge der Versicherten wird das LSG ebenfalls noch festzustellen haben, ob die von ihr im streitigen Zeitraum bezogenen Rentenzahlungen in Höhe von 24.827,49 DM sowie die Mieteinnahmen in Höhe von 18.423,00 DM tatsächlich der Familie zugeführt wurden, etwa für ihre persönlichen Bedürfnisse. Da die Aufwendungen für den Aufenthalt im Altenpflegeheim insgesamt zum Lebensbedarf der Familie gehören, sind - entgegen der Auffassung des LSG - die monatlichen Ansprüche der Versicherten auf Zahlungen der Pflegeversicherung in Höhe von 2.800,00 DM (= 33.600,00 DM jährlich) als Unterhaltsbeitrag der Versicherten zu berücksichtigen, wenn sie diese zur Deckung des Familienbedarfs tatsächlich eingesetzt hat, wofür im Regelfall spricht, dass die Geldbeträge nach dem im streitigen Zeitraum maßgeblichen Art 49a § 1 Abs 1 iVm § 4 Abs 1 Satz 1 PflegeVG idF des 1. SGB XI-ÄndG von der Pflegekasse mit befreiender Wirkung gegenüber der Versicherten unmittelbar an das Pflegeheim zu zahlen waren. Damit hat zum einen die Pflegekasse die sich aus dem Recht der pflegebedürftigen Versicherten gegen sie ergebenden monatlichen Zahlungsansprüche, zum anderen aber hatte auch die Versicherte (wenigstens in Höhe von 2.800,00 DM monatlich) den gegen sie gerichteten zivilrechtlichen Zahlungsanspruch des Altenpflegeheims erfüllt. Dieser Geldbetrag dürfte daher - sofern keine besonderen Umstände dagegen sprechen - für die besonderen persönlichen Lebensbedürfnisse der Versicherten verwendet worden sein.

Das LSG wird zudem festzustellen haben, ob der Nutzungswert des Einfamilienhauses (30.000,00 DM) sowohl bei dem Lebensbedarf der Familie als auch als Unterhaltsbeitrag der Versicherten zu berücksichtigen ist, denn mit dem nach den Feststellungen des LSG der Versicherten allein gehörenden Einfamilienhaus, das vom Kläger im letzten Jahr vor deren Tode allein bewohnt wurde, hat die Versicherte eine geldwerte Leistung zur Deckung des Familienbedarfs eingebracht, nämlich die unentgeltliche Überlassung der Nutzung des Einfamilienhauses an die Familie (vgl BSG SozR 2200 § 1266 Nr 17 S 68; dazu auch Brudermüller in Palandt, aaO, § 1360a RdNr 5).

c) Hat das LSG den gesamten Lebensbedarf für die Familie und die jeweiligen Unterhaltsbeiträge der Versicherten und des Klägers festgestellt, wird es den Anteil jedes Ehegatten zu ermitteln haben, der dann den Schluss auf das überwiegende Bestreiten des Familienunterhalts zulässt.

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1501754

FamRZ 2006, 1031

NZS 2006, 538

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