Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragspflicht bei Nichtzahlung tariflicher Sonderzuwendungen. Betriebsprüfung. Bemessungsgrundlage. Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Entstehungsprinzip. Arbeitsentgelt. Einverständliche untertarifliche Bezahlung. Verwirkung. Verwirkungsverhalten

 

Normenkette

SGB V § 28p Abs. 1 S. 5, § 28d S. 1, § 28h Abs. 2 S. 1; SGB IV §§ 23a, 14 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 25 Abs. 1; ArEV § 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.01.2003; Aktenzeichen L 5 KR 90/02)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Beitragspflicht bei Nichtzahlung tariflicher Sonderzuwendungen.

Der Kläger betreibt in Nordrhein-Westfalen (NRW) eine Gaststätte. Darin beschäftigte er seine Ehefrau wöchentlich 30 Stunden gegen ein Bruttoarbeitsentgelt von 2.300 DM im Monat. Der Arbeitsvertrag von Mai 1994 regelt einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen, jedoch keine Sonderzuwendungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Der mit Wirkung vom 1. Januar 1995 für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag (MTV) für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes NRW sieht allerdings Ansprüche der Arbeitnehmer auf jährliche Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld) vor.

Auf Grund einer Betriebsprüfung setzte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) mit Bescheid vom 7. Dezember 2000 und Widerspruchsbescheid vom 23. März 2001 Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Umlagen für Januar 1996 bis März 2000 über insgesamt 4.196,67 DM fest, weil der Kläger einen Arbeitnehmer nicht gemeldet sowie seiner Ehefrau und zwei weiteren Arbeitnehmern kein Urlaubsgeld und kein Weihnachtsgeld gewährt hatte. Von der Forderung entfielen 2.960,40 DM Beiträge und 128,60 DM Umlagen auf die Ehefrau des Klägers.

Der Kläger hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (≪AOK≫ Beigeladene zu 1) und die Ehefrau des Klägers (Beigeladene zu 2) beigeladen. Mit Urteil vom 8. November 2001 hat es den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2001 aufgehoben, soweit die Beklagte mehr als unstreitige 31,29 DM festgesetzt hat. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beitragsanspruch entstanden sei. Jedenfalls scheitere seine Geltendmachung am Vertrauensschutz des Klägers. Die bis Ende 1995 für die Betriebsprüfungen zuständigen Krankenkassen hätten in der Regel lediglich das tatsächlich zugeflossene Entgelt berücksichtigt, obwohl ihnen bekannt gewesen sei, dass unter Geltung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) Beiträge unter Einbeziehung sämtlicher den Arbeitnehmern zustehender Ansprüche zu ermitteln sind. Hierdurch habe bei den Beitragsschuldnern der Eindruck entstehen müssen, diese Prüfpraxis entspreche dem geltenden Recht. Nach Übergang der Prüfkompetenz auf die Rentenversicherungsträger habe die Beklagte zunächst Widersprüchen gegen Prüfbescheide, mit denen das Entstehungsprinzip durchgesetzt werden sollte, aus Vertrauensschutzgründen noch abgeholfen. Erst in einer Arbeitgeber-Info von Januar 2000 habe die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) schriftlich und stellvertretend für die übrigen Prüfstellen darauf hingewiesen, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter Einbeziehung der zustehenden Entgelte zu ermitteln ist und in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung von für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen hingewiesen.

Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Bundesanstalt für Arbeit (≪BA≫, Beigeladene zu 3) und die Pflegekasse (Beigeladene zu 4) beigeladen. Es hat Auskünfte des AOK-Bundesverbandes, der AOK Rheinland, der AOK Westfalen-Lippe, der Innungskrankenkasse (IKK) Nordrhein, der IKK Westfalen-Lippe, der Barmer Ersatzkasse (BEK), der Techniker Krankenkasse (TKK) und der Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) dazu eingeholt, welchen Standpunkt sie von 1996 bis 2000 in der aufgeworfenen Rechtsfrage (Zufluss- oder Entstehungsprinzip) vertreten haben, wie mit Ansprüchen aus allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen verfahren worden ist und ob und in welcher Form die Kassen Arbeitgeber über ihren Standpunkt informiert haben. Des Weiteren haben die Steuerberaterkammern Düsseldorf, Westfalen-Lippe und Köln Stellung genommen. Das LSG hat das die Beiträge für die Beigeladene zu 2) betreffende Verfahren vom übrigen Verfahren abgetrennt. Die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid geändert, den individuellen Urlaubsgeldanspruch für die Beigeladene zu 2) unter Zugrundelegung eines die Teilzeitbeschäftigung berücksichtigenden Faktors neu ermittelt und die gesamte Forderung auf 1.935,02 € verringert; hiervon entfallen auf die Beigeladene zu 2) 1.325,37 € Beiträge und 57,56 € Umlagen.

Mit Urteil vom 28. Januar 2003 hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Die Beitragsforderung bestehe zu Recht. Der Beigeladenen zu 2) habe tarifvertraglich ein höheres als das tatsächlich gezahlte Entgelt zugestanden. Der Beitragserhebung sei nicht das tatsächlich zugeflossene, sondern das nach dem MTV geschuldete Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen. Die Beklagte sei an der Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes gehindert. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe sich schon früher geändert. Den eingeholten Auskünften der Einzugsstellen sei nicht zu entnehmen, dass die Arbeitgeber von der Anwendung des Zuflussprinzips ausgehen durften. Es sei davon auszugehen, dass die Krankenkassen zwar das Entstehungsprinzip vertreten, sich aber bei den Betriebsprüfungen darauf beschränkt hätten, die Beitragsabführung auf der Grundlage der gezahlten Löhne zu überprüfen. Beiträge aus geschuldetem, aber nicht gezahltem Entgelt hätten sie nur nachgefordert, wenn die Versicherten dies im Einzelfall verlangt hätten oder ihnen entsprechende arbeitsrechtliche Ansprüche bekannt geworden seien. Auch die Rentenversicherungsträger hätten bei ihren Betriebsprüfungen das Entstehungsprinzip vertreten. Lediglich die LVA Rheinprovinz habe offenbar bis Ende 1998 auch nach außen hin die Zuflusstheorie vertreten; hieraus könne der Kläger jedoch keinen Vertrauensschutz herleiten. Aber selbst wenn man einen Vertrauenstatbestand annehmen würde, sei das Vertrauen des Klägers nicht schutzwürdig. Die Frage des Vertrauensschutzes könne sich nur stellen, wenn dem Arbeitgeber bekannt war, dass kollektivvertraglich ein höheres als das individualvertraglich vereinbarte und tatsächlich gezahlte Entgelt geschuldet wurde. Der Kläger habe sich jedoch über die durch den MTV geschaffene Rechtslage hinweggesetzt. Sein Vertrauen darauf, dass sich dieser Rechtsverstoß auch beitragsrechtlich “auszahle”, sei nicht schutzwürdig.

Der Kläger hat Revision eingelegt. Das steuerrechtliche Zuflussprinzip gelte auch im Beitrags- und Leistungsrecht der Sozialversicherung. § 14 SGB IV definiere das Arbeitsentgelt als die erzielten, also zugeflossenen Einnahmen. Die Gesetzesbegründung bestätige dies. Das BSG gehe bei untertariflicher Bezahlung nach wie vor von der Geltung des Zuflussprinzips aus und löse sich hiervon nur im Einzelfall, soweit der Schutzzweck der Sozialversicherung dies gebiete. Aber selbst wenn unterstellt werde, das BSG habe sich dem Anspruchsprinzip zugewandt, stehe der Grundsatz von Treu und Glauben einer rückwirkenden Inanspruchnahme des Klägers entgegen. Dieser dürfe nicht für eine zurückliegende Zeit mit einer Beitragsforderung überrascht werden, die in Widerspruch zu der bisherigen Prüfpraxis der Rentenversicherungsträger stehe. Das LSG habe den Sachverhalt insoweit nicht hinreichend aufgeklärt. Die Einzugsstellen hätten die Beiträge bis 1998, die Rentenversicherungsträger bis 1999 nach dem Zuflussprinzip beurteilt. Von dieser Praxis sei man erst 1999/2000 flächendeckend abgewichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG vom 28. Januar 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 8. November 2001 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die beigeladene BA hat keinen Antrag gestellt. Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Die Beigeladenen zu 1), 2) und 4) haben keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat mit Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 7. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2001 ist rechtmäßig. Die beklagte LVA war im Rahmen der Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV befugt, ua die Beitragspflicht sowie die Beitragshöhe in der Kranken-, der Pflege- und der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung durch Verwaltungsakt festzustellen. Sie hat diese Feststellung ohne Rechtsfehler getroffen.

  • Die Beigeladene zu 2) war in den streitigen Zeiten ihrer Beschäftigung beim Kläger (Januar 1996 bis März 2000) in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungs- und beitragspflichtig. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, waren während der genannten Zeit in der Krankenversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung ≪SGB V≫), in der Pflegeversicherung (§ 20 Abs 1 Satz 1, Satz 2 Nr 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung≪SGB XI≫) und in der Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung≪SGB VI≫) versicherungspflichtig. Nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung≪SGB III≫) waren sie dieses seit 1998 ebenfalls und in der Zeit davor nach § 168 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) beitragspflichtig.

    Bemessungsgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d Satz 1 SGB IV), den der Kläger zu entrichten hatte, ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V; § 57 Abs 1 SGB XI; § 162 Nr 1 SGB VI; § 342 SGB III, vorher § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG). Hierzu gehören auch die tariflich geschuldeten Sonderzahlungen, die beitragsrechtlich nach Maßgabe des § 23a SGB IV zu berücksichtigen sind. Desgleichen ist das Arbeitsentgelt Bemessungsgrundlage der Umlagebeiträge für die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) und dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) in Kleinbetrieben (vgl § 14 MuSchG iVm § 10 Abs 1 Nr 1 und 2 LFZG).

  • Die Beigeladene zu 2) war unstreitig schon auf Grund ihres laufenden Arbeitsentgelts versicherungspflichtig. Für die Feststellung der streitigen Beitragshöhe gilt das Entstehungsprinzip und nicht das Zuflussprinzip.

    a) Schon das Reichsversicherungsamt (RVA) hat mit Beschlüssen vom 29. Oktober 1930 (Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung≪AN≫ 1931 IV 34), vom 22. April 1936 (AN 1936 IV 275) und vom 9. März 1938 (AN 1938 IV 193) entschieden, dass für die Berechnung der Beiträge nicht lediglich das tatsächlich ausgezahlte Monatsgehalt, sondern das Gehalt maßgebend war, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit der Beiträge ein Rechtsanspruch bestand (Fälligkeitsprinzip). Dieses wurde ausdrücklich auch für eine untertarifliche Bezahlung bestätigt, und zwar selbst dann, wenn der Arbeitnehmer mit ihr einverstanden gewesen war. Denn in diesen Fällen sei der Arbeitgeber von vornherein verpflichtet, dem Arbeitnehmer den vertraglichen Lohn zu zahlen und den entsprechenden gesetzlichen Beitrag zur Sozialversicherung zu entrichten. Von dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung sei auch der Arbeitgeber nicht befreit, welcher in Verkennung seiner vertraglichen Pflichten oder gar in bewusstem Gegensatz dazu ein geringeres als das vereinbarte Gehalt bezahle. Sonst würden gerade die Arbeitgeber, welche ihre vertraglichen Pflichten verletzten, sich Vorteile gegenüber den Arbeitgebern verschaffen, welche die Gehälter vertragsgemäß zahlten. Die einmal entstandene öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Zahlung der gesetzmäßigen Beiträge könne durch eine nachträgliche privatrechtliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr beseitigt oder abgeändert werden. Das gelte auch für einen späteren Gehaltsverzicht.

    b) Während des Zweiten Weltkrieges wurde durch § 19 der Zweiten Lohnabzugs-Verordnung vom 24. April 1942 (RGBl I 252) angeordnet, dass ab 1. Juli 1942 die gesetzlichen Lohnabzüge (dh Lohnsteuer und Beiträge) grundsätzlich von der gleichen Bemessungsgrundlage zu berechnen waren. Mit ihrem Gemeinsamen Erlass vom 10. September 1944 (AN 1944 II, 281) bestimmten der Reichsminister der Finanzen und der Reichsarbeitsminister, dass Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen waren, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend war. Dadurch wurden, was beabsichtigt war, mit der Befreiung bestimmter Entgeltteile von der Lohnsteuer diese zugleich beitragsfrei, soweit der Gemeinsame Erlass dies nicht ausdrücklich ausschloss.

    c) Unter Anwendung des Gemeinsamen Erlasses hat der damals zuständige 3. Senat des BSG mit Urteil vom 25. November 1964 (BSGE 22, 106 = SozR Nr 12 zu § 160 RVO) entschieden, dass bei untertariflicher Entlohnung Beiträge vom tatsächlich gezahlten und nicht vom geschuldeten Lohn zu berechnen waren. Er hat in der Zweiten Lohnabzugs-Verordnung den “Untergang des eigenständigen Entgeltbegriffs der Sozialversicherung” gesehen und das lohnsteuerrechtliche Zuflussprinzip auch im Beitragsrecht angewandt. Diese Verordnung und der Gemeinsame Erlass sind jedoch durch Art II § 21 Abs 1 Satz 2 Nr 3, 4 SGB IV vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 aufgehoben worden.

    d) Der später und weiterhin zuständige erkennende 12. Senat des BSG hat sich anschließend vom Zuflussprinzip gelöst und dem so genannten Entstehungsprinzip zugewandt. Danach entstehen Versicherungs- und Beitragspflicht, sobald eine versicherungs- und beitragsrechtliche Beschäftigung ausgeübt wird.

    Die Beschäftigungsversicherung begann früher mit dem Tag des Eintritts in die entgeltliche Beschäftigung und beginnt seit 1998 mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis (vgl § 186 Abs 1 SGB V aF und nF, § 24 Abs 2 SGB III). Hierfür haben früher der 3. und später der 12. Senat regelmäßig die tatsächliche Aufnahme der Arbeit als erforderlich angesehen, die Versicherung jedoch in Ausnahmefällen selbst dann beginnen lassen, wenn es zu einer tatsächlichen Arbeitsleistung nicht gekommen war (vgl Urteil vom 28. Februar 1967 in BSGE 26, 124 = SozR Nr 3 zu § 306 RVO zum Unfall des Arbeitnehmers auf dem Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme; Urteil vom 18. September 1973 in BSGE 36, 161, 164 = SozR Nr 73 zu § 165 RVO zur fristgerechten Kündigung durch den Arbeitgeber vor Dienstantritt und Freistellung des Arbeitnehmers bis zum Wirksamwerden der Kündigung). Die Rechtsprechung ist demnach schon unter der Geltung des früheren Rechts davon ausgegangen, dass es einer Zahlung des Arbeitsentgelts nicht bedurfte, um das Beschäftigungsverhältnis als ein entgeltliches anzusehen und eine Versicherung zu begründen. Damit ist dem Umstand Rechnung getragen, dass Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt häufig erst nach erbrachter Arbeitsleistung erhalten (vgl § 614 des Bürgerlichen Gesetzbuchs≪BGB≫), der Beginn ihres Versicherungsschutzes bis dahin jedoch nicht in der Schwebe bleiben kann. Auch den Fortbestand eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ohne tatsächliche Entgeltzahlung hat der Senat anerkannt, etwa wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne Entgeltzahlung im Konkurs freistellt (Urteil vom 26. November 1985 in BSGE 59, 183, 189 = SozR 4100 § 168 Nr 19) oder der Arbeitgeber während eines Kündigungsschutzprozesses die angebotene Arbeit nicht annimmt und dementsprechend auch nicht entlohnt (Urteil vom 25. September 1981 in BSGE 52, 152, 157 = SozR 2100 § 25 Nr 3; Urteil vom 5. Mai 1988 in BSG SozR 2400 § 2 Nr 25 S 42).

    Im Beitragsrecht hat der Senat in seinem Urteil vom 18. November 1980 (SozR 2100 § 14 Nr 7), das die beitragsrechtlichen Folgen der Aufgabe eines Arbeitsentgeltanspruchs in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich betraf, zwar zunächst noch das Zuflussprinzip vertreten. Im Ergebnis wurde damals aber dennoch die Beitragsforderung auf den Lohn bejaht, weil in dem Vergleich der Lohnanspruch im Hinblick auf Gegenforderungen des Arbeitgebers aufgegeben und damit lediglich in anderer Weise erfüllt worden war. In dem weiteren Urteil vom 26. Oktober 1982 (BSGE 54, 136 = SozR 2200 § 393 Nr 9), in dem ein Arbeitgeber wegen drohender Zahlungsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt hatte, hat der Senat dann das Zuflussprinzip ausdrücklich aufgegeben und entschieden, dass Beiträge auch auf geschuldetes, aber nicht gezahltes Arbeitsentgelt zu entrichten waren. Nach dem Urteil vom 30. August 1994 (BSGE 75, 61 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5) kann die Einzugsstelle vom Arbeitgeber Beiträge auch auf Arbeitsentgelt fordern, das der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber wegen einer tariflichen Ausschlussklausel nicht mehr verlangen kann. Der Senat hat in dieser Entscheidung eingehend begründet, dass die Entstehung und der Fortbestand einer Beitragsforderung grundsätzlich nur von der Ausübung der Beschäftigung und nicht vom Zufluss des Arbeitsentgelts abhängen. Schließlich hat er mit Urteil vom 21. Mai 1996 entschieden (BSGE 78, 224 = SozR 3-2500 § 226 Nr 2), dass die Einzugsstelle Beiträge auch auf Arbeitsentgelt fordern kann, welches der Arbeitnehmer wegen einer nach Entstehen der Beitragsforderung verwirkten Vertragsstrafe vom Arbeitgeber nicht verlangen kann.

    e) Der Bundesgerichtshof (BGH) ist der Rechtsprechung des Senats gefolgt. In einem auf § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a des Strafgesetzbuchs (StGB) gestützten Schadenersatzprozess einer Allgemeinen Ortskrankenkasse gegen einen Geschäftsführer hat der BGH mit Urteil vom 16. Mai 2000 (BGHZ 144, 311) entschieden, dass Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung iS des § 266a Abs 1 StGB vorenthalten sein können, wenn kein Lohn an den Arbeitnehmer ausgezahlt worden ist. Nach dem Urteil vom 28. Mai 2002 (BGHSt 47, 318) setzt die Straftat des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a Abs 1 StGB nicht voraus, dass tatsächlich Lohn an die Arbeitnehmer abgeführt wurde. In beiden Entscheidungen geht der BGH davon aus, dass der Beitragsanspruch nach dem erwähnten Urteil des Senats vom 30. August 1994 (BSGE 75, 61 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5) allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung entsteht und unabhängig von der tatsächlichen Zahlung des Arbeitsentgelts fällig wird (BGHZ 144, 311, 314/315; BGHSt 47, 318, 319).

  • Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung über die Beitragsbemessung tarifliche Sonderzahlungen zu Recht herangezogen. Diese sind Teil des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts.

    a) Nach § 14 Abs 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 SGB IV sind in erster Linie die tariflich geregelten, ansonsten die einzelvertraglich vereinbarten Entgeltbestandteile. Schon für den Beginn der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt und der Versicherungsverhältnisse kommt es nach dem Schutzzweck der Sozialversicherung nicht darauf an, ob und wann der Arbeitgeber das mit dem Arbeitnehmer vereinbarte Arbeitsentgelt tatsächlich zahlt und dieses dem Arbeitnehmer zufließt (vgl BSGE 75, 61, 65 = SozR 2200 § 385 Nr 5: tarifliche Ausschlussklausel). Anderenfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch verzögerte oder verkürzte Zahlung des Arbeitsentgelts über den Versicherungsschutz des Arbeitsnehmers zu verfügen. Ob ein bestimmter Arbeitnehmer in seiner Beschäftigung der Versicherungspflicht unterliegt, muss bereits bei Aufnahme der Beschäftigung und auch danach zu jeder Zeit mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können. Diese zum Schutz der Beschäftigten erforderliche Rechtssicherheit ist nur gewährleistet, wenn bei der Frage, ob das Arbeitsentgelt die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt oder die Versicherungspflichtgrenze (Jahresarbeitsentgeltgrenze) in der Krankenversicherung (§ 6 Abs 1 Nr 1 SGB V) überschritten wird, auf das tariflich zustehende Arbeitsentgelt abgestellt wird. Sind die Arbeitsentgelte – anders als vorliegend – tariflich oder einzelvertraglich nicht bestimmt, bedarf es einer Schätzung und vorausschauenden Betrachtung (BSGE – GS – 23, 129, 131 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO; BSGE 24, 262 = SozR Nr 50 zu § 165 RVO; SozR Nr 59 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 165 Nr 15, jeweils zur Überschreitung der damaligen Versicherungspflichtgrenze; BSGE 13, 98 = SozR Nr 1 zu § 75a AVAVG aF; BSG SozR 2100 § 8 Nr 4 und BSG SozR 2200 § 172 Nr 19 zur Geringfügigkeitsgrenze und Kurzzeitigkeitsgrenze; BSG SozR 2200 § 205 Nr 41 zum regelmäßigen monatlichen Gesamteinkommen iS des § 205 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 Reichsversicherungsordnung≪RVO≫). – Für den Beginn der entgeltlichen Beschäftigung, von Versicherungspflicht oder von Versicherungsfreiheit kann demgemäß das in § 14 Abs 1 SGB IV legaldefinierte Arbeitsentgelt nicht iS des Zuflussprinzips verstanden werden.

    b) Gleiches gilt, soweit es um die Bemessung der Beiträge gilt. § 14 SGB IV regelt weder die Versicherungspflicht noch das Entstehen oder die Fälligkeit von Beitragsforderungen. Vielmehr ist das Arbeitsentgelt im Rahmen des § 14 SGB IV nur als Einkunftsart geregelt, die neben dem Arbeitseinkommen des § 15 SGB IV und dem Gesamteinkommen des § 16 SGB IV an vielen Stellen des Sozialversicherungsrechts von Bedeutung ist. Demnach kann die Verwendung der Wörter “Einnahmen”, “geleistet” und “erzielt” im vorliegenden Zusammenhang nicht als Bestätigung für eine allgemeine Geltung des Zuflussprinzips angesehen werden. Auf den Zufluss kommt es vielmehr nur an, soweit dem Arbeitnehmer mehr geleistet wird, als ihm tariflich oder einzelvertraglich zusteht, soweit ihm also über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewendet oder geleistet werden (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 64). Soweit der Senat in dem erwähnten Urteil vom 18. November 1980 (SozR 2100 § 14 Nr 7) den Wortlaut des § 14 Abs 1 SGB IV als Bestätigung für das Zuflussprinzip angesehen hatte, ist er dem schon in der erwähnten späteren Rechtsprechung (oben 2.d, letzter Absatz) nicht mehr gefolgt.

    c) Weiter hat der Senat schon in dem erwähnten Urteil vom 30. August 1994 (BSGE 75, 61, 64/65 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5 S 12 f) dargelegt, dass nach § 22 Abs 1 SGB IV in der hier noch anzuwendenden früheren Fassung Beitragsansprüche entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Diese bestünden (bei laufendem Arbeitsentgelt) jedenfalls, wenn die Beschäftigung tatsächlich aufgenommen worden ist, in der Ausübung der versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigung gegen Entgelt. Bei Sonderzahlungen entsteht die Beitragsforderung dementsprechend, wenn auch die speziellen Voraussetzungen für den Anspruch des Arbeitnehmers auf die Sonderzuwendungen erfüllt sind, wie das hier zutraf (unten 5.).

    d) Der Senat hat in seinem Urteil vom 30. August 1994 (BSGE 75, 61, 65/66 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5 S 13 f) ferner schon ausgeführt, dass die Fälligkeitsregelung des § 23 SGB IV für das Entstehungsprinzip spricht. Diese Vorschrift unterscheidet nicht danach, ob das Arbeitsentgelt bei Fälligkeit der Beiträge bereits gezahlt worden ist oder nicht. Ferner bestätigen insolvenzrechtliche Regelungen das Entstehungsprinzip. So ergibt sich aus § 208 SGB III (früher § 141n Abs 2 AFG), dass der Beitragsanspruch auf nicht gezahltes Arbeitsentgelt gegen den insolventen Arbeitgeber fortbesteht (vgl zum früheren Recht BSGE 54, 136, 140 = SozR 2200 § 393 Nr 9 S 26; BSGE 59, 183, 189 = SozR 4100 § 168 Nr 19 S 48 f). Eine solche Regelung wäre unverständlich, wenn eine Beitragsforderung von der Zahlung des Arbeitsentgelts abhinge. Für die Fälligkeit von Beitragsforderungen auf Sonderzahlungen ist allerdings die Anknüpfung des Beitragsanspruchs an die Zuordnungsregelungen in § 23a SGB IV zu beachten.

    e) Die Vorschrift des § 23a SGB IV spricht jedoch nicht für die Geltung des Zuflussprinzips bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt. Sie bestimmt lediglich abstrakt, welche Zuwendungen einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sind, grenzt sie von laufendem Arbeitsentgelt ab und ordnet sie für die Beitragsbemessung bestimmten Entgeltabrechnungszeiträumen zu (hierzu BSG Urteil vom 14. Mai 2002 SozR 3-2400 § 23a Nr 2). Sie enthält demgegenüber keine Bestimmung zu der Frage, ob für Sonderzahlungen das Entstehungs- oder das Zuflussprinzip gilt (vgl BSG SozR 3-2400 § 23a Nr 2 S 10 unten). Eine solche Regelung ist vielmehr in § 22 SGB IV enthalten, wie sich darin bestätigt, dass der Gesetzgeber dort für die Beitragserhebung auf Sonderzahlungen inzwischen zum Zuflussprinzip übergegangen ist (unten h).

    f) Die genannten Vorschriften zum Entstehen und zur Fälligkeit von Beitragsforderungen lassen keine Unterscheidung danach zu, ob der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt zahlt und ob der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt verlangt hat oder es noch verlangen könnte. Derartige Bedingungen würden das Entstehen oder den endgültigen Bestand von Beitragsforderungen von zahlreichen Unsicherheiten abhängig machen, wie beispielsweise: dem Geltendmachen des Anspruchs auf nicht gezahltes Arbeitsentgelt durch den Arbeitnehmer, dem Eingreifen tariflicher Ausschlussklauseln, der Verjährung des Anspruchs, der Erhebung der Verjährungseinrede durch den Arbeitgeber oder einem etwaigen Verzicht des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt. Unter derartige Vorbehalte sind Beitragsansprüche in den genannten Vorschriften nicht gestellt. Auswirkungen solcher privatrechtlicher Vorgänge auf einmal entstandene und fällig gewordene öffentlich-rechtliche Beitragsforderungen haben früher schon das RVA (oben 2.a) und der erkennende Senat im Urteil vom 30. August 1994 (BSGE 75, 61, 67 = SozR 2200 § 385 Nr 5 S 14 f) abgelehnt. Hieran ist festzuhalten.

    g) Die Anwendung des Entstehungsprinzips beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag gewährleistet im Allgemeinen eine weit gehende Übereinstimmung zwischen den Versicherungsverhältnissen sowie den mit ihnen verbundenen Beitragspflichten und Leistungsansprüchen. Wegen der Höhe der Beitragssätze wird der Gesamtsozialversicherungsbeitrag vor allem durch die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung bestimmt. In der Rentenversicherung würden, wenn nicht der Versicherungspflicht auch eine Beitragspflicht entspräche, Leistungsansprüche in der Regel nicht begründet. In der Krankenversicherung stünden dem, wenn mit dem Eintritt in die Beschäftigung oder das Beschäftigungsverhältnis die Mitgliedschaft beginnt und sofortige Ansprüche zumindest auf Sachleistungen ausgelöst werden, bei Geltung des Zuflussprinzips möglicherweise keine Beiträge gegenüber. Solche Ergebnisse entsprechen nicht dem geltenden Recht, sondern bedürfen, wenn sie gewollt sind, einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Zuflussprinzips (vgl schon BSGE 75, 61, 68 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5 S 16).

    h) Dieses Erfordernis wird dadurch bestätigt, dass eine solche Regelung für die beitragsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen seit dem 1. Januar 2003 vorhanden ist. Von diesem Zeitpunkt an ist § 22 Abs 1 SGB IV durch Art 2 Nr 6 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I 4621) neugefasst worden. Darin ist bestimmt, dass der Beitragsanspruch bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt entsteht, sobald dieses ausgezahlt worden ist (zur Begründung der Gesetzentwurf BT-Drucks 15/26 S 24 zu Nr 6 – § 22). Hieraus ergibt sich nach dem Urteil des Senats vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R (zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen) im Umkehrschluss, dass für hier zu zahlendes laufendes Arbeitsentgelt das Zuflussprinzip nach wie vor nicht gilt (vgl die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 15 und 16≪BT-Drucks 14/8318≫ in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 27. Februar 2002, Stenographischer Bericht S 21837 ff). Aus dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 22 Abs 1 SGB IV erst am 1. Januar 2003 folgt darüber hinaus, dass selbst für Einmalzahlungen bis Ende 2002 das Entstehungsprinzip gilt. Eine Anwendung dieser Vorschrift für die Zeit vor 2003 und damit auch für die hier zu entscheidenden Jahre 1996 bis März 2000 scheidet damit auch für Einmalzahlungen aus.

    i) Für das Zuflussprinzip bei Sonderzahlungen spricht schließlich nicht § 1 der Arbeitsentgeltverordnung (ArEV). In einem anderen Verfahren ist geltend gemacht worden, nicht zugeflossene Zuwendungen seien nicht steuerpflichtig und gehörten aus diesem Grund nicht zum Arbeitsentgelt. Dieser Ansicht folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem LSG nicht. Wie die auf § 1 ArEV folgenden Bestimmungen bestätigen, sind mit den steuerfreien Zuwendungen lediglich diejenigen gemeint, die ihrer Art nach als steuerfrei geregelt sind. § 1 ArEV überträgt demgegenüber nicht das steuerrechtliche Zuflussprinzip auf das Beitragsrecht. Dagegen spricht auch die ab 2003 geltende gesetzliche Regelung in § 22 SGB IV (oben h), die entbehrlich gewesen wäre, wenn sich das Zuflussprinzip schon aus § 1 ArEV ergeben hätte. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob angesichts der gesetzlichen Regelungen zum Entstehen und Fälligwerden von Beitragsforderungen (§§ 22, 23 SGB IV) in § 17 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Satz 2 SGB IV eine hinreichende Ermächtigung dafür gelegen hätte, das Zuflussprinzip durch Rechtsverordnung (ArEV) auf das Beitragsrecht zu übertragen.

    j) Die Anwendung des Zuflussprinzips beim Arbeitsentgelt ist kein allgemeiner abgabenrechtlicher Grundsatz, der für Steuern und Beiträge gleichermaßen gelten müsste und aus dem Einkommensteuerrecht auf das Beitragsrecht der Sozialversicherung übertragen werden könnte. Im Steuerrecht ist das Zuflussprinzip ausdrücklich geregelt. Nach § 36 Abs 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entsteht die Einkommensteuer vorbehaltlich abweichender Regelungen mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Eine solche Ausnahmeregelung ist in § 38 Abs 1 Satz 1 EStG enthalten, wonach die Lohnsteuer (nur) erhoben wird, soweit der Arbeitslohn ausgezahlt wird. Zudem bestimmt § 38 Abs 2 Satz 2 EStG, dass die Lohnsteuer abweichend von der Regel des § 36 Abs 1 EStG bereits zu dem Zeitpunkt entsteht, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Vergleichbare Regelungen enthält das Beitragsrecht der Sozialversicherung nicht (Ausnahme ab 2003 oben h). Zwischen beiden Bereichen bestehen auch strukturelle Unterschiede. Im Steuerrecht werden Abgaben zur Erfüllung staatlicher Aufgaben grundsätzlich zweckfrei nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhoben, die sich im Zufluss ausdrückt und erschöpft. Im Sozialversicherungsrecht werden demgegenüber durch entgeltliche Beschäftigungen Versicherungsverhältnisse begründet, die in ihrem Bestand und in ihrer beitragsrechtlichen Ausgestaltung grundsätzlich nicht vom Zufluss des Arbeitsentgelts abhängen (oben 3.a).

  • Der Senat folgt für versicherungs- und beitragsrechtliche Streitigkeiten bei untertariflicher Bezahlung auch im Übrigen nicht der Kritik, die vor allem nach dem Urteil des Senats vom 30. August 1994 (BSGE 75, 61 = SozR 3-2200 § 385 Nr 5) zur Unerheblichkeit tariflicher Ausschlussklauseln für eine Beitragsforderung am Entstehungsprinzip geübt worden ist (Arens, BB 2001, 94; Berndt, DStR 2000, 1520 ff; Breidenbach, BB 2002, 1910; Gagel, BB 2000, 718 f; Gagel, Festschrift für Hanau, 1999, S 649 ff; Peters-Lange, NZA 1995, 657 ff. Für das Entstehungsprinzip demgegenüber Klose, NZS 1996, 9 f; Marx, NZS 2002, 126 ff).

    a) Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Einmalzahlungen (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 und BVerfGE 102, 127 = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) wird geltend gemacht, auch hier entspreche der Beitragsfestsetzung gegenüber dem Arbeitgeber teilweise keine Gegenleistung der Beschäftigten, weil der Bemessung einzelner Leistungen der Sozialversicherung wie etwa des Krankengeldes nach § 47 Abs 1 Satz 1 SGB V oder des Arbeitslosengeldes nach Maßgabe des § 136 Abs 1 SGB III nur das gezahlte (zugeflossene) Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt werde. Damit werden jedoch wesentliche Unterschiede zu dem vorliegenden Verfahren einer untertariflichen Bezahlung nicht hinreichend beachtet. Den Entscheidungen des BVerfG lagen Sachverhalte zu Grunde, in denen Einmalzahlungen vom Arbeitgeber geschuldet und unter Abzug der Arbeitnehmeranteile (§ 28g SGB IV) an den Beschäftigten ausgezahlt wurden, entsprechende Leistungen aber nach gesetzlichen Vorschriften nicht oder nicht in angemessenem Umfang zu erbringen waren. Demgegenüber wurde hier zu der Zeit, als die Beitragsforderung entstand und fällig wurde, auch ein Anspruch auf das tarifliche Arbeitsentgelt erworben. Ihn konnte der Arbeitnehmer geltend machen und sich so die genannten Lohnersatzleistungen für laufendes Arbeitsentgelt sichern. Soweit dieses bei Einmalzahlungen wegen der vom BVerfG beanstandeten leistungsrechtlichen Unzulänglichkeit der gesetzlichen Regelung gescheitert wäre, hätte hier noch die vom BVerfG eingeräumte Übergangsfrist (bis 30. Juni 2001) eingegriffen. Im Übrigen gilt für die Beitragsbemessung aus Einmalzahlungen seit 2003 das Zuflussprinzip (oben 3.h). Unter diesen Umständen können Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei einer einvernehmlichen Nichtleistung tariflicher Sonderzahlungen nicht mit Erfolg geltend machen, der Beitragsforderung habe kein ausreichendes leistungsrechtliches Äquivalent gegenüber gestanden. Anderenfalls würde die untertarifliche Bezahlung zum Maßstab für eine angemessene gesetzliche Regelung erhoben sowie versicherungs- und beitragsrechtlich belohnt. Dem sind das RVA (oben 2.a) und der erkennende Senat (oben 2.d) schon früher entgegengetreten.

    b) Jedenfalls für Sachverhalte einer einverständlichen untertariflichen Bezahlung überzeugt den Senat auch nicht, dass die Einheit der Rechtsordnung die Anwendung des Zuflussprinzips erfordere. Allerdings führt die Anwendung des Entstehungsprinzips zu einer Inkongruenz zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, wenn der Arbeitnehmer arbeitsrechtlich eine tarifliche Entlohnung jedenfalls nach einer gewissen Zeit wegen tariflicher Ausschlussklauseln, Verjährung oder Verzicht nicht mehr durchsetzen kann, gleichwohl aber selbst dann noch Beiträge gegenüber dem Arbeitgeber festgesetzt werden dürfen. Andererseits dient es jedoch der Einheit der Rechtsordnung, wenn Versicherungsverhältnisse auf der Grundlage bestehender Tarifverträge durchgeführt werden müssen und durch eine untertarifliche Bezahlung weder der Versicherungsschutz der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden darf noch sich Arbeitgeber Vorteile gegenüber tariflich zahlenden Arbeitgebern verschaffen können.

    c) Soweit geltend gemacht wird, einzelne Arbeitgeber oder sogar ganze Wirtschaftszweige gerieten in Schwierigkeiten, wenn sie auf tariflich geltende, aber einverständlich nicht gezahlte Arbeitsentgelte Sozialversicherungsbeiträge entrichten müssten, vermag dieses nach dem hier anzuwendenden Recht das Zuflussprinzip und damit eine Begünstigung der untertariflichen Bezahlung im Versicherungs- und Beitragsrecht nicht zu rechtfertigen. Vielmehr ist es Angelegenheit der Tarifvertragsparteien und des Verfahrens der Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 Tarifvertragsgesetz≪TVG≫), die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, damit die so geregelten Arbeitsentgelte und die hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge tragbar sind. Im Einzelfall können die Sozialversicherungsträger wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach Maßgabe des § 76 Abs 2 SGB IV durch Stundung, Niederschlagung oder Erlass von Beiträgen Rechnung tragen.

  • Die Höhe der Beiträge und Umlagen bemisst sich somit nach der Höhe des der Beigeladenen zu 2) tariflich zustehenden Arbeitsentgelts.

    a) Die Höhe des der Beigeladenen zu 2) zustehenden Arbeitsentgelts ergibt sich aus dem vom LSG festgestellten, zwischen dem Gastgewerbe NRW-Hotel- und Gaststättenverband NRW und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten geschlossenen Manteltarifvertrag Hotel- und Gaststättengewerbe vom 23. März 1995, den das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW für allgemeinverbindlich erklärt hatte (Allgemeinverbindlicherklärung zum 1. Januar 1995, Bekanntgabe vom 30. Oktober 1995 im BAnz vom 7. Dezember 1995, Nr 230 S 12262). Danach hatten gemäß § 5 Abs 1, 4 und 6 TVG Arbeitnehmer, die am 1. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen, einen Anspruch auf Sonderzahlung. Deren Höhe war in den Jahren 1995 bis 1997 nach Betriebszugehörigkeit gestaffelt und betrug 1998 bei der Beigeladenen zu 2) 50 vH eines Monatseinkommens. Ferner hatte sie nach den Feststellungen des LSG einen ebenfalls nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelten Anspruch auf Urlaubsgeld. Dieser betrug 1996 je Urlaubstag 33 DM, in den Folgejahren 35 DM. – Diese Feststellungen des LSG zur Höhe des der Beigeladenen zu 2) tariflich zustehenden Urlaubsgeldes und ihrer Sonderzuwendung sind von der Revision nicht angegriffen worden.

    b) Der persönliche Anwendungsbereich des genannten Tarifvertrags erstreckt sich auf “alle Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Auszubildenden”. Auch Außenseiter können regelmäßig nicht geltend machen, sie hätten einschlägige Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge nicht gekannt (vgl BAG Urteil vom 16. August 1983 – 3 AZR 206/82, AP Nr 131 zu § 1 TVG Auslegung, betreffend die Unkenntnis einer tariflichen Ausschlussfrist; BVerfGE 44, 322 = AP Nr 15 zu § 5 TVG zur Zulässigkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen). Das für die Allgemeinverbindlicherklärung vorgesehene Veröffentlichungs- und Dokumentationsverfahren hat hier stattgefunden, sodass sich auch Außenseiter gewöhnlich ohne Weiteres über das geltende Tarifrecht informieren konnten (BVerfG – Kammerbeschluss – vom 10. September 1991 – 1 BvR 561/89, AP Nr 27 zu § 5 TVG). Spezifische Schwierigkeiten bei der Beschaffung der hier einschlägigen Tarifverträge sind nicht erkennbar.

  • Die Beitragsforderung für die Jahre 1996 bis 2000 war bei ihrer Feststellung im Dezember 2000 nicht verjährt (vgl § 25 Abs 1 SGB IV). Sie war auch nicht verwirkt.

    a) Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt (BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 mwN; BSG Urteil vom 23. Mai 1989 – 12 RK 23/88, USK 8964). Eine Verwirkung scheitert hier daran, dass ein Verwirkungsverhalten der Versicherungsträger, das zum Zeitablauf hinzutreten muss, vom LSG nicht festgestellt werden konnte. Ein Vertrauenstatbestand, auf den sich der Kläger für das Nichtbestehen von Versicherungs- und Beitragspflichten berufen könnte, ergibt sich weder auf Grund des Verhaltens eines zuständigen Versicherungsträgers gegenüber dem Kläger noch aus einer von allen Einzugsstellen und Rentenversicherungsträgern einheitlich vertretenen Auffassung.

    b) Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm “Entlastung” zu erteilen (BSGE 47, 194, 198 = SozR 2200 § 1399 Nr 11). Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben jedoch das Recht, in Zweifelsfällen nach § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Einzugsstelle durch Verwaltungsakt herbeizuführen, an den die Versicherungsträger gebunden sind (so zuletzt BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 16 bis 20 mwN). Im vorliegenden Verfahren ist nicht festgestellt, dass gegenüber dem Kläger bei früheren Betriebsprüfungen durch Einzugsstellen oder Rentenversicherungsträger ein erklärtermaßen auf das Zuflussprinzip abstellender Bescheid ergangen ist oder dass die Beitragserhebung nach dem Zuflussprinzip sonst Gegenstand einer Betriebsprüfung bei dem Kläger gewesen ist und er dabei trotz einer Problematisierung der hier umstrittenen Fragen über die Geltung des Entstehungsprinzips im Unklaren gelassen worden ist.

    c) Eine grundlegende Änderung der Rechtsprechung hat hinsichtlich des Entstehungsprinzips seit etwa 1982 nicht mehr stattgefunden. Allenfalls wurde nach der Entscheidung zur Aufgabe des Zuflussprinzips vom 26. Oktober 1982 (BSGE 54, 136 = SozR 2200 § 393 Nr 9) für weitere Fallgruppen klargestellt, dass auch für sie das Entstehungsprinzip gilt. Die Prüfbehörden hatten seit dieser Zeit stets die Aufgabe, auf die Einhaltung vollständiger Beitragserhebung nach dem Entstehungsprinzip zu achten. Wenn das nicht immer geschehen ist, so rechtfertigt dieses keine “Übergangsregelung” zu Gunsten von Arbeitgebern, welche die Gesamtsozialversicherungsbeiträge bei untertariflicher Bezahlung nach dem Zuflussprinzip berechnet haben.

    d) Schließlich ist vom LSG auch nicht festgestellt worden, dass Mitte bis Ende der neunziger Jahre alle Prüfbehörden bei ihren Betriebsprüfungen ausdrücklich das Zuflussprinzip vertreten haben. Die vom LSG eingeholten Auskünfte haben eine solche Behauptung des Klägers nicht bestätigt. Das LSG brauchte sich daher zu weiteren Ermittlungen über das Verhalten aller Versicherungsträger von Amts wegen (§ 103 Sozialgerichtsgesetz≪SGG≫) nicht gedrängt zu fühlen und auch den im Schriftsatz vom 26. November 2002 enthaltenen Beweisanregungen nicht nachzugehen. Soweit einzelne Versicherungsträger im Einzelfall ausdrücklich das Zuflussprinzip vertreten haben sollten, könnte sich ein Vertrauensschutz allenfalls bei den von diesen geprüften Arbeitgebern gebildet haben, und dies auch nur dann, wenn diese Fragen im Rahmen einer konkreten Betriebsprüfung Gegenstand der Erörterung gewesen sind. Das ist für das Verhältnis des Klägers zu den für ihn zuständigen Versicherungsträgern nicht festgestellt.

Hiernach erwies sich die Revision des Klägers als unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1214164

SJ 2005, 40

SJ 2005, 45

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