Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung einer Krankheit als Folge einer Berufskrankheit (BK)

 

Beteiligte

12. Juni 1990 … Kläger und Revisionsbeklagter

Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie,Heidelberg 1, Gaisbergstraße 11, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Kläger begehrt die Entschädigung seiner Lungenfibrose als Folge einer Berufskrankheit (BK).

Der im Jahre 1955 geborene Kläger ist von Beruf Maschinenschlosser. Nachdem er von Februar 1973 bis einschließlich Juni 1973 bei den F.  -Werken in K.   als Schleifer beschäftigt war und vom 8. März 1974 bis 16. Januar 1976 als Schlosser bei einer Schlosserei in G.              gearbeitet hatte, wurde er vom 1. Juli 1976 ab bei der A.              in R.          beschäftigt, zunächst bis zum 31. Juli 1978 im Spezialgerätebau und ab 1. August 1979 im "Coating Centre" der Sandstrahlerei und Metallspritzerei. Am 30. Mai 1984 nahm der Betriebsarzt bei dem Kläger eine Lungenfunktionsprüfung vor und äußerte den Verdacht einer restriktiven Atemfunktionsstörung. Nach der Ärztlichen Anzeige über eine BK vom 7. August 1984 durch die Chirurgische-Universitätsklinik Freiburg, Abteilung Lungenchirurgie, zog die Beklagte Auskünfte des letzten Arbeitgebers sowie ihres Technischen Aufsichtsbeamten über die Exposition des Klägers an seinen Arbeitsplätzen und holte ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. K.   aus der Klinik für Berufskrankheiten in Bad Reichenhall vom 3. Dezember 1984 ein. Dr. K.   fand keine Hinweise auf eine Staublungenerkrankung (Pneumokoniose), wenn auch im rechten Lungen-Oberfeld indurierte spezifische Residuen bestünden; zwar sei die Einschränkung der Vitalkapazität auffallend, aber eine respiratorische Arbeitsinsuffizienz erwerbsmindernden Grades liege nicht vor. Da der Kläger nach dem Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten in der A.              weder Kontakt mit freiem kristallinen Quarz gehabt habe noch einer schädigenden Exposition von Metallstäuben ausgesetzt gewesen sei, lägen bei ihm keine Gesundheitsstörungen vor, die auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen seien. Dementsprechend lehnte die Beklagte "die Anerkennung einer entschädigungspflichtigen BK" nach § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 4101 Quarzstaublungenerkrankung - Silikose - der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) ab (Bescheid vom 13. September 1985).

Im Klageverfahren hat der Kläger beantragt, die bei ihm bestehende Silikose als entschädigungspflichtige Berufskrankheit (Nr 4101) festzustellen, hilfsweise, seinen Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt der Erkrankung der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen (Nr 4106) zu prüfen. Dazu hat die Beklagte den Bericht ihres Technischen Aufsichtsbeamten vom 8. September 1987 und 21. Oktober 1987 vorgelegt. Danach könne aufgrund der jüngsten Messungsergebnisse nur ausgesagt werden, es sei wenig wahrscheinlich, daß der Grenzwert für Feinstaub im Coating Centre vor 1984 überschritten worden sei; mit Sicherheit auszuschließen sei das aber nicht. Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat den Bescheid der Beklagten vom 13. September 1985 aufgehoben und festgestellt, "daß bei dem Kläger silikotische Veränderungen in der Lunge vorhanden sind". Im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Februar 1988): Soweit der Kläger hilfweise beantragt habe, seine Gesundheitsstörungen als Erkrankung der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen (BK Nr 4106) anzuerkennen, habe er diesen Antrag in der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellt. Darin liege insoweit eine wirksame Klagerücknahme nach § 102 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein lungenfachärztliches Gutachten vom 7. November 1988 über den Kläger durch Dr. Sch.     und Prof. Dr. H.,    Oberarzt und Ärztlicher Direktor der Abteilung für Lungenchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg, eingeholt. Darin kommen die Sachverständigen zu dem Ergebnis, der Kläger leide an einer Lungenfibrose, die seit 1984 zu einer schweren restriktiven Ventilationsstörung und respiratorischen Partialinsuffizienz (Sauerstoffuntersättigung des Blutes) schon bei einer leichten Belastungsstufe und einer durch diese Störung deutlich eingeschränkten Leistungsbreite geführt habe. Als Ursache komme ausschließlich eine Reaktion auf inhalative Schadstoffe in Betracht, das habe die histologische Untersuchung des Lungengewebes nach zwei Lungenbiopsien ergeben. In Anbetracht der langen und teilweise intensiven Beschäftigung mit fibrogenen Substanzen am Arbeitsplatz, nämlich quarzhaltigem Sand, Aluminium, Titan und anderen Hartmetallstäuben, müsse die Lungenfibrose als Folge der Berufsausübung gewertet werden, auch wenn das typische Silikosebild nicht nachweisbar sei und ein einzelnes Agens als Ursache der Lungenfibrose nicht dingfest gemacht werden könne. Die Anamnese und insbesondere auch die histologischen Befunde ließen sich sehr gut unter dem Begriff einer Mischstaubpneumokoniose zusammenfassen. Eine Erkrankung durch Aluminium und seine Verbindungen könne das vorliegende Krankheitsbild mitverursacht haben.

Nachdem der Kläger mit einem am 10. Mai 1989 beim LSG eingegangenen Schriftsatz vom 9. Mai 1989, der in der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 1989 verlesen wurde, in erster Linie die Feststellung beantragt hatte, die krankhaften Veränderungen an seiner Lunge als Folge der BK Aluminose anzuerkennen, hat das LSG mit Urteil vom 10. Mai 1989 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 25. Februar 1988 zurückgewiesen und des weiteren entschieden:

"Der Tenor wird wie folgt neu gefaßt:Es wird festgestellt, daß die restriktive Ventilationsstörung des Klägers Folge einer BK nach Nr 4106 der Anlage 1 zur BKVO ist."

Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, nach den durchgeführten Ermittlungen am Arbeitsplatz müsse davon ausgegangen werden, daß die Einwirkungen von Quarzstaub, Titanstaub und anderen Hartmetallstäuben unter Anwendung der vom Gesetz geforderten Schutzmaßnahmen im Normbereich gelegen hätten und somit ungefährlich gewesen seien. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten habe aber nicht mit Sicherheit ausschließen können, daß der Kläger bei seinen Aluminiumspritzarbeiten einer gesundheitsschädlichen Aluminiumstaubexposition ausgesetzt gewesen sei. Da nach dem Sachverständigengutachten Aluminiumstaub als Ursache der Lungenfibrose in Betracht kommen könne, sehe es, das LSG, den Zusammenhang als wahrscheinlich an, daß die Lungenfibrose wesentlich durch die Aluminiumstaubeinatmung mitverursacht worden sei. Denn es könne nicht als nachgewiesen angesehen werden, daß die Aluminiumstaubexposition im gesundheitsunschädlichen Bereich gelegen habe und alle Sicherheitsvorkehrungen ordnungsgemäß eingehalten worden seien. Hierfür trage die Beklagte die objektive Beweislast.

Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das LSG habe hinsichtlich der Aluminose über einen Anspruch entschieden, der nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens habe werden können. Denn ausweislich des SG-Urteils habe der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen. Das LSG hätte sie darauf hinweisen müssen, daß es trotzdem auch über diesen zurückgenommenen Anspruch entscheiden wolle. Dann hätte sie weitere Beweisanträge zur Art und zum Umfang der schädigenden Einwirkungen gestellt. Es sei ein Verfahrensfehler im Sinne einer Überraschungsentscheidung, daß das LSG dies unterlassen habe. Schließlich habe das LSG § 551 Abs 1 RVO rechtsfehlerhaft und in Abweichung von der Rechtsprechung des BSG angewandt, indem es für das Vorliegen der gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzexposition und damit für die Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und der als Folge einer BK geltend gemachten Gesundheitsstörung, also einer anspruchsbegründenden Tatsache, den Grundsatz der objektiven Beweislast reklamiert, aber anstelle des Klägers ihr die Nachteile der Unaufklärbarkeit zugewiesen habe.

Die Beklagte beantragt,die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen,hilfsweise,die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er meint, das SG sei rechtsirrtümlich von einer Klagerücknahme ausgegangen. Den Anspruch hinsichtlich der Aluminose habe er mit seiner Anschlußberufung vom 9. Mai 1989 geltend gemacht. Da der betreffende Schriftsatz der Beklagten in der mündlichen Verhandlung übergeben worden sei, habe sie auch mit einer Entscheidung darüber rechnen müssen. Im übrigen habe das LSG zu Recht entschieden, die Beklagte müsse die objektive Beweislast dafür tragen, daß die Grenzwerte für eine unschädliche Aluminiumstaubexposition nicht überschritten worden seien.

II

Die Revision der Beklagten hat insoweit Erfolg, als sie zur Zurückverweisung der Sache an das LSG führt.

Das Urteil beruht auf dem gerügten Verfahrensfehler, daß das LSG den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör im Sinne einer Überraschungsentscheidung verletzt hat. Dabei fehlen ausreichende Tatsachenfeststellungen, um den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden; auch zugunsten der Beklagten und Revisionsklägerin ist eine Entscheidung in der Sache nicht möglich.

1. Die Grenzen des Streitgegenstandes dieses Rechtsstreits hat das LSG mit seiner Entscheidung nicht überschritten. Nach § 123 SGG ist ohne Bindung an die Anträge über die vom Kläger erhobenen Ansprüche zu entscheiden. Im vorliegenden Fall reichte der geltend gemachte Klageanspruch über den Klageantrag hinaus, wie der spätere die Aluminose betreffende Hilfsantrag zeigt. Dieser Teil des Klageanspruchs hat sich nicht durch eine Rücknahme erledigt. Denn der Kläger hat nicht eindeutig und bedingungslos erklärt, er entziehe diesen Teil des Klageanspruchs schon vor einem rechtskräftigen Urteil jeder richterlichen Beurteilung. Aus der Tatsache allein, daß der Klägervertreter diesen Hilfsantrag in der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr hat protkollieren lassen, kann nicht - wie es das SG gemeint hat - auf eine wirksame Teilrücknahme der Klage geschlossen werden. Mit dem schon dem SG vorgelegten Befundbericht vom 22. Juni 1987 der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg, Abteilung Lungenchirurgie, trug der Kläger vor, daß bei ihm eine interstitielle Lungenfibrose bei Fremdmaterialspeicherung im Bereich der Lungenbläschenzellen vorliege, die wahrscheinlich durch eine Staublungenerkrankung verursacht worden sei. Alle den Streitgegenstand betreffenden Erklärungen des Klägers müssen - das obliegt auch dem Revisionsgericht - dahin ausgelegt werden, daß er diese Gesundheitsstörung mit dem Endziel geltend macht, von der Beklagten dafür Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erhalten, aus welchem einzelnen Rechtsgrunde auch immer. Angesichts dessen ist auf der anderen Seite davon auszugehen, daß das SG in seinem Bemühen um eine sachdienliche Antragstellung (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) nicht den gesamten Klageanspruch erfaßt hat, als es seiner Pflicht nachzukommen versuchte, auf einen angemessenen und sachdienlichen Antrag hinzuwirken (vgl zum gesamten Problem: BSG, Urteil vom 11. November 1987 - 9a RV 22/85 - mwN). Der Kläger hat mit seinem Schriftsatz vom 9. Mai 1989 an das LSG auf dem Wege der zulässigen Anschlußberufung klargestellt, daß sein Klageanspruch weiterreicht, als es vom SG angenommen worden ist.

2. Zutreffend rügt aber die Beklagte, daß das LSG mit seiner Entscheidung ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland -GG-, § 62 SGG) verletzt und sie daran gehindert hat, weitere Beweisanträge zu stellen. Darauf beruht auch das angefochtene Urteil. Im vorliegenden Fall liegt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darin, daß die Beklagte von der Rechtsauffassung des LSG über den Umfang des Streitgegenstandes überrascht worden ist (s BSG SozR 1500 § 160 Nr 70). Nachdem das SG in seinem Urteil ausgeführt hat, der Kläger habe den die Aluminose betreffenden Teil der Klage zurückgenommen, mußte die Anschlußberufung zunächst als unzulässig erscheinen. Deshalb ist das LSG verpflichtet gewesen, die Beteiligten auf die Möglichkeit einer sachlichen Entscheidung zu der Frage der Aluminose hinzuweisen. Weitere Beweisanträge der Beklagten zur Sache hätten dann dazu beitragen können, die noch fehlenden Tatsachen des entscheidungserheblichen Sachverhalts näher zu ermitteln.

3. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil reichen jedenfalls nicht aus, um über den geltend gemachten Klageanspruch zu entscheiden, weder als Feststellungsurteil noch - falls die Anschlußberufung entsprechend dem medizinischen Befund zur Frage der Erwerbsminderung erweitert wird - als Leistungsurteil; auch aus diesem Grunde ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen gewesen.

Das LSG hat anhand des Freiburger Gutachtens vom 7. November 1988 zu seinem Ausgangspunkt die Feststellung genommen, daß der Kläger an einer Lungenfibrose mit schwerer restriktiver Ventilationsstörung und respiratorischer Partialinsuffizienz leidet. Mit dem Freiburger Gutachten hat das LSG dazu festgestellt, daß wahrscheinlich die Inhalation verschiedener Stäube Ursache dieser Erkrankung ist. Das Gutachten bezeichnet diese Erkrankung deshalb als Mischstaubpneumokoniose. Welche Stäube im einzelnen die Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit hervorgerufen haben, ist bisher nicht nachgewiesen. Auch für die Einwirkung allein durch Aluminium hat das Freiburger Gutachten nicht mehr als eine Möglichkeit aufgezeigt: "Die am 7. Oktober 1987 anhand der offenen Lungenbiopsie durchgeführte Analyse auf Fremdmaterial ergab lediglich geringe Ablagerungen von Quarzteilen, ohne daß silikotische Knötchen nachweisbar waren. Daneben wird das Vorhandensein von feinkörnigen Staubeinlagerungen im Bereich der Alveolarmakrophagen (Lungenbläschenzellen) mitgeteilt. Dieses Staubmaterial konnte jedoch nicht eingeordnet werden" (LSG-Akte Bl 49). "Eine Erkrankung der Lunge durch Aluminium kann das vorliegende Gesamtbild durchaus mitverursacht haben" (LSG-Akte Bl 55).

Bereits für die Beantwortung der Vorfrage, ob schädigende Einwirkungen während versicherter Tätigkeiten diese krankheitserzeugenden Staubeinlagerungen verursacht haben, fehlt es an ausreichenden Arbeitsplatzanalysen. Dem LSG ist einzuräumen, daß die Ermittlungen des Technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten dazu nicht genügen. Dieser Mangel führt aber noch nicht zur Anwendung des Grundsatzes der objektiven Beweislast, nach dem die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen entgegen der Ansicht des LSG zu Lasten des Klägers geht, sondern er führt zwangsläufig zu der Verpflichtung des Gerichts (§ 103 SGG), von Amts wegen die fehlenden Ermittlungen nachzuholen. Wenn die Arbeitsplätze nicht mehr unter den für den Kläger zutreffend gewesenen Verhältnissen anzutreffen sind, dann ist es die Pflicht des Gerichts, wenigstens alle diejenigen Anhaltspunkte aufzuklären, die mittelbar auf die entscheidenden Arbeitsplatzverhältnisse schließen lassen. Das gilt sowohl für die Art allen angefallenen Staubes als auch für die Konzentration der Stäube in der Luft, die Ausmaße der Arbeitsplatzkabinen, die Funktion der Schutzvorrichtungen und die sachgerechte Anwendung der Schutzvorrichtungen durch den Kläger.

Im Hinblick darauf, daß die BKVO bei Erkrankungen an Lungenfibrose durch anorganische Stäube nur schädigende Einwirkungen durch Quarzstaub, Asbeststaub, Staub von Aluminium oder seine Verbindungen und Hartmetallstäuben anspruchsbegründend sein läßt, muß zwischen diesen Stäuben auf der einen Seite und anderen, nicht zur Anspruchsbegründung geeigneten Stäuben unterschieden werden. Falls die noch nachzuholenden Arbeitsplatzanalysen unter vollständiger Ausschöpfung aller Beweismittel in Übereinstimmung mit dem Freiburger Gutachten ergeben sollten, daß der Kläger am Arbeitsplatz über ausreichend lange Zeiträume hinweg Konzentrationen von Stäuben aus Quarz, Aluminium und seinen Verbindungen, Titan und anderen Hartmetallen ausgesetzt gewesen ist, die für sich genommen lungenschädlich sein können, müssen weitere Einzelheiten aufgeklärt werden. Die allgemein anerkannten Schädlichkeitsgrenzen für Staubkonzentrationen in der Atemluft können nur als Anhaltspunkte für die entscheidende Frage dienen, welcher Grad an Staubkonzentration beim Kläger persönlich bereits schädlich sein konnte. Ergibt die Ermittlung, daß bestimmte zur Anspruchsbegründung geeignete Stäube jeweils für sich genommen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne wahrscheinlich Mitbedingungen der Lungenfibrose gewesen sind, dann ist darauf abzustellen, ob eine dieser Staubarten die Lungenfibrose wesentlich mitbedingt hat. Sollte die medizinische Sachaufklärung ergeben, daß nicht mehr aufgeklärt werden kann als die Tatsache, daß Stäube aus dem zur Anspruchsbegründung geeigneten Kreis zwar Ursachen der Lungenfibrose im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gewesen sind, aber über ihre jeweilige Bedeutung für die Lungenfibrose nur so viel ausgesagt werden kann, daß sie jedenfalls im Zusammenwirken mit den anderen Gliedern dieses Kreises wesentlich die Lungenfibrose verursacht haben, dann reicht das aus, um den Klageanspruch zu begründen. Denn die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Ursachenlehre von der wesentlichen Mitbedingung verlangt nicht abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg (s Brackmann, Handbuch der Unfallversicherung, 11. Aufl S 480k mwN). Vielmehr läßt sie es zum einen zu, den Schutzzweck der Norm zu berücksichtigen (s Brackmann aaO S 480i I mwN). Von daher gesehen ist es unter dem Zweck des § 551 Abs 1 RVO sachlich nicht zu begründen, die Berufskrankheitenentschädigung nur deshalb zu versagen, weil nicht die schädigende Einwirkung einer einzelnen, in der BKVO aufgeführten Staubart, sondern nur das schädigende Zusammenwirken mehrerer in der BKVO aufgeführten Stäube für die festgestellte Lungenfibrose verantwortlich ist. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kommt, und das ist andererseits zu bedenken, so viel Eigenbedeutung zu, daß damit auch jedem einzelnen Glied der Gruppe wesentliche Bedeutung verliehen wird (s Brackmann aaO S 480k und k I). Wenn das im vorliegenden Fall auf Quarz, Aluminium, Titan und andere Hartmetallstäube zutreffen sollte, dann wären die Tatbestände der dazugehörigen Berufskrankheiten nebeneinander erfüllt.

Das LSG wird diese Ermittlungen nachzuholen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517893

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