Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 13.02.1990)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Februar 1990 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Umstritten ist, ob der Kläger für Zeiten des Bezugs von Arbeitslosen- und Unterhaltsgeld versicherungs- oder beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung war.

Der 1940 geborene Kläger war Bundesbahnbeamter und wurde 1983 wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Er erhält Versorgungsbezüge, ist beihilfeberechtigt und privat krankenversichert. Von Oktober 1983 bis Oktober 1986 arbeitete er als Hausmeister. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) befreite ihn nach § 173 der Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Krankenversicherungspflicht.

Mit Bescheid vom 12. November 1986 bewilligte die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger ab 13. Oktober 1986 Arbeitslosengeld (Alg). Zugleich meldete sie ihn bei der Beklagten zur Krankenversicherung der Arbeitslosen an. Den gegen diese Anmeldung erhobenen Widerspruch wies die Beigeladene mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1987 zurück. Gegen weitere Bescheide, mit denen die Beigeladene Unterhaltsgeld oder Alg bewilligte, legte der Kläger hinsichtlich der Anmeldung zur Krankenversicherung jeweils Widerspruch ein. Der Leistungsbezug nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) endete im Januar 1989.

Der Kläger hat gegen die BA vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben, das SG die AOK beigeladen. Diese hatte mit Bescheid vom 14. August 1987 vom Kläger für die Zeit ab 13. Oktober 1986 Beiträge zur Krankenversicherung aus Versorgungsbezügen gefordert und hat über seinen hiergegen erhobenen Widerspruch bisher nicht entschieden. Der Kläger hat in dem Rechtsstreit gegen die BA beantragt, die Bescheide über die Bewilligung von Alg abzuändern und die BA zu verurteilen, ihn von der Krankenversicherungspflicht freizustellen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Januar 1989). Im Berufungsverfahren hat die BA den Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1987 aufgehoben und der Kläger seine Widersprüche gegen die Folgebescheide der BA zurückgenommen. Sodann hat er seine Klage geändert und diese nun gegen die bis dahin beigeladene AOK als Beklagte gerichtet. Er hat beantragt, das Urteil des SG sowie den Bescheid der beklagten AOK vom 14. August 1987 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihn von der Krankenversicherungspflicht zu befreien. Die BA ist Beigeladene geworden.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid der beklagten AOK vom 14. August 1987 abgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1990). Die geänderte Klage sei auch ohne Vorverfahren zulässig, weil die beklagte AOK nach § 75 Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als ursprünglich Beigeladene hätte verurteilt werden können. Die Berufung sei jedoch nicht begründet. Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 155 AFG gebe es keine gesetzliche Grundlage.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 155 AFG, des § 173 RVO sowie des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte entsprechend seinem Antrag im Berufungsverfahren zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG in der Sache für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß. Es ist zunächst ein Vorverfahren nachzuholen.

Vor dem LSG hat der Kläger seine Klage zuletzt nicht mehr gegen die ursprünglich beklagte BA, sondern gegen die anfangs beigeladene AOK gerichtet. Darin liegt ein Beteiligten-Wechsel, der eine Klageänderung iS des § 99 SGG darstellt. Die Klageänderung ist zulässig, weil das LSG sie für sachdienlich gehalten hat und die Beteiligten anscheinend auch mit ihr einverstanden waren. Im Verfahren der gegen die AOK gerichteten Klage ist die BA beigeladen.

Nach einer zulässigen Klageänderung müssen die Prozeßvoraussetzungen für die geänderte Klage erfüllt sein (vgl Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, § 99 Rz 13). Dazu gehören bei einer Anfechtungsklage das Vorliegen eines Verwaltungsakts und die Durchführung eines Vorverfahrens. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage scheitert nicht bereits daran, daß kein Verwaltungsakt der Beklagten vorläge. Vielmehr ist der Beitragsbescheid der Beklagten vom 14. August 1987 vorhanden, den der Kläger mit dem Widerspruch angefochten hat. Der Ansicht des LSG, das Vorverfahren sei hier entsprechend § 75 Abs 5 SGG entbehrlich gewesen, vermochte der erkennende Senat bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu folgen. Diese Vorschrift läßt es zwar zu, einen Versicherungsträger nach Beiladung zu verurteilen. Sie ist jedoch in erster Linie auf Leistungsstreitigkeiten zugeschnitten, vom erkennenden Senat im Urteil vom 5. Mai 1988 (SozR 2200 § 1425 Nr 3) allerdings auch auf Fälle der Beitragserstattung für anwendbar gehalten worden. Auch wenn man ihren Anwendungsbereich ausdehnt, ist mit ihr jedoch nicht jede beliebige Rechtsverfolgung gegen den beigeladenen Versicherungsträger gestattet. Vielmehr müssen die gegen den Beklagten und den Beigeladenen gerichteten Begehren zueinander in Wechselwirkung stehen, indem sich entweder derselbe Anspruch gegen den einen oder den anderen Träger richtet oder verschiedene Ansprüche in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen (vgl BSGE 49, 143, 145 f = SozR 5090 § 6 Nr 4;BSGE 57, 1, 2 f = SozR 2200 § 1237a Nr 25). Dieses trifft auf das Verhältnis von Leistungsbescheiden der BA und ihren Meldungen zur Krankenversicherung der Arbeitslosen einerseits sowie Beitragsbescheiden und etwaigen Befreiungsentscheidungen einer Krankenkasse andererseits nicht zu. Für die Zulässigkeit einer gegen die Beklagte gerichteten Anfechtungsklage kann daher auf die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht verzichtet werden, wie das bei einer entsprechenden Anwendung des § 75 Abs 5 SGG der Fall wäre.

Das LSG wird der Beklagten nunmehr Gelegenheit geben müssen, das Widerspruchsverfahren durch die Erteilung eines Widerspruchsbescheides abzuschließen. Dabei kann die Beklagte davon ausgehen, daß in ihrem Beitragsbescheid im Ergebnis auch die Feststellung der Versicherungspflicht und die Ablehnung einer Befreiung lag. Einen bei der beigeladenen BA gestellten Antrag auf Befreiung müßte sie sich zurechnen lassen, zumal der Kläger alles ihm als Rechtsunkundigem Zumutbare getan hat, um eine Entscheidung über die Befreiung zu erreichen. Im Widerspruchsbescheid wird die Beklagte über die Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung zu entscheiden haben und dabei auch über die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vor dem 1. Januar 1989 (Inkrafttreten des SGB V) sowie über die Versicherungsfreiheit in den ersten Tagen des Jahres 1989 entscheiden können. Dieses entspricht auch der vom LSG in anderem Zusammenhang erwähnten Verfahrensökonomie.

In der Sache gibt der Senat der Beklagten für die Entscheidung im Widerspruchsverfahren zu bedenken: Der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung, daß beim Leistungsbezug nach dem AFG ausnahmslos Krankenversicherungspflicht eintritt, auch wenn anderweitiger Krankenversicherungsschutz besteht, lag stets die Erwägung zugrunde, daß die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung der Arbeitslosen gemäß § 157 AFG allein von der BA getragen werden (vgl BSG Breithaupt 1975, 603, 608; BSG vom 6. Juni 1991 – 3 RK 2/90; BSG SozR 3-4100 § 157 Nr 1 S 6; Schmidt in GemKomm zum AFG, § 155, Rz 2; Gagel, AFG, Komm, § 155 Rz 141). Das traf auch zu, als die Vorschriften der §§ 155 und 157 AFG geschaffen wurden. Eine Änderung ist jedoch möglicherweise eingetreten, als von 1983 an bei allen Versicherungspflichtigen der gesetzlichen Krankenversicherung Beitragspflicht von Versorgungsbezügen eingeführt wurde (vgl früher § 180 Abs 6 Nr 2 RVO; heute § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V bei Beschäftigten sowie die Verweisungen hierauf bei anderen Versicherungspflichtigen). Wenn dann aufgrund des § 155 Abs 2 Satz 1 AFG angenommen wird, daß Versorgungsbezüge auch bei versicherungspflichtigen Arbeitslosen beitragspflichtig sind, so stellt sich die Frage eines Ausschlusses von der Befreiung unter geänderten Verhältnissen. Es bedarf einer näheren Prüfung, ob das Gesetz nach Einführung der Beitragspflicht von Versorgungsbezügen nicht insofern lückenhaft geworden ist, als es zwar wegen des Bezuges beamtenrechtlicher Versorgung früher eine Befreiung (§ 173 RVO) und heute Versicherungsfreiheit (§ 6 Abs 1 Nrn 2, 6, Abs 3 SGB V) in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung geregelt, jedoch bei anschließender Arbeitslosigkeit und Fortdauer des Versorgungsbezuges entsprechende Ausnahmen von der Krankenversicherungspflicht des Arbeitslosen nicht vorgesehen hat. Sollte die Beklagte im Widerspruchsbescheid eine Befreiung nach früherem Recht ablehnen und nach neuem Recht Versicherungsfreiheit verneinen sowie an ihrer Beitragsforderung von den Versorgungsbezügen festhalten, wäre bei Fortführung des Rechtsstreits der Bescheid der Beklagten vom 14. August 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom LSG zu überprüfen.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173024

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