Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Mai 1994 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beigeladenen auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

In dem Erstattungsrechtsstreit der Versicherungsträger ist umstritten, ob der Unfall der Beigeladenen auf dem in ihrer Mittagspause zurückgelegten Weg von einem Lebensmitteleinkauf zum Betrieb ein Arbeitsunfall gewesen ist.

Die Beigeladene war in einem Mitgliedsunternehmen der klagenden Berufsgenossenschaft (BG) als kaufmännische Angestellte beschäftigt und Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Am 6. Februar 1991 mittags ging die Beigeladene in ihrem Beschäftigungsort in die Richtung ihres Beschäftigungsbetriebes. Gegen 12.35 Uhr stolperte sie über einen Pflasterstein und stürzte auf ihr rechtes Knie. Dadurch erlitt sie eine Kniescheibenkontusion mit Patellafraktur rechts. Es wurde eine berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung eingeleitet. Die Klägerin trug die Heilbehandlungskosten und erstattete der Beklagten das von dieser für sie an die Beigeladene gezahlte Verletztengeld.

Nach den später getroffenen Feststellungen hatte die Beigeladene die auf 12.00 bis 13.00 Uhr festgesetzte betriebliche Mittagspause genutzt, um in einem Einkaufsmarkt Lebensmittel (Hüttenkäse, Schnittkäse, Butter und Brot) einzukaufen, die sie alsbald am Unfalltag und an dem darauf folgenden Tag in ihrem Beschäftigungsbetrieb verzehren wollte. Die einfache Wegstrecke vom Betrieb bis zum Einkaufsmarkt hatte sie zu Fuß in ungefähr 10 Minuten zurückgelegt und der Einkauf hatte sie ungefähr 15 (Angabe der Beigeladenen vor dem Sozialgericht SG) oder 25 (Angabe der Beigeladenen gegenüber der Klägerin) Minuten in Anspruch genommen. Der Unfall ereignete sich auf dem Rückweg von dieser Besorgung.

Die Klägerin lehnte es gegenüber der Beigeladenen mit bindend gewordenem Bescheid vom 25. Februar 1992 ab, ihr Entschädigungsleistungen zu gewähren, weil sie keinen Arbeits- oder Wegeunfall erlitten habe. Auf den Wegen nach und vom Lebensmitteleinkauf habe sie nicht unter Versicherungsschutz gestanden, weil der Zeitaufwand von etwa 45 Minuten für die gesamte geplante Unternehmung in keinem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Arbeitspause gestanden habe. Die Arbeitspause solle nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in erster Linie der Erholung des Versicherten dienen. Zugleich meldete die Klägerin unter dem 25. Februar 1992 bei der Beklagten ihren entsprechenden Erstattungsanspruch an. Das lehnte die Beklagte ab, weil sie die Meinung vertrat, die Beigeladene habe einen als Arbeitsunfall geltenden Wegeunfall erlitten.

Die Klage auf Erstattung von 2.383,83 DM an Kosten, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Behandlung der Unfallfolgen der Beigeladenen entstanden sind, hat das SG Mainz abgewiesen (Urteil vom 9. September 1993), weil der Wegeunfall der Beigeladenen gemäß § 550 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) als Arbeitsunfall gelte. Der Einkaufsweg, der nur ein Drittel der Pausenzeit in Anspruch genommen hätte, sei auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts BSG (SozR 2200 § 550 Nr. 28) nicht unverhältnismäßig weit gewesen. Dabei müsse die Zeit des unversicherten Einkaufs im Einkaufsmarkt ebenso unberücksichtigt bleiben, wie die Zeit einer Essenseinnahme im Gasthaus. Die zugelassene (Beschluß des SG vom 26. Januar 1994) Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen (Urteil vom 4. Mai 1994). Die Beigeladene habe auf dem unfallbringenden Rückweg vom Einkaufsmarkt unter Versicherungsschutz gestanden und dabei einen Arbeitsunfall erlitten, weil sie in einer Arbeitspause Lebensmittel zum alsbaldigen Verzehr gekauft habe. Die Dauer des Vorhabens stehe mit dem Erholungs- und Regenerierungszweck der Arbeitspause schon deswegen nicht in Widerspruch, weil die Beigeladene den Weg auf erholsame Weise zu Fuß zurückgelegt habe. Dem Urteil des 8. Senats des BSG in SozR 2200 § 550 Nr. 28, das es allein auf das Verhältnis von Dauer des Weges zur Dauer der Arbeitspause abstelle und bei danach unverhältnismäßig langer Dauer des Weges den Versicherungsschutz entfallen lasse, sei nicht zu folgen. Stattdessen müsse der Versicherten mit Ricke (Kasseler Komm § 550 RVO Rdnr. 14) ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden, wie sie die Arbeitspause in vernünftigen Grenzen ausgestalten wolle. Das gelte auch, wenn der zurückgelegte Weg den überwiegenden Teil der Pause in Anspruch nehme. Von da aus gesehen habe die Beigeladene auch auf dem unfallbringenden Weg alle Voraussetzungen des Versicherungsschutzes erfüllt.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin, daß das LSG § 550 Abs. 1 RVO verletzt habe. Unter diese Vorschrift fielen nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 12, 254) zwar auch solche Wege, die der Beschäftigte während einer Arbeitspause unternehme, um sich die zur Weiterarbeit erforderliche Erholung und Stärkung außerhalb der Arbeitsstätte zu verschaffen.

Damit sei anerkannt worden, daß derjenige, der sich Nahrungsmittel oder Erfrischungen zum alsbaldigen Verzehr besorge, einen den Versicherungsschutz bewirkenden Zweck verfolge, weil solche Dinge dazu dienten, ein die Weiterarbeit erschwerendes oder gar verhinderndes Hunger- oder Durstgefühl zu überwinden. Von dieser Rechtsprechung habe sich auch der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 26. April 1977 (SozR 2200 § 550 Nr. 28) leiten lassen. Er habe aber zudem darauf abgestellt, daß die Arbeitspause in erster Linie der Erholung des Versicherten und der Regenerierung seiner Kräfte für die noch bevorstehende Betriebstätigkeit dienen solle. Weil es diesem Zweck widerspräche, wenn die betreffenden Wege den überwiegenden Teil der Pause in Anspruch nähmen, könne für solche, im Verhältnis zur Dauer der Arbeitspause unangemessen weiten Wege nicht mehr der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit wesentlich sein. Insoweit entfalle auch der Unfallversicherungsschutz. Letzteres treffe im Falle der Beigeladenen zu. Sie habe zumindest den überwiegenden Teil ihrer Arbeitspause zur Schonung ihres Geldbeutels, d.h. aus rein eigenwirtschaftlichen Gründen, dazu benutzt, einen Lebensmitteleinkauf in einem Supermarkt zu tätigen, der auch im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 53, 139) unverhältnismäßig weit vom Beschäftigungsbetrieb, nämlich nach dem Stadtplan mindestens einen Kilometer entfernt gewesen sei. Deshalb habe sie auch damit rechnen müssen, dadurch mehr als die Hälfte ihrer Arbeitspause zweckwidrig zu verbringen. Versicherungsschutz habe somit nicht bestanden.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Betrag von 2.383,83 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Urteile im Ergebnis für zutreffend. Der vom LSG festgestellte Sachverhalt gebe auch keine Veranlassung, von der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG abzuweichen. Der Beigeladenen habe es freigestanden, in dem Geschäft ihrer Wahl Lebensmittel zum alsbaldigen Verzehr einzukaufen. Der Fußweg von 10 Minuten Dauer sei dazu auch in einer einstündigen Arbeitspause weder unverhältnismäßig weit noch unverhältnismäßig zeitaufwendig gewesen. Auf die Dauer des Aufenthaltes im Geschäft könne es nicht ankommen.

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das LSG hat die zulässige Berufung zu Recht zurückgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Rückerstattung derjenigen Sozialleistungen, die sie der Beigeladenen bzw. der Beklagten wegen der Folgen des Unfalles der Beigeladenen am 6. Februar 1991 erbracht bzw. erstattet hat (§§ 105 und 112 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch SGB X). Denn dieser Unfall der Beigeladenen ist ein Arbeitsunfall gemäß § 550 Abs. 1 RVO gewesen, für dessen Entschädigung die Klägerin die zuständige Leistungsträgerin ist. Dem steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, die Bindungswirkung des der Beigeladenen erteilten Ablehnungsbescheides vom 25. Februar 1992, die im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen eingetreten ist, nicht entgegen (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 25).

Nach § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Wertung), und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit, das betrifft die Betriebstätigkeit, das Beschäftigungsverhältnis und den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 und § 550 Abs. 1 RVO), bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 97 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Weg, auf dem die Beigeladene verunglückte, stand rechtlich wesentlich im inneren Zusammenhang mit ihrer Betriebstätigkeit. Maßgebend ist die Handlungstendenz, mit der der Versicherte diese Wege zurückgelegt, und zwar so, wie sie durch die objektiven Umstände des Einzelfalles ihre Bestätigung findet (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 4 m.w.N.).

Das LSG hat für den Senat bindend festgestellt (§ 163 Sozialgerichtsgesetz SGG), daß die Beigeladene in ihrem Beschäftigungsbetrieb als kaufmännische Angestellte eine sitzende Tätigkeit zu verrichten hatte. Am Unfalltag nutzte sie die betriebliche Mittagspause von 12.00 bis 13.00 Uhr, um einen ihr zur Erholung günstig erscheinenden Fußmarsch zu unternehmen und Lebensmittel einzukaufen. Es handelte sich um Hüttenkäse, Schnittkäse, Butter und Brot, die sie noch am Unfalltag sowie am folgenden Tag in ihrem Beschäftigungsbetrieb verzehren wollte. Die einfache zu Fuß bis zum Einkaufsmarkt zurückzulegende Strecke nahm etwa 10 Minuten in Anspruch, wie lange der Aufenthalt im Einkaufsmarkt dauerte – die Beigeladene gab einmal 15, ein andermal sogar 25 Minuten an –, hat das LSG als rechtlich unerheblich dahinstehen lassen. Auf dem Rückweg vom Einkaufsmarkt zu ihrer Arbeitsstätte stolperte sie in der Bahnhofstraße ihres Beschäftigungsortes über einen Pflasterstein und stürzte zu Boden.

Entscheidend ist, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 6. Dezember 1989 (SozR 2200 § 548 Nr. 97) ausgeführt hat, daß die hier zu beurteilende unfallbringende Handlung der Beigeladenen sachlich durch zwei voneinander zu unterscheidende Beziehungen mit ihrer Betriebstätigkeit und ihrem Beschäftigungsverhältnis verknüpft ist. Die Beigeladene legte zum einen einen Weg zurück, der in seinem Ausgangspunkt durch die Notwendigkeit geprägt war, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort ihre betrieblichen Tätigkeiten zu verrichten. Indessen war der Endpunkt des Weges zum anderen ein Einkaufsmarkt, in dem die Beigeladene Lebensmittel eingekauft hatte. Das ist in der Regel ein eigenwirtschaftliches Ziel; auf Wegen zu und von solchen Zielen besteht kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn solche Wege zum Ort einer Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verzehr und zurück zum Ort der Tätigkeit führen. Nach ständiger Rechtsprechung ist Essen ebenso wie Trinken während der Arbeitszeit (Arbeitsschicht) im Gegensatz zu bloßen Vorbereitungshandlungen vor der Arbeit dadurch gekennzeichnet, daß beides regelmäßig unaufschiebbare, notwendige Handlungen sind, um die Arbeitskraft des Versicherten zu erhalten und es ihm damit mittelbar zu ermöglichen, die betriebliche Tätigkeit fortzusetzen. Wege, die vom Beschäftigungsbetrieb aus zum Zwecke der Nahrungsaufnahme, z.B. in einer Gaststätte, oder zum Einkauf von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verzehr, und zurück zum Ort der Tätigkeit unternommen werden, sind zusätzlich wesentlich von diesem mittelbar betriebsbezogenen Handlungsziel bestimmt. Das letztgenannte notwendige Handlungsziel und damit die Betriebsbedingtheit der Wege zur Nahrungsaufnahme außerhalb der Betriebsstätte sowie zum Einkauf von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verzehr auf der Betriebsstätte bewirken nach ständiger Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts und des BSG den wesentlichen inneren Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem nach oder vom Lebensmitteleinkauf unternommenen Weg. Deshalb besteht auf solchen Wegen Unfallversicherungsschutz nach § 550 Abs. 1 RVO (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 97 m.w.N.). Dies ist – ebenso wie das Aufsuchen einer Gaststätte – entgegen der Auffassung der Revision nicht davon abhängig, daß das nächstgelegene Lebensmittelgeschäft aufgesucht wird. Ist allerdings die zurückgelegte Wegstrecke gemessen an dem angeblichen Handlungsziel unverhältnismäßig weit oder anstrengend, dann kann das – wiederum wie bei der Nahrungsaufnahme in einer Gaststätte während der Arbeitspause – für ein anderes, eigenständiges, eigenwirtschaftliches, nicht mittelbar betriebsbezogenes Handlungsziel sprechen, das die erforderliche Handlungstendenz zur alsbaldigen Nahrungsaufnahme eher als unwesentlich in den Hintergrund drängt (s BSG Urteil vom 29. November 1963 – 2 RU 239/62 – SozR Nr. 47 zu § 543 RVO aF; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 486k). In diesem Sinne stimmt der Senat dem Urteil des früheren 8. Senats des BSG vom 26. April 1977 (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 28) zu. Auf der anderen Seite ist auch Brackmann beizupflichten (a.a.O. S. 486k), daß das Kriterium des Verhältnisses von Weg und Dauer der Arbeitspause kein absolutes sein kann, weil diese Zeitdauer oft unterschiedlich ist und dem Versicherten nicht allgemein – mit versicherungsrechtlichen Auswirkungen – vorgeschrieben werden kann, wie er die zu seiner freien Verfügung stehende Arbeitspause einzuteilen hat. Die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen zeigen jedenfalls für den Teil der Lebensmittel, der zum alsbaldigen Verzehr am Unfalltag in dem Beschäftigungsbetrieb bestimmt war, den inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit. Der Fußmarsch von zweimal etwa 10 Minuten Dauer war subjektiv und objektiv geeignet, der Erhaltung der Arbeitskraft der Versicherten zu dienen. Auch rechtfertigt es die zeitliche Inanspruchnahme des Geschäfts in dem Einkaufsmarkt nicht, den inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit im Beschäftigungsbetrieb auszuschließen, seien es 15 oder auch 25 Minuten gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 610425

BB 1995, 1752

NJW 1995, 2942

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