Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.02.1994; Aktenzeichen L 3 U 153/91)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Februar 1994 wird insoweit als unzulässig verworfen, als sie die Ansprüche auf Sterbegeld und Überbrückungshilfe betrifft. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ihres verstorbenen Ehemannes (Versicherter) zusteht.

Der Versicherte war seit dem Jahre 1950 in einer Keramikfabrik beschäftigt, zunächst als Steinzeugdreher und vom Jahre 1971 ab in der Formgießerei für Gips. Im Dezember 1974 lehnte es die Beklagte ab, ihm wegen einer im Jahre 1974 festgestellten Silikose knapp 2. Grades ohne funktionelle Auswirkungen Entschädigung zu gewähren, weil ohne funktionelle Einschränkungen von Atmung und Kreislauf noch keine Berufskrankheit (BK) vorliege.

Wegen eines Bronchialkarzinoms mußte sich der Versicherte im Jahre 1984 einer Thorakotomie (Eröffnung der Brusthöhle) rechts mit Lobektomie (Entfernung eines Lungenlappens) unterziehen. Als der medizinische Gutachter Dr. K … wegen der Lokalisation des Karzinoms einen Ursachenzusammenhang mit den silikotischen Veränderungen verneinte (arbeitsmedizinisches Gutachten vom 15. Oktober 1984), lehnte die Beklagte es erneut ab, die Silikose zu entschädigen (Bescheid vom 25. Januar 1985).

Am 29. Juni 1985 verstarb der Versicherte. Es wurde eine Obduktion durchgeführt, als deren Ergebnis ein zentrales Herzkreislaufversagen bei ausgedehnten Hirnmetastasen eines anaplastischen Bronchuskarzinoms als Todesursache festgestellt wurde. Dr. … L … vertrat in seinem pathologisch-anatomischen Gutachten vom 4. Oktober 1985 die Meinung, es habe sich um eine schicksalhafte Erkrankung ohne Beziehung zu den silikotischen Staubeinlagerungen in der Lunge gehandelt.

Die Beklagte lehnte es in einem ersten, inzwischen abgeschlossenen Verfahren ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Witwenrente, Überbrückungshilfe und Sterbegeld) zu gewähren (Bescheid vom 28. Oktober 1985). Als die Klägerin im Widerspruchsverfahren geltend machte, das Krebsleiden des Versicherten sei durch beruflichen Umgang mit Asbestpulver entstanden, ermittelte die Beklagte bei der Beschäftigungsfirma und dem Pulverhersteller, daß der Versicherte in geringen Mengen der Asbesteinwirkung ausgesetzt gewesen war. Aufgrund des Ergebnisses seiner histologischen Untersuchung stellte Prof. Dr. O … in einer pathologisch-anatomischen Stellungnahme vom 25. August 1986 fest, daß bei dem Versicherten keine Asbestose, auch nicht im Sinne einer Minimalasbestose, nachweisbar sei. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1986).

Während des sich anschließenden, rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreits erkannte die Beklagte aufgrund eigener Ermittlungen (internistisches Gutachten vom 21. November 1988 durch Prof. Dr. W … und Dr. St …) mit Bescheid vom 13. Juni 1989 an, daß der Versicherte an einer Silikose als BK iS der Nr 4101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 29. Juni 1985 gelitten hatte.

Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Koblenz vom 9. Mai 1988 – S 6 U 26/87 – und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 1989 – L 3 U 81/88 –). In seinem rechtskräftigen Urteil hatte das LSG entschieden, das Bronchialkarzinom des Versicherten sei nicht durch seine Silikose verursacht worden. Auch habe keine Asbestose vorgelegen. Ebensowenig gebe es neue Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Bronchialkarzinom und Asbesteinwirkungen bestehe, ohne daß sich eine Asbestose gebildet habe.

Im Oktober 1989 beantragte die Klägerin eine erneute Überprüfung ihres Anspruchs auf Hinterbliebenenleistungen gemäß § 44 Abs 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Das lehnte die Beklagte ab, weil sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben hätten (in diesem Rechtsstreit angefochtener Bescheid vom 22. Dezember 1989, Widerspruchsbescheid vom 30. November 1990).

Klage und Berufung haben ebenfalls keinen Erfolg gehabt (Urteile des SG Koblenz vom 2. Oktober 1991 und des LSG Rheinland-Pfalz vom 23. Februar 1994). Das LSG hat ausgeführt, die Berufung sei unzulässig, soweit sie die Ansprüche auf die einmalige Leistung des Sterbegeldes und auf die Überbrückungshilfe als wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen betreffe (§ 144 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege ≪RPflEG≫ vom 11. Januar 1993 ≪BGBl I 50≫ am 1. März 1993 geltenden Fassung ≪SGG aF≫, die insoweit gemäß Art 14 Abs 1 Satz 1 RPflEG anzuwenden sei, weil die mündliche Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil des SG ergangen sei, vor dem 1. März 1993 geschlossen worden sei). Im übrigen erweise sich die Berufung als unbegründet. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Silikose und dem Lungenkrebsleiden sei nicht wahrscheinlich, auch nicht auf dem Wege über den Spontanpneumothorax, der nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Silikose aufgetreten sei. Das Gesamtergebnis des Verfahrens lasse im übrigen nicht die Feststellung zu, daß die Silikose und ihre Folgen eine MdE von wenigstens 50 vH iS der Voraussetzungen des § 589 Abs 2 RVO hervorgerufen hätten. Hinsichtlich der Voraussetzungen der BK Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO in der bis zum Inkrafttreten der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2343 ≪2. ÄndVO≫) geltenden Fassung habe die Klägerin nichts Neues vorgetragen. Für die Feststellung einer Asbestose iS der BK Nr 4104 sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das Ergebnis der histologischen Untersuchung maßgebend (BSG Urteil vom 6. April 1989 – 2 RU 55/88 –). Von einer elektronenmikroskopischen Untersuchung, wie sie die Klägerin fordere, seien im übrigen nach den Ausführungen von Prof. Dr. O keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten. Auf die BKVO idF der 2. ÄndVO könne die Klägerin ihren Anspruch ebensowenig stützen. Sowohl die Anerkennung einer BK iS der Nr 4104 Variante 3 (Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren) als auch eine darauf ausgerichtete Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO seien nach der begrenzten Rückwirkungsvorschrift des Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO ausgeschlossen, weil der Versicherungsfall nicht nach dem 31. März 1988 eingetreten sei.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin, das LSG habe formelles und materielles Recht verletzt. Ihr stünden die geltend gemachten Ansprüche zu. Das Übereinkommen Nr 121 der Internationalen Arbeitskonferenz (IAO) über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vom 8. Juli 1964 führe in der im Jahre 1980 abgeänderten Tabelle I., Liste der Berufskrankheiten, unter Nr 28 „Lungenkrebs oder Mesotheliom, verursacht durch Asbest” auf. Danach müsse Asbestlungenkrebs nicht zusätzlich mit einer Asbestose verknüpft sein. Bei dem Versicherten habe somit bereits eine BK iS der Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO vorgelegen, denn asbestbedingter Lungenkrebs sei die schlimmste Form einer Asbeststaublungenerkrankung. Außerdem sei seine Krankheit wie eine BK gemäß § 551 Abs 2 RVO zu entschädigen gewesen. Bereits nach dem Erkenntnisstand der IAO im Jahre 1980, der vor Eintritt des Versicherungsfalls vorhanden gewesen und einfachrechtlich über § 551 Abs 2 RVO und § 2 Abs 2 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) umzusetzen sei, erfülle die massive Asbestexposition des Versicherten die später aufgenommenen Voraussetzungen der Nr 4104 Variante 3 der BKVO idF der 2. ÄndVO. Die Rückwirkungsvorschrift des Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO stehe dem nicht entgegen, da sie iS der Rechtsprechung des BSG nicht ausreichend weit in die Vergangenheit reiche und es außerdem rechtlich unzulässig sei, ein formelles Gesetz mit schwächerem Verordnungsrecht einzuschränken.

Die Feststellung des LSG, daß nur eine Gesamtbelastung des Versicherten von 22,7 Faserjahren bestanden habe, sei verfahrensfehlerhaft zustandegekommen. Zu Unrecht sei das LSG insoweit nicht seinem Beweisantrag gefolgt, von Amts wegen das Gutachten eines Asbeststaubphysikers einzuholen.

Das LSG habe auch verfahrensfehlerhaft festgestellt, daß die Silikose des Versicherten nicht im Zusammenhang mit dem Pneumothorax stehe. Genau das aber stehe in dem Entlassungsbericht des Krankenhauses … M … in K … vom 7. September 1978, den das LSG entgegen ihrem Beweisantrag zu Unrecht nicht beigezogen habe. Dieser Entlassungsbericht hätte das LSG auch gedrängt, das von ihr beantragte medizinische Sachverständigengutachten mit elektronenmikroskopischer Auswertung zur Frage einer MdE von 50 vH wegen der hochgradigen Silikose in Verbindung mit dem Pneumothorax einzuholen. Schließlich bedeute die Ablehnung der beantragten Entschädigung einen Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz (GG), verletzte den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Regeln eines fairen Prozesses iS des Art 6 der Menschenrechtskonvention von der Dauer des Verfahrens her und der Duldung der berufsgenossenschaftlichen Einflußnahme auf den Verordnungsgeber der BKVO.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz vom 23.02.1994, Az. L 3 U 153/92 sowie unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts vom 02.10.1991, Az. S 6 U 358/90 und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 22.12.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.1990 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Rücknahme des Bescheides vom 28.10.1985 in Form des Widerspruchsbescheides vom 15.12.1986 Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Hinterbliebenenrente zu gewähren; hilfsweise, die Sache zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unzulässig, soweit sie die Ansprüche auf Sterbegeld und Überbrückungshilfe betrifft.

Das LSG hat über diese Ansprüche nicht in der Sache entschieden, sondern die vom SG nicht zugelassene Berufung insoweit gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 SGG aF als unzulässig verworfen. Die Revision hat sich mit dieser grundsätzlich zutreffenden prozessualen Auffassung des LSG nicht auseinandergesetzt. Sie hat nur Aufklärungsfehler des LSG gerügt. Zulassungsgründe, insbesondere einen von der Klägerin vor dem LSG gerügten wesentlichen Mangel des Verfahrens des SG (§ 150 Nr 2 SGG aF), hat die Revision damit nicht geltend gemacht. Aus der Revisionsbegründung läßt sich die Zulässigkeit einer Berufung gemäß § 150 SGG aF nicht herleiten. Der Senat ist deshalb ebenfalls daran gehindert, insoweit in der Sache zu entscheiden (BSG SozR 1500 § 164 Nr 20).

Im übrigen ist die Revision unbegründet.

Witwenrente steht der Klägerin ebenfalls nicht zu. Ihren Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen hat die Beklagte bindend, bestätigt durch das rechtskräftige Urteil des LSG vom 28. Juni 1989, abgelehnt. Der dagegen gerichtete Rücknahmeanspruch gemäß § 44 Abs 1 SGB X ist unbegründet, wie SG und LSG zu Recht entschieden haben. Das folgt aus dem oa rechtskräftigen Urteil des LSG, gegen das die Klägerin keine Gründe vorgetragen hat, die tatsächlich geeignet sind, die Unrichtigkeit des bindenden Ablehnungsbescheides darzutun (BSGE 63, 33, 34; s auch KassKomm-Steinwedel § 44 SGB X RdNr 34; Wiesner in Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 2. Aufl 1990, Anm 5 zu § 44). Das LSG hat in Auseinandersetzung mit den von der Klägerin vorgetragenen Rücknahmegründen erneut festgestellt, daß der Versicherte weder an einer BK verstorben (§ 589 Abs 1 RVO) noch seine Erwerbsfähigkeit durch die Folgen einer BK um 50 oder mehr vom Hundert gemindert war (§ 589 Abs 2 RVO). An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, weil die Revision dagegen keine begründeten Verfahrensrügen vorgebracht hat (§ 163 SGG). Das LSG hat aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens und unter Berufung auf sein rechtskräftiges Urteil vom 28. Juni 1989 gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG seine Beweiswürdigung dahin vorgenommen, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen der Silikose und ihren Folgen einerseits und dem Lungenkrebsleiden andererseits selbst unter Berücksichtigung des Spontanpneumothorax nicht wahrscheinlich ist. Außerdem hat das LSG festgestellt, daß die silikosebedingte MdE des Versicherten auch dann keinen Grad von wenigstens 50 vH erreicht hätte, wenn man die Folgen des Pneumothorax mitberücksichtigen würde. Die Revision hat dazu nicht dargelegt, daß und in welcher Weise das LSG die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung verletzt hat. Soweit sie dem LSG eine Verletzung des § 103 SGG vorwirft, weil es dem Beweisantrag nicht gefolgt ist, „von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten (mit elektronenmikroskopischer Auswertung) zur Frage einer MdE von 50 % wegen der hochgradigen Silikose in Verbindung mit dem Pneumothorax zum Beweis der gesetzlichen Vermutung des § 589 Abs 2 RVO einzuholen”, ist diese Rüge unbegründet. Das LSG hat sich rechtsfehlerfrei darauf berufen, daß der Sachverhalt insoweit durch das medizinische Gutachten des Dr. K … vom Februar 1979 und die medizinische Stellungnahme des Prof. Dr. W … vom November 1988 ausreichend aufgeklärt sei. Ein Zusammenhang zwischen der Silikose und dem Spontanpneumothorax käme nach dem Gutachten des Dr. K … vom Februar 1979 nur in Betracht, wenn die Silikose zu einer zugatrophischen Emphysembildung geführt hätte und eine dadurch hervorgerufene Emphysemblase geplatzt wäre. Dagegen sprächen jedoch die zahlreichen Röntgenbilder. Eine MdE von wenigstens 50 vH kann nach der Meinung des LSG selbst dann nicht erreicht werden, wenn man die Folgen des Pneumothorax mitberücksichtigen würde, weil auch nach der dahingehenden, vom LSG abgelehnten Ansicht des Prof. Dr. C … die berufskrankheitsbedingte MdE dann nur 25 vH betragen würde und keinerlei tatsächlichen Anhaltspunkte von der Klägerin vorgetragen worden seien oder sonst vorlägen, daß die MdE wegen der Silikose als BK wenigstens 50 vH betragen könne.

Das LSG hat auch begründet, warum es dem weiteren Beweisantrag der Klägerin nicht gefolgt ist und den Entlassungsbericht des Krankenhauses … … M … in K … vom 7. September 1978 nicht beigezogen hat. Dieser Bericht habe dem medizinischen Gutachter Dr. K … vorgelegen und sei von ihm im Gutachten vom Februar 1979 berücksichtigt worden (Bl 245 VA). Selbst wenn darin nach den Behauptungen der Revision ein Zusammenhang des Pneumothorax mit der Silikose bejaht war, konnte das nach der dargelegten Rechtsauffassung des LSG kein Grund sein, die bisher gewonnene MdE-Beurteilung in entscheidendem Umfange in Frage zu stellen. Damit hat das LSG seine Pflichten aus § 103 SGG nicht verletzt.

Entschädigungsansprüche nach § 551 Abs 1 RVO stehen der Klägerin nicht zu, wie das LSG zutreffend entschieden hat.

„Lungenkrebs bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren” als Variante 3 der Nr 4104 darf erst aufgrund der 2. ÄndVO als BK anerkannt werden. In die vorausgegangene Anlage 1 zur BKVO idF der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl I 400 ≪1. ÄndVO≫) war die BK-Variante noch nicht aufgenommen. Für neu in die Anlage 1 zur BKVO aufgenommene Krankheiten bestimmt Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO ausdrücklich, daß nur dann eine BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist. Das trifft im vorliegenden Falle nicht zu, weil der Versicherte bereits vor dem 31. März 1988 an dem Lungenkrebs litt (s hierzu auch BSG SozR 2200 § 551 Nr 35, BSG Urteil vom 25. August 1994 – 2 RU 42/93 – zur Veröffentlichung bestimmt und den Beteiligten vorab zur Kenntnis gegeben; Eilebrecht BG 1993, 187 ff, 193). In der zeitlich begrenzten Rückwirkung liegt kein Verstoß gegen die Art 3 und 20 GG (s zuletzt das Urteil des Senats vom 19. Januar 1995 – 2 RU 20/94 – mwN).

Das gilt insbesondere für die Frage, ob der Verordnungsgeber die Anspruchsberechtigung im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten auf ausreichend weit in der Vergangenheit liegende Versicherungsfälle erstreckt hat (BSGE 72, 303, 306). Aus der amtlichen Begründung zu Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO ergibt sich, daß der Verordnungsgeber diese Frage geprüft und die Rückwirkung aus sachlichen Gründen auf den Tag des Inkrafttretens der BKVO idF der 1. ÄndVO begrenzt hat. Er sah sich an der Anerkennung von Versicherungsfällen vor dem 1. April 1988 auf dem Wege der Rückverlegung des Stichtages in die weitere Vergangenheit gehindert, weil der damalige Verordnungsgeber sich bei der Vorbereitung der 1. ÄndVO ua intensiv „mit der möglichen Ausweitung bei Lungenkrebs nach Asbestexposition (Faserjahrmodell) befaßt” und die Anerkennung einer solchen BK ausdrücklich abgelehnt hatte (BR-Drucks 773/92 S 15 zu Art 2). Nach der Einschätzung des Verordnungsgebers haben danach die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse erst nach dem Inkrafttreten der vorausgegangenen ÄndVO vorgelegen. Auf diesen Zeitraum hat er auch die Rückwirkung erstreckt. Das ist ein sachlich begründeter, ausreichender Rückwirkungszeitraum.

Dem steht die von der Revision vorgelegte Liste der BKen, abgeändert (1980), Tabelle I des Übereinkommens Nr 121 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 8. Juli 1964 über Leistungen bei Arbeitsunfällen und BKen (s Zustimmungs- und Veröffentlichungs-Gesetz vom 29. Oktober 1971 – BGBl 1971 II 1169 –) nicht entgegen. Zu Recht beruft sich die Beklagte darauf, daß die Bestimmungen dieses Abkommens zu ihrer Anwendung auf den Einzelfall in innerstaatliches Recht übernommen werden müssen (s Art 8 Buchst a des Übereinkommens). Der Text der Nr 28 der im Jahre 1980 abgeänderten Liste der BKen des Übereinkommens Nr 121: „Lungenkrebs oder Mesotheliom, verursacht durch Asbest” spricht zudem lediglich diejenige Lungenkrebserkrankung an, die durch Asbest verursacht worden ist. Welche tatsächlichen Voraussetzungen dafür nach dem jeweils neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse erfüllt sein müssen, wird darin nicht ausgedrückt. Auch das festzulegen, bleibt dem jeweiligen innerstaatlichen Gesetzgeber überlassen.

Weiterhin zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Erkrankung des Versicherten an einem Bronchialkarzinom auch unter dem Gesichtspunkt der medizinischen Erkenntnisse, die zur Neuaufnahme der Nr 4104 Variante 3 in die Anlage 1 zur BKVO durch die 2. ÄndVO geführt haben, keine Krankheit gewesen ist, die die Träger der Unfallversicherung etwa unbeschadet dessen oder trotz des Ausschlusses gemäß Art 2 Abs 2 der 2. ÄndVO nach § 551 Abs 2 RVO wie eine BK entschädigen dürfen. Der Senat hat bereits entschieden, daß diese Ausschlußbestimmung auch den Versicherungsschutz nach § 551 Abs 2 RVO erfaßt. Sie schließt es aus, daß der Träger der Unfallversicherung, in Versicherungsfällen, die vor dem Stichtag eingetreten sind, nach § 551 Abs 2 RVO tätig wird. Mit dieser Entscheidung des Verordnungsgebers ist es dem Unfallversicherungsträger untersagt, in dem Einzelfalle festzustellen, daß die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt sind und die Krankheit nach neuen medizinischen Erkenntnissen wie eine BK zu entschädigen ist. Auch das ist der Zweck dieser begrenzten Rückwirkungsbestimmung (Urteil vom 25. August 1994 – 2 RU 42/93 -mwN aaO). Damit greift der Verordnungsgeber nicht etwa in einen unabhängig von seinen Entscheidungen nach § 551 Abs 1 RVO begründeten Rechtsanspruch auf Entschädigung ein. Denn der betreffende Entschädigungsanspruch des Erkrankten kann erst dann entstehen, wenn gemäß § 551 Abs 2 RVO festgestellt worden ist, daß nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 551 Abs 1 Satz 3 RVO erfüllt sind. Der Eingriff des Verordnungsgebers erfolgt vielmehr nur in einem begrenzten Anspruch des Erkrankten gegen den Träger der Unfallversicherung auf ein Tätigwerden iS des § 551 Abs 2 RVO, während und solange es der Verordnungsgeber an einer entsprechenden Entscheidung fehlen läßt. Diese Gesamtregelung des § 551 Abs 1 und 2 RVO kann weder als Verletzung des Vorrangs eines Gesetzes noch des Prinzips der Gewaltenteilung gewertet werden (BSG Urteil vom 25. August 1994 – 2 RU 42/93 – zur Veröffentlichung bestimmt). Daran hält der Senat auch nach erneuter Prüfung fest.

Das LSG hat es dementsprechend zu Recht und ohne Verletzung des § 103 SGG abgelehnt, zur Höhe der berufsbedingten Asbestbelastung das Gutachten eines „Asbeststaubphysikers” einzuholen, weil es nicht entscheidungserheblich ist, ob die Krankheit des Versicherten die Voraussetzungen der Nr 4104 Variante 3 der Anlage 1 zur BKVO idF der 2. ÄndVO erfüllt hat oder nicht.

Verfahrensfehler des LSG durch Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör und des Grundsatzes eines fairen Prozesses iS des § 6 der Menschenrechtskonvention hat die Revision nicht schlüssig vorgetragen.

Ebensowenig nachvollziehbar für Schlußfolgerungen auf die Rechtswirksamkeit der BKVO sind die Angriffe der Revision auf das Verhalten der Berufsgenossenschaften bei der Fortentwicklung der BK-Liste.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173521

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