Beteiligte

6. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V.

7. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V.

1. Kassenärztliche Vereinigung Rheinhessen

2. AOK – Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz

3. BKK-Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland

4. Innungskrankenkasse Rheinland-Pfalz

5. Landwirtschaftliche Krankenkasse Rheinland-Pfalz

Beschwerdeausschuß bei der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinhessen

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 18. Februar 1998 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beklagten seine außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig sind Honorarkürzungen in den Quartalen I und II/1996.

Die Klägerin ist als Ärztin für Augenheilkunde niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Der Prüfungsausschuß kürzte ihre Honoraranforderungen für die Quartale I und II/1996 um 80.340,6 Punkte und um 74.067,2 Punkte (Bescheide vom 24. Juli und 11. Oktober 1996) und damit im Ergebnis um weniger als 10 % des Gesamthonorars. In den Bescheiden ist ausgeführt, die Leistungsmengen seien nach dem am 1. Januar 1996 erfolgten Inkrafttreten der Neufassungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) sowie des Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (BMÄ) und der Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) in weiten Bereichen erheblich gesteigert worden. Für die daher gebotene Wirtschaftlichkeitsprüfung sei der Vergleich mit den Durchschnittswerten der Fachgruppe wegen der allgemeinen Mengensteigerungen nicht geeignet. Deshalb seien die Abrechnungswerte der Klägerin für die Quartale I und II/1996 mit ihren Durchschnittswerten des Jahres 1995 bei denjenigen Gebühren-Nrn verglichen worden, deren Tatbestände im wesentlichen identisch geblieben seien. Insoweit seien bei der Klägerin erhebliche Leistungsvermehrungen festzustellen, die die Honorarkürzungen rechtfertigten.

Mit ihren Widersprüchen machte die Klägerin geltend, die häufigere Abrechnung vor allem der Geb-Nrn 1215 bis 1223 beruhe darauf, daß sie sich seit 1996 verstärkt ihrem Spezialgebiet, der Sehschule, widme. Die sehr langen Wartezeiten habe sie abgebaut. Dadurch seien deutlich mehr Patienten in ihre Praxis gekommen, die ihr teilweise von Kinderärzten, Augenärzten, Neurologen und Optikern überwiesen bzw zugewiesen worden seien und teilweise von selbst ohne Überweisung ihre Praxis aufgesucht hätten.

Ihre Widersprüche wies der beklagte Beschwerdeausschuß im wesentlichen zurück (Bescheide vom 6. Mai und 25. September 1997). Lediglich die Kürzung der Geb-Nrn 1224 und 1226 im Quartal I/1996 hob er auf und ermäßigte dementsprechend die Honorarkürzung auf 79.032,3 Punkte. Die verbliebenen Kürzungen betrafen die Geb-Nrn 25+32, 1213, 1215, 1218, 1219, 1220, 1222, 1251, 1257, die der Beklagte mit dem Aufwandsdurchschnitt bei den 1995er Geb-Nrn 22+23+25+32, 1213, 1215, 1218, 1219, 1220, 1222, 1251, 1257 verglichen hatte.

In den Bescheiden ist zur Begründung der Honorarkürzungen unter Berufung auf § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dargelegt, daß der insgesamt ca 35 %ige Leistungsmengenzuwachs eine Wirtschaftlichkeitsprüfung im Wege des statistischen Vergleichs nach Durchschnittswerten unmöglich gemacht habe. Deshalb seien im Wege des sog Vertikalvergleichs die Honoraranforderungen der Klägerin für die Quartale I und II/1996 mit ihren Honoraren für 1995 verglichen worden, wobei nur diejenigen Gebühren-Nummern ihres Leistungsspektrums berücksichtigt worden seien, deren Tatbestände weitgehend identisch geblieben und nicht budgetiert seien. Entsprechend dem BSG-Urteil vom 30. November 1994 (BSGE 75, 220 = SozR 3-2500 § 106 Nr 24) seien Kriterien wie Streubreite, Übergangszone und offensichtliches Mißverhältnis nicht einschlägig, vielmehr sei jegliche Überschreitung des eigenen früheren Durchschnitts als unwirtschaftlich zu werten. Demgemäß seien die Honoraranforderungen der Klägerin bei den zu berücksichtigenden Vergütungstatbeständen grundsätzlich auf das durchschnittliche Abrechnungsvolumen des Jahres 1995 zu kürzen. Trotzdem würden ihr Überschreitungen um 10.000 Punkte je Quartal zugebilligt, vor allem um möglichen Schwankungen in der Patienten- und/oder Behandlungsstruktur – insbesondere bei den seltener abgerechneten Geb-Nrn 25, 32, 1219, 1222 BMÄ/E-GO – Rechnung zu tragen. Ihrem Vorbringen, der Mengenzuwachs bei bestimmten Geb-Nrn beruhe auf vermehrter Tätigkeit in ihrer Sehschule, könne nicht gefolgt werden. Allein medizinische Indikationen und nicht freie Kapazitäten könnten Mengenausweitungen rechtfertigen. Nicht plausibel sei der geringe Anteil der Geb-Nr 1219 und der hohe der Geb-Nr 1218 BMÄ/E-GO. Ebensowenig nachvollziehbar sei der Anstieg bei den Geb-Nrn 1220, 1251 und 1257. Die Leistungen würden häufig der Diagnose nicht gerecht. Soweit die freigewordenen zeitlichen Kapazitäten der Klägerin darauf beruhten, daß sie zeitaufwendige Leistungen, die mit der Ordinationsgebühr abgegolten würden, nicht mehr erbringe, sei dies als unwirtschaftlich zu beanstanden.

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat die Bescheide des Beklagten aufgehoben. In dem Urteil vom 18. Februar 1998 ist ausgeführt, daß die vom Beklagten vorgenommene Vertikalprüfung eine mengenbegrenzende Maßnahme sei, die nicht in die Zuständigkeit der Prüfgremien, sondern in die der zu 1) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) falle. In allen KÄV-Bezirken seien die Punktzahlanforderungen der Vertragsärzte in den Quartalen I und II/1996 gegenüber dem Vorjahr stark angestiegen mit der Folge eines für zahlreiche Praxen existenzbedrohenden Punktwertabfalls. Das Abrechnungsvolumen im Bereich der Beigeladenen zu 1) sei, ohne daß dies medizinisch-fachlich erklärbar sei, um ca 30 % und speziell bei den Augenärzten um ca 25 % gestiegen. Bei den von 1995 auf 1996 inhaltlich vergleichbaren Geb-Nrn hätten die Steigerungen sogar mehr als 50 % – bis fast 80 % – betragen. Wegen dieser Leistungsmengenausweitungen hätten die KÄVen – außer der Umsetzung der rückwirkenden Teilbudgetierung (vgl hierzu BSGE 81, 86 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18) sowie der Durchführung sachlich-rechnerischer Richtigstellungen und honorarbegrenzender Maßnahmen im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) – auch Plausibilitätskontrollen gemäß § 83 Abs 2 SGB V durchgeführt, und zwar in der Gestalt von Leistungs- und Tagesprofilen sowie von Vertikalvergleichen. Eine Vertikalprüfung eigne sich allerdings nicht für abschließende Schlußfolgerungen über die Wirtschaftlichkeit eines Arztes, jedenfalls dann nicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, der EBM-Ä neugefaßt worden sei, der Vertikalvergleich auf einen kleinen Ausschnitt des Leistungsverhaltens des Arztes beschränkt werde und die Mengensteigerungen bei dem geprüften Arzt geringer als sonst im Durchschnitt der Arztgruppe seien. Im übrigen sei ein Vergleich mit eigenen früheren Abrechnungswerten auch deshalb verfehlt, weil dadurch Ärzte mit schon bisher großem Abrechnungsvolumen nicht betroffen würden, während Ärzten mit geringem Abrechnungsvolumen die Entwicklung beschnitten werde. Eine Rechtfertigung des Vertikalvergleichs könne sich nur aus dem Ziel ergeben, den Punktwert zu stabilisieren. Das zeige, daß nur eine mengenbegrenzende Maßnahme vorliege, für die die KÄV zuständig sei. Entgegen dem SG Hamburg (Urteil vom 5. November 1997 - 3 Ka 23/97 -) sei der Vertikalvergleich nicht etwa nur dann der sachlich-rechnerischen Prüfung zuzuordnen, wenn sich die Gebührenordnungen wesentlich geändert hätten und daher eine fehlerhafte Anwendung der Vergütungsregelungen, insbesondere eine nicht vollständige Erfüllung des Leistungsinhalts, wahrscheinlicher sei als eine unwirtschaftliche Leistungserbringung. Mengenbegrenzende Maßnahmen der hier durchgeführten Art gehörten vielmehr generell in die Zuständigkeit der KÄV. Mithin sei der beklagte Beschwerdeausschuß für den Erlaß der Honorarkürzungsbescheide nicht zuständig gewesen.

Mit seiner (Sprung-)Revision rügt der Beklagte, entgegen der Auffassung des SG sei eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V durchgeführt worden und daher seine Zuständigkeit für den Erlaß der Bescheide gegeben. Nachdem die sachlich-rechnerischen Überprüfungen einschließlich Plausibilitätsprüfungen sowie die vorgeschriebenen Abstaffelungen und Budgetierungen vorgenommen worden seien, sei erkennbar gewesen, daß einzelne Leistungen im Vergleich zum Vorjahr 1995 erheblich und medizinisch nicht begründbar vermehrt worden seien. Das Ausmaß der Mengensteigerung begründe den Verdacht der Unwirtschaftlichkeit. Bei den Geb-Nrn, deren Leistungsinhalt mit denen des früheren EBM-Ä im wesentlichen übereinstimme, hätten die Mengensteigerungen in der Gruppe der Augenärzte 50 bis 80 % betragen. Auf diesen Bereich sei der Vertikalvergleich konzentriert worden. Dabei seien nur nicht budgetierte Leistungs-Nrn erfaßt und nur solche Ärzte überprüft worden, die durch Ausweitungen bei den geprüften Geb-Nrn ihr Gesamthonorar um mindestens 6 % gesteigert hätten – bei der Klägerin seien es 10,66 % (I/1996) bzw 9,28 % (II/1996) gewesen – und bei denen keine maßgeblichen Änderungen bei den Krankheitsbildern oder der Patientenstruktur erkennbar gewesen seien. Eine derartige Prüfung von Leistungsvermehrungen erweise sich als Wirtschaftlichkeitsprüfung, für die die Prüfgremien und nicht die KÄVen zuständig seien. Inhaltlich sei der durchgeführte Vertikalvergleich rechtmäßig. Einzelfallprüfungen wären wegen der großen Abrechnungsmenge nicht praktikabel und statistische Vergleiche mit den Durchschnittswerten der Fachgruppe nicht sinnvoll gewesen, weil die gesamte Fachgruppe große Leistungsmengen erbracht habe. Den Vorgaben des BSG (BSGE 75, 220 = SozR 3-2500 § 106 Nr 24) sei auch im übrigen Rechnung getragen worden.

Diesen Ausführungen schließen sich die Beigeladene zu 1) und die zu 3) und 6) beigeladenen Krankenkassenverbände an. Die Beigeladene zu 1) führt ergänzend aus, daß die in die Vertikalprüfung einbezogenen Geb-Nrn aufgrund einer von den Obleuten der jeweiligen Fachgruppe erstellten Liste ausgewählt worden seien. Die Verweisung des SG auf Leistungsbegrenzungsmaßnahmen der KÄVen gehe fehl. Diese könnten Leistungen nicht unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit begrenzen. Der Beigeladene zu 6) weist zusätzlich darauf hin, daß unabhängig davon, ob durch vorsorgliche Regelungen im HVM den Steigerungen des Abrechnungsvolumens hätte begegnet werden können, jedenfalls bei Verdacht der Unwirtschaftlichkeit auch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung möglich sein müsse, notfalls im Wege neu zu entwickelnder Methoden.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 18. Februar 1998 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) beantragt zusätzlich

hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 18. Februar 1998 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen. Sie bestreitet einen Bedarf für Wirtschaftlichkeitsprüfungen in Fällen wie dem ihren. Zahlreiche KÄVen hätten durch HVM-Regelungen, die für jeden Arzt Bemessungsgrenzen in Anknüpfung an seine früheren Abrechnungswerte vorsähen, Steigerungen des Abrechnungsvolumens entgegengewirkt. Wenn die Beigeladene zu 1) keine solche Regelung getroffen habe, sei das ihr Risiko. Ein Auffangen durch Erweiterung der Kompetenzen des Beklagten sei rechtswidrig. Im übrigen könne weder aus der Leistungsvermehrung der Augenärzte um ca 20 % noch aus derjenigen aller Arztgruppen um ca 35 % auf ein unwirtschaftliches Verhalten geschlossen werden. Sie, die Klägerin, habe zudem deutlich weniger Mengensteigerungen als die anderen Ärzte und auch als ihre Fachkollegen aufgewiesen, nämlich nur ca 10 %, und dies auch nur bei den vom Beklagten herausgegriffenen Einzelleistungen. Der Vergleichbarkeit mit Abrechnungswerten des Vorjahres 1995 stehe entgegen, daß der EBM-Ä ein Gesamtkomplex sei, der an vielen Stellen geändert worden sei. Bei ihr – der Klägerin – hätten sich zudem die Verhältnisse geändert, weil sie sich seit dem Beginn des Jahres 1996 verstärkt in der Sehschule einsetze, was gerade die vom Vertikalvergleich erfaßten Geb-Nrn betreffe. So geringe Mengensteigerungen wie bei ihr rechtfertigten Honorarkürzungen jedenfalls nicht. Im übrigen entspreche die Grundstruktur ihrer Praxis durchaus dem typischen Bild der Fachgruppe. Ein Vertikalvergleich lasse sich nicht maßgeblich damit rechtfertigen, daß die Schaffung einer HVM-Bestimmung zur Honorarbegrenzung versäumt worden sei.

Die Beigeladenen zu 2) bis 7) stellen keine Anträge.

II

Die Revision des beklagten Beschwerdeausschusses ist begründet. Die angefochtenen Bescheide, mit denen der Beklagte die Honoraranforderungen der Klägerin für die Quartale I und II/1996 gekürzt hat, sind rechtmäßig.

Die Auffassung des SG, der Beklagte sei für den Erlaß der Bescheide nicht zuständig gewesen, trifft nicht zu. Für seine Zuständigkeit kommt es darauf an, ob die von ihm erlassenen Bescheide von ihrem Inhalt her auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit angelegt sind. Dies ist hier der Fall. Aus Tenor und Begründung der angefochtenen Bescheide ergibt sich, daß der Beklagte eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V hat durchführen wollen. Selbst wenn dies in der Sache falsch gewesen sein sollte – wie das SG meint -, ergäbe das keinen Zuständigkeitsmangel, sondern einen materiellen Fehler des Bescheides. So hat der Senat Bescheide, die als sachlich-rechnerische Richtigstellungen konzipiert waren, aber von ihrem Inhalt her nur bzw allenfalls aufgrund von Wirtschaftlichkeitsprüfungen hätten ergehen können, nicht unter Zuständigkeitsgesichtspunkten, sondern als materiell rechtswidrig beanstandet (BSG, Urteil vom 1. Juli 1998 - B 6 KA 48/97 R -, SozR 3-2500 § 75 Nr 10, insbes S 45).

Die Bescheide sind auch in der Sache rechtmäßig. Die vom Beklagten angewendete Prüfmethode ist weder generell zu beanstanden noch unterliegt die Art und Weise ihrer Anwendung im konkreten Fall der Klägerin durchgreifenden Bedenken.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide ist die Regelung des § 106 SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266). Nach § 106 Abs 2 Nr 1 SGB V erfolgt die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Prüfung die Regelprüfmethode (hierzu zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 45 S 243 und Nr 42 S 233 oben mwN). Danach werden die Abrechnungswerte des Arztes mit denjenigen der Fachgruppe im selben Quartal verglichen (sog Horizontalvergleich). Falls der Mehraufwand bei dem Gesamtfallwert, bei Spartenwerten oder bei Einzelleistungswerten im Vergleich zum Durchschnittswert der Vergleichsgruppe in einem offensichtlichen Mißverhältnis steht, kann das Honorar gekürzt werden (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 238). Dieser Methode liegt eine gesetzliche Fiktion zugrunde, nach der davon auszugehen ist, daß der Durchschnitt der Fachgruppe insgesamt wirtschaftlich handelt (zB BSGE 74, 70, 70 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 23 S 124). Ergänzt durch die sog intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse erbringt (insbes BSGE 77, 53, 58 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 189 f).

Der Prüfung nach Durchschnittswerten iS des Horizontalvergleichs ist allerdings die Grundlage entzogen, wenn der Vergleich mit dem durchschnittlichen Abrechnungsverhalten der Fachgruppe zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit ungeeignet ist. Das kann zB der Fall sein, wenn der zu prüfende Arzt eine unvergleichbare individuelle Praxisausrichtung hat (so im Falle BSGE 75, 220, 224 ff = SozR 3-2500 § 106 Nr 24 S 135 ff) oder wenn die Vermutung, daß der Durchschnitt einer Fachgruppe wirtschaftlich handelt, sich nicht als zutreffend erweist. Das bedeutet jedoch nicht, daß in solchen Fällen keine Wirtschaftlichkeitsprüfung stattzufinden braucht. Die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist vielmehr unverzichtbar. Die Regelung des § 106 Abs 1 SGB V begründet nicht nur die Befugnis, sondern auch die Verpflichtung der KÄVen und Krankenkassen als Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen (BSGE 75, 220, 222 f = SozR aaO Nr 24 S 134; BSG SozR aaO Nr 40 S 220). Grundsätzlich darf kein Arzt von der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgenommen bleiben (BSGE 75, 220, 223 = SozR aaO Nr 24 S 134). Dem Gesetz ist keine Beschränkung auf die gesetzlich vorgesehenen oder gemäß § 106 Abs 2 Satz 3 SGB V vertraglich vereinbarten Prüfungsarten zu entnehmen. Ist in besonders gelagerten Fällen keine der bisher in der Praxis der Prüfgremien entwickelten – und durch die Rechtsprechung bestätigten – Methoden zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Behandlungen und Verordnungen eines Arztes geeignet, dann obliegt es den Prüfgremien, nach einer anderen geeigneten Prüfmethode zu suchen und nötigenfalls neue sachgerechte Prüfungsarten zu entwickeln (BSGE 75, 220, 222, 224 = SozR aaO Nr 24 S 133, 135).

Die Prüfgremien sind im vorliegenden Verfahren für die Quartale I und II/1996 rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die – für Horizontalvergleiche mit den Abrechnungswerten der Fachgruppe unerläßliche – Vermutung, der Durchschnitt der Fachgruppe handele wirtschaftlich, nicht zutraf. Das beruhte darauf, daß die durchschnittlich abgerechneten Leistungsmengen bundesweit im Vergleich zu denen des Jahres 1995 erheblich zugenommen hatten. Aufgrund der Änderungen des EBM-Ä war zwar eine gewisse Erhöhung der abgerechneten Gesamtpunktzahl zu erwarten. Diese hätte, wie der Senat bereits früher ausgeführt hat, ca 7 bis 8 % betragen dürfen (BSGE 81, 86, 97 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 92/93). Die Steigerung der abgerechneten Gesamtpunktzahl belief sich jedoch nach den Feststellungen des SG im Bereich der Beigeladenen zu 1) auf ca 30 % und speziell bei den dortigen Augenärzten auf ca 20 %. Bei den augenärztlichen Leistungen, deren Tatbestände im Jahr 1995 und in den Quartalen I und II/1996 völlig oder jedenfalls weitgehend identisch waren und die deshalb der Überprüfung zugrunde gelegt wurden, betrug der Anstieg der Leistungsmenge im Vergleich zu dem jeweiligen Vorquartal 53,32 bzw 79,32 %. Eine Erklärung aus medizinischer Sicht für diese plötzlichen und erheblichen Steigerungen ist nach den vorinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar, so daß die Durchschnittswerte der Fachgruppe für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung im Wege des Horizontalvergleichs nicht aussagekräftig waren. Damit stellten sie keine taugliche Grundlage für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten dar.

Auch die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Wege von Einzelfallprüfungen kam nicht in Betracht. Dies gilt nicht nur für strenge Einzelfallprüfungen, bei denen für jeden Behandlungsfall nachträgliche Feststellungen über die Berechtigung des Behandlungsausmaßes getroffen werden, sondern auch für sog eingeschränkte Einzelfallprüfungen, bei denen der Behandlungsumfang lediglich anhand der Diagnoseangaben auf seine Plausibilität überprüft wird, und ebenso für sog repräsentative Einzelfallprüfungen mit Hochrechnung (zu diesen Prüfungsarten vgl BSGE 77, 53, 55 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 185 bis 187; siehe auch BSG SozR aaO Nr 45 S 243 f). Alle diese Methoden haben nicht nur Nachteile (vgl die zitierten BSG-Urteile aaO), sondern erfordern auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand, der jedenfalls in einer solchen Lage, die angesichts großer Mengenausweitungen in weiten Bereichen Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei sehr vielen Ärzten erfordert, nicht zumutbar bzw zumindest unverhältnismäßig ist.

In dieser Situation konnten die Prüfgremien mangels anderer praktikabler Methoden in Anlehnung an das Senatsurteil vom 30. November 1994 (BSGE 75, 220 = SozR aaO Nr 24) einen Vertikalvergleich durchführen. Die Entscheidung des Beklagten, als Vergleichsmaßstab die Abrechnungswerte der Klägerin aus den vier Quartalen des Vorjahres heranzuziehen, ist sachgerecht. So werden sachwidrige Benachteiligungen vermieden, die sich bei Heranziehung der Vorjahreswerte der Fachgruppe zB dann ergeben könnten, wenn sich im Vorjahr deren Abrechnungswerte von denen des geprüften Arztes unterschieden.

Ebensowenig zu beanstanden ist das vom Beklagten dem Vergleich zugrunde gelegte Leistungsspektrum. Gegenstand von Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind üblicherweise Gesamtfallwerte oder Abrechnungswerte von Leistungssparten oder Abrechnungshäufigkeiten von Einzelleistungen. Hiervon durfte der Beklagte aber in der besonderen Lage des Vergleichs der Werte der Quartale I und II/1996 mit solchen des Jahres 1995 abweichen. Zahlreiche Leistungstatbestände des EBM-Ä waren zum 1. Januar 1996 neugefaßt worden und mit denen von 1995 nicht mehr vergleichbar. Deshalb konnte kein umfassender Gesamtfallwertvergleich und ebensowenig ein Vergleich gesamter Leistungssparten in Betracht kommen. Die in dieser Lage vom Beklagten getroffene Entscheidung, den Vergleich auf diejenigen Leistungstatbestände zu konzentrieren, die im Jahr 1995 und in den Quartalen I und II/1996 inhaltlich völlig oder jedenfalls weitgehend identisch – und die nicht budgetiert, also vermehrbar – waren, ist nicht zu beanstanden. So ergab sich eine Art Gesamtfallwertvergleich, der auf die 1995 und 1996 im wesentlichen inhaltsgleichen und nicht budgetierten Leistungstatbestände beschränkt war. Bedenken bestehen auch nicht gegen die zusätzliche Eingrenzung des Vergleichsspektrums auf die von der Klägerin abgerechneten Gebühren-Nummern.

Nach diesen Kriterien umfaßte der Vergleich die Leistungstatbestände der Geb-Nrn 25 (Besuch), 32 (Mitbesuch), 1213 (Kontaktlinsen), 1215 (Vergrößernde Sehhilfen), 1218 und 1219 (Binokular-Status), 1220 (differenzierende Sehanalyse), 1222 (Pleoptische und orthoptische Behandlung), 1251 (Lokalisierung Netzhautveränderung), 1257 (Bestimmung Augeninnendruck bzw Abflußwiderstand). Bei der Ermittlung der Leistungstatbestände, die mit solchen von 1995 inhaltlich völlig oder jedenfalls weitgehend identisch waren, wurde nach den Angaben der Beigeladenen zu 1) eine von den Obleuten des Fachgebiets erstellte Liste einbezogen. Konkrete Einwände gegen die Sachgerechtigkeit des Vergleichsspektrums hat die Klägerin nicht erhoben und sind auch nicht erkennbar. Ihre allgemein gehaltene Rüge, in dem EBM-Ä seien die Regelungen darüber, welche Leistungen nebeneinander oder nicht nebeneinander abrechenbar seien, an einer Vielzahl von Stellen geändert worden, ist für die hier ausgewählten Leistungstatbestände ohne Gewicht. Wesentliche Abweichungen bestehen auch nicht zwischen den neuen und früheren Geb-Nrn 1218 und 1219; dem von der Klägerin angeführten Wegfall des Einschlusses der Geb-Nr 1216 (Geb-Nrn 1218 und 1219 aF: „ggf einschl der Leistung nach Nr 1216”) kommt keine erhebliche Bedeutung zu.

Gegen den durchgeführten Vergleich ergeben sich auch nicht etwa Bedenken unter dem Gesichtspunkt, daß an Sparten- und Einzelleistungsvergleiche besondere Anforderungen zu stellen sind (vgl hierzu zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 11 S 57 ff; BSGE 71, 194, 196 ff = SozR aaO Nr 15 S 88 ff; BSGE 76, 53, 56 ff = SozR aaO Nr 26 S 148 ff). Der Beklagte hat – wie dargelegt – keinen solchen Vergleich, sondern eine Art Gesamtfallwertvergleich – freilich beschränkt auf die 1995 und 1996 im wesentlichen inhaltsgleichen und nicht budgetierten Leistungstatbestände – durchgeführt. Im übrigen erfaßten die Wirtschaftlichkeitsprüfungen von vornherein nur solche Ärzte, deren Abrechnungsmenge insgesamt auffällig groß war, und erstreckten sich auch nur auf Leistungen, die für das Fachgebiet typisch sind.

Auch die Erfordernisse, die bei der Durchführung von Vertikalvergleichen zu beachten sind (BSGE 75, 220, 225 = SozR 3-2500 § 106 Nr 24 S 136 f), stehen der hier durchgeführten Vertikalprüfung nicht entgegen. Ihr liegt eine Vergleichsbasis aus vier aufeinanderfolgenden Quartalen zugrunde (Quartale I bis IV/1995). Die geprüften Quartale (I und II/1996) stellen keine einzelnen, aus der Reihe fallenden Spitzenquartale dar. Vielmehr war das Leistungsverhalten der Klägerin ab 1996 durch ein insgesamt mengenmäßig deutlich größeres Abrechnungsvolumen gekennzeichnet. Sie hatte ihr Abrechnungsvolumen in dem geprüften Leistungsspektrum mehr als verdoppelt. Weiterhin ist die Beurteilung des Beklagten, wesentliche Änderungen der Patientenstruktur und/oder des Behandlungsstandards lägen nicht vor, nicht zu beanstanden. Das Vorbringen der Klägerin, der Zuschnitt ihrer Praxis habe sich ab 1996 maßgeblich geändert, wurde in den angefochtenen Bescheiden ausreichend gewürdigt, ohne daß hiergegen revisionsgerichtlich durchgreifende Bedenken zu erheben wären. Dort ist ausgeführt, daß sie die Sehschule schon seit mehr als zwei Jahrzehnten betreibe und daß ihr Vorbringen – im Widerspruchs- und SG-Verfahren hat sie unter anderem einen vermehrten Zustrom von Kindern, im späteren Prozeßverlauf die Behandlung älterer Patienten angegeben – keine ausreichenden Anhaltspunkte für durchgreifende Änderungen des Patientenzuschnitts und des Behandlungsbedarfs ergebe. Im übrigen hat der Beklagte der Klägerin vorsorglich für mögliche Schwankungen in der Patienten- und/oder Behandlungsstruktur Überschreitungen der Vergleichswerte um 10.000 Punkte je Quartal belassen. Größere Überschreitungen brauchte der Beklagte der Klägerin nicht zuzugestehen; denn Kriterien wie Streubreite, Übergangszone und offensichtliches Mißverhältnis sind bei solchen Vertikalvergleichen nicht einschlägig (vgl BSGE 75, 220, 225 = SozR aaO S 136). Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, daß die Beklagte die Honoraranforderungen der Klägerin für die in den Vergleich einbezogenen Leistungstatbestände – unter Belassung von Überschreitungen um 10.000 Punkte je Quartal – auf ihr durchschnittliches Abrechnungsvolumen des Jahres 1995 gekürzt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 542950

BSGE, 85

NJW 2000, 3444

MedR 2000, 99

NZS 2000, 205

SGb 1999, 461

AusR 2000, 48

KVuSR 2001, 77

SozSi 1999, 375

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