Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankengeldanspruch

 

Beteiligte

…, Kläger und Revisionskläger

Bundesbahn-Betriebskrankenkasse, Bezirksleitung Münster, Münster/Westf., Bahnhofstraße 1 - 5

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Streitig ist ein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 2. September 1985 bis zum 30. Mai 1986.

Der 1929 geborene Kläger, der bis 1970 den erlernten Beruf eines Elektroinstallateurs ausgeübt hat, war seit 1. Februar 1971 bei der Deutschen Bundesbahn (DB) als Fernmeldemechaniker beschäftigt und versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Betriebskrankenkasse (BKK). Eine erstmals im Dezember 1972 aufgetretene Erkrankung seines rechten Schultergelenks führte zu wiederholtem Krankengeldbezug. Seit 30. Juli 1980 dauerte die Arbeitsunfähigkeit wegen dieser Erkrankung ununterbrochen an. Davor arbeitete der Kläger bis 1977 bei der Fernmeldemeisterei Münster, seit 1. Mai 1977 bei der Fernmeldemeisterei Hannover, Baubezirk Osnabrück, im Außendienst (Vollinspektion und Montage von Basa- und Betriebsfernmeldeanlagen im Bereich westlich der Strecke Osnabrück-Bremen).

Ein erstmals im Juni 1981 gestellter Rentenantrag hatte keinen Erfolg. Mit Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 25. Oktober 1984 (L 10 J 233/88) war festgestellt worden, daß der Kläger zwar seinen bisherigen Facharbeiterberuf nicht mehr ausüben, jedoch auf die Tätigkeit eines Qualitätsprüfers verwiesen werden könne.

Nachdem die Beklagte im Rahmen der fünften Blockfrist erneut Krankengeld ab 13. Februar 1985 bewilligt hatte, wurde der Kläger vom Vertrauensarzt am 20. August 1985 für fähig gehalten, ab sofort eine leichte Arbeit im Werkstattbereich - möglichst in Wohnortnähe - aufzunehmen. Die daraufhin von der DB angebotene Werkstattätigkeit bei der Fernmeldemeisterei Hannover, bei der Fernsprechgeräte repariert und gewartet werden sollten, lehnte der Kläger ua mit der Begründung ab, er traue sich aus gesundheitlichen Gründen nur noch höchstens halbtags leichte Tätigkeiten im Heimatbereich zu. Daraufhin lehnte die Beklagte eine weitere Krankengeldgewährung ab 2. September 1985 ab, weil der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig sei (Bescheid vom 3. September 1985; Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1986). Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zum 30. Juni 1986 wirksam gekündigt. Ab 1. Juni 1987 wurde ihm rückwirkend Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt.

Die Klage gegen die vorgenannten Bescheide, mit der der Kläger Krankengeld für die Zeit vom 2. September 1985 bis 30. Mai 1986 beanspruchte, hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Oldenburg vom 29. Oktober 1986; Urteil des LSG Niedersachsen vom 23. November 1988).

Das LSG hat die Zurückweisung der Berufung des Klägers im wesentlichen damit begründet, in der streitigen Zeit sei der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig gewesen, weil er nach übereinstimmender Feststellung aller gehörten Ärzte zwar nicht mehr seine letzte im Außendienst ausgeübte Beschäftigung als Fernmeldemechaniker - auch nicht im Innendienst -, sehr wohl aber eine Tätigkeit wie die angebotene im Werkstattbereich habe ausüben können. Auf einen derartigen Arbeitsplatz könne der Kläger verwiesen werden. Nach Auskunft der DB habe es sich bei der Werkstattätigkeit um eine Beschäftigung mit im wesentlichen gleichem Anforderungsprofil und im wesentlichen gleicher Entlohnung wie bei der früheren Außendiensttätigkeit gehandelt. Auch die Wohnortferne des angebotenen Arbeitsplatzes habe einer Verweisbarkeit nicht entgegengestanden, selbst wenn dieser Arbeitsplatz für den Kläger nicht zumutbar erreichbar gewesen wäre; denn entscheidend sei, daß es derartige Verweisungstätigkeiten nicht nur bei der DB in Hannover, sondern auch im Bezirk der Arbeitsämter Bad Zwischenahn und Oldenburg in nennenswerter Zahl gegeben habe. Das habe das Arbeitsamt Oldenburg unbestritten festgestellt. Die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bisher offengebliebene Frage, ob eine Verweisung auf eine ähnlich geartete Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auch bei Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses möglich sei, werde jedenfalls für den vorliegenden Ausnahmefall bejaht. Denn der Kläger habe seit 30. Juli 1980, mithin seit über 5 Jahren, bei der DB tatsächlich nicht mehr gearbeitet, so daß der Arbeitsvertrag lediglich formal fortbestanden habe. Die Kündigung des Arbeitgebers zum 30. Juni 1986 bestätige dies. Deshalb habe vom Kläger eine Lösung des Arbeitsverhältnisses erwartet werden können, um eine leidensgerechte Werkstattbeschäftigung in Wohnortnähe auszuüben.

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF. Das LSG habe den Begriff der Arbeitsunfähigkeit sowie den Zweck der Krankengeldgewährung verkannt. Solange das Arbeitsverhältnis bestehe, brauche sich der Arbeitnehmer nicht auf eine ähnliche Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber verweisen zu lassen mit der Konsequenz, daß er jedenfalls ohne eine konkret nachgewiesene Verweisungstätigkeit das bestehende Beschäftigungsverhältnis nicht von sich aus kündigen müsse. Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 182 RVO sei das konkrete Arbeitsverhältnis. Gehöre dazu die an einem bestimmten Arbeitsplatz auszuübende Tätigkeit, so sei dies die arbeitsrechtlich geschuldete Leistung, die bei Arbeitsunfähigkeit durch das Krankengeld versichert werde. Mit den Schutzzielen der gesetzlichen Krankenversicherung, die dem Erkrankten auch die Fortsetzung der bisherigen Arbeit ermöglichen wolle und daher für ihn eine faktische Garantie seines Arbeitsplatzes im bisherigen Betrieb bedeute, sei es unvereinbar, ihn - jedenfalls während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses - auf Beschäftigungen außerhalb des Betriebes zu verweisen. Etwas anderes möge dann gelten, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ohne Änderungskündigung auf einen anderen Arbeitsplatz zumutbar umgesetzt werden könne. Das sei hier aber nicht der Fall. Ihm stehe daher für die streitige Zeit das Krankengeld zu.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Oktober 1986 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. November 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1986 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 2. September 1985 bis zum 30. Mai 1986 Krankengeld zu gewähren,

hilfsweise, die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht, weil dessen Tatsachenfeststellungen zur Entscheidung über den streitigen Krankengeldanspruch nicht ausreichen.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß Rechtsgrundlage für die Prüfung, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind, nicht § 48 SGB X ist, weil die Beklagte damit keinen Bescheid mit Dauerwirkung aufgehoben, sondern - wegen der zeitlichen Begrenzung der Krankengeldbewilligung bis zu der nächsten vertrauensärztlichen Untersuchung - über die erneute Bewilligung des Krankengeldes mit Wirkung ab 2. September 1985 entschieden hatte (zur zeitlichen Begrenzung der Krankengeldbewilligung in derartigen Fällen vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 103 und BSGE 61, 66 = SozR 2200 § 182 Nr 104).

Ob der Kläger für die streitige Zeit Anspruch auf Krankengeld hatte, richtet sich mithin allein nach dem seinerzeit noch gültigen § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 RVO, wonach die Krankenkasse Krankengeld gewährt, wenn die Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht.

Dies hat das LSG nicht mit der Begründung verneinen dürfen, der Kläger habe sich - ungeachtet seines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses bei der DB - auf eine ähnlich geartete Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber verweisen lassen müssen. Auch wenn der Kläger inzwischen mehr als fünf Jahre lang nicht mehr bei der DB tatsächlich gearbeitet hatte, durfte ihm nicht die Aufnahme einer leidensgerechten Werkstattätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber seines Wohnbereichs und damit die Lösung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses zugemutet werden. Damit hat das LSG den Begriff der Arbeitsunfähigkeit verkannt, wie er dem bis 31. Dezember 1988 in Kraft gewesenen Zweiten Buch der RVO zugrunde gelegen hat. Ob für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit in dem seit 1. Januar 1989 geltenden Fünften Buch des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) etwas anderes gilt (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB V), läßt der Senat offen, weil diese Neuregelung im vorliegenden Fall keine Anwendung findet.

Wie das BSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, kommt als berufliches Bezugsfeld der Arbeitsunfähigkeit iS des § 182 RVO aF grundsätzlich nur die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit in Betracht (vgl die Nachweise in BSGE 57, 227, 229 = SozR 2200 § 182 Nr 96). Die Arbeitsunfähigkeit wird also nicht durch die Möglichkeit ausgeschlossen, diesen Erwerb durch Übergang zu einer anderen Berufstätigkeit zu gewinnen, auch wenn eine solche Tätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspricht und ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und des Berufs, den er seither ausgeübt hat, zugemutet werden kann (RVA, GE Nr 4339, AN 1932, 176). Bereits das RVA hat dabei unter der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit allerdings nicht lediglich den bisherigen Arbeitsplatz verstanden, sondern dazu auch ähnlich geartete (leichtere) Tätigkeiten gerechnet. Auch das BSG hat für die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit besteht, nicht nur auf die zuletzt ausgeübte, sondern auch auf ähnlich geartete Tätigkeiten abgestellt (BSGE 26, 288, 290, 292 = SozR Nr 25 zu § 182 RVO; BSG in USK 7126 und in USK 7269; BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12; BSGE 46, 190, 191 = SozR 2200 § 182 Nr 34; ferner die Entscheidung des GrS in BSGE 53, 22, 31 = SozR 2200 § 1259 Nr 59; BSGE 57, 227, 229 = SozR 2200 § 182 Nr 96 und BSGE 61, 66, 70 = SozR 2200 § 182 Nr 104 S 225). Dabei ist allerdings nicht dazu Stellung genommen worden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verweisung auf "ähnliche" Tätigkeiten auch dann in Betracht kommt, wenn das bisherige Arbeitsverhältnis fortbesteht, insbesondere, ob der Versicherte auch in solchen Fällen auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber verwiesen werden darf. Da die genannten Entscheidungen - soweit ersichtlich - Fälle betreffen, in denen es nur um die Gewährung von Krankengeld für Zeiten nach beendetem Arbeitsverhältnis ging, bestand für eine entsprechende Differenzierung kein Anlaß. Erste Ansätze für eine Differen-zierung finden sich zwar im Urteil des 3. Senats vom 16. September 1986 (USK 86133), allerdings nur insoweit, als der Senat andeutet, daß bei der Verweisung im Rahmen eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses auch die besonderen Bedingungen des Arbeitsplatzes zu berücksichtigen seien. Die zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in § 182 RVO aF zuletzt ergangenen Urteile des 8. Senats vom 9. Dezember 1986 (8 RK 27/84 = SozR 2200 § 183 Nr 51 S 146 und 8 RK 12/85 = BSGE 61, 66 = SozR 2200 § 182 Nr 104 S 224/25) betreffen nur die Verweisung auf ähnlich geartete Arbeiten nach Lösung des Arbeitsverhältnisses und haben die Frage der Verweisung bei bestehendem Arbeitsverhältnis ausdrücklich offengelassen.

Diese Frage kann nach Zweck und Funktion des Krankengeldes nur dahin beantwortet werden, daß bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis eine - abstrakte - Verweisung auf ähnlich geartete Tätigkeiten außerhalb dieses Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist (May, SGb 1988, 477, 479/480). Dabei kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob die Arbeitsunfähigkeit bereits längere Zeit angedauert und ob noch eine gewisse Aussicht auf Wiederaufnahme der bisherigen Arbeit bestanden hat (so im Ergebnis auch Bley, SGb 1983, 115, 116 unter b); May, aaO, S 480; Steinwedel, Die Sozialversicherung 1988, 151, 155; aA Töns, DOK 1968, 347, 359, der nach dem Übergang in einen Dauerzustand den Versicherten zu einer freiwilligen Lösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu veranlassen vorschlägt).

Das Krankengeld dient der wirtschaftlichen Sicherstellung bei Krankheit (§ 4 Abs 2 Nr 2 SGB I) und bietet Ersatz für das Entgelt, das dem Versicherten infolge Krankheit entgeht. Deshalb ist wirtschaftlicher Bezugspunkt der Arbeitsunfähigkeit diejenige Tätigkeit, die der Arbeitsunfähige ohne Krankheit ausüben würde. Wäre er nach den tatsächlichen Verhältnissen ohne die Krankheit an seinem letzten Arbeitsplatz tätig, muß dieser als Bezugspunkt der Arbeitsunfähigkeit gelten. Dabei läßt der Senat offen, ob dies auch dann gilt, wenn das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen gelöst worden ist (so Steinwedel, aaO, S 156). Jedenfalls so lange es besteht, ist Bezugsfeld einer "Verweisung" die letzte konkrete Arbeit mit ihren besonderen Bedingungen, nicht etwa die Art der Tätigkeit als solche. Denn mit dem Zweck des Krankengeldes wäre es unvereinbar, vom Versicherten zu verlangen, die bisherige Arbeit sofort aufzugeben und sich um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, etwa wenn es die Krankheit lediglich verbietet, sich den besonderen Belastungen des bisherigen Arbeitsplatzes auszusetzen. Die Arbeitsunfähigkeit ist nach dem vom Gesetzgeber der RVO vorgesehenen und als typisch zugrunde gelegten Normalfall ein vorübergehendes Leistungshindernis. Um es zu beseitigen, kann dem Versicherten jedenfalls nicht die Lösung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses zugemutet werden. Dem Arbeitnehmer soll vielmehr durch die Krankengeldgewährung auch und gerade die Möglichkeit offengehalten werden, nach Beseitigung des Leistungshindernisses seine bisherige Arbeit wieder aufzunehmen (May, aaO, S 479). Das Krankengeld wird daher nach § 182 Abs 4 und 5 RVO aF systemgerecht nach der zuletzt verrichteten Arbeit bemessen, die der Versicherte nicht fortsetzen kann; aus ihr stammen die Beiträge und nach ihr wird das Krankengeld berechnet. Deshalb kommt, solange das Arbeitsverhältnis besteht, eine Verweisung auf ähnlich geartete Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht.

Etwas anderes kann - jedenfalls bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis - auch dann nicht gelten, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits lange Zeit bestanden hat und eine Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit praktisch nicht mehr zu erwarten ist. Auch in diesem Fall lassen es Sinn und Zweck des Krankengeldes nicht zu, den Begriff der Arbeitsunfähigkeit dem weiterreichenden Beurteilungsmaßstab des gesetzlichen Rentenversicherungsrechts anzupassen. Wie bereits der Große Senat (GrS) in seinem Beschluß vom 16. Dezember 1981 (BSGE 53, 22, 30/31 = SozR 2200 § 1259 Nr 59) dargelegt hat, unterscheidet sich der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in § 182 RVO aF von dem der Berufsunfähigkeit gerade dadurch, daß bei der Arbeitsunfähigkeit der entscheidende Maßstab die Unfähigkeit des Versicherten ist, die zuletzt verrichtete Tätigkeit fortzusetzen, während die bei der Berufsunfähigkeit im Verhältnis zur Arbeitsunfähigkeit elastischere Verweisung auf ein weiter erstrecktes Berufsfeld den Versicherten veranlassen soll, sich ggf eine - zumutbare - andere als die letzte Erwerbstätigkeit zu suchen. Deshalb hat die "Verweisung" im Rahmen der Prüfung der Arbeitsunfähigkeit nichts mit der "Zumutbarkeit" der Verweisung im Sinne des Rentenversicherungsrechts zu tun, sondern hat sich selbst bei beendetem Arbeitsverhältnis auf den Inhalt der zuletzt ausgeübten Beschäftigung zu beziehen. Aus diesem Grund hat der 3. Senat die Bezeichnung "ähnlich geartete Tätigkeit"

durch "gleichgeartete Tätigkeit" ersetzt, um deutlich zu machen, daß der Kreis der Tätigkeiten, die außer der bisher ausgeübten für eine "Verweisung" in Betracht kommen, sehr eng ist (BSGE 57, 227, 229 = SozR 2200 § 182 Nr 96; ferner Urteil vom 16. September 1986 USK 86133). Gilt dies selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis gelöst ist, kann im Rahmen eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses eine Verweisung jedenfalls nicht dazu führen, daß der Versicherte seinen Arbeitsvertrag lösen muß, um eine solche zu suchen.

Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, daß das Krankengeld bereits vor der hier streitigen Zeit seinen Charakter als vorübergehende Lohnersatzleistung geändert hatte. Mit der Neufassung des § 183 Abs 2 und 3 RVO durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) wurde der Bezug des Krankengeldes, der Arbeitsunfähigkeit voraussetzt, grundsätzlich auf unbegrenzte Zeit verlängert, ohne daß der Gesetzgeber jedoch darin Anlaß für eine Neubestimmung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit gesehen hätte. Die Tätigkeit, auf die der Versicherte im Rahmen der Krankenversicherung verwiesen werden darf, darf daher auch bei mehrjährigem Bezug von Krankengeld nicht nach der Dauer der Arbeitsunfähigkeit gestuft beurteilt werden, wie dies etwa im Rahmen der Zumutbarkeit nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geschieht (§ 103 Abs 1, 2 AFG iVm der Zumutbarkeitsanordnung vom 16. März 1982, ANBA S 523). Der GrS des BSG (aaO, S 31) hat bereits den Grundsatz herausgestellt, daß sich hinsichtlich der Dauer weder ein zeitlich noch sachlich aufgespaltener Begriff der Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen läßt. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit nach der zuletzt ausgeübten oder einer ähnlichen bzw gleichartigen Tätigkeit gilt daher einheitlich auch bei lang anhaltenden Krankheiten (BSGE 26, 288, 290 ff = SozR Nr 25 zu § 182 RVO). An dieser Einheitlichkeit des Maßstabes hat die Rechtsprechung des BSG auch in der Folgezeit jedenfalls im Grundsatz festgehalten. Allerdings hat der 3. Senat in Fällen bereits beendeten Arbeitsverhältnisses danach differenziert,

ob die Arbeitsunfähigkeit bereits zu einem Dauerzustand geführt hat; dann seien die besonderen Bedingungen des bisherigen Arbeitsplatzes nicht mehr zu berücksichtigen, sondern die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit auf die Art der Tätigkeit als solche zu beschränken (BSG USK 86133). Auch der 8. Senat hat darauf hingewiesen, daß wegen des seit 1961 ohne zeitliche Begrenzung zu gewährenden Krankengeldes der Bezug dieser Leistung auf ein vernünftiges Maß beschränkt werden müsse (BSGE 61, 66 = SozR 2200 § 182 Nr 104). Für eine derartige Differenzierung mögen in Fällen eines bereits beendeten Arbeitsverhältnisses gute Gründe sprechen. Besteht das Arbeitsverhältnis hingegen fort, kann es für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit in § 182 RVO aF bzw die Zulässigkeit einer Verweisung auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber keine Rolle spielen, wie lange die Krankheit besteht und ob eine Aussicht auf Weiterbeschäftigung auf den bisherigen Arbeitsplatz gegeben ist. Vor allem kann die Beklagte nicht davon ausgehen, daß bei Langzeitkranken eine Unterscheidung danach, ob das Arbeitsverhältnis fortbestehe oder nicht, entfalle, weil das Arbeitsverhältnis dann nur noch "formal" bestehe, also praktisch als gelöst zu gelten habe oder jedenfalls eine Lösung zumutbar sei.

Dem kann der Senat schon deshalb nicht folgen, weil die Frage des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses nur eine arbeitsrechtliche Beurteilung zuläßt. Von dieser hat auch die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung grundsätzlich - von Mißbrauchsfällen abgesehen - auszugehen, schon um dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung Rechnung zu tragen. Ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht, hängt grundsätzlich von den Dispositionen der Vertragspartner ab, hier insbesondere davon, ob der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt hat. Selbst wenn - aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht - von einer Lösung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls für den Fall ausgegangen werden dürfte, daß - etwa im Hinblick auf die Dauer der Unterbrechung - eindeutige Kündigungsmöglichkeiten gegeben wären, ergibt sich nichts anderes. Denn die Kündigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers sind auch bei langanhaltender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keineswegs so eindeutig, daß das Arbeitsverhältnis nach einer bestimmten Dauer der Unterbrechung praktisch als gelöst angesehen oder jedenfalls vom Arbeitnehmer erwartet werden könnte, die Lösung selbst zu vollziehen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt eine ordentliche Kündigung wegen langanhaltender Krankheit als letztes Mittel nur dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber die Durchführung von Überbrückungsmaßnahmen nicht mehr möglich oder nicht mehr zumutbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn aufgrund der objektiven Umstände mit einer Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit zu rechnen ist und gerade diese Ungewißheit zu unzumutbaren betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen führt. Dabei sind im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers (ua sein Alter, seine Familienverhältnisse, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit) zu berücksichtigen (vgl Becker in Gemeinschaftskomm zum Kündigungsrecht - KR -, 3. Aufl, § 1 KSchG Rz 213 mwN).

Solange der Arbeitgeber deshalb - trotz mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit - von einer Kündigung absieht, kann dies durchaus darauf beruhen, daß er die Aussichten für eine erfolgreiche Kündigung aufgrund eben solcher Verhältnisse negativ einschätzt oder aus sozialen Gründen nicht kündigen will. Dann aber muß auch sozialversicherungsrechtlich von einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis ausgegangen werden mit der Folge, daß auf Arbeiten noch so ähnlicher oder gleicher Art bei einem anderen Arbeitgeber nicht, jedenfall nicht abstrakt, "verwiesen" werden darf. Ob etwas anderes gilt, wenn dem Versicherten eine gleichartige Verweisungstätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber konkret angeboten worden ist, bedarf keiner Entscheidung, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt.

Allerdings ist auch im Rahmen eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit möglich, obwohl die letzte konkrete Arbeit (der Arbeitsplatz) nicht wieder aufgenommen werden kann. Das ist dann der Fall, wenn dem Versicherten vom Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechts ein anderer Arbeitsplatz im Betrieb zugewiesen wird, dem er gesundheitlich gewachsen ist und den er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen hat (so auch May, aaO, S 479/480; Steinwedel, aaO, S 155). Dieses Abstellen auf die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen stellt nicht nur die gebotene Übereinstimmung mit der arbeitsrechtlichen Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des LFZG sicher (vgl ua BAG AP Nrn 12, 54 und 62 zu § 1 LFZG), sondern erscheint auch nach dem Zweck des Krankengeldes angemessen. Es besteht kein Grund, das Krankengeld gemäß § 182 RVO aF wegen Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlen, wenn sich der Arbeitnehmer weigert, eine ihm arbeitsvertraglich obliegende Tätigkeit auszuüben, obwohl gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Denn die dadurch bewirkte Lohneinbuße wäre nicht mehr auf seine Krankheit zurückzuführen, sondern beruhte auf seinem Verhalten.

Eine danach in Betracht kommende "Verweisung" im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ist jedoch nur unter zwei Voraussetzungen möglich:

Die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit tritt nicht bereits bei der abstrakten Möglichkeit einer innerbetrieblichen Versetzung ein; denn wenn der Arbeitgeber eine Versetzung nicht vornehmen kann oder will, bleibt Ursache des durch das Krankengeld auszugleichenden Entgeltausfalls weiterhin die Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber muß daher eine Versetzung konkret angeboten haben. Das muß schon deshalb gelten, weil der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Zuweisung einer entsprechenden Arbeit hat (May, aaO, S 479).

Ferner muß der zugewiesene Arbeitsplatz den arbeitsrechtlichen Grundsätzen einer zulässigen bzw wirksamen "Versetzung" entsprechen (vgl dazu Rost in KR, § 2 KSchG Rz 39 ff mwN; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band I, 7. Aufl, S 201 ff). Danach kommt die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes - iS eines anderen Tätigkeitsbereichs und/ oder einer örtlichen Versetzung - aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitsgebers nur insoweit in Betracht, als der Arbeitsvertrag dem Arbeitgeber überhaupt einen Spielraum bei der Bestimmung von Art und Ort der Arbeitsleistung beläßt. Fehlt es an einem derartigen Spielraum und würde die zugewiesene Arbeit eine Änderung des Arbeitsverhältnisses voraussetzen (iS einer Änderungskündigung), ist die Verweisung unzulässig. Von einer zulässigen Verweisung ist vielmehr nur dort zu sprechen, wo der Wechsel des Arbeitsplatzes vom Arbeitgeber einseitig im Rahmen seines Direktionsrechts angeordnet werden kann. Dabei ist zu beachten, daß eine Einschränkung des Direktionsrechts des Arbeitgebers auch durch schlüssiges Verhalten, und zwar nicht nur bei Vertragsschluß, sondern auch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses eintreten kann; denn der Rahmen der vom Arbeitnehmer zu übernehmenden Arbeiten kann sich auch noch im Laufe der Zeit ändern (sog Konkretisierung der Arbeitspflicht, zB durch längere Zuweisung einer höherwertigen Arbeit). Versetzungen mit (nicht nur unerheblichen) Auswirkungen auf die Entlohnung sind im allgemeinen unzulässig, es sei denn, daß dem Arbeitgeber das Recht zu einer derartigen Versetzung besonders eingeräumt ist (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl BAG AP Nr 2 zu § 611 BGB-Direktionsrecht). Auch eine Versetzung an einen in einer anderen Ortschaft gelegenen Betrieb oder Betriebsteil braucht sich der Arbeitnehmer regelmäßig nicht gefallen zu lassen, es sei denn, daß dies im Arbeitsvertrag vorgesehen ist. Das folgt aus der einschneidenden Bedeutung der Frage des Beschäftigungsortes für den Arbeitnehmer. Eine Ausnahme wird uU nur dann zu machen sein, wenn mit der Änderung des Arbeitsortes erhebliche Erschwerungen für den Arbeitnehmer nicht verbunden sind (vgl Rost in KR, § 2 KSchG Rz 41). Auch im übrigen ist der Arbeitgeber bei der Ausübung des Direktionsrechts nicht frei, sondern darf dieses nur nach billigem Ermessen ausüben (vgl BAG, Urteil vom 12. Dezember 1984, AP Nr 6 zu § 2 KSchG 1969).

Das LSG wird daher zu der Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bereits deshalb geendet hatte, weil er einen von seinem Arbeitgeber (DB) im Werkstattbereich der Fernmeldemeisterei Hannover angebotenen Arbeitsplatz nicht angenommen hat, die erforderlichen Tatsachenfeststellungen nachzuholen haben. Insbesondere bedarf es noch der Feststellung, ob die angebotene Arbeit im Werkstattbereich (Reparatur und Wartung von Fernsprechanlagen ua) bei der Fernmeldemeisterei in Hannover sich im Rahmen des arbeitsvertraglich Geschuldeten hielt und ob der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts sowohl nach der Art des Tätigkeitsbereichs als auch nach den örtlichen Verhältnissen dieses Arbeitsplatzes eine "Versetzung" hätte wirksam vornehmen können. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang auch festzustellen sein, ob die angebotene Arbeit vom Wohnort des Klägers aus zumutbar zu erreichen war oder ob etwa - worauf die vertrauensärztliche Begutachtung hindeutet - bereits aus gesundheitlichen Gründen nur eine Arbeit in Wohnortnähe in Betracht gekommen ist.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

BSGE, 180

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