Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfe. Anwartschaft. Beitragspflicht. arbeitstherapeutische Beschäftigung im Maßregelvollzug. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die mit Arbeitsbelohnung verbundene arbeitstherapeutische Beschäftigung eines auf strafrichterliche Anordnung in einer Entziehungsanstalt untergebrachten Drogensüchtigen begründet nicht die Beitragspflicht als Gefangener.

2. Die Beschäftigung in einem öffentlichrechtlichen Sonderrechtsverhältnis weist nicht die Merkmale eines auf den Austausch von Arbeit und Lohn gerichteten, die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses auf (Fortführung von BSG vom 22.9.1988 – 7 RAr 13/87 = SozR 4100 § 101 Nr 7).

3. Die gesetzliche Beschränkung der Beitragspflicht auf Gefangene, die in Justizvollzugsanstalten Arbeitsentgelt nach dem Strafvollzugsgesetz oder gleichgestellte Leistungen erhalten, ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AFG § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b, § 168 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 Fassung: 1989-12-18, S. 3 Fassung: 1989-12-18, Abs. 3a Fassung: 1988-12-20; GG Art. 3 Abs. 1; StVollzG §§ 41, 43, 130, 138 Abs. 1-2; MVollzG NW § 12 Abs. 1; StGB §§ 63-64

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.02.1997; Aktenzeichen L 9 Ar 254/95)

SG Münster (Urteil vom 13.06.1995; Aktenzeichen S 15 Ar 65/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1997 und des Sozialgerichts Münster vom 13. Juni 1995 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 8. Juli bis 7. August 1992.

Der 1955 geborene Kläger verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Fotograf. Vom 12. Februar 1991 bis 28. Februar 1992 befand er sich im Maßregelvollzug (§ 64 Strafgesetzbuch ≪StGB≫) wegen Konsums schwerer Drogen im W. … Zentrum für Forensische Psychiatrie L. … (W). Zunächst war er in der Therapie-Station untergebracht und arbeitstherapeutisch eingesetzt. Nachdem sich sein Gesundheitszustand weitestgehend stabilisiert hatte, wurde er Anfang September 1991 mit der Einrichtung und Führung eines Fotolabors beauftragt. Dabei handelte es sich um eine Belastungserprobung, die der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben diente. Während der Führung des Fotolabors wirkte er an der Herstellung von Prospektmaterial, Kalendern und einer Bilddokumentation für die Klinik sowie in der Redaktion der Klinikzeitschrift mit. Seine Arbeitszeit betrug nunmehr sechs Stunden täglich. Die Teilnahme an der Gruppentherapie nachmittags entfiel. Außerhalb der Arbeitsstunden hatte der Kläger Ausgang. Er erhielt eine durchschnittliche Arbeitsbelohnung von rd 180,00 DM monatlich. Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht entrichtet. Ab 1. März 1992 war er vom Maßregelvollzug beurlaubt.

Vom 1. April bis 30. Juni 1992 war der Kläger als technischer Assistent bei der Firma Film und TV H. … gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 3.000,00 DM brutto zur Probe beschäftigt. Danach hat er sich am 8. Juli 1992 arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt. Diesen Antrag lehnte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Bescheid vom 29. Juli 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 1993 ab, weil der Kläger nicht mindestens 150 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe: Während seiner Unterbringung im W sei er nicht beitragspflichtig gewesen, er habe nicht Arbeitsentgelt nach dem Strafvollzugsgesetz (StVollzG), sondern Arbeitsbelohnung auf der Grundlage des Maßregelvollzugsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (MRVG NRW) vom 18. Dezember 1984 (GVBl 14) erhalten. Die Bestimmungen des StVollzG für Gefangene in Justizvollzugsanstalten seien auf die Unterbringung des Klägers nicht anwendbar.

Das Sozialgericht (SG) hat die BA verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 8. Juli bis 7. August 1992 Alhi zu zahlen. Dabei ist es davon ausgegangen, daß der Kläger außer während der Beschäftigungszeit vom 1. April bis 30. Juni 1992 auch seit der Verlegung in die Reha-Station Anfang November 1991 bis zum 28. Februar 1992 als Gefangener beitragspflichtig gewesen sei.

Die Berufung der BA hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 13. Februar 1997 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger erfülle für die Zeit vom 8. Juli bis 7. August 1992 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi, insbesondere erfülle er die Anwartschaftszeit nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4b Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Er sei als Gefangener jedenfalls seit Inkrafttreten des § 168 Abs 3 Satz 3 AFG idF des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) beitragspflichtig gewesen. Der Kläger habe im Fotolabor ab November 1991 eine arbeitstherapeutische Beschäftigung ausgeübt. Zwar seien nach § 168 Abs 3 Satz 1 AFG nur Gefangene beitragspflichtig, die Arbeitsentgelt erhielten. Die Unterscheidung zwischen Arbeitsbelohnung und Arbeitsentgelt nach § 12 Abs 1 MRVG NRW stehe der Annahme der Beitragspflicht jedoch nicht entgegen. Entscheidend für die Beitragspflicht während einer arbeitstherapeutischen Beschäftigung sei allein, ob eine der Art der Beschäftigung und der Arbeitsleistung entsprechende Vergütung gezahlt werde. Folge man der Unterscheidung des § 12 Abs 1 MRVG NRW, so könnten Gefangene während einer arbeitstherapeutischen Beschäftigung nicht der Beitragspflicht unterliegen. Dies führe zu einer Ungleichbehandlung von Gefangenen, die im Rahmen einer arbeitstherapeutischen Beschäftigung Arbeit mit einem zu entlohnenden Wert leisteten. Dafür bestehe kein sachlicher Grund. Auch eine Arbeitsbelohnung iS des § 12 Abs 1 MRVG NRW begründe die Beitragspflicht, sofern die Arbeitsbelohnung der Art der Beschäftigung und der Arbeitsleistung entspreche. Unter dieser Voraussetzung sei eine Arbeitsbelohnung bei Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgedankens als Arbeitsentgelt iS der §§ 168 Abs 3 AFG, 43 StVollzG anzusehen und der im Maßregelvollzug Untergebrachte als beitragspflichtig zu behandeln.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA eine Verletzung des § 168 Abs 3 AFG. Das LSG habe die Grenzen einer Rechtsauslegung verlassen, indem es eine Beitragspflicht des Klägers während seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angenommen habe. Der § 168 Abs 3 AFG in der ab 1992 geltenden Fassung knüpfe die Beitragspflicht wie zuvor § 168 Abs 3a AFG an den Bezug von Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung nach den §§ 43 bis 45, §§ 176 und 177 StVollzG. Dies ergebe sich aus der gezielten Verweisung des § 168 Abs 3 Satz 1 AFG auf die genannten Vorschriften des StVollzG. Von den Gefangenen im Maßregelvollzug hätten deshalb nur Sicherungsverwahrte solche Entgeltansprüche, denn nach § 130 StVollzG gelten ua die §§ 43 bis 45 StVollzG für sie entsprechend. Auf Gefangene, die in psychiatrischen Kliniken oder Entziehungsanstalten untergebracht seien, seien diese Vorschriften nach § 138 StVollzG nicht anzuwenden. Einkünfte, die sie aufgrund landesrechtlicher Vorschriften (hier nach § 12 Abs 1 MRVG NRW) erhielten, begründeten wegen der fehlenden Verweisung im StVollzG nicht die Beitragspflicht zur BA. Dies bestätigten auch die Vorschriften über die Beitragszahlung. Nach § 1 Abs 2 Nr 2 der Gefangenen-Beitragsverordnung vom 14. März 1977 (BGBl I 448) seien nur Tage, für die Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43, 44, 176 und 177 StVollzG bezogen werde, bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen. Folgerichtig sehe § 195 StVollzG den Einbehalt eines Gefangenen-Beitragsanteils nur für die genannten, nicht aber für sonstige Einkünfte vor. Auch eine anderweitige Vorschrift über die Beitragslast bestehe nicht. Folge man der Rechtsansicht des LSG, wären Gefangene in psychiatrischen Kliniken oder Entziehungsanstalten dem Versicherungsprinzip zuwider ohne Beitragsentrichtung in der Arbeitslosenversicherung versichert. Der Maßregelvollzug in psychiatrischen Kliniken und Entziehungsanstalten sei allein durch therapeutische Ziele bestimmt, weshalb § 168 Abs 3 AFG auf landesrechtliche Vorschriften über Arbeitsentgelte nicht Bezug nehme. Das Modell über die Unterbringung und Behandlung in Justizvollzugsanstalten sei nicht auf die Unterbringung und Behandlung in psychiatrischen Kliniken oder Entziehungsanstalten zu übertragen. Eine planwidrige Gesetzeslücke liege nicht vor, denn der Gesetzgeber ziehe aus unterschiedlichen Sachverhalten unterschiedliche versicherungsrechtliche Konsequenzen. Das LSG habe auch nicht deutlich gemacht, nach welchen Merkmalen eine Zuwendung als Gegenleistung für geleistete Arbeit festzustellen sei. Eine solche Abgrenzung sei praktisch nicht durchführbar, weil sie den wechselnden Situationen, in denen sich der Gefangene während der Therapie befinde (zB Rückfälle im Behandlungsverlauf), nicht gerecht werde. Selbst wenn ein in einer psychiatrischen Klinik oder einer Entziehungsanstalt Untergebrachter wirtschaftlich ergiebige Arbeit leiste, stehe ihr therapeutischer Charakter stets im Vordergrund. Deshalb unterliege ein solcher Gefangener auch nicht der Arbeitspflicht nach § 41 StVollzG.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13. Juni 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält eine Beitragspflicht während der Unterbringung nach § 168 Abs 3 AFG für gegeben. Aus § 168 Abs 3 Satz 3 AFG, der auch die im Maßregelvollzug Untergebrachten als Gefangene bezeichne, ergebe sich die direkte Anwendbarkeit des § 43 StVollzG. Die Argumentation der Revision über die Beitragszahlung gehe fehl, weil sie den Begriff „Arbeitsbelohnung” als ausschlaggebend erachte. Zutreffend habe das LSG auf die Art der Beschäftigung und die Arbeitsleistung abgestellt. Entscheidend für die Beitragspflicht müsse der wirkliche Lebenssachverhalt sein und dementsprechend möglicherweise nachversichert werden. Ein Widerspruch zum Versicherungsprinzip ergebe sich danach nicht. Soweit die Revision auf den therapeutischen Charakter des Maßregelvollzugs abstelle, lasse sie unberücksichtigt, daß der Maßregelvollzug seine Aufgabe erst dann richtig erfülle, wenn über die medizinische Betreuung hinaus eine sinnvolle wertschöpfende Beschäftigung ermöglicht werde. Dies sei beim Kläger in der letzten Phase des Maßregelvollzugs der Fall gewesen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der BA ist begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht auf einer Verletzung des § 168 Abs 3 Satz 1 AFG. Der Kläger unterlag während des Maßregelvollzugs nicht der Beitragspflicht, so daß die Anspruchsvoraussetzung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4b AFG für einen Anspruch auf Alhi vom 8. Juli bis 7. August 1992 nicht erfüllt ist.

1. Nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4b AFG hat einen Anspruch auf Alhi nur, wer mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen kann. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat der Kläger lediglich in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1992 eine Beschäftigung als technischer Assistent beitragspflichtig ausgeübt. Zu Unrecht ist das LSG davon ausgegangen, der Kläger sei während seiner Unterbringung im W als Gefangener iS des § 168 Abs 3 AFG jedenfalls ab 1. Januar 1992 bei der Einrichtung bzw Führung des Fotolabors sowie der Mitarbeit an der Klinikzeitschrift beitragspflichtig gewesen. Eine solche Beitragspflicht hätte zwar nach § 107 Satz 1 Nr 6 AFG einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichgestanden. Die Merkmale für die Beitragspflicht Gefangener sind aber nicht erfüllt bei Gefangenen, die auf der Grundlage des § 64 StGB im Maßregelvollzug nach landesrechtlichen Vorschriften in einer Entziehungsanstalt untergebracht sind.

2. Beitragspflichtig sind Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45, 176 und 177 StVollzG) erhalten oder Ausbildungsbeihilfe nur wegen des Vorrangs der Berufsausbildungsbeihilfe nach § 40 AFG nicht erhalten, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften beitragspflichtig oder nach § 169c Nrn 1, 2 oder 3 AFG beitragsfrei sind (§ 168 Abs 3 Satz 1 AFG). Die Fassung der Vorschrift geht auf das RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) zurück und ist am 1. Januar 1992 in Kraft getreten. Inhaltlich hat sie keine Neuerungen erbracht, denn zuvor enthielt § 168 Abs 3a AFG idF des § 194 Nr 5 StVollzG vom 16. März 1976 (BGBl I 581) eine gleichlautende Regelung. Die nunmehr § 168 Abs 3 Satz 3 AFG zu entnehmende Begriffsbestimmung des Gefangenen, die auch im Maßregelvollzug untergebrachte Personen umfaßt, war zuvor der gleichsinnigen Regelung des § 163a Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des § 190 Nr 1 StVollzG zu entnehmen. Daß § 163a RVO nicht in Kraft getreten ist, weil § 198 Abs 3 StVollzG ihr Inkrafttreten einem besonderen Bundesgesetz vorbehielt, kann hier auf sich beruhen. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Kläger während seiner Unterbringung im W vom 12. Februar 1991 bis 28. Februar 1992 Gefangener iS des § 168 Abs 3 AFG war.

2.1 Die Beitragspflicht nach dieser Vorschrift tritt aber nur ein, wenn der Gefangene Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG erhält – die übrigen Voraussetzungen der Beitragspflicht kommen hier ohnehin nicht in Betracht. Der Klammerzusatz mit dem Hinweis auf Vorschriften des StVollzG begrenzt die Beitragspflicht von Gefangenen. Dieses vom Wortlaut des Gesetzes nahegelegte Verständnis wird durch die Gesetzesmaterialien zum StVollzG bestätigt und im Schrifttum geteilt. In der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks 7/918, S 106) heißt es: „Die Gefangenen, die Arbeitsentgelt … nach den §§ 40 bis 42 dieses Entwurfs erhalten, (werden) in die Beitragspflicht nach dem AFG … einbezogen”. Dementsprechend geht das Schrifttum davon aus, nur ein nach § 43 StVollzG gezahltes Arbeitsentgelt begründe die Beitragspflicht (Matzke, in: Schwind/Böhm ≪Hrsg≫, StVollzG, 2. Aufl 1991, § 194 RdNr 6; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 4. Aufl 1986, § 194 RdNr 6; Mrozynski, Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe ≪ZfStrVo≫ 1986, 288, 289; ders SGb 1990, 315 Fn 2; abweichend wohl: Volckart, Maßregelvollzug, 4. Aufl 1997, S 92 f). Da der Kläger nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht war, war die Vorschrift des § 43 StVollzG über das Arbeitsentgelt für ihn nicht einschlägig. Dies ergibt sich aus § 138 Abs 1 StVollzG, wonach sich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt nach Landesrecht richtet, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Die entsprechende Anwendung von Vorschriften des StVollzG ordnet § 138 Abs 2 StVollzG für diesen Sachbereich nur begrenzt an. Die Regelung über das Arbeitsentgelt des § 43 StVollzG umfaßt diese Verweisung gerade nicht. Da der Kläger während seiner Unterbringung nicht Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG bezogen hat, ist der Tatbestand der Beitragspflicht nach § 168 Abs 3 (früher: Abs 3a) AFG nicht erfüllt.

2.2 Zu Unrecht hat das LSG aus tatsächlichen Umständen wie der Art der Beschäftigung und der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung hergeleitet, die ihm gezahlte Arbeitsbelohnung sei einem Arbeitsentgelt iS des § 168 Abs 3 AFG iVm § 12 Abs 1 MRVG NRW gleichzustellen. Die Beschäftigung nach Landesrecht im Maßregelvollzug Untergebrachter ist arbeitstherapeutisch bestimmt; sie dient nicht dem Austausch von fremdnütziger Arbeit und Arbeitsentgelt (dazu eingehend: BSG SozR 4100 § 101 Nr 7). Als freiheitsbeschränkende Maßnahme ist sie durch ein bestimmtes Maßnahmeziel (Besserung oder Sicherung; Eingliederung) und einen darauf gerichteten Behandlungsplan gekennzeichnet. Ihr Vollzug ist gesetzlich geregelt. Für den Einsatz im Rahmen der Arbeitstherapie sieht § 12 Abs 1 MRVG ausschließlich eine Arbeitsbelohnung vor, die vom Träger der Einrichtung unter Berücksichtigung des Arbeitsergebnisses und der Verwertbarkeit festzusetzen ist. Eine Qualifizierung im Rahmen der Arbeitstherapie erbrachter Leistungen Untergebrachter durch Einzugsstelle, Sozialleistungsträger oder Sozialgerichte als Arbeit, die ein Arbeitsentgelt rechtfertigt, würde Aufgaben und Zuständigkeiten des Maßregelvollzugs nicht gerecht. Dieser wird inhaltlich durch den Behandlungsplan bestimmt. Zwar kann es je nach Behandlungsstadium oder Behandlungserfolg zu einer Annäherung des in der Arbeitstherapie Geleisteten an „regelrechte Arbeit” kommen. Die Entscheidung darüber, ob dem Untergebrachten Arbeitsbelohnung oder Arbeitsentgelt iS des § 12 Abs 1 MRVG zu zahlen ist, hat der Träger der Einrichtung zu treffen. Dabei sind Untergebrachte Entscheidungen der Vollzugsanstalten nicht etwa wehrlos ausgeliefert (dahingehende Befürchtungen sind in dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 7. Mai 1993 – L 4 Kr 766/90 – angedeutet). Für den Maßregelvollzug – auch nach Landesrecht – ist Rechtsschutz in gleichem Umfang wie während der Strafvollstreckung durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer gewährleistet (§§ 138 Abs 2, 108 ff StVollzG). Die besondere Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für die Regelung einzelner Angelegenheiten im Bereich des Maßregelvollzugs spricht dagegen, sie als rechtliche Vorfragen im Bereich des Sozialrechts durch die dort zuständigen Behörden und Gerichte überprüfen zu lassen. Der Entscheidung des Trägers der Einrichtung über Arbeitsbelohnung oder Arbeitsentgelt für eine während des Maßregelvollzuges verrichtete Tätigkeit kommt Tatbestandswirkung für Einzugsstelle, Sozialleistungsträger und Sozialgerichte zu. Andernfalls wären divergierende Entscheidungen kaum zu vermeiden, zumal eine Abgrenzung zwischen Arbeitstherapie und Lohnarbeit wegen fließender Übergänge und der Eigenart von Prognosen mit großer Unsicherheit belastet ist (vgl dazu: Volckart, Maßregelvollzug, aaO, 87 f). Unentschieden kann bleiben, ob die Tatbestandswirkung der Entscheidung über Arbeitsbelohnung und Arbeitsentgelt aus einer rechtsgestaltenden Wirkung dieser Entscheidung oder dem Sinn der Regelungen des Maßregelvollzugs herzuleiten ist (zu den Möglichkeiten der Begründung einer Tatbestandswirkung BSGE 70, 51, 53 f = SozR 3-4100 § 118 Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 62a Nr 1; BVerwGE 66, 315, 319 ff). Für die zweite Begründung spricht, daß die Entscheidung im Rahmen des Behandlungs- und Eingliederungsplans nach § 14 MRVG NRW zu sehen ist.

2.3 Die Annahme, der Gesetzgeber habe die beitragsrechtliche Stellung im Maßregelvollzug untergebrachter Personen (§§ 63, 64 StGB) übersehen (so Mrozynski SGb 1990, 315) wird durch die Begründung des StVollzG widerlegt. Eine planwidrige Unvollständigkeit (Gesetzeslücke), die Anlaß zu richterlicher Rechtsfortbildung geben kann (dazu: BSG SozR 3-6050 Art 71 Nr 8 mwN), liegt nicht vor. Der Gesetzgeber hat den Maßregelvollzug bewußt weitgehend landesrechtlichen Regelungen überlassen. Er hielt das „Modell der Rechtsstellung des Gefangenen” in Justizvollzugsanstalten nicht für voll übertragbar, weil die in psychiatrischen Krankenanstalten und Erziehungsanstalten Untergebrachten „im wesentlichen nicht anders als die Patienten dieser Anstalten behandelt werden können” (BT-Drucks 7/918, S 90). Die Fassung des § 168 Abs 3 AFG beruht mithin auf der Absicht, die Beitragspflicht auf Gefangene in Justizvollzugsanstalten zu beschränken.

3. Der Einsatz des Klägers als Fotograf während des Maßregelvollzugs bis einschließlich Februar 1992 begründet auch nicht die Beitragspflicht nach der allgemeinen Vorschrift des § 168 Abs 1 AFG. Danach sind Personen beitragspflichtig, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer), soweit sie nicht nach besonderen Vorschriften beitragsfrei sind.

3.1 Gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Gefangene iS des § 168 Abs 3 Satz 3 AFG spricht, daß der Gesetzgeber Anlaß gesehen hat, für Gefangene Spezialvorschriften über die Versicherungs- oder Beitragspflicht (§§ 190 ff StVollzG; § 168 Abs 3 AFG) bzw den Versicherungsschutz während Freiheitsentziehungen (§ 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Unfallversicherung) zu erlassen. Zu solchen Regelungen bestände kein Anlaß, wenn sich eine Beitragspflicht Gefangener bereits aus den allgemeinen Vorschriften herleiten ließe.

3.2 Die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 AFG hat der Kläger während seines Einsatzes als Fotograf im W nicht erfüllt. Während dieser Zeit war er nicht als Arbeitnehmer gegen Entgelt, sondern auf strafrichterliche Anordnung im Rahmen der Arbeitstherapie nach einem Behandlungsplan eingesetzt. Unabhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung dieses Sonderrechtsverhältnisses fehlt der Beschäftigung von im Maßregelvollzug untergebrachten Gefangenen das Merkmal des „freien Austausches von Lohn und Arbeit”, welches die Beitragspflicht begründende Beschäftigungsverhältnisse kennzeichnet (BSGE 27, 197, 198 ff = SozR Nr 54 zu § 165 RVO; BSG SozR 4100 § 101 Nr 7). Dieses Merkmal ist zwar bei einem Freigänger außerhalb des Vollzugs gegeben (dazu BSGE 67, 269, 271 = SozR 3-4100 § 103 Nr 2). Der Kläger ist aber bis zu seiner Beurlaubung ab 1. März 1992 nicht außerhalb der Anstalt und unabhängig vom Behandlungsplan beschäftigt gewesen.

Das LSG ist davon ausgegangen, der Kläger habe als Fotograf eine Arbeitsleistung erbracht, so daß die Arbeitsbelohnung als Arbeitsentgelt anzusehen sei. Zwar ist für die Feststellung von die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnissen iS der §§ 168 Abs 1, 173a AFG, § 7 SGB IV und eines Arbeitsentgelts iS der §§ 168 Abs 1, 173a AFG, § 14 SGB IV auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht aber die Wortwahl zur Regelung des Rechtsverhältnisses abzustellen. Diese Betrachtungsweise setzt aber ein „wirtschaftliches Austauschverhältnis” (BSG SozR 4100 § 101 Nr 7) voraus, das bei arbeitstherapeutischer Beschäftigung im Rahmen eines Behandlungsplans nicht gegeben ist. Die Beschäftigung ist nicht auf den Erwerb von Arbeitsentgelt, sondern auf ein Behandlungsziel gerichtet, dem die Unterordnung unter einen Behandlungsplan dient (LSG Nordrhein-Westfalen, Recht und Psychiatrie 1995, 76 f; SG Mannheim, Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung 1990, 174, 178). Auch wenn die Arbeitsleistung dem Maßnahmeziel der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nahekommt, bleibt der Therapiegedanke für die beitragsrechtliche Beurteilung bestimmend. Dieser Umstand ist auch geeignet, das Verhältnis zwischen der vom LSG angenommenen Arbeitsleistung und der Höhe der ihm gewährten Arbeitsbelohnung zu erklären. Die Ansicht des LSG, die Lohnhöhe sei für die Annahme von Beschäftigungsverhältnissen unerheblich, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu (zur Bedeutung von Art und Umfang gewährter Leistungen für die Feststellung von Beschäftigungsverhältnissen vgl BSG SozR 4100 § 101 Nr 7 mwN).

3.3 Für den Maßregelvollzug, in welchem eine Arbeitspflicht des Gefangenen nicht besteht, wird die Ansicht vertreten, die tatsächlichen Verhältnisse einer Beschäftigung könnten so beschaffen sein, daß von einem Beschäftigungsverhältnis iS des § 7 SGB IV auszugehen sei (Mrozynski SGb 1990, 315, 319). Diese Ansicht verkennt den Zweck des Maßregelvollzugs, der durch ein Behandlungsziel und einen darauf ausgerichteten Behandlungsplan bestimmt wird. Sie verkennt im übrigen, daß nicht das Bestehen einer Arbeitspflicht während des Maßregelvollzugs, sondern die auf strafrichterliche Entscheidung nach §§ 63, 64 StGB zurückgehende hoheitliche Anordnung der Maßregel der Umstand ist, welcher die Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses ausschließt. Das zeigt gerade das Beispiel des Freigängers, der zwar während des Strafvollzugs, aber nicht im Rahmen des Strafvollzugs ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, das durch den freien Austausch von Lohn und Arbeit gekennzeichnet ist.

4. Die hier vertretene Ansicht berührt sich mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die Klagen auf Arbeitsentgelt von Strafgefangenen für während der Gefangenschaft geleistete Arbeit für unzulässig hält, weil es sich nicht um Ansprüche aus einem Arbeits-, sondern einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis handele (BAGE 22, 1, 5; 53, 336, 340 f). Hiergegen läßt sich nicht mit Erfolg einwenden, diese Argumentation beruhe auf der durch verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerfGE 33, 1 ff) überholte Vorstellung vom „besonderen Gewaltverhältnis” (so Mrozynski SGb 1990, 315, 316). Jene Rechtsprechung besagt nur, daß Freiheitsbeschränkungen in öffentlich-rechtlichen Sonderrechtsbeziehungen ohne gesetzliche Grundlage verfassungsrechtlich ausgeschlossen sind. Die Sonderrechtsbeziehung im Maßregelvollzug Untergebrachter wird aber nunmehr durch spezielle gesetzliche Regelungen bestimmt, die eine eigenständige Beurteilung von Beschäftigungen im Maßregelvollzug nach den Grundsätzen ausschließt, die für das frei begründete Beschäftigungsverhältnis gelten. Die tatsächlichen Umstände, die für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses iS des § 7 SGB IV und des Arbeitsentgelts iS des § 14 SGB IV gelten, sind nicht maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob ein Gefangener Arbeitsentgelt iS des § 168 Abs 3 AFG erhalten hat und damit beitragspflichtig war. Insoweit folgt das Sozialrecht den im Maßregelvollzug getroffenen Regelungen, ohne die vom Untergebrachten im Vollzug erbrachten Leistungen eigenständig zu beurteilen (aA Mrozynski ZfStrVo 1986, 288, 290, der für eine eigenständige Beurteilung von „Vollzugsrechtsverhältnis” und „Sozialrechtsverhältnis” eintritt).

5. Die Regelungen der Beitragspflicht sind unter Gesichtspunkten der Gleichheit vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) nicht zu beanstanden.

5.1 Die Entscheidung über die Beitragspflicht Gefangener ist dem Gesetzgeber vorbehalten (BSGE 61, 62, 66 = SozR 2200 § 216 Nr 9; BSGE 67, 269, 270 = SozR 3-4100 § 103 Nr 2). Der Schutz Gefangener in den sozialen Versicherungssystemen ist – wie gerade die §§ 190 f StVollzG zeigen – bis jetzt bruchstückhaft geblieben. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden, daß dieser Rechtszustand nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz zu beseitigen ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 157 = NJW 89, 190).

5.2 Dies gilt auch für die Unterscheidung hinsichtlich der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung zwischen Gefangenen in Justizvollzugsanstalten und Gefangenen in psychiatrischen Kliniken (§ 63 StGB) und Entziehungsanstalten (§ 64 StGB). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht gerade darin, „diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinne als gleich ansehen will” (BVerfGE 90, 226, 239 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6; BSGE 76, 224, 227 = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 4 mwN). Maßgebend für die Regelung der Beitragspflicht ist nicht der Status eines Gefangenen oder das Bestehen von Arbeitspflicht, sondern die Unterbringung in psychiatrischen Kliniken oder Entziehungsanstalten. Dies ist sachlich begründet, weil es sich bei diesen Personen typischerweise um Kranke oder Süchtige handelt (Mrozynski ZfStrVo 1986, 288, 289; ders SGb 1990, 315, 318). Sie unterliegen deshalb einem Behandlungsplan, der den Vollzug der Maßregel auch hinsichtlich ihres Arbeitseinsatzes bestimmt. Gerade weil die Arbeitsleistung Kranker und Süchtiger schwankend ist, läßt sie sich während der Arbeitstherapie nur schwer feststellen. Insofern bestehen typischerweise Unterschiede zu Gefangenen in Justizvollzugsanstalten. Im übrigen sind für die Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber der Beitragspflicht von Personen, die im Maßregelvollzug arbeitstherapeutisch behandelt werden, Kostengesichtspunkte maßgebend. Fragen der Finanzierung sind aber bei der differenzierenden Gestaltung von Sozialleistungen und deren Voraussetzungen als sachgerechte und gewichtige Erwägungen zu berücksichtigen (BSGE 56, 90 f = SozR 3800 § 10 Nr 1; BSGE 76, 224, 232 = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 4).

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi ab 8. Juli 1992 sind danach nicht gegeben, so daß die Urteile der Vorinstanzen auf die Revision der BA aufzuheben sind und die Klage abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE 81, 162

BSGE, 162

SozR 3-4100 § 168, Nr.21

R&P 1999, 84

SozSi 1998, 399

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