Beteiligte

Bundesknappschaft

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. Juli 1998 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um eine Bergmannsvollrente gemäß Art 2 §6 des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG).

Der am 31. Dezember 1946 geborene Kläger war vom Jahre 1965 an überwiegend im Bergbau der DDR beschäftigt. Seinen Antrag vom September 1996 auf Bergmannsvollrente lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger erst Ende Dezember 1996 das 50. Lebensjahr vollende. Eine Rente könne daher frühestens am 1. Januar 1997, also erst nach dem nach Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 RÜG maßgebenden Anspruchszeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996, beginnen (Bescheid vom 5. November 1996, Widerspruchsbescheid vom 1. April 1997).

Vor dem Sozialgericht (SG) Halle (Urteil vom 12. Dezember 1997) und dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt (Urteil vom 29. Juli 1998) hat der Kläger keinen Erfolg gehabt. Das LSG hat ausgeführt, der Anspruch des Klägers scheitere an der Stichtagsregelung des Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 RÜG. Der für die Wahrung des Stichtags maßgebliche, beim Kläger nach dem 31. Dezember 1996 liegende, Rentenbeginn bestimme sich über Art 2 §44 Abs 1 RÜG nach §99 Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI). Diese Norm verdränge die allgemeine Vorschrift des §41 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) und stelle eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Übernahme des §66 Abs 1 Rentenverordnung der DDR (RentenVO) dar. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege nicht vor, weil die Übernahme verfahrensrechtlicher Regelungen des Rentenrechts der DDR nicht Gegenstand des Vertrauensschutzes nach Art 30 Abs 5 Einigungsvertrag (EinigVtr) gewesen sei. Zwar sei zweifelhaft, ob der Gesetzgeber die Konsequenzen der Anwendung der Vorschriften des SGB VI für Versicherte gesehen habe, die erst im Monat Dezember 1996 die Anspruchsvoraussetzungen „an sich” erfüllten. Dennoch reiche es für den nach Art 20 Abs 1 Satz 2 des Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (WWSUVtr) vorgeschriebenen fünfjährigen Übergangszeitraum für den Vertrauensschutz aus, wenn nicht auf die Vollendung des für die Rente maßgeblichen Lebensalters, sondern auf den Leistungsbeginn innerhalb dieses Zeitraumes abgestellt werde.

Mit seiner Revision rügt der Kläger, die Regelungen des Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 und §44 Abs 1 RÜG verletzten den verfassungsrechtlich garantierten Vertrauensschutz und Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Für den Anspruch auf Bergmannsvollrente komme es auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs im Dezember 1996 an. Die in Art 2 RÜG enthaltene Stichtagsregelung sei verfassungskonform auszulegen. Im Rentenrecht der DDR, das zumindest teilweise über den 3. Oktober 1990 hinaus fortbestanden habe, beginne die Rente nach §66 Abs 1 RentenVO in dem Monat, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt seien. Die Anwendung dieser Regelung sei durch den Verweis des Art 2 §44 Abs 1 RÜG auf §99 Abs 1 SGB VI nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr gebiete die Zielsetzung des RÜG, für bestimmte Personen rentennaher Jahrgänge die Regelung der RentenVO noch fortgelten und Ansprüche, die nach der RentenVO entstanden wären, noch entstehen zu lassen. Vertrauensschutz sei denjenigen zu gewähren, deren Anspruch nach dem Recht der DDR noch vor dem Stichtag entstanden wäre. Dies solle für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren gelten, wie sich aus den Grundgedanken der Art 2 §§6 und 1 Abs 1 Nr 3 RÜG ergebe. Dagegen verstoße der Ausschluß der im Monat Dezember 1946 Geborenen, die im Dezember 1996 das 50. Lebensjahr vollendeten. Denn nach der Rechtsauffassung des LSG bestünde der Vertrauensschutz lediglich vier Jahre und elf Monate. Im übrigen stelle der Ausschluß derjenigen, die im Monat Dezember 1996 die Anspruchsvoraussetzungen erfüllten, eine vom Gesetzgeber nicht bedachte und sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen, durch den Fünfjahreszeitraum geschützten Personen dar.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die angefochtenen Urteile und Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Dezember 1996 an eine Bergmannsvollrente nach Art 2 §6 RÜG zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

II

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bergmannsvollrente nach Art 2 §6 Abs 1 iVm §1 Abs 1 und §44 Abs 1 RÜG vom 25. Juli 1991 ≪BGBl I S 1606 ff≫ (1). Die Regelungen des RÜG, die dazu führen, daß ein Anspruch des Klägers auf Bergmannsvollrente nicht besteht, verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelungen folgt weder aus Art 14 Abs 1 Satz 1 GG (2a) noch aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (2b), dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (2c) oder dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG (2d).

(zu 1) Auf der Grundlage der Regelungen des RÜG und des SGB VI besteht kein Anspruch des Klägers auf Bergmannsvollrente nach Art 2 §6 Abs 1 RÜG. Danach haben Versicherte Anspruch auf diese Leistung, wenn sie das 50. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit einer bergbaulichen Versicherung von 25 Jahren erfüllt und mindestens 15 Jahre Tätigkeiten unter Tage ausgeübt haben. Inwieweit hier die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch gegeben sind, kann dahinstehen, denn der Anspruch des Klägers ist jedenfalls nach Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 RÜG ausgeschlossen.

Hiernach ist Voraussetzung für alle Rentenansprüche des Art 2 RÜG, daß die Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 beginnt. Daran fehlt es dem Anspruch des Klägers. Der Kläger vollendete sein 50. Lebensjahr erst im Dezember 1996. Die Rente könnte damit erst am 1. Januar 1997 beginnen. Denn für den Beginn ausnahmslos aller Renten nach Art 2 RÜG sind gemäß Art 2 §44 Abs 1 RÜG die Vorschriften des SGB VI entsprechend anzuwenden. §99 Abs 1 SGB VI bestimmt, daß eine Rente aus eigener Versicherung erst von dem Kalendermonat an zu leisten ist, zu dessen Beginn die (alle) Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Damit weicht das RÜG vom Rentenrecht der ehemaligen DDR ab, das in §66 Abs 1 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 (≪GBl DDR I Nr 38 S 401≫ - RentenVO -) den Rentenbeginn auf den Ersten des Kalendermonats festlegte, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden; Art 2 §44 Abs 1 RÜG schreibt statt dessen ausdrücklich die Anwendung des §99 Abs 1 SGB VI vor. Nach der Begründung des RÜG-Entwurfs wurde die vom Recht der ehemaligen DDR abweichende Regelung getroffen, da der Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art 30 Abs 5 EinigVtr sich auf die Tatbestände des Beginns, der Änderung und des Endes von Rente nicht beziehe (BT-Drucks 12/404 S 146 zu Art 2 §44). Die vom LSG gehegten Zweifel, ob der Gesetzgeber die Wirkung der getroffenen Regelung erkannt habe, sind demnach gegenstandslos. Diese Wirkung ist vielmehr notwendige Folge der bewußt gewählten und nach dem Wortlaut des Art 2 §44 Abs 1 RÜG eindeutigen Anordnung der entsprechenden Anwendung der Vorschriften des SGB VI über Beginn, Änderung und Ende von Renten. Sie läßt keine Auslegung iS des Klägers zu, der aufgrund des Überleitungscharakters des RÜG neben Art 2 §44 Abs 1 RÜG eine Anwendung des §66 Abs 1 RentenVO für möglich hält.

Eine Angleichung der Rentenbeginndaten nach Art 2 RÜG einerseits und nach dem SGB VI andererseits lag auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität nahe. Andernfalls hätte in vielen Fällen jeweils zunächst für einen Monat (entsprechend dem früheren DDR-Recht) eine Rente nach Art 2 RÜG gewährt werden müssen, um sogleich im nächsten Monat durch die (höhere) SGB VI-Rente abgelöst zu werden.

Ein früherer Rentenbeginn läßt sich schließlich nicht aus der Rechtsprechung des 4. und des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zum Begriff des „bestehenden Anspruchs” iS des §300 Abs 2 SGB VI herleiten (siehe BSG vom 23. Juni 1994, SozR 3-2600 §300 Nr 3; BSG vom 22. Februar 1995 - 4 RA 88/94 -, nicht veröffentlicht; BSG vom 30. Juni 1997 - 4 RA 2/97 -, in HVBG-INFO 1997, 2339 = BAGUV RdSchr 105/97; BSG vom 21. Februar 1996, SozR 3-2600 §300 Nr 6). Diese Rechtsprechung ist auf den hier zu entscheidenden Rechtsstreit nicht übertragbar. Maßgeblich für die Entscheidungen war die Regelung des Rentenbeginns nach §67 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) bzw §1290 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Hiernach war, abweichend von §99 Abs 1 SGB VI, die Rente „vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind”. Hieraus hatten der 4. und der 5. Senat des BSG gefolgert, daß die Formulierung „vom Ablauf des Monats an” den Rentenbeginn auf den letzten Augenblick des Monats bestimme, der rechtlich noch zu diesem gehöre. Demgegenüber ist nach §99 SGB VI der Rentenbeginn auf den Kalendermonat festgelegt, zu dessen Beginn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Angesichts dieses Unterschiedes ist unerheblich, daß der 4. und 5. Senat des BSG die Vorauszahlungsverpflichtung des §1297 Satz 1 RVO bzw §74 Satz 1 AVG, die auch nach neuem Recht gemäß §118 Abs 1 SGB VI fortbesteht, ergänzend herangezogen haben. Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 RÜG stellt ausschließlich auf den Rentenbeginn und damit nicht auf den Eintritt der Zahlungsverpflichtung oder das „Bestehen des Anspruchs” ab. Nach Art 2 §44 Abs 1 RÜG sind „die Vorschriften über Beginn, Änderung und Ende von Renten des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend anzuwenden”. Diese Vorschriften finden sich wiederum im Zweiten Kapitel, Zweiter Abschnitt, Fünfter Unterabschnitt des SGB VI, während die Zahlungsmodalitäten im Zweiten Kapitel, Sechster Abschnitt, Zweiter Unterabschnitt des SGB VI geregelt sind. §99 SGB VI trägt die amtliche Überschrift „Beginn”.

(zu 2a) Der Ausschluß des Anspruchs auf Bergmannsvollrente nach Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 iVm §44 Abs 1 RÜG verstößt nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG. Nach Art 3 EinigVtr vom 31. August 1990 (BGBl II 889) trat das Grundgesetz am 3. Oktober 1990 mit den sich aus Art 4 EinigVtr ergebenden Änderungen im Beitrittsgebiet in Kraft (s BVerfG vom 30. Oktober 1993, SozR 3-8560 §26 Nr 1 S 9; BSG vom 29. Juli 1997 - 4 RA 56/95 - Umdr S 9, nur mit Kurzwiedergabe veröffentlicht in SGb 1997, 518). Mit der Ergänzung des Art 135a GG um einen Abs 2 durch Art 4 Nr 4 EinigVtr sollte dem gesamtdeutschen Gesetzgeber für die Regelung des Beitritts der DDR unabhängig von Art 14 GG ein Gestaltungsspielraum gegeben werden (BT-Drucks 11/7760 S 359 zu Kapitel II Artikel 4 Nr 4). Eigentumsschutz nach Art 14 Abs 1 GG besteht daher für solche Rechtspositionen, die von den Staatsorganen der DDR zugunsten von Privatpersonen geschaffen wurden, allenfalls dann, wenn sie vom Gesetzgeber der Bundesrepublik entweder neu begründet oder zumindest als bestehend anerkannt worden sind (BSG vom 8. November 1995, SozR 3-8755 §6 Nr 1 S 9; BSG vom 14. August 1996, SozR 3-8120 Kapitel VIII H III Nr 9 Nr 9 S 86; BSG vom 14. September 1995, SozR 3-8120 Kapitel VIII H III Nr 6 Nr 1 S 10; BSG vom 5. Dezember 1996 - 4 RA 31/95 - Umdr S 11).

Ob Art 20 Abs 1 WWSUVtr vom 18. Mai 1990 (GBl DDR I Nr 345 S 232 = BGBl II 537) oder Art 30 Abs 5 EinigVtr eine individuelle, dem Eigentumsschutz nach Art 14 Abs 1 GG unterliegende Rechtsposition des Klägers begründen, kann hier dahinstehen, denn die Regelungen des Art 2 RÜG halten sich im Rahmen der Vorgaben des WWSUVtr und des EinigVtr und verletzen diese nicht. Art 20 Abs 1 WWSUVtr schreibt vor, daß bei der Angleichung des Rentenrechts der DDR an das auf dem Grundsatz der Lohn- und Beitragsbezogenheit beruhende Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik in einer Übergangszeit von fünf Jahren für die rentennahen Jahrgänge dem Grundsatz des Vertrauensschutzes Rechnung getragen wird. Entgegen der Meinung des Klägers ist nur an dieser Stelle und nicht auch im RÜG für die rentennahen Jahrgänge ein Vertrauensschutzzeitraum von „fünf Jahren” mit Worten so benannt worden. Entsprechend dieser Vorschrift des WWSUVtr regelt Art 30 Abs 5 EinigVtr den Bestandsschutz bei der Überleitung der ab 1. Januar 1992 geltenden Vorschriften des Renten- und Unfallversicherungsrechts. Danach richtet sich bis zum 30. Juni 1995 der Mindestzahlbetrag der Rente und die Beurteilung, ob ein Rentenanspruch besteht, nach dem bis zum 30. Juni 1990 geltenden Recht der DDR. Art 30 Abs 5 EinigVtr legt damit ausgehend vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des WWSUVtr am 30. Juni 1990 (Art 38 WWSUVtr, Bekanntmachung vom 18. Juli 1990, GBl DDR I Nr 50 S 953) als rechtliche Vorgabe eines RÜG einen Vertrauensschutzzeitraum fest, der genau fünf Jahre umfaßt. Dementsprechend sah der RÜG-Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP und der wortgleiche Gesetzentwurf der Bundesregierung in Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 eine Befristung der Rentenansprüche für Versicherte vor, deren Rente in der Zeit vom Inkrafttreten des RÜG an, dem 1. Januar 1992, bis zum 30. Juni 1995 beginnt (BT-Drucks 12/405 S 62 Art 2 §1 und S 139 zu Art 2 §1; BT-Drucks 12/630 S 7). Bei dieser durch den WWSUVtr und den EinigVtr vorgegebenen Vertrauensschutzregelung hat es der Gesetzgeber indessen nicht belassen. Der Zeitraum vom 1. Juli 1990 bis zum 30. Juni 1995 war mehrfach als zu kurz kritisiert worden (s Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks 12/827 S 4; Plenarprotokolle 12/35 Abgeordnete Bless ≪PDS/Linke Liste≫ S 2942 ≪B≫, Abgeordnete Jäger ≪SPD≫ S 2954 ≪D≫). Um diesen Bedenken in großzügiger Weise Rechnung zu tragen, schlug man eine Erweiterung der Vertrauensschutzregelung um gut ein Jahr und fünf Monate vor. Der danach gewährte Vertrauensschutz umfaßte demzufolge insgesamt einen Zeitraum von rund sechs Jahren und fünf Monaten. Entsprechend dem von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Änderungsantrag (BT-Drucks 12/829 S 2 II) ist Art 2 Abs 1 Nr 3 RÜG daraufhin mit dem Stichtag 31. Dezember 1996 beschlossen worden.

(zu 2b) Ein Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes durch die Regelungen des Art 2 RÜG, die dem Anspruch des Klägers auf Bergmannsvollrente entgegenstehen, liegt danach ebenfalls nicht vor. Die Regelungen des RÜG, die den Anspruch auf Bergmannsvollrente zeitlich begrenzen, schaffen einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit an einer Angleichung des Rentenrechts und den Individualinteressen des Klägers. Es kann deshalb dahinstehen, ob der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes erst für die nach dem 3. Oktober 1990 vom bundesdeutschen Gesetzgeber neu begründeten oder anerkannten Ansprüche gilt. Jedenfalls genügt der im Rentenüberleitungsrecht geschaffene Vertrauensschutz den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Das Ausmaß des individuellen Vertrauensschutzes ergibt sich aus einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG vom 23. Juni 1993, BVerfGE 89, 48, 66; BSG vom 10. März 1994, BSGE 74, 101, 107). Zu berücksichtigen ist dabei, daß angesichts der Umwälzungen, die zur Einheit Deutschlands geführt haben, die Bürger der ehemaligen DDR objektiv nicht damit rechnen konnten, daß diese tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen ohne einschneidende Änderungen in den persönlichen Lebensverhältnissen bleiben würden. Dem Vertrauensschutzinteresse des Klägers kann daher nicht dasselbe Gewicht beigemessen werden, wie den Interessen Betroffener bei gesetzlichen Änderungen, die ohne diesen historisch einmaligen Kontext vorgenommen werden. Hinzu kommt, daß dem Bereich der Rentenversicherung eine Anpassung an geänderte Verhältnisse immanent ist (BVerfG vom 18. Februar 1998, BVerfGE 97, 271, 289 mwN). Auf die Intensität des Vertrauensschutzes wirkt sich auch aus, inwieweit der Gesetzgeber durch das Gleichbehandlungsgebot zu einem verändernden Eingriff in Rechtspositionen gezwungen war (BVerfG vom 18. Februar 1998, BVerfGE 97, 271, 289). Gerade im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung war der Gesetzgeber wegen des Gleichheitsgrundsatzes des Art 3 Abs 1 GG gehalten, Unterschiede in der Rentenversicherung beider deutschen Staaten in angemessener Zeit abzubauen (BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 15. Februar 1996 - 1 BvR 1429/95 -, nicht veröffentlicht).

Nach bundesdeutschem Recht besteht ein dauerhafter Rentenanspruch für Bergleute ohne nachgewiesene Einschränkung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit erst ab dem 60. Lebensjahr und setzt nicht nur das Bestehen einer 25jährigen bergbaulichen Versicherung, sondern auch die Verrichtung ständiger Arbeiten unter Tage oder gleichgestellter Arbeiten in demselben Zeitraum voraus (§§40, 50 Abs 4 iVm §51 Abs 2 und §61 SGB VI). Demgegenüber stellt der Anspruch auf Bergmannsvollrente erheblich geringere Anforderungen.

Bezogen auf die Gemeinschaft aller Versicherten gehen dem Kläger zudem Versicherungs- und Beitragszeiten, die seine Anspruchsberechtigung innerhalb der Versichertengemeinschaft ausmachen, nicht verloren. Auf der Grundlage dieser Zeiten nimmt er an den Verbesserungen teil, die die Überleitung des Rentenrechts mit sich bringt, zB flexible Altersgrenzen, eine erheblich geringere Wartezeit und die Dynamisierung der Renten. Diese Vorteile kamen den Versicherten bereits ab 1. Januar 1992 neben dem Vertrauensschutz zugute. Als mit der Angleichung notwendig verbundene Vorteile sind sie in die Wertung einzubeziehen.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Kläger durch den Verlust des Anspruchs auf Bergmannsvollrente nicht völlig ohne entsprechenden Versorgungsanspruch ist. Geht man davon aus, daß die Bergmannsvollrente ihrer Funktion nach eine Erwerbsunfähigkeitsrente darstellt (Polster in Kasseler Komm, Art 2 §6 RÜG RdNr 2; Diel in Hauck, SGB VI, K-Ü §6 RÜG RdNr 1 und K-Ü §2 RÜG RdNr 7), ist der Kläger gegen dieses Risiko nach wie vor durch die §§43, 44 und 45 SGB VI abgesichert. Lediglich die für den Anspruch auf Bergmannsvollrente aufgrund von Erfahrungswerten unterstellte Minderung des Leistungsvermögens müßte er für die Ansprüche nach SGB VI konkret nachweisen. Daneben steht dem Kläger – soweit er die Voraussetzungen erfüllt – auch die Knappschaftsausgleichsleistung nach §239 SGB VI zu.

Mit der Fortführung der nach DDR-Recht bestehenden Ansprüche geht eine Begünstigung der Versicherten des Beitrittsgebiets gegenüber Versicherten der alten Bundesländer einher, die mit Kosten verbunden ist. Diese werden von der Allgemeinheit bzw der Solidargemeinschaft aller Versicherten getragen. Die vertrauensgeschützten Ansprüche nach dem Recht der ehemaligen DDR stehen hingegen nur einem kleinen Teil der Versicherten zu. Es besteht daher ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, möglichst schnell zu einer Angleichung der Rechtsverhältnisse zu kommen.

Die Bestandsschutzregelung des RÜG stellt sicher, daß sich der Zahlbetrag laufender Leistungen nicht mindert und darüber hinaus Anwartschaften nach DDR-Recht bis zu rund sechs Jahren und fünf Monaten nach Abschluß des WWSUVtr realisiert werden können. Angesichts der Gesamtumstände, insbesondere der einmaligen Situation der Wiedervereinigung und der durch Art 3 Abs 1 GG gebotenen Gleichbehandlung aller Versicherten in Ost und West, ist die Übergangsregelung des Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 RÜG mit der Befristung bis zum 31. Dezember 1996 als ein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen des nach dem Recht der ehemaligen DDR versicherten Klägers zu bewerten.

Entgegen der Auffassung des Klägers führt die Tatsache, daß für die Ermittlung des Rentenbeginns nach Art 2 §44 Abs 1 RÜG der §99 Abs 1 SGB VI und nicht §66 Abs 1 RentenVO anzuwenden ist, zu keinem anderen Ergebnis. Die daraus resultierende Verkürzung des Übergangszeitraumes vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 um einen Monat führt unter Vertrauensschutzgesichtspunkten zu keiner anderen Bewertung. Wegen der Verlängerung des Vertrauensschutzzeitraumes durch das RÜG gegenüber den Vorgaben des WWSUVtr und des EinigVtr und aufgrund der Tatsache, daß die Regelungsmaterien ihrer Natur nach eine monatsgenaue Festlegung nicht erfordern, lag es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, aus verwaltungspraktischen Gründen für den Rentenbeginn einheitlich die Anwendung des SGB VI vorzuschreiben.

(zu 2c) Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ergibt sich keine Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung des Art 2 §1 Abs 1 Nr 3 RÜG. Eine den Kläger belastende Ungleichbehandlung ergibt sich gegenüber denjenigen, deren Rente bis zum 31. Dezember 1996 beginnt und die damit die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Bergmannsvollrente nach Art 2 §6 RÜG erfüllen.

Solche Stichtagsregelungen bieten zwar ein formales Kriterium, das mit gewissen Härten verbunden ist, sie sind jedoch als gesetzestechnisches Instrument kaum zu entbehren und deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden (BVerfG vom 8. April 1986, BVerfGE 71, 364, 397 f; BVerfG vom 6. Dezember 1988, BVerfGE 79, 212, 219). Härten, die jeder derartigen Regelung innewohnen, müssen hingenommen werden, wenn die Einführung des Stichtags notwendig ist und sich die Wahl des Zeitpunktes am gegebenen Sachverhalt orientiert und die Interessenlage der Betroffenen angemessen erfaßt (BVerfG vom 1. Juli 1981, BVerfGE 58, 81, 126; BVerfG vom 6. Dezember 1988, BVerfGE 79, 212, 219 f; BVerfG vom 7. Juli 1992, BVerfGE 87, 1, 43, jeweils mwN). Die Stichtagsregelung schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse der Versicherten des Beitrittsgebiets und dem Interesse der Allgemeinheit an einer zur Herstellung der staatlichen Einheit erforderlichen Angleichung des Sozialversicherungsrechts im geeinten Deutschland. Für diesen Interessenausgleich haben der EinigVtr und die auf ihm beruhenden Regelungen für eine Übergangszeit bewußt eine Ungleichbehandlung der Versicherten in den alten und in den neuen Bundesländern hingenommen (BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 15. Februar 1996 - 1 BvR 1429/95 -, nicht veröffentlicht). Diese Ungleichbehandlung zwang den Gesetzgeber zu einer Befristung. Notwendige Folge dieser Befristung ist ein zeitlicher Schnitt, der eine iS von Art 3 Abs 1 GG gleiche Personengruppe trennt und damit ungleich behandelt. Die sachliche Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung folgt aus der Notwendigkeit der Stichtagsregelung und der im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzprüfung dargelegten Angemessenheit des Interessenausgleichs und den oa Gründen der Verwaltungspraktikabilität.

(zu 2d) Schließlich kann auch das Sozialstaatsprinzip dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Das Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG enthält vorrangig einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, die einen Ausgleich der sozialen Gegensätze schafft (BVerfG vom 8. Oktober 1985, BVerfGE 70, 278, 288; BVerfG vom 16. Juli 1985, SozR 2200 §165 Nr 81 S 136; BSG vom 20. August 1986, BSGE 60, 189, 193 = SozR 2200 §183 Nr 50). Unmittelbare Ansprüche können aus ihm nur ausnahmsweise hergeleitet werden. Gerade die Schaffung einer gerechteren Sozialordnung erforderte, die mit der Übergangsregelung einhergehende Ungleichbehandlung der Versicherten in Ost und West auf das verfassungsrechtlich zulässige Mindestmaß zu reduzieren.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §193 SGG.

 

Fundstellen

NJ 1999, 354

SGb 1999, 406

SozSi 2000, 70

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