Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 01.03.1990)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 1. März 1990 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 26. September bis 15. Oktober 1987 und die Minderung einer Anspruchsberechtigung auf Alg um 72 Wochentage.

Das Arbeitsamt Bremen gewährte dem 1966 geborenen, seinerzeit ungelernten Kläger nach Ableistung des Zivildienstes (1. August 1985 bis 31. März 1987) ab 2. April 1987 Alg, das der Kläger – unter Berücksichtigung der Rückforderung einer Überzahlung – bis zum 31. Juli 1987 bezog. Am 3. August 1987, einem Montag, begann er bei der G. … B. … KG in B. … eine dreijährige Lehre, und zwar ausweislich des Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Tischler. Als Probezeit waren drei Monate vereinbart. Noch während dieser Probezeit wurde das Ausbildungsverhältnis zum 25. September 1987 beendet, ob aufgrund einer Kündigung des Klägers oder aufgrund eines Aufhebungsvertrages hat das Landessozialgericht (LSG) offen gelassen. Der Kläger hat als Grund für sein Verhalten angegeben, er habe Möbeltischler werden wollen. Für die Möbelherstellung habe die Ausbildungsfirma jedoch keine Aufträge gehabt; während der Ausbildung habe er überwiegend Fenster beschlagen, grundiert, ausgebessert und montiert.

Der Kläger meldete sich am 23. September 1987 arbeitslos und beantragte Alg. Das Arbeitsamt entsprach diesem Antrag nicht, sondern stellte für die Zeit vom 26. September bis 18. Dezember 1987 eine Sperrzeit fest, die den Anspruch um 72 Tage mindere (Bescheid vom 15. Oktober 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. November 1987). Am 16. Oktober 1987 nahm der Kläger eine bis zum 18. Dezember 1987 befristete Arbeit auf. Danach bewilligte das Arbeitsamt nach erneutem Antrag und erneuter Arbeitslosmeldung Alg ab 19. Dezember 1987 in Höhe von 196,80 DM wöchentlich, und zwar für verbliebene 84 Wochentage.

Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 15. Oktober 1987 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. November 1987) aufgehoben und die Berufung zugelassen (Urteil vom 3. April 1989). Die Berufung der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen. Das Urteil ist am 1. März 1990 verkündet worden; die Zustellungen des Urteils erfolgten am 6. September 1990.

Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt, eine Sperrzeit habe schon deshalb nicht eintreten können, weil – entgegen den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. April 1989 – 7 RAr 70/88 – und vom 13. März 1990 – 11 RAr 69/88 – nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung nur die Lösung eines Arbeitsverhältnisses, nicht auch die eines Berufsausbildungsverhältnisses zu einer Sperrzeit führen könne. Das ergebe eine Wortlaut und -sinn der Vorschrift, die Systematik aller Sperrzeittatbestände, den Gesetzeszweck und die historische Entwicklung seit 1927 berücksichtigende Auslegung, zu der das LSG umfangreiche Ausführungen gemacht hat. Weil eine Sperrzeit nicht eintreten könne, komme es nicht darauf an, ob der Kläger für sein Verhalten einen wichtigen Grund gehabt habe.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG. Dem Urteil des LSG fehle es an Überzeugungskraft. Das LSG habe dem Umstand keinerlei Beachtung geschenkt, daß § 101 Abs 2 AFG nicht nur für diese Bestimmung, sondern für den gesamten Vierten Abschnitt des Gesetzes, der die Leistungen bei Arbeitslosigkeit regele, die im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung Beschäftigten in den Begriff des Arbeitnehmers einbeziehe. Damit sei auch der Begriff Arbeitsverhältnis mittelbar in dem Sinne ausgefüllt, daß für die Anwendung der Vorschriften des Vierten Abschnitts auch ein Berufsausbildungsverhältnis als Arbeitsverhältnis anzusehen sei. Die Ausführungen des LSG zur Systematik der einzelnen Sperrzeittatbestände ergäben letztlich lediglich, daß Berufsausbildungsverhältnisse keine Maßnahmen iS von § 119 Abs 1 Satz 1 Nrn 3 und 4 AFG seien, was dem im Gesetzgebungsverfahren verlautbarten Willen entspreche. Völlig verfehlt seien die Ausführungen des LSG über Gesetzessinn und -zweck. Ohne das bereits vorhandene gesetzliche Korrektiv des wichtigen Grundes zu beachten, gewichte das LSG undifferenziert und einseitig die Interessen anhand des anscheinend als typisch angesehenen, nahezu mitleiderregend gezeichneten Bildes eines Auszubildenden, der durch die Sperrzeitdrohung auf Gedeih und Verderb an eine ungeliebte Berufsrichtung gefesselt und ausgebeutet werde. Auch die abschließende gesetzeshistorische Betrachtung des LSG liefere keinen hinreichenden Beleg dafür, daß das Gesetz Personen in einer betrieblichen Ausbildung von der Sperrzeitdrohung des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG ausgenommen habe. Den Besonderheiten der Interessen und Motiven bei der Aufgabe von Berufsausbildungsplätzen könne, wie das BSG bereits hervorgehoben habe, durch angemessen weite Abgrenzung des wichtigen Grundes Rechnung getragen werden. Dieser vom LSG bewußt vernachlässigte Gesichtspunkt spreche gegen dessen Bemühungen, sich von einer bereits als gefestigt zu betrachtenden – und zudem zu einer überholten Gesetzeslage ergangenen -Rechtsprechung des BSG zu distanzieren. Da das LSG keine Feststellungen zur Frage eines wichtigen Grundes getroffen habe, dürfte der Rechtsstreit für eine abschließende Entscheidung nicht reif sein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen,

und hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des SG den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger teilt die Auffassung des LSG. Ergänzend macht er geltend, sein Fall unterscheide sich von dem, den der erkennende Senat durch Urteil vom 26. April 1989 entschieden habe. Der damalige Kläger habe durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses durch den Arbeitgeber gegeben und damit Belange der Solidargemeinschaft mißachtet. Der Kläger habe dagegen für sich in Anspruch genommen, ausgebildet zu werden, wobei er die Qualifikation eines Möbeltischlers habe erwerben wollen. Nachdem er habe erkennen müssen, daß er dieses Ausbildungsziel bei der G. … B. … KG nicht erreichen könne, habe er hieraus seine Konsequenzen gezogen. Das Problem des wichtigen Grundes habe sich für ihn nicht gestellt, da er während der Probezeit das Ausbildungsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist und ohne Angabe von Gründen beenden könne. Die zeitweilige Arbeitslosigkeit habe er weder mutwillig noch vorsätzlich herbeigeführt. Der weitere Verlauf bestätige die Richtigkeit seiner Entscheidung: Inzwischen habe er das zweite Ausbildungsverhältnis mit großem Erfolg als Möbeltischler abgeschlossen und sei auf der Suche nach einem Studienplatz.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Ob die Sache schon deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, weil die Entscheidung des LSG nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung abgesetzt worden ist und infolgedessen iS des § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 551 Abs 1 Nr 7 Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht mit Gründen versehen ist (vgl BVerwG, Urteil vom 3. August 1990 – 7 C 41 -43.89 – BVerwGE 85, 273 = DÖV 1991, 159, 161 unter Hinweis auf BGH NJW 1987, 2446; BVerwG MDR 1991, 473; anders BSGE 53, 186, 187 f = SozR 1750 § 551 Nr 10) oder wegen Auseinandersetzung mit dem Urteil des BSG vom 13. März 1990 – 11 RAr 69/88 – nicht gewährleistet ist, daß das mehr als 6 Monate nach Verkündung zugestellte Urteil noch zuverlässig die Gründe wiedergibt, die bei der Beratung der Sache am 1. März 1990 für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn auch wenn der Mangel fehlender Entscheidungsgründe nicht vorliegt oder – in Ermangelung einer entsprechenden rechtzeitigen Revisionsrüge – nicht zu berücksichtigen ist (vgl dazu jedoch BSGE 51, 122, 125 = SozR 1750 § 551 Nr 9), muß die Sache an das LSG zurückverwiesen werden. Es fehlen nämlich Tatsachenfeststellungen, die eine abschließende Entscheidung ermöglichen.

Zu entscheiden ist über eine verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage. Das Arbeitsamt hat mit dem angefochtenen Bescheid Alg ab 26. September 1987 abgelehnt, auch wenn es sich auf die Feststellung einer Sperrzeit beschränkt zu haben scheint. Denn die Arbeitsämter haben – von Ausnahmefällen abgesehen – auch bei Sperrzeiten nicht Entscheidungen über Sperrzeiten, sondern „über den Anspruch” (§ 146 AFG) zu treffen. Die sog Sperrzeitbescheide haben daher in der Regel nicht die Feststellung von Sperrzeiten oder das Ruhen des Anspruchs wegen Eintritts einer Sperrzeit zum Inhalt. Sie regeln vielmehr die rechtlichen Folgen der Sperrzeiten, indem die beantragte Leistung für die Dauer der Sperrzeit abgelehnt und – bei Ansprüchen auf Alg – die Dauer des Anspruchs um die Tage der Sperrzeit gemindert wird; daß eine Sperrzeit eingetreten ist, ist die Begründung für die getroffenen Regelungen, nicht aber selbst Inhalt der Regelungen (vgl BSGE 66, 94, 95 = SozR 4100 § 119 Nr 36). Ist hier also Alg abgelehnt worden, wenn auch nur für beschränkte Zeit, ist die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG die gebotene Klageart.

Die Anfechtungsklage ist in solchen Fällen unzulässig. Sie genügt zwar, wenn nach zunächst ausgesprochener Leistungsbewilligung diese aufgehoben wird, zB wegen Eintritts einer Sperrzeit, um im Falle des Klagerfolgs die Leistung zu erhalten; denn die Kassation des aufhebenden Verwaltungsakts stellt die Bewilligung wieder her (vgl BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19; BSGE 49, 197, 198 f). Ist aber für die Zeit, in die die streitige Sperrzeit fällt, Alg noch nicht bewilligt worden, wie das hier der Fall ist, kann der Arbeitslose das übliche Klagziel der Verurteilung der beklagten Bundesanstalt für Arbeit zur Zahlung von Alg mit der bloßen Anfechtungsklage nicht erreichen. Ist eine Anfechtungsklage begründet, ist nämlich lediglich der angefochtene Verwaltungsakt aufzuheben. Ein solches Urteil hindert bei Rechtskraft die Verwaltung zwar, die aufgehobene Regelung mit der gleichen Begründung zu wiederholen. Darin erschöpft sich aber auch die Wirkung des auf die Anfechtungsklage hin ergehenden Urteils; es hat nicht schon zur Folge, daß die Verwaltung die streitige Leistung gewähren muß. Ist aber das erstrebte Prozeßziel nur durch die verbundene Anfechtungs-und Leistungsklage zu erreichen, ist die reine Anfechtungsklage unzulässig (vgl BSGE 8, 3, 5 ff; 36, 181, 183; Urteil des Senats vom 13. Juni 1985 – 7 RAr 107/83BSGE 58, 154 = SozR 2100 § 27 Nr 4, insoweit nicht abgedruckt).

Allerdings hat der Kläger sich auf eine reine Anfechtungsklage beschränkt, folgt man dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrag. Indessen ist der Senat an die Fassung des Antrags nicht gebunden, da dieser den vom Kläger erhobenen Anspruch, über den allein zu entscheiden ist, nicht richtig wiedergibt (vgl § 123 SGG). Im Schriftsatz vom 30. Juni 1988 hat der – damals noch nicht anwaltlich vertretene – Kläger sein Klagziel selbst treffend formuliert; denn hiernach will er neben der Aufhebung der ergangenen Regelung ua Nachzahlung für die Zeit vom 26. September bis 15. Oktober 1987, dh zusätzlich die Zahlung von Alg. Es ist nicht ersichtlich, daß der Kläger dieses Klagziel aufgegeben oder eingeschränkt hat. Zu entscheiden ist hiernach über eine zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage. Daß ggf das Verbot der reformatio in peius (Verböserungsverbot) das Rechtsmittelgericht hindert, das mit dem Rechtsmittel angegriffene Urteil der Vorinstanz zum Nachteil des Rechtsmittelklägers zu ändern (vgl dazu das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 17. Januar 1991 – 7 RAr 70/90 –), hier also zusätzlich eine Verurteilung zur Leistung auszusprechen, steht der Zulässigkeit dieser Klage nicht entgegen.

Ob dem Kläger für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit vom 26. September bis 15. Oktober 1987 Alg zu zahlen und die Dauer seines Anspruchs um 72 Tage vermindert ist, richtet sich nach den §§ 100 ff AFG in der zuletzt durch das Gesetz zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit vom 27. Juni 1987 (BGBl I 1542) geänderten Fassung. Anspruch auf Alg hat, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat (§ 100 Abs 1 AFG). Der Kläger war im September 1987 arbeitslos, hatte sich arbeitslos gemeldet und Alg beantragt und hatte im April 1987 einen Anspruch auf Alg erworben, dessen Dauer im September 1987 noch nicht erschöpft war. Stand der Kläger auch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, was das LSG nicht geprüft hat, hatte er alle Voraussetzungen des § 100 Abs 1 AFG erfüllt, die ihn berechtigt hätten, ab 26. September 1987 wieder Alg zu beziehen.

Dennoch hätte der Kläger kein Alg für die Zeit vom 26. September bis 15. Oktober 1987 zu fordern, wenn diese Tage in eine Sperrzeit fielen; denn während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Alg (§ 119 Abs 1 Satz 3 AFG). Die Vorinstanzen haben den Eintritt einer Sperrzeit verneint. Sie haben dies übereinstimmend damit begründet, daß der Kläger in einem Berufsausbildungsverhältnis gestanden habe und die Auflösung von Berufsausbildungsverhältnissen dieser Art nicht mit einer Sperrzeit bedroht werde. Wie die Revision zu Recht rügt, stimmt diese Auffassung mit Bundesrecht nicht überein. Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG (in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung) tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst hat oder durch ein vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 26. April 1989 – 7 RAr 70/88 – SozR 4100 § 119 Nr 35 entschieden hat, kann hiernach eine Sperrzeit auch dann eintreten, wenn der Arbeitslose ein Berufsausbildungsverhältnis gelöst hat. Der Senat hat dies damit begründet, daß ungeachtet ihres unterschiedlichen Wesens in der Rechtspraxis Berufsausbildungsverhältnisse wie Arbeitsverhältnisse behandelt werden, dem AFG insoweit eine verläßliche Begrifflichkeit fehlt und der Sinnzusammenhang der Sperrzeitregelung nicht gegen, sondern entscheidend für die Einbeziehung von Berufsausbildungsverhältnissen in die Regelung des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG spricht. Der 11. Senat des BSG hat sich dieser Rechtsauffassung im Ergebnis angeschlossen (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 2). Er hat sich darauf berufen, daß der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des AFG und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2343) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 den Begriff „Arbeitsverhältnis” in § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG durch „Beschäftigungsverhältnis” ersetzt habe, um eine Klarstellung herbeizuführen. Angesichts dieses Umstands sei es nicht gerechtfertigt, von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abzuweichen, zumal die Anwendung der Sperrzeitregel auf Berufsausbildungsverhältnisse nicht zu sach- oder verfassungswidrigen Ergebnissen führe. Da damit beide für Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit zuständigen Revisionssenate im Ergebnis übereinstimmen und die Rechtsfrage inzwischen durch den Gesetzgeber im Sinne der Rechtsprechung geklärt worden ist, sieht der Senat davon ab, im einzelnen darzulegen, weshalb die vom LSG vorgetragenen Erwägungen, die schon 1989 bekannt waren, nicht überzeugen.

Ist hiernach der Auffassung, daß eine Sperrzeit begrifflich ausgeschlossen war, nicht zu folgen, muß in Ermangelung der für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Feststellungen das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden. Ob eine Sperrzeit eingetreten ist, kann aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.

Der Kläger hat allerdings sein Arbeitsverhältnis iS des § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG gelöst. Dabei kommt es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht darauf an, ob er es (gemäß § 15 Abs 1 Berufsbildungsgesetz -BBiG-) gekündigt hat oder ob die Beendigung auf einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber beruht; es genügt für den Tatbestand der Lösung, wenn der Arbeitslose durch seine Zustimmung zu einer solchen Vereinbarung die Beendigung mitverursacht hat. Durch diese Lösung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger die Arbeitslosigkeit ab 26. September 1987 herbeigeführt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob dem Kläger, wie er geltend gemacht hat, zum gleichen Zeitpunkt vom Arbeitgeber gekündigt worden wäre; denn maßgebend ist der tatsächliche Geschehensablauf (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm zum AFG, Stand Februar 1991, § 119 Rz 2; Urteil des Senats vom 12. April 1984 – 7 RAr 28/83 – Dienstblatt der Bundesanstalt für Arbeit – Rechtsprechung – AFG § 119 Nr 2959). An dieser Stelle ist ebenfalls unerheblich, ob der Arbeitgeber dem Kläger zu einem späteren Zeitpunkt gekündigt hätte, wenn er nicht zum 25. September 1987 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden wäre; denn für die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit ist maßgebend der Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitslosigkeit (BSG aaO). Feststellungen fehlen indessen, ob der Kläger die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Letzteres wäre nicht der Fall, wenn der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung bzw der Zustimmung zum Aufhebungsvertrag konkrete Aussicht auf einen Anschlußarbeitsplatz gehabt hat. Ebenso lassen die Feststellungen des LSG keine Entscheidung zu, ob der Kläger für sein Verhalten einen iS des § 119 AFG wichtigen Grund hatte. Ein wichtiger Grund ist nämlich nicht schon deshalb anzunehmen, weil der Kläger das Berufsausbildungsverhältnis innerhalb der dreimonatigen Probezeit lösen durfte und gelöst hat.

Allerdings ist mit Hilfe des wichtigen Grundes den durch das Grundrecht des Art 12 Abs 1 Grundgesetz geschützten Belangen und solchen zu entsprechen, die durch das Grundrecht zwar nicht geschützt sind, aber mit der Berufswahl, der Berufsausbildung und der Berufsausübung im Zusammenhang stehen. Vielfach wird hiernach dem Auszubildenden bei der Auflösung eines Berufsausbildungsverhältnisses ein Grund zur Seite stehen, der sein Verhalten rechtfertigt (BSG SozR 4100 § 119 Nr 35). Ein wichtiger Grund kommt daher in Betracht, wenn ein Auszubildender während der Probezeit erkennt, wie das hier der Fall gewesen sein könnte, daß er mit Rücksicht auf die geschäftliche Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs in bestimmten Fertigkeiten des Ausbildungsberufs (hier: der Möbeltischlerei) nicht oder nur am Rande ausgebildet wird, auf deren Beherrschung der Auszubildende wegen seiner weiteren Berufsabsichten jedoch besonderen Wert legt. Ein wichtiger Grund kann auch dann vorliegen, wenn der Auszubildende die Überzeugung gewinnen muß, im Ausbildungsbetrieb nicht genügend zu lernen.

Diese Gründe rechtfertigen indes als solche noch nicht, das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit zu beenden. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, muß der wichtige Grund auch den Zeitpunkt der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses decken; der Arbeitslose muß einen wichtigen Grund dafür haben, daß er das Beschäftigungsverhältnis gerade zu dem bestimmten Zeitpunkt auflöst (BSGE 43, 269, 271 = SozR 4100 § 119 Nr 2; BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 7; BSGE 66, 94, 97 = SozR 4100 § 119 Nr 36). Auch von einem Auszubildenden, jedenfalls einem, der wie der Kläger das 21. Lebensjahr vollendet hat, kann erwartet werden, daß er im Rahmen der Zumutbarkeit Belange der Solidargemeinschaft berücksichtigt und deshalb ein Berufsausbildungsverhältnis nicht ohne Not auflöst, solange er ein anderes Beschäftigungsverhältnis nicht in Aussicht hat. Ergeben sich Gründe, wie sie hier vom Kläger angegeben werden, während der Probezeit, rechtfertigen diese eine Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses zum Ende der Probezeit allerdings auch dann, wenn sich ein Anschlußarbeitsplatz nicht hat finden lassen. Denn nach Ablauf der Probezeit kann der Auszubildende das Ausbildungsverhältnis ordentlich nur noch kündigen, wenn er die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen will (§ 15 Abs 2 Nr 2 BBiG), also nicht, wenn er die Berufsausbildung bei einem anderen Betrieb fortsetzen oder neu beginnen will. Scheidet der Auszubildende aber vor Ablauf der Probezeit aus dem Berufsausbildungsverhältnis aus, muß er hierfür weitere Gründe haben; auch von ihm kann erwartet werden, daß er, sobald er erkennt, daß er von seinem Recht, während der Probezeit das Ausbildungsverhältnis zu beenden, Gebrauch machen will, erst kündigt, wenn er einen anderen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz in Aussicht hat. Ob hier weitere Gründe vorliegen, hat das LSG nicht geprüft.

Ob eine Sperrzeit eingetreten ist, läßt sich nach alledem nicht entscheiden. Damit läßt sich auch nicht entscheiden, ob dem Kläger für die Zeit vom 26. September bis 15. Oktober 1987 Alg zusteht.

Nicht entscheiden läßt sich ferner, ob die verfügte Minderung der Dauer des (Rest-)Anspruchs auf Alg um 72 Wochentage berechtigt ist. Das ist natürlich nicht der Fall, wenn eine Sperrzeit nicht eingetreten ist. Aber auch wenn eine Sperrzeit eingetreten ist, deren Regeldauer nach § 119a AFG, dessen Verfassungsgemäßheit der 11. Senat des BSG bestätigt hat (Urteil vom 25. April 1991 – 11 RAr 99/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen), 12 Wochen betrüge und gemäß § 110 Abs 1 Nr 2 AFG zu einer Minderung der Dauer des Anspruchs um 72 Wochentage führte, umfaßt die Sperrzeit nur 6 Wochen und berechtigt nur zu einer Minderung von 36 Wochentagen, wenn eine Sperrzeit von 12 Wochen für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde (§ 119 Abs 2 Satz 1, § 119a Nr 1 AFG). Die Sperrzeit umfaßte sogar nur zwei Wochen und berechtigte nur zu einer Minderung um 12 Wochentage, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von vier Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte (§ 119 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG). Letzteres wäre der Fall, wenn der Arbeitgeber des Klägers entschlossen gewesen ist, das Ausbildungsverhältnis innerhalb der genannten vier Wochen zu kündigen, ohne daß der Kläger durch vertragswidriges Verhalten Anlaß hierfür gegeben hatte. Auch insoweit fehlen Feststellungen. Das angefochtene Urteil ist daher nach § 170 Abs 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174476

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