Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsatzrüge. Abstrakte, aus sich heraus verständliche Rechtsfrage. Formulierung. Gehörsrüge. Sachaufklärungsrüge. Beweisantrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann.

2. Dass die Entscheidung des LSG in der Sache für verfehlt und inhaltlich unrichtig gehalten wird, eröffnet nicht die Revisionsinstanz.

3. In dem Vorwurf, dass das LSG ohne Einholung eines weiteren Gutachtens entschieden hat, liegt im Kern keine Gehörs-, sondern eine Sachaufklärungsrüge, mit der eine im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Beteiligte nur dann gehört werden kann, wenn sie einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt.

4. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird.

5. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung.

 

Normenkette

SGG §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, §§ 162, 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2, § 169 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

SG Gotha (Entscheidung vom 24.10.2016; Aktenzeichen S 19 R 270/15)

Thüringer LSG (Urteil vom 13.03.2019; Aktenzeichen L 3 R 1412/16)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 13. März 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 13.3.2019 hat das Thüringer LSG einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und macht einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sowie das Vorliegen einer Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend.

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 12.6.2019 genügt nicht der gesetzlichen Form, denn sie hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargetan.

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsfähigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Anders als notwendig ist dem Vortrag der Klägerin bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) zu entnehmen. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl BSG Beschluss vom 13.4.2015 - B 12 KR 109/13 B - juris RdNr 23, stRspr). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag der Klägerin daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe (vgl BSG Beschluss vom 12.5.1999 - B 4 RA 181/98 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48, stRspr). Unter Nr I ihrer Beschwerdebegründung führt die Klägerin zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache lediglich aus, warum aus ihrer Sicht Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren sei. Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG in der Sache für verfehlt und inhaltlich unrichtig hält, eröffnet die Revisionsinstanz aber nicht (vgl Senatsbeschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist regelmäßig die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin macht die Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, weil das LSG ihrem Beweisangebot zur weiteren Aufklärung der diametral entgegenstehenden Einschätzungen der Sachverständigen im Schriftsatz vom 10.7.2017 nicht nachgegangen sei. In dem Vorwurf, dass das LSG ohne Einholung eines weiteren Gutachtens entschieden hat, liegt jedoch im Kern keine Gehörs-, sondern eine Sachaufklärungsrüge. Eine im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Beteiligte - wie die Klägerin - kann jedoch nur dann mit der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht gehört werden, wenn sie einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt. Nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 letzter Teilsatz SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (stRspr, vgl Senatsbeschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10 mwN). Der Beschwerdebegründung ist aber nicht zu entnehmen, dass dies erfolgt ist.

Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (stRspr, zB Senatsbeschlüsse vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 10; vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss von 28.9.2010 - B 5 R 202/10 B - BeckRS 2010, 74248 RdNr 11 mwN). Andernfalls liefen die Beschränkungen, die § 103 SGG für die Sachaufklärung normiert, im Ergebnis leer.

Dass die Klägerin mit der Auswertung und Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten und Unterlagen durch die Vorinstanz nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlich. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden.

3. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (vgl Senatsbeschluss vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - juris RdNr 10). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN).

Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Sie versäumt es bereits, den von ihr zitierten Entscheidungen des BSG einen widersprechenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen LSG-Urteil gegenüberzustellen. Im Kern erhebt die Klägerin auch hier die im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtliche Rüge der - vermeintlichen - Unrichtigkeit des angefochtenen Berufungsurteils (sog "Subsumtionsrüge").

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13579350

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