Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Vertragspsychotherapeutische Versorgung. Bedarfsunabhängige Zulassung. Raucherentwöhnungs-Therapie. Kein Behandlungsverfahren i.S. der Psychotherapie-Richtlinien. Qualifikationsnachweis i.S.d. § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 95c S. 2 Nr. 3 SGB V

 

Leitsatz (redaktionell)

Daraus, dass der Kläger Raucher-Entwöhnungen in Zusammenarbeit mit einer Allgemeinen Ortskrankenkasse durchgeführt hat, kann nicht geschlossen werden, dass diese Krankenkasse die Raucher-Entwöhnungstherapie des Klägers als Durchführung von Verhaltenstherapie nach den Psychotherapie-Richtlinien bewilligt und finanziert hat. Genauso kann es sich um die Durchführung von Maßnahmen der Prävention bzw Gesundheitsförderung gehandelt haben, die eine Krankenkasse durchzuführen und anzubieten berechtigt ist (vgl. § 20 SGB V).

 

Orientierungssatz

1. Eine Raucherentwöhnungs-Therapie stellt kein Behandlungsverfahren dar, das nach den Psychotherapie-Richtlinien als Leistung der Krankenkassen anerkannt ist.

2. Aus dem Umstand, dass jemand an einer Raucher-Entwöhnungstherapie teilnimmt, lässt sich lediglich schließen, dass er fremde Hilfe in Anspruch nehmen will, um den von ihm selbst (inzwischen) als unerwünscht angesehenen Nikotinkonsum zu beenden. Ob dem eine seelische Erkrankung zu Grunde liegt oder ob auch nur die Notwendigkeit besteht, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder ob dies lediglich als Erleichterung auf dem Weg zur Nikotinabstinenz gesehen worden ist, lässt sich allein aus der Teilnahme nicht folgern.

3. Dass das in Rauchwaren enthaltene Nikotin nicht als "Droge" von Abschn D Ziff 1.3.1 der Psychotherapie-Richtlinien verstanden werden kann, sondern diesen Begriff allenfalls eines umgangssprachlichen Verständnisses erfüllt, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. In diesem Zusammenhang kommt es entsprechend der Zielsetzung des Qualifikationsnachweises iS des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 1 iVm § 95c S 2 Nr 3 SGB 5 nicht darauf an, ob im Rahmen von Raucher-Entwöhnungs-Behandlungen methodische Elemente der Verhaltenstherapie von Abschn B UAbschn I Ziff 1.2 der Psychotherapie-Richtlinien zum Einsatz kommen und auch in der Vergangenheit angewandt worden sind.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB 5 § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; PsychThRL Abschn. B UAbschn I Ziff. 1.2, Abschn. B UAbschn I Nr. 1.2, Abschn. D Nr. 1.3.1, Abschn. D Ziff. 1.3.1; SGB 5 § 95 Abs. 10 S. 1 Nr. 1, § 95c S. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.10.2003; Aktenzeichen L 5 KA 3590/02)

SG Freiburg i. Br. (Urteil vom 29.05.2002; Aktenzeichen S 1 KA 3538/99)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die bedarfsunabhängige Zulassung als Psychologischer Psychotherapeut in F. Umstritten ist allein, ob er über die erforderliche Fachkunde verfügt, und insbesondere, ob mit den von ihm im Rahmen des "F. Raucher-Therapie-Projekts" durchgeführten und dokumentierten Raucherentwöhnungsbehandlungen die Befähigung für Verhaltenstherapie nachgewiesen werden kann.

Nachdem Zulassungs- und beklagter Berufungsausschuss den Zulassungsantrag des Klägers mangels nachgewiesener Fachkunde abgelehnt hatten, hat der Kläger im Klageverfahren Erfolg gehabt. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei bei den von ihm durchgeführten Raucher-Entwöhnungsbehandlungen im erforderlichen Umfang verhaltenstherapeutisch tätig geworden. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vom Kläger vorgelegten und dokumentierten Behandlungen aus der Raucher-Entwöhnung seien nicht entsprechend den Vorschriften der Psychotherapie-Richtlinien über Verhaltenstherapie durchgeführt worden. Das habe zur Folge, dass die Fachkunde des Klägers in dem anerkannten Richtlinienverfahren "Verhaltenstherapie" nicht nachgewiesen sei (Urteil vom 22. Oktober 2003).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Im Übrigen rügt er eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (≪BSG≫ Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.

Unzulässig ist die Beschwerde, soweit sie auf eine Divergenz zwischen den das Berufungsurteil tragenden Rechtssätzen und Rechtsausführungen des BSG im Urteil vom 6. November 2002 - B 6 KA 37/01 R - gestützt wird. Insoweit genügt die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Wird eine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG als Zulassungsgrund geltend gemacht, muss die behauptete Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG "bezeichnet" werden. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie bezeichnet insbesondere keinen Rechtssatz des berufungsgerichtlichen Urteils, mit dem das LSG von den Rechtssätzen abgewichen sein soll, die die Beschwerdebegründung dem Senatsurteil vom 6. November 2002 entnimmt. In diesem Urteil wird ausgeführt, die Fachkundeprüfung diene dem Zweck, zu klären, ob Behandlungsverfahren erlernt und in der Vergangenheit praktiziert worden sind, die zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten. Psychotherapeuten, die ihre Ausbildung in anderen Behandlungsverfahren absolviert oder solche in der Vergangenheit ausschließlich angewandt hätten, dürften zwar außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung Psychotherapie anbieten und durchführen, sollten aber nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen werden können (SozR 3-2500 § 95c Nr 1 S 3). Bei dem in § 95c Satz 2 Nr 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) angesprochenen Personenkreis der nach § 12 Psychotherapeutengesetz approbierten Psychotherapeuten kommt es darauf an, welche Verfahren in den Psychotherapie-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen idF des Beschlusses vom 17. Dezember 1996 (BAnz Nr 49 vom 12. März 1997, 2946) als von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst anerkannt waren (SozR aaO, S 4). Weiterhin hat der Senat ausgeführt, dass die Berechtigung der Kassenärztlichen Vereinigung zur inhaltlichen Überprüfung der Behandlungsfälle und der Falldokumentationen darauf beschränkt ist, dass es um die Zuordnung der vom Antragsteller nachgewiesenen und dokumentierten Behandlungen zu einem Richtlinienverfahren geht (SozR aaO, S 5). Inwieweit das LSG bei seiner Prüfung, ob die vom Kläger durchgeführte Entwöhnungsbehandlung den Anforderungen entspricht, die in den Psychotherapie-Richtlinien an die Verhaltenstherapie gestellt werden, Rechtsgrundsätze aufgestellt hat, die von diesen Grundsätzen abweichen, legt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar.

Soweit die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen gestützt wird, ist sie nicht begründet.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn eine Rechtsfrage vorliegt, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ ÄKammerÜ, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 ff; Nr 30 S 57 ff). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls die Rechtsfrage schon beantwortet ist, ebenso dann, wenn Rechtsprechung zu dieser Konstellation zwar noch nicht vorliegt, sich aber die Antwort auf die Rechtsfrage aus dem Gesetz und/oder anhand der zu Teilaspekten vorliegenden Rechtsprechung klar ergibt (s dazu näher BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). Diese Anforderungen sind insgesamt verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 ff).

Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine Raucherentwöhnungs-Therapie ein Behandlungsverfahren darstellt, dass nach den Psychotherapie-Richtlinien als Leistung der Krankenkassen anerkannt ist, ist zu verneinen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Psychotherapie kann im Rahmen der Psychotherapie-Richtlinien in der hier maßgeblichen Fassung des Beschlusses vom 17. Dezember 1996 erbracht werden, soweit und solange eine seelische Krankheit vorliegt (Ziff A 1). Nur soweit Psychotherapie der Heilung und Besserung einer Krankheit dient, ist sie eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Unter seelischer Krankheit im Sinne der Richtlinien ist eine krankhafte Störung der Wahrnehmung, des Verhaltens, der Erlebnisverarbeitung, der sozialen Beziehungen und der Körperfunktionen zu verstehen (Ziff A 2). Der Konsum von Nikotin beim Rauchen stellt für sich genommen nicht stets eine seelische Krankheit im Sinne dieser Definition dar, weil er zwar Ausdruck einer Abhängigkeit und damit ggf einer Störung sein kann, aber nicht sein muss.

Aus dem Umstand, dass jemand an einer Raucher-Entwöhnungstherapie teilnimmt, lässt sich lediglich schließen, dass er fremde Hilfe in Anspruch nehmen will, um den von ihm selbst (inzwischen) als unerwünscht angesehenen Nikotinkonsum zu beenden. Ob dem eine seelische Erkrankung zu Grunde liegt oder ob auch nur die Notwendigkeit besteht, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder ob dies lediglich als Erleichterung auf dem Weg zur Nikotinabstinenz gesehen worden ist, lässt sich allein aus der Teilnahme an einer Raucherentwöhnungsbehandlung nicht folgern. Die Hilfe bei der Entwöhnung vom Rauchen ist deshalb im typischen Fall keine der Krankenkasse obliegende Psychotherapie. Konsequenterweise beschreibt Ziff D 1.3.1 der Richtlinien lediglich "die Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten nach vorangegangener Entgiftungsbehandlung" als Indikation zur Anwendung von Psychotherapie, ohne das Rauchen zu erwähnen. Dass das in Rauchwaren enthaltene Nikotin nicht als "Droge" im Sinne dieser Vorschrift verstanden werden kann, sondern diesen Begriff allenfalls im Sinne eines umgangssprachlichen Verständnisses erfüllt, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren.

In diesem Zusammenhang kommt es entsprechend der Zielsetzung des Qualifikationsnachweises iS des § 95 Abs 10 Satz 1 Nr 1 iVm § 95c Satz 2 Nr 3 SGB V nicht darauf an, ob im Rahmen von Raucher-Entwöhnungs-Behandlungen methodische Elemente der Verhaltenstherapie im Sinne von Ziff B 1.2 der Psychotherapie-Richtlinien zum Einsatz kommen und vom Kläger in der Vergangenheit auch angewandt worden sind. Der Fachkundenachweis soll gewährleisten, dass ein Psychotherapeut umfassend seelische Erkrankungen diagnostizieren und unter Anwendung eines in den Richtlinien anerkannten Verfahrens behandeln kann. Wenn nicht feststeht, dass bei dem von einem Psychotherapeuten behandelten Personenkreis in den dokumentierten Behandlungsfällen tatsächlich solche Erkrankungen vorgelegen haben, ist der Fachkundenachweis nicht geführt.

Ein gewichtiges Indiz dafür, dass Raucherentwöhnungsbehandlungen wie sie der Kläger durchgeführt hat, nicht als Anwendung von "Verhaltenstherapie zur Behandlung seelischer Erkrankungen" gewertet werden können, ergibt sich auch aus der Dauer der Behandlungen. In 58 der vom Kläger dokumentierten Fälle sind 20 Behandlungsstunden bescheinigt worden, in einem 25 und in einem 47 Stunden. In den Psychotherapie-Richtlinien werden Behandlungen von weniger als 45 Stunden als Kurzzeittherapie bezeichnet (Ziff E 1.1; vgl auch Nr 881 EBM-Ä in der am 1. Januar 1996 geltenden Fassung) und der Langzeittherapie (Ziff E 1.2.3 der Richtlinien für Verhaltenstherapie) mit 45 bzw 60 Stunden gegenübergestellt. Verhaltenstherapie kann im Übrigen nur in Kombination mit Einzeltherapie als Gruppentherapie erbracht werden, niemals nur als Gruppentherapie (Ziff E 1.2.3.). Dem Kläger ist demgegenüber bescheinigt worden, dass er "vor allem in Kleingruppen" Raucherentwöhnung durchgeführt habe.

Das alles erhellt beispielhaft, dass die vom Kläger dokumentierten Entwöhnungsbehandlungen typischerweise von der Indikationsstellung, der Zielgruppe und der Behandlungsausrichtung her sowie nach Intensität und Dauer der Behandlungen nicht die Anwendung von Verhaltenstherapie zur Therapie seelischer Erkrankungen im Sinne der Psychotherapie-Richtlinien belegen. Allein darauf kommt es indessen im Rahmen des Fachkundenachweises an.

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger die Raucher-Entwöhnungen in Zusammenarbeit mit einer Allgemeinen Ortskrankenkasse durchgeführt hat. Daraus kann nämlich nicht geschlossen werden, dass diese Krankenkasse die Raucher-Entwöhnungstherapie des Klägers als Durchführung von Verhaltenstherapie nach den Psychotherapie-Richtlinien bewilligt und finanziert hat. Genauso kann es sich um die Durchführung von Maßnahmen der Prävention bzw Gesundheitsförderung gehandelt haben, die eine Krankenkasse durchzuführen und anzubieten berechtigt ist (vgl § 20 SGB V).

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755847

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