Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Revisionszulassung. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Verfassungsmäßigkeit einer Regelung

 

Orientierungssatz

1. Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit (hier: Verstoß gegen den Gleichheitssatz) einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl ua BSG vom 22.08.1975 - 11 BA 8/75 = BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 und vom 4.4.2006 - B 12 RA 16/05 B).

2. Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, sich für verschiedene Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz dann den Eigenarten der Systeme entsprechend unterschiedlich auswirkt (vgl BSG vom 26.9.1974 - 5 RJ 77/72 = BSGE 38, 149 = SozR 2200 § 1267 Nr 3; BSG vom 5.2.1976 - 11 RK 2/75 = BSGE 41, 157 = SozR 5420 § 2 Nr 2; BSG vom 6.12.1978 - 9 RV 78/77 = BSGE 47, 259 = SozR 3100 § 40a Nr 6) .

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB 5 § 13 Abs. 3, § 27 Abs. 1 S. 4, § 27a; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.10.2008; Aktenzeichen L 5 KR 8/08)

SG Münster (Gerichtsbescheid vom 13.12.2007; Aktenzeichen S 11 KR 242/07)

 

Tatbestand

Der 1984 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger, dem im Jahr 2007 wegen eines Krebsleidens der linke Hoden entfernt wurde, ist mit seinem Begehren, die Kosten für die Untersuchung und anschließende Kryokonservierung einer Spermaprobe erstattet zu erhalten (751,74 Euro plus Zinsen), in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen den in erster Instanz ergangenen Gerichtsbescheid zurückgewiesen und zur Begründung gemäß § 153 Abs 2 SGG auf diese Entscheidung verwiesen. Ergänzend hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 SGB V seien nicht erfüllt, weil der Kläger keinen entsprechenden Naturalleistungsanspruch aus § 27a oder § 27 Abs 1 Satz 4 SGB V gehabt habe. Die Kryokonservierung und die damit im Zusammenhang stehende Untersuchung der Spermaprobe hätten weder der Herstellung seiner Zeugungsfähigkeit noch der Behandlung des Hodenkarzinoms gedient (Urteil vom 16.10.2008).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen nicht. Es wirft zwar anhand der im Zusammenhang mit einer Hodenentfernung durchgeführten Sperma-Kryokonservierung unter Hinweis auf das beihilferechtliche Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.11.2006 - 2 C 11/06 - (BVerwGE 127, 91) sinngemäß die Frage auf, ob Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gegenüber Beihilfeberechtigten leistungsrechtlich unterschiedlich behandelt werden dürfen. Der Kläger macht jedoch nicht deutlich, dass es zur Klärung dieser Frage eines Revisionsverfahrens bedarf. Wer sich - wie der Kläger - auf die Verfassungswidrigkeit (hier: Verstoß gegen den Gleichheitssatz) einer Regelung beruft, darf sich nämlich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG, Beschlüsse vom 4.4.2006 - B 12 RA 16/05 B und vom 27.10.2006 - B 1 KR 92/06 B, RdNr 5) . Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG dargelegt werden. An alledem fehlt es. So geht die Beschwerdebegründung weder auf die vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen für einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG ein noch auf die Auslegung der §§ 27, 27a SGB V durch das BSG. Sie nimmt auch nicht in den Blick, dass der Gesetzgeber im Bereich der GKV über einen weiten, nur ausnahmsweise eingeengten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum verfügt (vgl zB BSGE 92, 46 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1, jeweils RdNr 34; zum erweiterten Behandlungsanspruch bei tödlich verlaufenden Krankheiten: BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) . Ferner bestand Anlass für eine Auseinandersetzung damit, dass die Ungleichbehandlung der GKV-Versicherten gegenüber auf andere Weise abgesicherten Personen Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für unterschiedliche Sicherungssysteme gegen Krankheit ist. Denn das BVerfG hat dem Gesetzgeber grundsätzlich zugestanden, Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der GKV in bestimmter Weise festzulegen (BVerfGE 18, 38, 45 f; 18, 257, 265 ff; 18, 366 = SozR Nr 54, 55, 56 zu Art 3 GG) . Auch das BSG hat wiederholt betont, dass es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, sich für verschiedene Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz dann den Eigenarten der Systeme entsprechend unterschiedlich auswirkt (BSGE 38, 149, 150 = SozR 2200 § 1267 Nr 3 S 10; BSGE 41, 157, 158 f = SozR 5420 § 2 Nr 2 S 2; BSGE 47, 259, 260 f = SozR 3100 § 40a Nr 6 S 16 f) .

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2157998

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