Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Mitwirkung eines ehrenamtlichen Richters in erster und zweiter Instanz. Ausschlussgrund. Rügerecht trotz Einlassung in Verhandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Ausschlussgrund des § 41 Nr. 6 ZPO, der im sozialgerichtlichen Verfahren gem. § 60 Abs. 1 SGG gilt und wonach ein Richter, der am Berufungsurteil beteiligt ist, kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn er in derselben Sache bereits in der ersten Instanz an der Entscheidung mitgewirkt hat, erstreckt sich auch auf die ehrenamtlichen Richter.

2. Das Recht zur Rüge der nach § 41 Nr. 6 ZPO fehlerhaften Besetzung des Gerichts geht auch dann nicht verloren, wenn sich ein Kläger in der Berufungsverhandlung auf die Verhandlung einlässt und einen Sachantrag stellt. Der gem. § 60 Abs. 1 S. 1 SGG entsprechend anwendbare Ausschlussgrund des § 43 ZPO gilt allein für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO), nicht aber für den Ausschluss nach § 41 ZPO (st.Rspr; vgl. BSG, Urteil v. 24.04.1991, 9a RV 1/91).

 

Normenkette

SGG § 60 Abs. 1; ZPO § 41 Nr. 6, § 43

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.09.2002)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen – Bremen vom 25. September 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin.

Der Beklagte erkannte bei der Klägerin bereits 1992 einen GdB von 40 an (Bescheid vom 2. Dezember 1992). In dem seit 1998 betriebenen Neufeststellungsverfahren hat er daran festgehalten (Bescheid vom 12. Januar 1999, Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 1999). Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts Hannover ≪SG≫ vom 17. Januar 2001 und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ≪LSG≫ vom 25. September 2002). Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil leide an einem Verfahrensmangel, weil der daran beteiligt gewesene ehrenamtliche Richter F. … bereits an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt habe.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg (§ 160a Abs 5 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Wie die Klägerin formgerecht (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und zutreffend gerügt hat, ist das Urteil des LSG verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommen (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der ehrenamtliche Richter F. …, der am Berufungsurteil beteiligt gewesen ist, war kraft Gesetzes ausgeschlossen, da er in derselben Sache bereits in erster Instanz als ehrenamtlicher Richter an der Entscheidung des SG mitgewirkt hatte. Der Ausschluss folgt aus der Regelung des § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 Zivilprozessordnung (ZPO), die sich nach allgemeiner Ansicht auch auf die ehrenamtlichen Richter erstreckt (vgl zB Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 60. Aufl 2002, Vor § 41 RdNr 5; BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 13 RJ 27/99 R – SozSich 2000, 107). Sinn der Vorschrift ist es zu verhindern, dass in einem mehrstufigen Gerichtsverfahren ein Richter bei der Überprüfung einer Entscheidung mitwirkt, die er in der Vorinstanz mit getroffen hat. Dieser Umstand, der nach den Ermittlungen des Senats vorliegt, erfüllt gemäß § 547 Nr 2 ZPO, § 202 SGG einen absoluten Revisionsgrund.

Dadurch, dass sich die Klägerin in der Berufungsverhandlung, ohne den Ausschlussgrund geltend zu machen, auf die Verhandlung eingelassen und einen Sachantrag gestellt hat, ist ihr das Rügerecht nicht verloren gegangen (vgl dazu § 43 ZPO). Der – gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG entsprechend anwendbare – § 43 ZPO gilt allein für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO), nicht aber für den Ausschluss nach § 41 ZPO (vgl BSG aaO; Senatsurteil vom 24. April 1991 – 9a RV 1/91). Darüber hinaus steht hier auch § 46 Abs 2 ZPO einer Geltendmachung des Verfahrensmangels nicht entgegen.

Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, steht es im Ermessen des erkennenden Senats, nach § 160a Abs 5 SGG zu verfahren. Insoweit ist der Senat nicht daran gebunden, dass die Klägerin in erster Linie die Zulassung der Revision und nur hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beantragt hat. Da es im Rechtsstreit hauptsächlich um Tatsachenfeststellungen zum GdB der Klägerin geht, sprechen prozessökonomische Gründe für eine Zurückverweisung, zumal auch ein durch Zulassung eröffnetes Revisionsverfahren zu keinem anderen Ergebnis führen könnte.

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176717

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