Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung. Kostenerstattungsanspruch für die selbstbeschaffte psychotherapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen. Generelle Qualifikation eines Therapeuten zur Ausübung der Heilkunde

 

Orientierungssatz

Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB 5 setzt selbst in Fällen des Unvermögens oder der rechtswidrigen Ablehnung einer Krankenkasse die generelle Qualifikation eines Therapeuten zur Ausübung der Heilkunde voraus (vgl BSG vom 9.3.1982 - 3 RK 43/80 = BSGE 53, 144 = SozR 2200 § 182 Nr 80). Wird ein Diplom-Psychologe tätig, ist zusätzlich die gegenüber der KÄV nachzuweisende besondere Qualifikation erforderlich.

 

Normenkette

SGB 5 § 13 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen L 15 KR 32/01)

SG Berlin (Urteil vom 22.11.2000; Aktenzeichen S 73 KR 75/99)

 

Tatbestand

Die bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin begehrt - bislang erfolglos - die Erstattung von 598,21 EUR für eine am 16. April 1997 beantragte, zu diesem Zeitpunkt bereits begonnene psychotherapeutische Behandlung durch die Diplom-Psychologin S., die nicht in das sog Delegationsverfahren einbezogen war und den Leistungsantrag für die Klägerin gestellt hatte. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem die Berufung zurückweisenden Urteil ua ausgeführt, die Klägerin sei ungeachtet des Umstandes, dass sie ihre Zahlungsansprüche an die Behandlerin abgetreten habe, aktivlegitimiert, weil über das nicht übertragbare Stammrecht gegen die Beklagte entschieden werde. Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen indessen nicht vor; dieser Anspruch könne nur an die Stelle eines Sachleistungsanspruchs treten. Ein entsprechender Sachleistungsanspruch sei jedoch daran gebunden, dass ein zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassener Arzt oder Psychotherapeut tätig werde. Die hier betroffene Behandlerin sei bis Ende 1998 weder als Vertragsärztin noch als Psychotherapeutin im Delegationsverfahren zugelassen noch als sog Erstattungstherapeutin zu Lasten der Beklagten tätig gewesen. Auch wenn Kosten für eine solche Behandlung in Ausnahmefällen zu erstatten seien, müsse der nicht zugelassene Leistungserbringer allgemein die Qualifikation zur Ausübung der Heilkunde besitzen (zB als approbierter Arzt). Die besondere Qualifikation zur Erbringung psychotherapeutischer Leistungen sei bis zum 31. Dezember 1998 gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) nachzuweisen gewesen, die über die zugelassenen Diplom-Psychologen eine Liste geführt habe. Ohne vorher nachgewiesene Qualifikation könne ein Diplom-Psychologe zu Lasten einer Krankenkasse keine Vergütung beanspruchen. Das gelte selbst in den Fällen der unaufschiebbaren Leistung, weil nur diejenigen Personen, die einen Beruf rechtmäßig ausübten, eine Vergütung nach einer berufsrechtlichen Vergütungsordnung verlangen dürften. Darüber hinaus habe der Senat nicht feststellen können, dass die konkrete Behandlung unaufschiebbar gewesen sei. Bei einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung hätte die Klägerin einen ärztlichen Psychotherapeuten auch ohne Wartezeit aufsuchen können, der bei fehlender Behandlungskapazität ggf Krankenhausbehandlung hätte verordnen können (Urteil vom 19. Dezember 2002).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 3 Satz 2 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.

Die Klägerin hat die in der Beschwerdebegründung als Zulassungsgrund angeführte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht entsprechend den Erfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Wer sich auf diesen Revisionszulassungsgrund beruft, muss in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage klar bezeichnen und darlegen, dass die Frage klärungsbedürftig und in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f und Nr 30 S 57 f mwN; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14). Dem genügt die Beschwerdebegründung vom 24. April 2003 nicht.

Die Beschwerde hält die Fragen "Besaßen bis zum 31. Dezember 1998 nur diejenigen Diplom-Psychologen eine Qualifikation zur Ausübung der Heilkunde, die zur Teilnahme im Delegationsverfahren berechtigt waren?" sowie "War es einem Versicherten zumutbar, sich wegen eines Mangels an zur ambulanten Versorgung zugelassenen Psychotherapeuten in ein Krankenhaus zur stationären Behandlung einweisen zu lassen, obwohl im Kostenerstattungsverfahren Therapeuten zur Verfügung standen?" für grundsätzlich bedeutsam. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerdebegründung lassen jedoch eine grundsätzliche Bedeutung nicht erkennen.

Die erste Frage ist - so wie sie von der Beschwerde formuliert wird - für das Ergebnis des Rechtsstreits unerheblich. Etwas anderes ist auch dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen, denn über die allgemeine Qualifikation von Diplom-Psychologen zur Ausübung der Heilkunde enthält es keine Aussage. Es führt im Anschluss an das BSG-Urteil vom 28. November 1975 (BSGE 53, 144 = SozR 2200 § 182 Nr 80) lediglich aus, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V selbst in den Fällen des Unvermögens oder der rechtswidrigen Ablehnung der Krankenkasse die generelle Qualifikation des Therapeuten zur Ausübung der Heilkunde voraussetzt. Werde ein Diplom-Psychologe tätig, sei zusätzlich die gegenüber der KÄV nachzuweisende besondere Qualifikation erforderlich. Letzteres gelte auch für unaufschiebbare Leistungen, weil der Vergütungsanspruch nur bei rechtmäßiger Berufsausübung entstehe. Der letzte Halbsatz der fraglichen Passage in den Urteilsgründen könnte zwar für sich genommen so verstanden werden, als werde dem Anspruch der Klägerin entgegengehalten, die von ihr in Anspruch genommene Behandlerin verfüge nicht über die allgemeine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde. Im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe muss das LSG jedoch mit den Ausführungen zur fehlenden Berechtigung, eine Vergütung zu verlangen, die fehlende spezifisch krankenversicherungsrechtliche Qualifikation zur Erbringung von psychotherapeutischen Leistungen durch Diplom-Psychologen gemeint haben.

In diesem Sinne ist demnach auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage zu verstehen - andernfalls wäre die Beschwerde schon deshalb unzulässig, weil über die für grundsätzlich gehaltene Frage im angestrebten Revisionsverfahren nicht zu entscheiden wäre. Also muss es der Beschwerde sinngemäß darum gehen, ob der Kostenerstattungsanspruch für die selbstbeschaffte psychotherapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen dessen besondere Qualifikation im Sinne des Krankenversicherungsrechts voraussetzt. Auch diese Erwägung verhilft der Beschwerde indes nicht zur Zulässigkeit. Abgesehen davon, dass die Abhängigkeit von der besonderen Qualifikation durch das bereits erwähnte Urteil vom 28. November 1975 als geklärt anzusehen sein dürfte, ist diese Fragestellung durch das In-Kraft-Treten des Psychotherapeutengesetzes vom 16. Juni 1998 (BGBl I S 1311) zum 1. Januar 1999 und durch die damit verbundene grundsätzliche Umgestaltung des Leistungserbringungsrechts im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung gegenstandslos geworden. Das hat die Beschwerde in Bezug auf die von ihr als maßgeblich angesehene Frage ebenfalls erkannt und darauf verwiesen, dass noch von zahlreichen Kostenerstattungsverfahren wegen selbstbeschaffter Psychotherapien auszugehen sei. Belege für diese Annahme oder konkrete Daten werden in diesem Zusammenhang nicht genannt. Dies genügt zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung von Fragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht nicht; vielmehr verlangt die Rechtsprechung insoweit substantiierte Hinweise auf konkrete Fälle (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; BAG AP Nrn 49 und 55 zu § 72a ArbGG 1979 - Grundsatz = NJW 1980, 1812; BSG vom 26. Juni 1989 - 6 BKa 61/88; BFH/NV 1998, 1255; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160a RdNr 14c; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, Kap IX RdNr 61 mwN). Da die Beschwerdebegründung hierzu nur Mutmaßungen enthält, hat sie die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt.

Auf die grundsätzliche Bedeutung der weiter aufgeworfenen Frage nach der "Zumutbarkeit" stationärer Behandlung für Versicherte trotz verfügbarer "Erstattungspsychotherapeuten" kommt es nicht an. Das LSG hat seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige Erwägungen gestützt, von denen jede die Entscheidung allein trägt. Denn nach der Rechtsauffassung des LSG steht sowohl das Fehlen einer Notfallbehandlung als auch die ungenügende Qualifikation des Therapeuten jeweils für sich genommen dem Anspruch entgegen. In einem solchen Fall kann die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf beide Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und formgerecht gerügt wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; vgl auch BVerwG NVwZ 1991, 376 mwN; BFHE 112, 337). Da die Rüge hinsichtlich der krankenversicherungsrechtlichen Qualifikation nicht greift, braucht der Senat auf die weitere - nicht entscheidungserhebliche - Rüge nicht näher einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755865

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