Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung. Erwerbsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Tarifbestimmung, nach der ein aus Alters- oder Invaliditätsgründen in der ersten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidender Arbeitnehmer mit zehnjähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit den vollen Jahresurlaub erhält, begünstigt den Arbeitnehmer nur hinsichtlich der Urlaubsdauer. Aus einer solchen Regelung ergibt sich nicht, daß der Arbeitgeber den Urlaubsabgeltungsanspruch erfüllen muß, wenn der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abgeltung, § 7 Abs. 4, § 9; TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie; Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Metallindustrie in Hamburg, Schleswig-Holstein und den Landkreisen Harburg und Stade vom 29. Februar 1988 § 10

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 18.01.1989; Aktenzeichen 5 Sa 583/88)

ArbG Kiel (Urteil vom 14.09.1988; Aktenzeichen 4c Ca 1265/88)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit Juni 1957 bei der Beklagten als Lagerarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Metallindustrie in Hamburg, Schleswig-Holstein und den Landkreisen Harburg und Stade (MTV), zuletzt in der Fassung vom 29. Februar 1988, Anwendung. Die Bestimmungen über den Erholungsurlaub enthält § 10 MTV. Dort ist u.a. geregelt:

  • Urlaubsdauer

    • Der Urlaub beträgt jährlich 30 Arbeitstage.
  • Teilurlaub

    • Ein Arbeitnehmer, der aus Alters- oder Invaliditätsgründen ausscheidet, erhält den vollen Urlaub, sofern er 10 Jahre ununterbrochen dem Betriebe angehört hat, jedoch nur soviel Tage, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat.

  • Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs

    • Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden.
    • Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
    • 1. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.

  • Erkrankung während des Urlaubs

    • Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.
  • …”

Vom 15. Februar 1988 an war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 31. Juli 1988. Seit diesem Zeitpunkt bezieht der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der Kläger hat von der Beklagten die Abgeltung seines Erholungsurlaubs für das Jahr 1988 in unstreitiger Höhe verlangt. Mit der am 26. August 1988 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.662,13 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 26. August 1988 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Abgeltungsanspruch sei nicht erfüllbar, weil der Kläger seine Arbeitsfähigkeit auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht wiedererlangt habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision bittet die Beklagte weiterhin um Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage. Der Kläger hat zwar am 31. Juli 1988, als er aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, einen Anspruch auf Abgeltung seines Erholungsurlaubs für das Jahr 1988 erworben. Diesen Anspruch braucht die Beklagte aber nicht zu erfüllen, weil der Kläger in der Zeit zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht (18. Januar 1989) seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt hat.

1. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht als Abfindungsanspruch, für den es auf weitere Merkmale nicht ankommt, sondern als Surrogat des nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruchs auf Befreiung von der Arbeitspflicht. Er ist daher – abgesehen vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses – an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch, setzt also voraus, daß der Urlaubsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis fortbestehen würde, noch durch Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht erfüllt werden könnte (inzwischen ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. z. B. BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung; zuletzt Urteil des Senats vom 20. April 1989 – 8 AZR 621/87 –, zur Veröffentlichung bestimmt).

Dies gilt nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub (§ 7 Abs. 4 BUrlG) und den Zusatzurlaub, der dem Kläger gemäß § 47 SchwbG zustand, sondern auch für den Erholungsurlaub, auf den der Kläger nach § 10 Nr. 2.1 MTV Anspruch hatte. § 10 Nr. 6.9 Unterabs. 1 MTV enthält eine mit § 7 Abs. 4 BUrlG wörtlich übereinstimmende Regelung. Der Arbeitnehmer soll durch diese Tarifnorm auch hinsichtlich des über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden tariflichen Urlaubs so gestellt werden, als könnte die Arbeitspflicht durch Urlaubserteilung suspendiert werden. Zu diesem Zweck erhält er trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Abgeltung Arbeitsentgelt für die Arbeitszeit, die ihm als Freizeit zu gewähren wäre, wenn das Arbeitsverhältnis fortbestünde. Der gesamte mit der Klage geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch ist deshalb an dieselben Voraussetzungen geknüpft wie der Urlaubsanspruch selbst.

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Revisionserwiderung läßt sich der Regelung des § 10 Nr. 4.4 MTV nicht entnehmen, daß es beim Ausscheiden aus Invaliditätsgründen auf die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht ankommen soll.

a) Nach dieser Bestimmung erhält der Arbeitnehmer, dem an sich nach § 10 Nr. 4.1 MTV nur gekürzter Vollurlaub zustünde, wenn er aus Alters- oder Invaliditätsgründen ausscheidet, den vollen Urlaub, sofern er zehn Jahre ununterbrochen dem Betrieb angehört hat, jedoch nur soviel Tage, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat. Das Landesarbeitsgericht meint, § 10 Nr. 6.9 Unterabs. 1 MTV sei für den Fall des Ausscheidens wegen Erwerbsunfähigkeit durch Auslegung dahin zu erweitern, daß ein Abgeltungsanspruch auch dann besteht, wenn der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden könnte. Dies gelte nicht nur für einen in der ersten Hälfte des Urlaubsjahres ausscheidenden Arbeitnehmer, sondern aus Gründen der Gleichbehandlung auch für den am 31. Juli ausgeschiedenen Kläger. Dem ist nicht zu folgen.

Der Senat hat bereits in seinem nicht veröffentlichenten Urteil vom 18. Juli 1989 (8 AZR 194/88) zu der entsprechenden Bestimmung des § 6 Nr. 6 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der metallverarbeitenden Handwerke im Lande Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 1978 entschieden, daß eine solche Tarifregelung nicht darauf abzielt, dem Arbeitnehmer eine Sonderzahlung zu gewähren, sondern daß die Besserstellung nur die Höhe des Urlaubsanspruchs betrifft, nicht aber die Voraussetzungen des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Der Senat sieht keinen Anlaß, die hier maßgebende entsprechende Tarifnorm des § 10 Nr. 4.4 MTV anders auszulegen. Die Gründe, die das Landesarbeitsgericht und der Kläger dafür anführen, überzeugen nicht.

Zwar trifft es zu, daß beim Ausscheiden wegen Erwerbsunfähigkeit viele Arbeitnehmer anschließend nicht wieder arbeitsfähig werden und somit nicht in den Genuß der Abgeltung kommen. Zu Recht weist demgegenüber jedoch die Revision darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts selbst beim Ausscheiden wegen Erwerbsunfähigkeit eine Urlaubsabgeltung unter bestimmten Voraussetzungen nicht ausgeschlossen ist. Die Revision beruft sich insoweit zu Recht auf die Urteile des Senats vom 14. Mai 1986 (BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung) und vom 24. November 1987 (BAGE 56, 340 = AP Nr. 41 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Darin hat der Senat ausgeführt, daß ein wegen Erwerbsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedener Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung erhält, wenn er bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses eine geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Daran ist festzuhalten.

Nicht zu folgen ist der Revisionserwiderung, soweit sie die Auffassung vertritt, die Tarifnorm des § 10 Nr. 4.4 MTV treffe dadurch, daß sie statt des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit den der Invalidität verwende, eine Regelung über die Abgeltung des Urlaubs, die für den Arbeitnehmer günstiger sei als die gesetzliche Bestimmung des § 7 Abs. 4 BUrlG. Die Revisionserwiderung schließt aus § 10 Nr. 4.4 MTV, die Tarifvertragsparteien unterstellten, daß bei Invalidität immer Arbeitsunfähigkeit vorliege. Die Regelung könne deshalb nur so verstanden werden, daß die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs in diesem Fall nicht gefordert werde. Dies trifft nicht zu. § 10 Nr. 4.4 MTV will die dort genannten Tatbestände ersichtlich gleichbehandeln. Wer aus Invaliditätsgründen ausscheidet, soll ebenso behandelt werden wie der, der aus Altersgründen ausscheidet. Käme es bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Invalidität als Voraussetzung des Abgeltungsanspruchs auf die Arbeitsfähigkeit (Erfüllbarkeit) nicht an, wäre der Arbeitnehmer, der wegen Erwerbsunfähigkeit ausscheidet, besser gestellt als der, der sein Arbeitsverhältnis wegen Erreichens der Altersgrenze beendet. Für diesen sähe die Tarifnorm, würde man sie im Sinne des Klägers auslegen, eine Besserstellung gegenüber § 7 Abs. 4 BUrlG nicht vor. Gegen die Unterscheidung beider Arbeitnehmergruppen im Tarifvertrag spricht außerdem, daß § 10 Nr. 6.9 Unterabs. 1 MTV die Voraussetzungen des Urlaubsabgeltungsanspruchs einheitlich bestimmt, indem er eine mit § 7 Abs. 4 BUrlG wörtlich übereinstimmende Regelung trifft.

Da § 10 Nr. 4.4 MTV den in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres ausscheidenden Arbeitnehmer somit nur hinsichtlich der Höhe des Urlaubsanspruchs, nicht aber hinsichtlich der Voraussetzungen des Urlaubsabgeltungsanspruchs begünstigt, kann dahinstehen, ob die Bestimmung in der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auslegung auf den Urlaubsabgeltungsanspruch des am 31. Juli ausgeschiedenen Klägers entsprechend anzuwenden wäre.

b) Dem Landesarbeitsgericht ist auch nicht zu folgen, soweit es die Auffassung vertritt, die wörtlich dem § 9 BUrlG entsprechende Bestimmung des § 10 Nr. 8.1 MTV stütze den Anspruch des Klägers.

Nach dieser Vorschrift werden, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Die entsprechende Anwendung dieser Tarifnorm auf den Urlaubsabgeltungsanspruch scheidet bereits deshalb aus, weil § 10 Nr. 6.9 Unterabs. 1 MTV insoweit eine speziellere Regelung enthält. Außerdem würde sie aber auch nicht dazu führen, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers zu erfüllen ist. § 10 Nr. 8.1 MTV schließt nur aus, daß die Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den bereits erteilten Urlaub angerechnet werden. Dieser Bestimmung ist jedoch nicht zu entnehmen, daß Arbeitsunfähigkeit dem Urlaubsanspruch – oder bei entsprechender Anwendung dem Urlaubsabgeltungsanspruch – “nicht abträglich” ist. Der Kläger verkennt, daß die Nichtanrechnung der Krankheitstage nur bewirkt, daß der Urlaubsanspruch der Höhe nach insoweit erhalten bleibt. Über die Voraussetzungen für die Erteilung und den Verfall dieses Urlaubs enthält § 10 Nr. 8.1 MTV keine Regelung.

3. Der Kläger hat vor dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe keine Tatsachen dafür vorgetragen, daß er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Lage gewesen wäre, unter der Voraussetzung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Auszugehen sei mithin davon, daß der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger über den 31. Juli 1988 hinaus weiterhin fortlaufend nicht arbeitsfähig gewesen sei.

Dies hat der Kläger nicht angegriffen. Entgegen seiner Auffassung ist der Rechtsstreit somit nicht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im übrigen hat der Kläger, der die Rechtslage offenbar zutreffend einschätzte, bereits im Schriftsatz vom 12. September 1988 gegenüber dem Arbeitsgericht angekündigt, daß er wegen seiner Arbeitsfähigkeit nach dem 31. Juli 1988 ergänzend vortragen werde. Er hat jedoch im weiteren Verlauf des Rechtsstreits dazu keine Tatsachen behauptet.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Gaber, Mache

 

Fundstellen

Haufe-Index 841072

BB 1990, 2120

RdA 1990, 318

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