Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 28.02.1994; Aktenzeichen 7 Sa 16/93)

ArbG Dresden (Urteil vom 02.06.1993; Aktenzeichen 18 Ca 6469/92)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 28. Februar 1994 – 7 Sa 16/93 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin (geboren am 27. Dezember 1946) ist Fachlehrerin für Mathematik und Chemie und steht seit 1. August 1969 als Lehrerin im Schuldienst. Sie bekleidete folgende Funktionen:

1973/79

stellvertretende Direktorin

(… Oberschule, R.)

1980/87

Direktorin (an dieser Schule)

1987/90

Direktorin (F.-Schule, R.)

Sie war zeitweise Mitglied der Schulparteileitung; außerdem besuchte sie 1981 das Institut für Leitung und Organisation (ILO) in Potsdam. Die Kreisparteischule und Bezirksparteischule hat die Klägerin nicht besucht. Nach der sog. Wende war sie als Lehrerin an der W.-Schule in R. eingesetzt. In einer Stellungnahme des dortigen Personalrats zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin vom 9. April 1992 heißt es hinsichtlich ihrer früheren Tätigkeit als Direktorin an der A.-Oberschule u.a.:

Die von der damaligen Situation losgelöste Vorhaltung der Aussage, daß der Direktor „seine Leitungstätigkeit auf der Grundlage der Beschlüsse der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands” durchzuführen hat, wird der Tatsache nicht gerecht, daß Frau N. niemals formal nach den Buchstaben der Verordnung handelte, sondern die doch vorhandenen Freiräume nutzte. Ihre Leitungstätigkeit war von Toleranz geprägt, sie schuf an ihren Schulen ein offenes Klima, bezog die Erfahrungen und Hinweise aller Kollegen ein. Sie erwarb sich so die Achtung und Anerkennung der Lehrer, Schüler und Eltern. Während ihrer Tätigkeit als Direktor unserer Schule wurde niemand in irgend einer Art und Weise nachteilig behandelt … in der Wendezeit führte sie die Schule mit Umsicht, fühlte sich selbst befreit von vielen Zwängen, nahm Partnerschaftsbeziehungen zu Schulen in den Artbundesländern auf … sie arbeitet mit Erfolg seit 1990 als Lehrerin im Fach Mathematik. In diesem Schuljahr übernahm sie eine Klasse als Klassenleiterin. Zu den ihr anvertrauten Schülern hat sie ein ausgezeichnetes Verhältnis. Über ihre Unterrichtszeit hinaus führt sie die neu zu uns gekommene Klasse an das Niveau der anderen heran. Dabei zeigt sie pädagogische Feinfühligkeit. Ihre Tätigkeit hat keine Zweifel an ihrer Loyalität und ihrem Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes aufkommen lassen …

Der Klassenelternsprecher wandte sich mit Schreiben vom 13. April 1992 an das Oberschulamt mit der Bitte, das Kündigungsvorhaben zurückzuziehen.

Mit Schreiben des Oberschulamtes vom 6. Juli 1992 wurde der Klägerin zum 31. Dezember 1992 unter Berufung auf Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig Abs. 4 Ziff. 1 EV) mit der Begründung gekündigt, aufgrund der früheren Tätigkeit als Direktorin sei sie nicht geeignet, junge Menschen im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung glaubwürdig zu erziehen. Zu dieser Kündigung hatte der Beklagte den Bezirkspersonalrat angehört; ein Anhörungsschreiben ist nicht zu den Akten gelangt. Am 14. April 1992 wurden dem Personalrat durch den bevollmächtigten Vertreter des Beklagten, Herrn L., Kündigungsgründe erläutert; ferner fand am 26. Mai 1992 durch den ebenfalls bevollmächtigten Vertreter des Oberschulamtes. Herrn B., eine Erörterung statt. Der Bezirkspersonalrat teilte danach mit Schreiben vom 3. Juni 1992 mit, er wolle sich zur Kündigungsabsicht nicht äußern.

Die Klägerin hat eine mangelnde Eignung für den Lehrerberuf bestritten. Diese könne lediglich aus der von ihr früher ausgeübten Funktion nicht hergeleitet werden. Sie habe ihre Funktionen nicht zum Nachteil von Schülern, Eltern oder sonstigen Personen ausgeübt, sondern sich im Gegenteil dafür eingesetzt, daß der parteilose Lehrer J. über sieben Jahre lang Staatsbürgerkundeunterricht an der … Oberschule geben durfte, was ohne ihre Unterstützung nicht möglich gewesen wäre. Sie habe sich für dessen Verbleib an der Schule eingesetzt, obwohl es deswegen Schwierigkeiten mit der Kreisleitung der SED gegeben habe. Soweit der damalige Kreisschulrat M. in Vermerken vom 11. Juni 1987 und 26. August 1987 Gegenteiliges erkläre, habe er dies mit Schreiben vom 28. April 1992 an den Präsidenten des Oberschulamtes richtiggestellt. Gegenüber diesem Schulrat habe sie die ablehnende Entscheidung der SED-Kreisleitung als willkürlich bezeichnet (Beweis: M.). Im übrigen habe der frühere Staatsbürgerkundelehrer J. selbst bei seiner Zeugenvernehmung angegeben, daß seine Suspendierung als Staatsbürgerkundelehrer auf der Ebene der Kreisleitung der SED gefallen sei. Wenn J. ausgesagt habe, sie sei „für das politische Klima der Duckmäuserei und Heuchelei” an ihrer Schule verantwortlich, so fehlten hierfür jegliche konkrete Belege. Tatsächlich sei dies nicht der Fall gewesen, so habe Sie 1985 einer christlich eingestellten Lehrerin die Vorbereitung der Klasse auf die Jugendweihe freigestellt und dieser Kollegin strotz Widerstands des Schulrates Besuchsreisen ins westliche Ausland gestattet (Beweis: K.). Auch an der F.-Schule habe sie konfessionell eingestellen Schülern, u.a. den Schülern H. und L. das Studium ermöglicht (Beweis: F., H. u.a.).

Der Beklagte könne im übrigen auf den „Sachverhalt J.” die Kündigung schon deshalb nicht stützen, weil er dies zwar mit Schreiben vom 15. April 1991 früher bereits angekündigt, auf ihre Erläuterung des Sachverhalts hin jedoch mit Schreiben vom 30. Mai 1991 erklärt habe, nach derzeitigem Erkenntnisstand sei nicht beabsichtigt, ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen. Schließlich sei der Bezirkspersonalrat über diese Vorgänge nicht informiert worden.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juli 1992 nicht beendet werde,
  2. für den Fall des Obsiegens sie, die Klägerin, zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die mangelnde persönliche Eignung der Klägerin ergebe sich aus ihrer individuellen beruflichen Lebensgeschichte. Sie habe Funktionen und Tätigkeiten wahrgenommen, die zu DDR-Zeiten mit solchen Personen besetzt worden seien, die sich mit den Zielen und der Ausrichtung der SED voll identifiziert hätten. So sei die Klägerin bereits vier Jahre nach Eintritt in den Schuldienst zur stellvertretenden Direktorin für außerunterrichtliche Tätigkeiten berufen worden. Damit habe sie ihre Leitungstätigkeit auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralrats der SED auszuführen gehabt. Neben der kulturellen und sportlichen Freizeitgestaltung habe auch die politische Indoktrinierung der Kinder zu ihren Aufgaben gehört. Zu ihrer weiteren Qualifikation habe sie das ILO-Institut besucht. Als Direktorin habe ihr die politisch-ideologische Anleitung der Lehrer und die Einflußnahme auf die Zusammensetzung des Pädagogenkollektivs oblegen. Sie sei für die militärische Nachwuchsgewinnung verantwortlich gewesen ebenso wie für die Befürwortung oder Ablehnung von „Westreisen”; ferner habe sie das Vorschlagsrecht gehabt, welche Schüler weiterführende Schulen besuchen durften, und sei Kontaktperson zum MfS gewesen. Die Klägerin sei eine strenge Verfechterin der Schulpolitik der SED gewesen und habe wesentlichen Anteil an der politischen Verfolgung des an der Schule tätigen Lehrers J. gehabt. Selbst wenn die Klägerin sich vom politischen Leitbild der SED und deren Bildungsziel gelöst habe, verblieben auf Seiten der Eltern und Schüler große Zweifel an ihrer Geeignetheit für den Schuldienst.

Es werde bestritten, daß die Klägerin einer Kollegin die Vorbereitung der Schüler auf die Jugendweihe freigestellt und Westreisen gestattet habe und daß sie sich für konfessionell gebundene Schüler eingesetzt habe. Hinsichtlich des „Sachverhalts J.” liege kein Verwirkungstatbestand vor, weil damals nur nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand keine Kündigungsabsicht bestanden habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht nach den Klageanträgen erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, die Kündigung sei nicht wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei nicht gerechtfertigt, weil der Klägerin abgenommen werden könne, sich in Zukunft für den demokratischen Rechtsstaat einzusetzen. Zwar habe sie eine 17jährige Leitungstätigkeit an Schulen hinter sich, woraus der Anschein einer Identifikation mit den Staatszielen der ehemaligen DDR im Sinne der SED-Politik folge. Anhaltspunkte für eine sog. Parteikarriere seien aber nicht gegeben. Wenn auch streitig sei, ob die Klägerin bereits seit 1971 oder erst ab 1900 Mitglied der Schulparteileitung gewesen sei, habe der Beklagte nichts dafür vorgetragen, daß die Klägerin in diesem Gremium irgendwelche zusätzlichen Funktionen übernommen hätte, die ein besonderes Engagement offenbarten. Mit der langjährigen Direktorentätigkeit könne nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß die Klägerin dieses Amt parteinah ausgeübt habe. Die Aussage des Zeugen J. habe das Arbeitsgericht einseitig zu Ungunsten der Klägerin gewertet. Insoweit bestünden bereits Bedenken, ob sich der Beklagte auf die Umstände, die zur teilweisen Entpflichtung J. vom Staatsbürgerkundeunterricht geführt hätten, im Prozeß noch berufen könne. Denn unstreitig habe der Beklagte mit Schreiben vom 30. Mai 1991 mitgeteilt, daß nach derzeitigem Kenntnisstand nicht beabsichtigt sei, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu kündigen, worin ein Verzicht auf eine Kündigung mit den Gründen liegen könne, die bis dahin bekannt gewesen seien und mit dem Fall J. zusammenhingen. Jedenfalls habe der Beklagte nichts dazu vorgetragen, daß er nach dem 30. Mai 1991 über neue Erkenntnisse hinsichtlich eines Kündigungsgrundes verfügt hätte. Außerdem falle auf, daß dem Personalrat alle möglichen Schreiben vorgelegt worden seien, jedoch nicht die Schreiben vom 15. und 30. Mai 1991 betreffend den Kündigungssachverhalt J. Selbst wenn man aber den Kündigungssachverhalt J. in die Betrachtung einbeziehe, so habe die Klägerin unbestritten vorgetragen, daß sie jahrelang den Zeugen J. – ohne Parteimitgliedschaft – als Staatsbürgerkundelehrer vorgeschlagen habe, ohne daß dessen Abberufung auf ihren Einfluß zurückzuführen sei. Im übrigen spreche die Stellungnahme des Personalrats vom 9. April 1992 für die Klägerin, wenn ihr neben hoher fachlicher Eignung auch Toleranz und offenes Klima an der Schule attestiert werde. Da die Klägerin schließlich weder die Kreis- noch die Bezirksparteischule, sondern lediglich obligatorisch für Führungsaufgaben das ILO besucht habe, lasse sich aus der Gesamtschau der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten und Funktionen nicht auf ihre persönliche Ungeeignetheit schließen.

II. Dem folgt der Senat. Die Revision rügt zu Unrecht, das Berufungsgericht habe eine Gesamtwürdigung verabsäumt und entscheidungserheblichen Sachverhalt unzutreffend bewertet und teilweise unberücksichtigt gelassen.

1. Da die Klägerin als Lehrerin dem öffentlichen Dienst in den Beitrittsländern angehörte (Art. 20 Abs. 1 EV), ist die Kündigung zulässig, wenn die Klägerin wegen mangelnder persönlicher Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV den Anforderungen nicht entspricht. Dazu sind in der einschlägigen Rechtsprechung des Achten und Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, m.w.N.; vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – n.v.; vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201/93 – AP Nr. 35 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 261/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen) und neuerdings auch vom Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) zum Nachweis einer solchen mangelnden Eignung aufgrund besonderer Identifikation des Lehrers mit den grundgesetzfeindlichen Zielen der SED bzw. von Entlastungstatsachen – kurz zusammengefaßt – folgende Grundsätze entwickelt worden:

Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die dann indiziert ist, wenn z.B. ein in der früheren DDR tätig gewesener Lehrer sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Positionen in Staat und Partei, die ein Lehrer seinerzeit innegehabt hat, können Anhaltspunkte für eine mangelnde Eignung sein. Allerdings erfordern Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und im öffentlichen Dienst ergänzend Art. 33 Abs. 2 GG eine konkrete, einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, die sein Verhalten nach dem Beitritt der neuen Bundesländer unter Prüfung der Fähigkeit und inneren Bereitschaft einbezieht, seine dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung glaubwürdig wahrzunehmen (BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 –, a.a.O.). Die Beweislast für den Nachweis der mangelnden persönlichen Eignung obliegt dem Arbeitgeber, wobei allerdings die Darlegungslast für be- und entlastendes Vorbringen abgestuft ist: Schon angesichts der Tatsache, daß zahlreiche Personalakten nach der sog. Wende „gesäubert” wurden, würden die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers überspannt, wenn von ihm ohne konkretes Gegenvorbringen die detaillierte Darlegung verlangt würde, der mit der Umsetzung der grundgesetzfeindlichen SED-Ideologie beauftragte Funktionsträger habe im konkreten Fall die Funktion auch tatsächlich entsprechend diesen Zielen ausgeübt. Wie er im Einzelfall die Funktion tatsächlich ausübte, weiß der belastete Arbeitnehmer in aller Regel weitaus besser. Er hat sich deshalb zu der allgemeinen Funktionsbeschreibung konkret zu äußern. Das Maß der gebotenen Substantiierung von Entlastungsvorbringen hängt ebenfalls davon ab, wie sich die andere Seite darauf einläßt (§ 138 Abs. 2 ZPO). Es bedarf des Vortrages konkreter Entlastungstatsachen unter Benennung geeigneter Beweismittel. Der Arbeitgeber kann dann seine Ermittlungen auf die vorprozessual oder im Prozeß konkretisierten Tatsachen konzentrieren, wobei die Beweislast auch insoweit bei ihm verbleibt.

2. Es fällt zunächst auf, daß das typische Bild einer parteigestützten Karriere, nämlich die Verbindung zwischen Parteiämtern und amtlichen Funktionen vorliegend nicht gegeben ist. Die Klägerin ist weder Parteisekretärin gewesen, noch hat sie die Kreisparteischule und/oder die Bezirksparteischule besucht und ist dann in amtliche Funktionen befördert worden. Insoweit kann nicht einmal von einer Mitgliedschaft in der Parteileitung bei der ersten Beförderung der Klägerin in das Amt einer stellvertretenden Direktorin ausgegangen werden: Der Beklagte hatte zwar behauptet, die Klägerin sei seit 1971 Mitglied der Parteileitung gewesen. Die Klägerin hatte dies jedoch bestritten und vorgetragen, sie sei erst seit 1980 Mitglied der Schulparteileitung und gleichzeitig Direktorin an der … Oberschule gewesen, ohne daß der Beklagte für seine Behauptung Beweis angetreten hätte. Es könnte daher nur davon ausgegangen werden, daß die Klägerin bei der Beförderung 1973 in das Amt einer stellvertretenden Direktorin allenfalls schlichtes SED-Mitglied gewesen ist, wobei auch dies für diesen Zeitpunkt nicht einmal konkret behauptet, geschweige denn unstreitig ist. Von hier aus gesehen kann die Beförderung der Klägerin zur stellvertretenden Direktorin ebensogut auf fachlicher Qualifikation beruhen.

Zwar waren die Ämter der stellvertretenden Direktorin und Direktorin – zumindest das des Schuldirektors – parteinah ausgerichtet, wie sich u.a. aus der Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen-Schulordnung – vom 29. November 1979 (GBl I S. 433) ergibt. Nach § 10 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 vierter Halbsatz Schulordnung war der Direktor auch zuständig für die politische Leitung der Schule; gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Schulordnung bestand die Verpflichtung des Direktors, seiner Leitungstätigkeit u.a. die Beschlüsse der SED zugrundezulegen. Ebenso belegt § 11 Abs. 1 Satz 1 Schulordnung die enge Bindung des Schuldirektors an die Partei. Der Beklagte hat auch vorgetragen, die Klägerin habe schon als stellvertretende Direktorin mit der SED und der FDJ zusammenarbeiten müssen, sei für die organisatorische Freizeitgestaltung, ferner für Arbeitsgemeinschaften u.a. auch politischer Art sowie für die Werbung der Kinder für die PDJ zuständig gewesen. Alles das indiziert aber noch nicht eine besondere Nähe zur SED. Auch zur Direktorentätigkeit hat der Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe die Beschlüsse der SED zugrundelegen müssen, habe Kontakte zum MfS halten und die Zuverlässigkeit des Personals bei Westreise-Antragstellern prüfen müssen und habe schließlich Einfluß auf die Abiturvorschläge gehabt. Dem ist indessen die Klägerin entgegengetreten; so habe sie u.a. einer christlich eingestellten Lehrerin 1985 die Vorbereitung der Klasse auf die Jugendweihe freigestellt und habe dieser Lehrerin trotz des Widerstandes des Schulrates Besuchsreisen in das westliche Ausland gestattet (Beweis: K.). Auch hat die Klägerin behauptet, an der F. Schule habe sie konfessionell eingestellten Schülern, u.a. den Schülern H. und L., obwohl es sich um Schüler aus streng religiösem Elternhaus gehandelt habe, das Studium ermöglicht. Schon angesichts dieses Bestreitens kann – und dies in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin habe sich durch ihre Tätigkeit als stellvertretende Direktorin und nachfolgend Direktorin in besonderer Weise mit der SED-Schulpolitik identifiziert. So haben der Achte und nachfolgend auch der Zweite Senat (vgl. Urteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu III 2 c cc der Gründe, vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – n.v., zu II 2 der Gründe und vom 11. Mai 1995 – 2 AZR 851/93 – n.v., zu II 2 der Gründe) mehrfach entschieden, allein die Innehabung der Funktion der stellvertretenden Direktorin und Direktorin ohne gleichzeitige Verknüpfung mit einer Tätigkeit in Parteiämtern indizierten noch keine besondere SED-Nähe. Von hier aus gesehen wäre die Revision schon zurückzuweisen.

a) Ein anderes Bild könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn der „Komplex Jahn” in die Betrachtung einbezogen wird.

Nach der Darstellung des Beklagten soll die Klägerin deshalb eine strenge Verfechterin der SED-Schulpolitik gewesen sein, weil sie entsprechende Beurteilungen verfaßt habe, aufgrund derer dem Staatsbürgerkundelehrer J. 1987/88 Berufsverbot erteilt worden sei. Insofern ist unstreitig, daß für das dem Lehrer J. zeitweise erteilte Unterrichtsverbot im Fach Staatsbürgerkunde letztlich die SED-Kreisleitung verantwortlich war, nicht die Klägerin. Der Beklagte stützt sich insoweit auf Aktennotizen des Kreisschulrats M. vom 11. Juni 1987 und 26. August 1987, aus denen sich in der Tat ergibt, daß M. als Kreisschulrat dem Lehrer J. Vorhaltungen gemacht hat, warum er immer noch nicht in die SED eingetreten sei; deshalb habe die Kreisleitung der SED ihn nicht als Staatsbürgerkundelehrer bestätigt; im Gegensatz zu seinem sonstigen positiven Erscheinungsbild stehe seine hartnäckige Weigerung, Genosse der Partei zu werden. Der Parteisekretär und die Direktorin (N.) hätten sich mit der Entscheidung identifiziert, J. nicht als Staatsbürgerkundelehrer zu bestätigen, da seine Vorbildwirkung in diesem Fach nicht mehr gewährleistet sei. Dem steht schon die den Senat bindende Feststellung im Urteil des Landesarbeitsgerichts (S. 14 oben) entgegen (§ 561 ZPO), die Klägerin habe unbestritten vorgetragen, jahrelang den Zeugen J. – ohne Parteimitgliedschaft – als Staatsbürgerkundelehrer vorgeschlagen zu haben und es sei erst zu dessen Abberufung gekommen, als sie keinen Einfluß mehr darauf gehabt habe. Die Klägerin hat sich dazu auf eine Stellungnahme eben desselben Kreisschulrats M. vom 28. April 1992 in einem Schreiben an den Präsidenten des Oberschulamtes berufen, in dem dieser einleitend berichtet, der Lehrer J. sei jährlich von der Direktorin der … Oberschule, Frau N., zum Einsatz im Fach Staatsbürgerkunde vorgeschlagen worden; er habe mit Frau N. darin übereingestimmt, daß J. ein sehr befähigter, engagierter Pädagoge sei, wobei die Parteizugehörigkeit sekundär gewesen sei. Diese Auffassung sei allerdings zunehmend auf Unverständnis der SED-Kreisleitung gestoßen. Deren Entscheidung habe die Klägerin als willkürlich und Unrecht bezeichnet und ihm dies eindeutig mitgeteilt; sie habe jedoch ebenso wie er keine Möglichkeit gesehen, den Beschluß des Sekretariats zu ignorieren. Danach habe sich J., da er unbedingt Staatsbürgerkunde – neben dem Fach Geschichte – unterrichten wollte, mit einer Eingabe an das Ministerium für Volksbildung gewandt. Frau N. und andere verantwortliche Pädagogen der …-Oberschule hätten sich letztlich ohne innere Einsicht der von ihm (M.) erarbeiteten Begründung für den Nichteinsatz J. gefügt, weil sie keinen Ausweg gewußt hätten. Deshalb habe man festgelegt, demgegenüber den vollen Einsatz des Herrn J. im Fach Geschichte zu garantieren. Frau N. habe das voll realisiert. Gleichzeitig habe er Herrn J. versichert, daß er ihn in Vorbereitung des Schuljahres 1988/89 wieder zur Bestätigung vorschlagen werde, was auch geschehen sei. Da J. inzwischen der LDP beigetreten sei, sei er auch als Staatsbürgerkundelehrer wieder bestätigt worden.

Auf dem Hintergrund dieser Darstellung, zu der der Beklagte sich nie geäußert hat (§ 138 Abs. 3 ZPO), wird es deshalb plausibel, wenn das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, die Klägerin habe jahrelang den Zeugen J. auch ohne dessen SED-Mitgliedschaft als Staatsbürgerkundelehrer vorgeschlagen. Wenn dem aber so war, und zwar entgegen den Vorstellungen der SED-Kreisleitung, so läßt sich insoweit auf eine besondere Identifizierung der Klägerin mit den SED-Zielen nicht schließen, ohne daß es noch darauf ankommt, ob die Klägerin in anderen Fällen (Lehrerin K., Schüler H. und L.) ihre Distanz zur SED-Schulpolitik deutlich gemacht hat.

Damit erweist sich die Revisionsrüge, das Landesarbeitsgericht habe das Parteivorbringen im Falle J. unzutreffend und teilweise überhaupt nicht bewertet, als unrichtig. Widerlegt ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe J. regelmäßig bewegen wollen, in die SED einzutreten. Der Zeugenaussage J. läßt sich insofern nur entnehmen, daß die Klägerin ebenso wie der Parteisekretär an der Schule mit ihm Gespräche geführt hat, ob er nicht Mitglied der SED werden wolle. Es geht insofern nicht um eine eigene Würdigung der Aussage des Zeugen J. durch das Revisionsgericht, sondern um den Vorwurf des Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe eine unvollständige Würdigung vorgenommen. Der Zeuge J. hat dann auch eindeutig bestätigt, daß seine Suspendierung vom Unterricht seinerzeit vom Kreisschulrat her erfolgt und ausgesprochen worden sei, nachdem bereits die Klägerin die Schule als Direktorin verlassen hatte. J. hat ferner bestätigt, daß er dann wieder im Fach Geschichte eingesetzt worden sei. Er hat im übrigen auch bekundet, er wolle aus den Gesprächen mit der Klägerin ergänzen, daß er es als sehr kollegial empfunden habe, daß die Klägerin ihm sagte, seine Weigerung in die SED einzutreten, könne zu Konsequenzen führen und er solle in diesem Zusammenhang doch auch an seine Familie denken. Auch wenn derartige Umstände letztlich der Würdigung der Tatsacheninstanz vorbehalten sind, so kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin habe sich im Falle J., wie dies auch im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1995 (– 1 BvR 1397/93 – NZA 1995, S. 619) angeführt wird, in repressiver und schädigender Form betätigt.

Dabei kann der Revision eingeräumt werden, daß das Landesarbeitsgericht auf andere Teile der Aussage des Zeugen J. nicht eingegangen ist, in denen davon die Rede ist, die Klägerin habe sich neben dem fachlichen Bildungsauftrag auch in politischer Hinsicht engagiert, es habe 1985 an der Schule ein politisches Klima der Duckmäuserei und Heuchelei gegeben und im letzten Jahr der Tätigkeit von Frau N. seien zu Beginn von Dienstberatungen regelmäßig sozialistische Kampflieder gesungen worden. Auch wenn man diese wenig konkretisierten Umstände in die Betrachtung einbezieht, wird nicht deutlich, daß die Klägerin sich über die in der damaligen DDR-Wirklichkeit bestehende Loyalität hinaus besonders für die SED-Schulpolitik engagiert hat. Auch das Absingen von „sozialistischen Kampfliedern” konnte möglicherweise lediglich dazu dienen, das äußere „sozialistische” Erscheinungsbild bei gleichzeitiger Toleranz nach innen hin zu wahren, ohne daß damit ein wesentlicher Beitrag zur Durchsetzung der SED-Schulpolitik seitens der Klägerin geleistet wurde. Im übrigen hat die Klägerin anläßlich der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, ohne daß im Hinblick auf § 561 ZPO darauf noch abgestellt zu werden braucht, plausibel erläutert, daß es sich nicht um Kampflieder – auch keine sozialistischen – gehandelt habe.

b) Schließlich hat der Beklagte selbst den „Komplex J.” offensichtlich selbst nicht (mehr) als gravierend angesehen. Der Beklagte hatte bereits mehr als 1 Jahr vor Ausspruch der im Streit stehenden Kündigung der Klägerin eine angeblich absolut SED-linientreue Haltung im Zusammenhang mit dem Entlaßverfahren E. J. zur Last legen wollen (Schreiben vom 15. April 1991). Auf die Einwendungen der Klägerin hin kam es danach zum Schreiben vom 30. Mai 1991, wonach der Klägerin nunmehr mitgeteilt wurde, daß nach dem derzeitigen Erkenntnis stand nicht (mehr) beabsichtigt sei, ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen. Der Beklagte hat also ersichtlich diesen Umständen keine Bedeutung beigemessen.

3. Das Landesarbeitsgericht hat schließlich auch die Stellungnahme des Personalrats vom 9. April 1992 seiner Würdigung zugrundegelegt, ohne daß die Revision hierzu erhebliche Rügen vorgebracht hat. Das Landesarbeitsgericht hat diese Stellungnahme zusammenfassend dahin gewürdigt, der Klägerin werde neben hoher fachlicher Eignung auch Toleranz und offenes Klima an der Schule während ihrer Leitungstätigkeit bescheinigt. Dies würde jedenfalls auch nicht dem Bild einer besonders ideologietreuen Parteigenossin entsprechen. Schließlich wäre noch ergänzend anzumerken, daß der Personalrat immerhin 2 1/2 Jahre nach der sog. Wende der Klägerin bescheinigt hat, ihre Tätigkeit habe „keine Zweifel an ihrer Loyalität und ihrem Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes aufkommen lassen”. Gerade die Nach-Wende-Entwicklung ist jedoch in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, wie nicht zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 21. Februar 1995, a.a.O.) hervorgehoben hat.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Piper, Beckerle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093040

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