Entscheidungsstichwort (Thema)

Streikteilnahme und Gleitzeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist nach einer Betriebsvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit der Stand des Gleitzeitkontos auf der Grundlage der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit zu berechnen, so folgt hieraus, wenn die Betriebspartner nichts anderes bestimmen, daß Zeiten außer Betracht bleiben, in denen die Arbeitspflicht wegen Teilnahme an einem Arbeitskampf geruht hat. Arbeitskampfbedingte Ausfallzeiten führen nicht zu einer Belastung des Gleitzeitkontos, sondern zu einer Minderung des Arbeitsentgelts.

 

Normenkette

GG Art. 9

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 25.08.1993; Aktenzeichen 2 (5) Sa 169/93)

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 07.01.1993; Aktenzeichen II 1 Ca 2125/92)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, der Klägerin die wegen ihrer Teilnahme an Warnstreiks ausgefallenen Stunden von ihrem Gleitzeitguthaben abzuziehen.

Die 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Auszubildende beschäftigt. Im Rahmen der Tarifrunde 1992 beteiligte sie sich an Warnstreiks, zu denen die IG Metall nach Ablauf der Friedenspflicht aufgerufen hatte. Hierdurch sind am 30. April 2 Stunden, am 8. Mai 3,75 Stunden und am 13. Mai 7,4 Stunden, insgesamt also 13,15 Stunden Ausbildungszeit ausgefallen. Die Beklagte hat hierfür nicht die Ausbildungsvergütung gekürzt, sondern die ausgefallenen Zeiten von den am Ende der Monate April und Mai jeweils bestehenden Gleitzeitguthaben der Klägerin abgezogen. Dieses Gleitzeitguthaben betrug ohne die von der Beklagten vorgenommenen Abzüge Ende April 10,07 Stunden und Ende Mai 13,63 Stunden. Auch bei den übrigen Auszubildenden, die am Streik teilgenommen haben, hat die Beklagte die Ausfallzeiten mit den Gleitzeitguthaben verrechnet. Dagegen hat sie bei den Arbeitnehmern Entgeltabzüge entsprechend der Streikdauer vorgenommen.

Im Betrieb der Beklagten besteht eine Betriebsvereinbarung "Gleitende Arbeitszeit" vom 22. Oktober 1991 (BV GLAZ). Sie enthält, soweit hier von Interesse, folgende Bestimmungen:

"4.1 Regelmäßige Arbeitszeit - Normalarbeitszeit

Es gilt für alle tariflichen Mitarbeiter

die im Tarifvertrag Metall/Schleswig-Hol-

stein vorgeschriebene regelmäßige Arbeits-

zeit von 37,0 Stunden wöchentlich. Sie ist

im Grundsatz einzuhalten.

Bei gleichmäßiger Verteilung der Arbeits-

zeit auf fünf Arbeitstage pro Woche beträgt

die regelmäßige Arbeitszeit 7,4 Stunden

(= 7 Stunden 24 Minuten) täglich.

...

5. Sonderregelungen

...

5.3 Jugendliche Mitarbeiter und Auszubildende

Jugendliche unter 18 Jahren sowie Auszubil-

dende - gleich welchen Alters - nehmen in

eingeschränkter Form an der Gleitenden Ar-

beitszeit teil.

...

8.8.4 Stundenweise Abwesenheit aus sonstigen

Gründen

Stundenweise Abwesenheiten gelten als zu

bezahlende Fehlzeiten, sofern es sich um

Abwesenheiten handelt, die nach dem Gesetz

(§ 616 BGB) und nach dem Tarifvertrag für

gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte

(§ 11 Arbeitsausfall, Arbeitsverhinderung,

Arbeitsfreistellung) geregelt sind.

...

8.8.5 Private Unterbrechungen und unentschuldig-

tes Fehlen

Private Unterbrechungen sind begründungs-

pflichtig und werden nur in Ausnahmefällen

genehmigt. Sie werden grundsätzlich mit dem

Gleitzeitstand verrechnet, können jedoch

auch als Nicht-Arbeitszeit erfaßt werden.

Das heißt, es erfolgt ein entsprechender

Lohn- bzw. Gehaltsabzug.

...

Unentschuldigtes Fehlen wird auf keinen

Fall bei der Gleitzeitrechnung berücksich-

tigt, sondern führt nach wie vor zum Ver-

dienstabzug.

...

9. Abrechnung

Abrechnungszeitraum ist der Kalendermonat.

Die Sollstundenzahl wird jeweils rechtzei-

tig auf Basis der 37,0-Stunden-Woche durch

Aushang bekanntgegeben.

9.1 Zeitguthaben bzw. Zeitminus

...

Überschreitet oder unterschreitet die ef-

fektive Arbeitszeit die monatliche Soll--

Stundenzahl, so kann der Mitarbeiter ein

Zeitguthaben bis zu maximal 15 Stunden bzw.

ein Zeitminus bis zu maximal 10 Stunden als

Zeitvortrag in den nächsten Monat übertra-

gen.

...

Das Über- oder Unterschreiten der Soll-Ar-

beitszeit im Rahmen der Gleitenden Arbeits-

zeit bis plus 15 Stunden oder minus

10 Stunden (bzw. der o.g. Grenzen) bleibt

für den Gehalts- und Lohnempfänger bei der

monatlichen Abrechnung unberücksichtigt.

Bei der Abrechnung wird nach wie vor von

der Soll-Arbeitszeit ausgegangen.

..."

In einem Informationsschreiben der Beklagten vom 27. April 1992 über die "Teilnahme von Mitarbeitern an Warnstreiks", das an den "Verteiler 3 (nur Lübeck) sowie an alle Gleitzeitbeauftragten" gerichtet war, heißt es:

"Wir weisen deswegen schon jetzt rein vorsorglich

darauf hin, daß in einem solchen Fall für dieje-

nigen Mitarbeiter, die während der Arbeitszeit an

einem Warnstreik teilnehmen, die dadurch ausge-

fallene Arbeitszeit grundsätzlich nicht bezahlt

wird, d.h. daß es in derartigen Fällen zu einem

Lohn- bzw. Gehaltsabzug kommen wird.

...

Eine Gleitzeitverrechnung ist in derartigen Fäl-

len nicht zulässig."

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, zur Kürzung ihrer Gleitzeitguthaben sei die Beklagte nicht befugt gewesen. Das vor dem Streik erworbene Zeitguthaben könne durch den Arbeitskampf nicht berührt werden. Vorgeleistete Ausbildungszeit könne nicht mit Zeiten verrechnet werden, während denen ihre Pflichten aus dem Ausbildungsverhältnis wegen des Arbeitskampfs suspendiert gewesen seien. Der Arbeitskampf könne nur zu Abzügen bei der Ausbildungsvergütung führen. Hieran ändere auch die BV GLAZ nichts, denn sie enthalte keine Regelung für den Fall des arbeitskampfbedingten Ausfalls von Arbeitszeit. Sie knüpfe lediglich an die im Einzelfall jeweils geschuldete Arbeitszeit an. Diese vermindere sich aber um die Zeiten, in denen die Arbeitspflicht aus dem Ausbildungsverhältnis wegen der Streikteilnahme ruhe. Im übrigen habe die Beklagte mit ihrer Ankündigung vom 27. April 1992, sie werde für die wegen Streikteilnahme ausgefallenen Zeiten Entgeltabzüge vornehmen, einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der einer Verrechnung mit Gleitzeitguthaben entgegenstehe. Schließlich sei eine solche Verrechnung auch nicht mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu vereinbaren, da die Beklagte bei allen streikenden Arbeitnehmern Entgeltabzüge vorgenommen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein

Gleitzeitguthaben i.H.v. 13,15 Stunden zu gewäh-

ren ohne Anrechnung auf den am 30. Juni 1992 be-

stehenden Guthabenbestand der Klägerin.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die von ihr vorgenommenen Abzüge vom Gleitzeitkonto der Klägerin fänden ihre rechtliche Grundlage in der BV GLAZ. Nach dieser müßten Zeitrückstände stets durch Inanspruchnahme von Guthaben ausgeglichen werden. Nur soweit dies wegen fehlender Zeitguthaben nicht möglich sei, erfolge der Ausgleich durch Geldabzug. Wegen der bei der Klägerin vorhandenen Zeitguthaben sei sie, die Beklagte, zu einer Minderung der Vergütung nicht befugt gewesen. Die Betriebsvereinbarung sei auch im Arbeitskampf anwendbar. Die suspendierende Wirkung der Streikbeteiligung führe nicht zur Verringerung des tariflichen Arbeitszeitvolumens. Die tarifliche Festlegung der von Auszubildenden geschuldeten Arbeitszeit könne nicht durch tatsächliches Verhalten des einzelnen Auszubildenden - wie etwa dessen Streikteilnahme - verändert werden. Auch aus der Mitteilung der Beklagten vom 27. April 1992 könne die Klägerin nichts für sich herleiten, denn diese Mitteilung sei nicht an sie gerichtet gewesen. Überdies habe sich die Mitteilung nur auf Arbeitnehmer bezogen, nicht aber auf die Auszubildenden. Auch die Berufung der Klägerin auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gehe fehl, denn wegen der grundlegenden Unterschiede zwischen Arbeitsleistung und Ausbildung komme eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Auszubildenden nicht in Betracht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

A. Die Klage ist zulässig. Das Rechtsschutzinteresse ist auch dann nicht entfallen, wenn das Ausbildungsverhältnis der Klägerin, wie die Beklagte in der Revisionsverhandlung vorgetragen hat, inzwischen beendet sein sollte. Hierdurch wird nicht ausgeschlossen, daß der Klägerin die von ihr begehrte Auffüllung des Gleitzeitkontos zugute kommt. Das gilt auf jeden Fall dann, wenn sie nunmehr in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht. Aber auch wenn die Klägerin nach der unterstellten Beendigung des Ausbildungsverhältnisses nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt sein sollte, wäre damit ihr Rechtsschutzinteresse nicht entfallen, denn es ist denkbar, daß sich aus der nachträglichen Auffüllung ihres Gleitzeitkontos noch Abgeltungsansprüche ergeben. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß solchen Abgeltungsansprüchen Rückzahlungsansprüche der Beklagten wegen zuviel gezahlter Ausbildungsvergütung gegenüberstünden. Zum einen hat die Beklagte insoweit nicht aufgerechnet; zum anderen ist nicht auszuschließen, daß sie diese Ansprüche wegen der Überschreitung von Ausschlußfristen nicht mehr geltend machen kann.

B. Die Klage ist begründet. Die Beklagte war nicht befugt, wegen der Streikteilnahme der Klägerin Abzüge an deren Gleitzeitguthaben vorzunehmen.

I. Das beanspruchte Zeitguthaben steht der Klägerin nach Nr. 9.1 der im Betrieb der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarung zu.

Diese Betriebsvereinbarung ist nach Nr. 5.3 auch auf die Klägerin als Auszubildende anwendbar. Die Klägerin war im hier maßgeblichen Zeitraum über 18 Jahre alt. Die für solche Auszubildende in Nr. 5.3.2.2 BV GLAZ enthaltenen Einschränkungen betreffen nur die Anwesenheit aufsichtsführender Mitarbeiter während der Gleitzeit sowie den Ausschluß des Gleitens während gemeinsamer Veranstaltungen und sind deshalb hier ohne Bedeutung.

Nach Nr. 9.1 BV GLAZ konnte die Klägerin am Ende der Monate April und Mai 1992 jeweils ein Zeitguthaben von bis zu 15 Stunden in den Folgemonat übertragen. Sie verfügte - ohne Berücksichtigung der von der Beklagten vorgenommenen Zeitabzüge - zum Monatsende jeweils über ein Zeitguthaben, das sich mit 10,07 Stunden (Ende April) und 13,63 Stunden (Ende Mai) innerhalb der nach Nr. 9.1 BV GLAZ für die Übertragung maßgeblichen Grenze hielt.

Diese Zeitguthaben bestanden unabhängig von der Zahl der Stunden, welche die Beklagte in den Monaten April und Mai 1992 bei der Berechnung der Ausbildungsvergütung zugrundegelegt hat. Die Beklagte war nach Nr. 9.1 der BV GLAZ nicht befugt, Zeitguthaben, die auf den Folgemonat übertragbar waren, dadurch abzubauen, daß sie mehr als die im jeweiligen Monat geleistete Zahl von Stunden vergütete. Die Beklagte macht hiergegen geltend, daß sie auf diese Weise der Klägerin für die Monate April und Mai mehr als die geschuldete Ausbildungsvergütung gezahlt habe. Dies mag zutreffen. Sie kann diese Überzahlung aber nicht durch Verrechnung mit dem Gleitzeitguthaben der Klägerin ausgleichen, sondern nur dadurch, daß sie die zuviel geleisteten Beträge zurückfordert.

II. Auch in anderen Bestimmungen der Betriebsvereinbarung findet der von der Beklagten vorgenommene Abzug der Streikzeiten vom Zeitguthaben der Klägerin keine Grundlage. Die Betriebsvereinbarung enthält keine Regelung für Zeitausfall, der sich aus der Teilnahme an einem Arbeitskampf ergibt.

1. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der Betriebsvereinbarung, die alle zur Ermittlung des Gleitzeitkontos von der jeweils geschuldeten Arbeitszeit ausgehen und eine ausdrückliche Regelung über Zeiten einer Streikteilnahme nicht enthalten.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge und diese wiederum wie Gesetze auszulegen. Danach ist maßgeblich auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien abzustellen und auf den erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung. Hierbei ist der Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen. Verbleiben im Einzelfall noch Zweifel, so kann auch auf die Entstehungsgeschichte der Betriebsvereinbarung zurückgegriffen werden. Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt der vollen Überprüfung durch das Revisionsgericht (z.B. Senatsbeschluß vom 28. April 1992 - 1 ABR 68/91 - AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe, m.w.N.).

b) Grundlage für die Errechnung von Zeitguthaben und Zeitschulden im Rahmen der gleitenden Arbeitszeit ist nach Nr. 9 i.V.m. Nr. 4.1 BV GLAZ die im einschlägigen Tarifvertrag vorgesehene Regelarbeitszeit von 37 Wochenstunden. Der Umfang der von der Auszubildenden geschuldeten Arbeitszeit stimmt mit demjenigen der Arbeitszeit von Arbeitnehmern überein. Beide betragen 7,4 Stunden pro Tag (Nr. 4.1 und 5.3.1 BV GLAZ).

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß sich dieses Zeitsoll um die Zeiten vermindert hat, in denen die Klägerin an Streiks teilgenommen hat.

aa) Die Zeitausfälle, um die es hier geht, sind durch eine rechtmäßige Streikteilnahme der Klägerin eingetreten. Zu den Warnstreiks hatte die IG Metall nach Ablauf der Friedenspflicht aufgerufen. Der Teilnahme der Klägerin an diesen kurzen, zeitlich befristeten Streiks stand auch nicht entgegen, daß sie sich in einem Ausbildungsverhältnis befand (vgl. BAGE 46, 322, 356 = AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu B III 2 der Gründe). Hierüber besteht auch zwischen den Parteien kein Streit.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem Grundsatzbeschluß des Großen Senats vom 28. Januar 1955 (BAGE 1, 291 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) werden durch die Teilnahme an einem rechtmäßigen Arbeitskampf die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert. Ein Arbeitnehmer, der am Streik teilnimmt, ist bereits aufgrund dieser Streikteilnahme nicht mehr zur Arbeitsleistung verpflichtet und verliert auf der anderen Seite den Anspruch auf das Entgelt für die Zeit der Streikteilnahme (vgl. nur Senatsurteil vom 7. April 1992 - 1 AZR 377/91 - AP Nr. 122 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I 2 der Gründe).

Da dies zum Wesen des Streiks gehört, kann für die rechtmäßige Teilnahme von Auszubildenden an einem Arbeitskampf nichts anderes gelten. Sie führt zur Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Ausbildungsverhältnis. Der Auszubildende ist aufgrund seiner Streikteilnahme nicht mehr zur Leistung von Arbeit verpflichtet. Im entsprechenden Umfang verliert er nach allgemeiner Meinung (z.B. Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 677; MünchArbR/Natzel, § 170 Rz 179; Weiss/Marx, AuR 1982, 329, 333) seinen Vergütungsanspruch, obwohl es sich insoweit nur um eine Nebenpflicht des Arbeitgebers handelt (vgl. BAGE 46, 322, 357 = AP, aaO).

bb) Der hierzu von der Beklagten erhobene Einwand, das in der Streikteilnahme liegende rein tatsächliche Verhalten der Klägerin könne nicht die Normwirkung einer tariflichen Regelung außer Kraft setzen, greift nicht durch. Zu Unrecht setzt die Beklagte insoweit die Suspendierungswirkung einer Normänderung gleich. Die Verminderung des geschuldeten Arbeitszeitvolumens um die Zeit der Streikbeteiligung ist eine Rechtsfolge der Streikteilnahme, die sich aus dem Arbeitskampfrecht ergibt. Mit ihrer Streikteilnahme verfügt die Klägerin nicht über den Geltungsanspruch der Tarifnorm oder über deren Inhalt, sondern lediglich über ihr Arbeitsverhältnis. Damit schafft sie eine Tatbestandsvoraussetzung, an die das Arbeitskampfrecht die dargestellte Rechtsfolge knüpft.

cc) Die für die Berechnung von Zeitguthaben und Zeitschulden maßgebliche Bestimmung der Nr. 9.1 BV GLAZ bezieht sich nicht auf Zeiten der Beteiligung am Arbeitskampf. Die Zeiten, während deren die Arbeitspflicht der Klägerin wegen der Streikteilnahme suspendiert war, dürfen nicht zur Ermittlung des geschuldeten Arbeitszeitvolumens herangezogen werden. Da insoweit kein Arbeits-"Soll" bestand, können diese Zeiten auch nicht Teil der monatlichen Soll-Stundenzahl sein, auf der die Ermittlung des Gleitzeitkontos aufbaut.

2. Aus dem Zusammenhang dieser Bestimmung mit den in der BV GLAZ enthaltenen Regelungen darüber, wie Zeiten der Nichtleistung geschuldeter Arbeit im Rahmen der Gleitzeit zu berücksichtigen sind, ergibt sich nichts anderes.

So ist in Nr. 8.8.4 BV GLAZ die Behandlung von Fehlzeiten geregelt, für die nach § 616 BGB oder tariflichen Bestimmungen ein Vergütungsanspruch trotz Nichtleistung der geschuldeten Arbeit besteht. Aus dieser Bestimmung kann für die Behandlung von Arbeitsausfällen wegen Streiks schon deshalb nichts gewonnen werden, weil sie auf Fälle beschränkt ist, in denen trotz Nichtleistung der Arbeit ein Entgeltanspruch besteht. Dieser Anspruch ist aber im Arbeitskampf suspendiert.

Auch Nr. 8.8.5 BV GLAZ, wo die Behandlung von "privaten" Arbeitsunterbrechungen und unentschuldigtem Fehlen geregelt ist, enthält keine Wertungen, denen sich entnehmen ließe, daß von der Betriebsvereinbarung auch Arbeitsausfälle wegen Arbeitskampfs erfaßt werden sollten. In den Fällen der Nr. 8.8.5 BV GLAZ handelt es sich um die Nichtleistung der geschuldeten Arbeit, während beim Arbeitskampf gerade keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung besteht. Es kommt hinzu, daß Nr. 8.8.5 BV GLAZ die - von der Beklagten hier für richtig gehaltene - Verrechnung von Arbeitsausfällen mit Zeitguthaben nur in den Fällen vorsieht, in denen die Arbeitsunterbrechung vom Arbeitgeber ausnahmsweise genehmigt worden ist. Hiervon unterscheidet sich der streikbedingte Arbeitsausfall schon dadurch grundsätzlich, daß er gegen den Willen des Arbeitgebers erfolgt.

3. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte gegen die hier vorgenommene Auslegung der Betriebsvereinbarung auf den Beschluß vom 23. Juni 1992 (- 1 ABR 11/92 - AP Nr. 20 zu § 23 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe), in dem der Senat ausgeführt hat, daß es sich bei einem Gleitzeitguthaben um Arbeitszeit handele, die im Vorgriff auf die für die normale Arbeitszeit im Folgemonat zu gewährende Vergütung bereits geleistet sei. Die Arbeitszeit des folgenden Vergütungszeitraums verringere sich um die Zahl der Guthabenstunden, so daß das Zeitguthaben durch eine entsprechend geringere Arbeitsleistung abgegolten werde.

Aus diesen Grundsätzen, an denen der Senat festhält, ergibt sich nichts für die Beantwortung der gedanklich vorrangigen Frage, ob als Grundlage für die Berechnung der geschuldeten normalen Arbeitszeit auch Zeiten heranzuziehen sind, in denen der Arbeitnehmer gestreikt hat. Diese Frage spielte in der angezogenen Entscheidung keine Rolle. Hier ging es vielmehr nur darum, ob der Arbeitgeber ein Zeitguthaben, das durch Mehrarbeit und im Rahmen der Gleitzeit gebildet worden war, durch zusätzliche Entgeltzahlungen abbauen konnte.

4. Die Beklagte kann für ihren Rechtsstandpunkt auch nichts aus § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG herleiten. Es spricht nichts dafür, daß die für das Gleitzeitkonto nach der BV GLAZ geschuldete Soll-Arbeitszeit nach den Regelungen zu ermitteln wäre, die im Bundesurlaubsgesetz für einen ganz andersartigen Gegenstand, nämlich für die Berechnung des Urlaubsentgelts, getroffen sind.

III. Da die Betriebsvereinbarung für Zeiten des Arbeitskampfs keine Regelung enthält, kann hier dahinstehen, ob derartige Regelungen von den Betriebspartnern überhaupt getroffen werden können (verneinend LAG Frankfurt Urteil vom 3. Oktober 1984 - 2 Sa 310/84 - AR-Blattei D Arbeitskampf I, Entscheidungen 23, mit insoweit ablehnender Anmerkung Löwisch).

Die vom Landesarbeitsgericht Frankfurt und im erstinstanzlichen Urteil des vorliegenden Rechtsstreits gegen die betriebliche Regelbarkeit geäußerten Bedenken, die mit den möglichen Auswirkungen auf die Ausübung des Streikrechts begründet werden, erscheinen nicht sehr gewichtig. Die Regelung einer Betriebsvereinbarung darüber, ob Streikzeiten im Falle der Gleitzeit vorrangig zu Abzügen vom Gleitzeitguthaben oder unabhängig von dessen Bestehen zu Entgeltabzügen führen sollen, wird kaum geeignet sein, generell die Wirkung eines Streiks zu erhöhen oder abzuschwächen. Der Senat neigt nicht zu der Annahme, daß streikende Arbeitnehmer im Regelfall eine Verrechnung der Streikzeiten mit Gleitzeitguthaben als die geringere Belastung im Vergleich zu Entgeltkürzungen ansehen würden. Ebensowenig dürfte die umgekehrte Interessenlage verallgemeinerbar sein. Vielmehr hängt es von den Umständen des Einfalles ab - besonders von der finanziellen Lage des Arbeitnehmers und von seinen zeitlichen Verpflichtungen außerhalb der Arbeit -, ob er als Folge seiner Streikbeteiligung eher eine Verrechnung mit Gleitzeitguthaben oder Einbußen beim Arbeitsentgelt in Kauf zu nehmen bereit ist.

Dr. Dieterich Dr. Rost Dr. Wißmann

Dr. Bartelt Brunner

 

Fundstellen

Haufe-Index 437416

BB 1994, 2148

BB 1994, 2280

BB 1994, 2280-2281 (LT1)

DB 1995, 101-102 (LT1)

DStR 1994, 1506 (T)

NJW 1995, 613

NJW 1995, 613-615 (LT)

NZA 1995, 32

NZA 1995, 32-34 (LT1)

VersorgW 1995, 143 (K)

ZAP, EN-Nr 960/94 (S)

AP, Arbeitskampf (LT1)

AR-Blattei, ES 810 Nr 2 (LT1)

ArbuR 1995, 38-39 (LT1)

AuA 1995, 325-326 (LT1)

EzA, Arbeitskampf Nr 114 (LT1)

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