Entscheidungsstichwort (Thema)

Informationspflicht nach § 118 Abs. 1 Satz 2, § 111 Satz 1 BetrVG im nicht tendenzgeschützten Betrieb. Informationspflicht gegenüber Arbeitsamt bei Massenentlassungen. Nachteilsausgleich. richtlinienkonforme Auslegung. Betriebsverfassungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die nach § 118 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 111 Satz 1 BetrVG in Tendenzbetrieben bestehende Pflicht des Arbeitgebers, dem Betriebsrat diejenigen Informationen über eine geplante Betriebsänderung zu erteilen, die dieser zur Ausübung seines Mitbestimmungsrechts in Bezug auf einen Sozialplan benötigt, gilt auch in nicht tendenzgeschützten Betrieben, dort neben der Pflicht zur Erteilung der auf einen Interessenausgleich bezogenen Informationen.
  • Aus einem Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Anzeigepflichten gegenüber dem Arbeitsamt nach § 17 Abs. 3 KSchG können Nachteilsausgleichsansprüche aus § 113 Abs. 3 BetrVG auch im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung nicht hergeleitet werden.
 

Orientierungssatz

  • Auch wenn die Gesellschafter einer GmbH den Entschluss zur Betriebsänderung gefasst haben, ist die Geschäftsführung weder tatsächlich noch rechtlich gehindert, mögliche aus den Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich sich ergebende Alternativen an die Gesellschafter weiterzuleiten, um eine Änderung der Pläne zu erreichen; dies ist nach § 111 Satz 1 BetrVG ausreichend.
  • Auch in Betrieben, die nicht dem Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 BetrVG unterliegen, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach § 111 Satz 1 BetrVG schon vor Durchführung einer geplanten Betriebsänderung die Informationen zu erteilen, die dieser benötigt, um eigene Vorstellungen hinsichtlich des Sozialplans entwickeln zu können; diese Pflicht besteht neben der Verpflichtung zum Versuch eines Interessenausgleichs und zur Erteilung der insoweit erforderlichen Informationen.
  • Im Verhältnis zwischen privaten Parteien sind europäische Richtlinien nicht unmittelbar anwendbar. Die einschlägigen nationalen Vorschriften sind jedoch soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen.
  • Für die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG reicht es aus, dass der Arbeitgeber ihm mitteilt, die Kriterien für die Berechnung von Abfindungen ergäben sich aus dem noch abzuschließenden Sozialplan.
  • Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Anzeigepflichten gegenüber dem Arbeitsamt nach § 17 Abs. 3 KSchG, lassen sich daraus Ansprüche auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG nicht herleiten, auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung.
 

Normenkette

BetrVG §§ 111, 113 Abs. 3, § 118 Abs. 1 S. 2; KSchG § 17 Abs. 2-3, § 18 Abs. 1; EG Art. 10, 249 Abs. 3; Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 Art. 2; Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 Art. 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 06.08.2002; Aktenzeichen 3 Sa 98/01)

ArbG Hamburg (Urteil vom 19.09.2001; Aktenzeichen 18 Ca 21/01)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.

Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen der B… AG & Co. Zu dem von dieser geleiteten Konzern gehören fünf weitere Unternehmen. Die Beklagte unterhielt am sog. K… Terminal des Hamburger Freihafens einen Betrieb zum Frachtumschlag und zur Lagerung von Containern und massenhaftem Stückgut. Sie beschäftigte im Jahr 2000 etwa 100 Arbeitnehmer, davon rund 60 Hafenarbeiter.

Der Kläger war seit dem 24. September 1979 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Arbeiter beschäftigt. Sein Bruttomonatslohn betrug zuletzt etwa 7.300,00 DM. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Hafenarbeiter der Deutschen Seehafenbetriebe Anwendung.

Am 9. August 2000 beschloss die Gesellschafterin der Beklagten, dass diese ihre Aktivitäten als Hafenumschlagbetrieb einstellen und sich auf die Vermietung der vorhandenen Gebäude und Freiflächen beschränken solle. Die Geschäftsleitung der Beklagten wurde angewiesen, diesen Beschluss unter Beachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats umzusetzen.

Mit Schreiben vom 15. August 2000 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über ihre Absicht, das Kaiumschlaggeschäft einzustellen und einen “außerordentlich umfangreichen Personalabbau” vorzunehmen. Sie forderte den Betriebsrat auf, mit ihr in Verhandlungen über einen Interessenausgleich einzutreten. Sie erklärte ferner ihre Bereitschaft zur Vereinbarung eines Sozialplans und schlug vor, entsprechende Gespräche aufzunehmen, sobald Einigkeit über die geplanten Maßnahmen erzielt worden wäre.

In den anschließenden Verhandlungen vertrat der Betriebsrat die Auffassung, wegen der Verlagerung diverser Aufträge und Aufgaben von der Beklagten auf eine Schwesterfirma liege ein Betriebsübergang vor. Mit dieser Begründung lehnte er nach Behauptung der Beklagten Verhandlungen über einen Sozialplan ab. Gleichwohl führten die Betriebsparteien am 8. Dezember 2000 mit einer Vertreterin des Landesarbeitsamts ein Gespräch, in dem Sozialplanmaßnahmen nach §§ 254 ff. SGB III aF und die Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft erwogen wurden. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2000 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat gemäß § 17 KSchG davon, dass sie die Entlassung von 90 Arbeitnehmern beabsichtige. In dem Schreiben heißt es, Kriterien für die Berechnung möglicher Abfindungen ergäben sich aus dem noch abzuschließenden Sozialplan. Am 18. Dezember 2000 führte die mittlerweile eingerichtete Einigungsstelle einen Interessenausgleich herbei. Danach sollten der Kaiumschlagbetrieb bis zum 31. Januar 2001 eingestellt und etwa 100 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Beklagte sollte sich dafür einsetzen, dass 33 freie Stellen bei anderen Konzernunternehmen mit betroffenen Mitarbeitern besetzt würden.

Ebenfalls am 18. Dezember 2000 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur Kündigung von etwa 90 ihrer Mitarbeiter – überwiegend zum 31. Januar 2001 – an; der Betriebsrat widersprach. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 zeigte die Beklagte ihre Entlassungsabsichten dem Arbeitsamt unter Beifügung einer ablehnenden Stellungnahme des Betriebsrats an. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2000 kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers und weiterer 70 Arbeitnehmer unter Berufung auf eine tarifvertraglich “bei Anwendung von Sozialplänen” verkürzte Kündigungsfrist zum 31. Januar 2001. Das Arbeitsamt erteilte dazu mit Bescheid vom 22. Januar 2001 seine Zustimmung. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage.

Am 27. April 2001 kam es durch Spruch der Einigungsstelle zum Abschluss eines Sozialplans. Aus diesem stehen den gemäß Interessenausgleich vom 18. Dezember 2000 gekündigten Arbeitnehmern Abfindungsansprüche zu.

Im Kündigungsrechtsstreit ist der Kläger im Wesentlichen unterlegen. Nach dem Urteil des Bundesarbeitgerichts vom 18. September 2003 (– 2 AZR 403/02 – zur Veröffentlichung vorgesehen) steht rechtskräftig fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. Juni 2001 aufgelöst hat.

Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger die Klage hilfsweise um den Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs und die Feststellung erweitert, dass der Nachteilsausgleich auf seine Sozialplanabfindung nicht anzurechnen sei. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe gegen ihre Anzeigepflichten aus § 17 Abs. 2, Abs. 3 KSchG in Verb. mit der EG-Massenentlassungsrichtlinie verstoßen. Auch habe sie den Betriebsrat nicht rechtzeitig zu der Möglichkeit konsultiert, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken und ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Der Kläger hat bestritten, dass der Betriebsrat über soziale Begleitmaßnahmen nicht vor Ausspruch der Kündigungen vom 28. Dezember 2000 habe verhandeln wollen. Er hat gemeint, jedenfalls bei richtlinienkonformer Auslegung des § 113 Abs. 3 BetrVG folge aus den Versäumnissen der Beklagten der von ihm geltend gemachte Anspruch. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass als Sanktion für eine unvollständige Konsultation auch ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats in Betracht komme; dadurch werde der einzelne Arbeitnehmer, dessen Interessen die Richtlinie diene, nicht hinreichend geschützt. Eine wirksame Sanktion des Verstoßes gegen Unterrichtungspflichten aus der EG-Massenentlassungsrichtlinie verlange außerdem die Nichtverrechenbarkeit von Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüchen.

Der Kläger hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung in Höhe von 41.185,14 Euro zu zahlen;
  • festzustellen, dass die Abfindung als Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG auf die Sozialplanabfindung nicht angerechnet wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe alle Vorgaben der §§ 111 ff. BetrVG, § 17 KSchG in Verb. mit der EG-Massenentlassungsrichtlinie erfüllt. Im Übrigen sei eine Auslegung von § 113 BetrVG, wie der Kläger sie befürworte, auch bei einem Verstoß gegen diese Vorgaben ausgeschlossen. In keinem Falle sei die Höhe des vom Kläger erhobenen Nachteilsausgleichsanspruchs berechtigt.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers auch hinsichtlich der vorstehenden Klageanträge zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungs- und Feststellungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht zu.

  • Der Klageanspruch folgt nicht aus § 113 Abs. 1, Abs. 3 BetrVG. Ein Pflichtverstoß, wie ihn diese Vorschriften voraussetzen, liegt nicht vor.

    1. Allerdings hat die Beklagte eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG durchgeführt. Sie hat mit der Aufgabe ihrer Kaiumschlagtätigkeiten wesentliche Teile ihres Betriebs stillgelegt. Dies betraf die Arbeitsplätze von mindestens 90 ihrer 100 Mitarbeiter. Die Arbeitsplätze sind aufgegeben und nicht etwa von einem Rechtsnachfolger übernommen worden. Im Kündigungsrechtsstreit der Parteien wurde das Vorliegen eines Betriebsübergangs verneint (BAG 18. September 2003 – 2 AZR 403/02 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫, zu B I 3 der Gründe). Hieran ist der Senat gebunden.

    2. Die Beklagte hat die Betriebsänderung indessen nicht ohne den Versuch eines Interessenausgleichs vorgenommen. Bevor sie diese mit dem Ausspruch von Kündigungen am 28. Dezember 2000 durchführte, hatte sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat nicht nur versucht, sondern mit Hilfe der Einigungsstelle am 18. Dezember 2000 auch erreicht.

    Dies war rechtzeitig iSv. § 111 Satz 1 BetrVG. Zwar hatte die Alleingesellschafterin der Beklagten den Entschluss zur Betriebsänderung gefasst, ohne darüber zuvor mit dem Betriebsrat beraten zu haben. Dieser Entschluss hat aber lediglich Art und Inhalt des geplanten Vorhabens bestimmt und den Gegenstand für die mit dem Betriebsrat zu führenden Verhandlungen vorgegeben. Maßnahmen zur Umsetzung des Änderungsbeschlusses sind vor Abschluss des Interessenausgleichs nicht erfolgt. Bis dahin war die Geschäftsleitung der Beklagten weder tatsächlich noch rechtlich gehindert, die sich aus den Verhandlungen ergebenden Alternativen an ihre Gesellschafterin weiterzuleiten, um ggf. eine Änderung der Pläne zu erreichen. Ein solches Verhalten des Unternehmers ist betriebsverfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – BAGE 99, 377, 380, zu I 1c der Gründe).

    3. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 BetrVG liegen auch nicht etwa deshalb vor, weil die Beklagte vor Durchführung der Betriebsänderung zwar einen Interessenausgleich erreicht, den Betriebsrat aber nicht ausreichend über die sozialen Folgen der Betriebsänderung unterrichtet hätte.

    a) Eine solche Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers besteht allerdings nach § 111 Satz 1 BetrVG, ihre Verletzung wird von § 113 BetrVG erfasst. Dies wird deutlich aus § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Danach sind in Tendenzbetrieben die §§ 111 bis 113 BetrVG nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich und die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln. Die Formulierung “nur insoweit anzuwenden” zeigt zwar, dass das Gesetz in Tendenzbetrieben bei Betriebsänderungen ein Weniger an Beteiligung des Betriebsrats verlangt. Sie zeigt aber zugleich, dass der Unternehmer die Beteiligungsrechte nach § 111 Satz 1 BetrVG, die dem Betriebsrat selbst im Tendenzbetrieb zustehen, auch in nicht tendenzgeschützten Betrieben zu beachten hat. Der Unternehmer muss dem Betriebsrat diejenigen Informationen, die er im Tendenzbetrieb zu erteilen hat, auch in Betrieben zukommen lassen, die nicht unter § 118 Abs. 1 BetrVG fallen.

    b) In Tendenzbetrieben hat der Unternehmer dem Betriebsrat nach § 118 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 111 Satz 1 BetrVG schon vor Durchführung der Betriebsänderung die Informationen zu erteilen, die dieser benötigt, um erforderlichenfalls mit Hilfe seines Initiativrechts das Verfahren zur Aufstellung eines Sozialplans in Gang zu setzen; bei einem Verstoß kommt ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG in Betracht (BAG 27. Oktober 1998 – 1 AZR 766/97 – BAGE 90, 65, 72 ff., zu III 2b der Gründe). Auf eine solche Unterrichtung hat deshalb auch der Betriebsrat eines nicht tendenzgeschützten Betriebs Anspruch. Freilich wird dieser häufig schon durch die Informationen und die Beratungen zum Interessenausgleich in der Lage sein, auch mögliche wirtschaftliche Nachteile der geplanten Betriebsänderung für die Arbeitnehmer hinreichend abzuschätzen.

    c) Hier wurde der Betriebsrat ausreichend im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 2, § 111 Satz 1 BetrVG unterrichtet. Er verfügte rechtzeitig vor Durchführung der Betriebsänderung jedenfalls über diejenigen Informationen, die er benötigte, um eigene Vorstellungen hinsichtlich des Sozialplans zu entwickeln und an die Beklagte heranzutragen.

    Die Beklagte hatte ihm wenige Tage nach dem Änderungsentschluss ihrer Alleingesellschafterin mit Schreiben vom 15. August 2000 ihre Absicht einer Betriebsänderung und eines damit verbundenen “außerordentlich umfangreichen Personalabbaus” mitgeteilt. Sie hatte zugleich ihre Bereitschaft zum Abschluss eines Sozialplans erklärt. Im Rahmen der sich anschließenden Verhandlungen hatte am 8. Dezember 2000 ein Gespräch über Maßnahmen nach §§ 254 ff. SGB III aF stattgefunden. Am 18. Dezember 2000 war es zur Einigung über einen Interessenausgleich gekommen, der den Abbau von rund 100 Arbeitsplätzen und das Bemühen der Beklagten vorsah, etwa 30 Arbeitnehmer auf freien Stellen bei anderen Konzernunternehmen unterzubringen. Spätestens an diesem Tag hatte der Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG auch die exakten Sozialdaten der betroffenen Mitarbeiter erfahren.

    Dies war ausreichend. Der Betriebsrat benötigt nicht schon vor Durchführung der Betriebsänderung sämtliche für den späteren Abschluss des Sozialplans tatsächlich relevant gewordenen Informationen. Die Einigung über einen Sozialplan beruht regelmäßig auf einem Prozess der Annäherung unterschiedlicher Ausgangspositionen der Betriebsparteien, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Hilfe der Einigungsstelle zustande kommt. Das Prozesshafte der Verständigung würde übersehen, wenn der Unternehmer den Betriebsrat schon zu Verhandlungsbeginn alle Daten mitzuteilen hätte, die sich schließlich für den als angemessen angesehenen Abschluss als erforderlich erweisen. § 111 Satz 1 BetrVG verlangt nicht, dass der Betriebsrat schon vor Durchführung der Betriebsänderung in die Lage versetzt wird, einen gegen alle Einwände abgesicherten Entwurf eines Sozialplans vorzulegen (BAG 18. November 2003 – 1 AZR 637/02 – zVv., zu I 2c cc der Gründe).

  • Aus anderen Vorschriften als § 113 Abs. 3 in Verb. mit § 111 Satz 1 BetrVG können Nachteilsausgleichsansprüche wegen der Verletzung von Informations- und Beratungspflichten nach deutschem Recht grundsätzlich nicht hergeleitet werden. Eine Korrektur dieses Ergebnisses ist im Streitfall auch im Hinblick auf die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. Nr. L 225/16 vom 12. August 1998) (RL) nicht geboten.

    1. Allerdings umfasst die Informations- und Konsultationspflicht nach Art. 1 und 2 RL auch die Möglichkeit, die Folgen von Massenentlassungen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern. Damit die Arbeitnehmervertretung konstruktive Vorschläge unterbreiten kann, hat der Arbeitgeber ihr rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen. Zu diesen zählen, worauf sich der Kläger berufen hat, nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Ziff. vi RL die vorgesehenen Methoden für die Berechnung etwaiger Abfindungen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken ergeben. Außerdem hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Ziff. i bis v RL genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmervertretung zu übermitteln.

    Der deutsche Gesetzgeber hat Art. 1 bis 3 RL und die inhaltsgleichen Bestimmungen der vorhergegangenen Richtlinie 75/129/EWG vom 17. Februar 1975 durch § 17 Abs. 1 bis 3a KSchG in das nationale Recht umgesetzt, auch soweit dies wegen des schon bestehenden § 111 Satz 1 BetrVG 1972 nicht mehr erforderlich war.

    Unmittelbar geltendes Recht sind im Verhältnis privater Parteien nur die die Richtlinie umsetzenden nationalen Rechtsvorschriften, auch wenn diese zum Zwecke der den Mitgliedstaaten auferlegten wirkungsvollen Umsetzung der Richtlinie ggf. in deren Lichte auszulegen sind (vgl. BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 2/02 – AP BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 12 = EzA ArbZG § 7 Nr. 4, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B IV 4b der Gründe mwN).

    2. Hinsichtlich der Beteiligung des Betriebsrats ist die Beklagte ihren Verpflichtungen aus § 17 Abs. 2 KSchG nachgekommen.

    a) Sie hat dem Betriebsrat rechtzeitig, dh. vor Durchführung der Entlassungen insbesondere die Gründe für deren Vornahme, die Zahl und die Berufsgruppe der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppe der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Entlassungszeitraum und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer mitgeteilt. Auch wenn dazu nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Entlassungen, sondern auf den des Ausspruchs der Kündigungen abgestellt wird, war der Betriebsrat über alle entsprechenden Punkte unterrichtet.

    aa) Betreffend die Informationen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 KSchG folgt dies aus der Stellungnahme des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitsamt vom 19. Dezember 2000, in der dies ausdrücklich bestätigt wird. Bezüglich der Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 KSchG war auf Grund der Mitteilung der Beklagten bekannt, dass solche Kriterien keine Rolle spielten, weil sämtliche gewerblichen und kaufmännischen Mitarbeiter entlassen werden sollten.

    bb) Zu Unrecht hat der Kläger gerügt, die Beklagte habe dem Betriebsrat nicht auch die vorgesehenen Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen mitgeteilt und damit gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG verstoßen. Für die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG reichte es aus, dass die Beklagte ihm im Schreiben vom 13. Dezember 2000 mitteilte, die Kriterien für die Berechnung von Abfindungen ergäben sich aus dem noch abzuschließenden Sozialplan. Eine weitergehende Information des Betriebsrats war ihr nicht möglich, weil sie die Kriterien für die Abfindung nicht einseitig bestimmen konnte. Diese Kriterien sind entweder Ergebnis der Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberin, wobei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 112 BetrVG ein Initiativrecht umfasst, oder sie werden von der Einigungsstelle festgelegt, die dabei an die Vorgaben des § 112 Abs. 5 BetrVG gebunden ist. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG vermag den Arbeitgeber nicht zu Auskünften zu verpflichten, deren Erteilung ihm unmöglich ist. Die Vorschrift ist, wie die Entstehungsgeschichte zeigt, nur deswegen in das Kündigungsschutzgesetz aufgenommen worden, weil nicht jede Massenentlassung iSv. § 17 Abs. 1 KSchG zugleich einen die Sozialplanpflicht auslösenden Personalabbau zur Folge hat (BAG 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – zVv., zu B III 1a der Gründe mwN).

    cc) Aus Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Ziff. vi RL folgen keine über § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG hinausgehenden Anforderungen. Diese Feststellung vermag der Senat ohne Anrufung des Europäischen Gerichtshofs zu treffen. Die Richtlinie verweist insoweit auf das nationale Recht.

    b) Die Beklagte hat auch die Pflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG erfüllt, mit dem Betriebsrat über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.

    aa) Dies ergibt sich daraus, dass sie vor Durchführung der Betriebsänderung mit Hilfe der Einigungsstelle einen Interessenausgleich herbeigeführt und den Betriebsrat, wie ausgeführt, auch über die wirtschaftlichen Folgen für die Arbeitnehmer unterrichtet hat. Auch wenn bei Abschluss des Interessenausgleichs ein Sozialplan noch nicht vorlag und damit zwischen den Betriebsparteien noch nicht alle Maßnahmen endgültig festgelegt waren, die die Folgen der auszusprechenden Kündigungen mildern sollten, haben die Beratungen über die Massenentlassung durch den Interessenausgleich einen ersten Abschluss gefunden. Das weitere Verfahren zur Nachteilsminderung ist gesetzlich geregelt. Dies ist für die Erfüllung der Beratungspflichten nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG ausreichend (BAG 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – zVv., zu B III 1b der Gründe). Die Vorschrift verlangt nicht, dass außer der Unterrichtung und Beratung auch eine Einigung mit dem Betriebsrat vor Durchführung der Massenentlassung erzielt worden sein muss.

    bb) Aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 RL folgt nichts anderes. Danach hat der Arbeitgeber, der beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, “um zu einer Einigung zu gelangen”. Dass die Einigung selbst Voraussetzung für eine wirksame Massenentlassung wäre, lässt sich der Regelung nicht entnehmen. Mit der Konsultationspflicht ist eine Pflicht zur Verständigung über Umfang und Folgen der Massenentlassungen nicht verbunden (vgl. BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – BAGE 99, 377, 385, zu II 2b der Gründe).

    Auch zu dieser Feststellung bedarf es keiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Zwar ist das Bundesarbeitsgericht als letztinstanzliches Gericht nach § 234 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 EG verpflichtet, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, soweit in einem anhängigen Verfahren über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht zu befinden ist. Von einer Anrufung kann es aber absehen, wenn die zutreffende Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für ernsthafte Zweifel kein Raum besteht (EuGH 6. Oktober 1982 – Rs. 283/81 – [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415; BAG 27. Juni 2000 – 1 ABR 32/99 (A) – BAGE 95, 150, 155, zu B II 2 der Gründe). Dies ist hier der Fall. Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 RL gibt klar zu erkennen, dass es für die Erfüllung der Konsultationspflicht bei Massenentlassungen auf eine Einigung der Betriebsparteien nicht ankommt.

    3. Der Kläger kann den Anspruch auf Nachteilsausgleich auch nicht auf einen Verstoß der Beklagten gegen die Anzeigepflichten gegenüber dem Arbeitsamt nach § 17 Abs. 3 KSchG stützen.

    a) Die Anzeige der Beklagten an das Arbeitsamt vom 21. Dezember 2000 genügt den gesetzlichen Anforderungen. Sie enthält alle Informationen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5, Abs. 3 Satz 4 KSchG, Art. 3 Satz 3, 2. Halbsatz RL. Ihr war ferner der Interessenausgleich vom 18. Dezember 2000 beigefügt. Auf diese Weise genügte sie auch den insoweit möglicherweise über § 17 Abs. 3 KSchG hinausgehenden Anforderungen des Art. 3 Satz 3, 1. Halbsatz RL.

    b) Ob der Anzeige an das Arbeitsamt auch eine Abschrift der Anzeige gegenüber dem Betriebsrat vom 13. Dezember 2000 gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG beigefügt war, lässt sich dem Parteivorbringen nicht entnehmen; das Landesarbeitsgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen. Allerdings spricht vieles dafür, dass ein solcher Verstoß nach deutschem Recht keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Anzeige gegenüber dem Arbeitsamt hätte und deshalb sanktionslos bliebe (vgl. KR-Weigand § 17 KSchG Rn. 65; Kittner/Däubler/Zwanziger-Kittner KSchR § 17 Rn. 34; HaKo-Pfeiffer § 17 Rn. 53).

    Ob dies auch für den darin liegenden Verstoß gegen Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Satz 2 RL zu gelten hätte, vermag der Senat ohne Anrufung des Europäischen Gerichtshofs nicht abschließend zu entscheiden. Der Klageanspruch ist aber auch dann nicht begründet, wenn zu Gunsten des Klägers angenommen wird, eine (unterstellte) Verletzung von Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Satz 2 RL verlange nach einer eigenständigen Sanktion.

    aa) Verstöße des Arbeitgebers gegen seine Anzeigepflichten nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG führen nach deutschem Recht allenfalls zur Unwirksamkeit der Entlassung der betroffenen Arbeitnehmer iSv. § 18 Abs. 1 KSchG (st. Rspr.; vgl. zuletzt BAG 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – zVv., zu B III 2 der Gründe). Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich ist dagegen im Kündigungsschutzgesetz nicht vorgesehen.

    bb) Im Fehlen eines solchen Anspruchs allein liegt kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Zwar sind die Mitgliedstaaten wegen der Pflicht zur Umsetzung einer Richtlinie nach Art. 249 Abs. 3 EG gehalten, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten. Dazu gehört, dass sie wirksame und abschreckende Sanktionen für den Fall des Verstoßes gegen Rechtsnormen vorsehen, deren Erlass von der Richtlinie vorgeschrieben ist. Diese können auch darin bestehen, dass die Betroffenen bei einem Verstoß einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung haben (vgl. EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [v. Colson und Kamann] Slg. 1984, I-1891; BAG 23. September 2003 – 1 AZR 576/02 – DB 2004, 658, zu II 4 der Gründe). In der Wahl der Sanktionen ist der nationale Gesetzgeber jedoch frei. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich mag deshalb als geeignete Sanktion für die Verletzung der nach Art. 2 RL und § 17 Abs. 2 KSchG bestehenden Konsultationspflichten anzusehen sein. Der Umstand, dass er in § 18 KSchG nicht vorgesehen ist, verletzt gleichwohl keine gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

    cc) Eine solche Verletzung wäre mangels wirksamer Umsetzung der Massenentlassungsrichtlinie freilich anzunehmen, wenn sich die in § 18 Abs. 1 KSchG vorgesehene Sanktion als nicht ausreichend erweisen und eine wirksame Sanktion aus dem nationalen Recht nicht abzuleiten sein sollte. Zu Gunsten des Klägers mag eine solche Rechtslage unterstellt werden. Dann sind zwar die Gerichte für Arbeitssachen im Interesse der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts dazu aufgerufen zu prüfen, ob sich der geltend gemachte Nachteilsausgleichsanspruch mit Hilfe einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts begründen lässt. Dies ist jedoch nicht möglich.

    (1) Das Gebot zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung folgt unabhängig von der Intention eines umsetzungswilligen Gesetzgebers aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG in Verb. mit dem Umsetzungsgebot gemäß Art. 249 Abs. 3 EG (EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [v. Colson und Kamann] Slg. 1984, I-1891, 1909, zu Nr. 26 der Gründe; 13. November 1990 – C-106/89 – [Marleasing] Slg. 1990, I-4156, 4159, zu Nr. 8 der Gründe; 24. September 1998 – C-111/97 – [EvoBus Austria] Slg. 1998, I-5427). Es wird allseits akzeptiert und ist mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar (BVerfG 8. April 1987 – 2 BvR 687/85 – BVerfGE 75, 223, 240; BAG 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – BAGE 82, 349; BGH 9. April 2002 – XI ZR 91/99 – BGHZ 150, 248). Das Gebot gilt allerdings nur innerhalb der Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung. Diese werden bestimmt durch die allgemeinen Auslegungsregeln. Insoweit gilt nichts anderes als für die verfassungskonforme Auslegung. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen bzw. gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist eine Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz bzw. dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf jedoch zu dem Wortsinn und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht in Widerspruch treten (BVerfG 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – BVerfGE 93, 37, 81, zu D I der Gründe; BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 2/02 – AP BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 12 = EzA ArbZG § 7 Nr. 4, zu B IV 3b dd (1) der Gründe; 5. März 1996 – 1 AZR 590/92 (A) – BAGE 82, 211, 225 f., zu B II 2b bb (1) der Gründe). Der Gehalt einer nach Wortsinn, Systematik und Zweck eindeutigen Regelung kann nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung in sein Gegenteil verkehrt werden (Jarass Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts 1994 S. 95 mwN).

    Diese Auslegungsgrenze steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mehrfach ausgeführt, das innerstaatliche Gericht habe das nationale Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräume, und “soweit wie möglich” richtlinienkonform auszulegen (EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [v. Colson und Kamann] Slg. 1984, I-1891; 26. September 1996 – C-168/95 – [Arcaro] Slg. 1996, I-4719; 27. Juni 2000 – C-240/98 bis C-244/98 – [Oceano Grupo Editorial und Salvat Editores] Slg. 2000, I-4963, 4975, zu Nr. 30 der Gründe).

    (2) Aus § 18 KSchG lässt sich ein Anspruch auf Nachteilsausgleich auch im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung nicht ableiten (BAG 18. November 2003 – 1 AZR 637/02 – zVv., zu II 2c bb der Gründe; 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – ZIP 2004, 677, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B III 4c der Gründe).

    (3) Ebenso wenig lässt sich ein Nachteilsausgleichsanspruch als Sanktion für einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht gegenüber dem Arbeitsamt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 113 Abs. 3 BetrVG herleiten. Die Rechtsfolge Nachteilsausgleich ist in § 113 Abs. 3 BetrVG an die Verletzung von Unterrichtungs- und Beratungspflichten nach § 111 Satz 1 BetrVG geknüpft. Es kann dahinstehen, ob Wortlaut und systematischer Gesamtzusammenhang des § 113 Abs. 3 BetrVG es deshalb überhaupt zulassen würden, diese Rechtsfolge zum Zwecke der effektiven Richtlinienumsetzung auf den Verstoß gegen Pflichten anzuwenden, die gerade nicht in § 111 Satz 1 BetrVG, sondern ausschließlich in § 17 Abs. 3 KSchG normiert sind. In jedem Fall kann die Rechtsfolge des § 113 Abs. 3 BetrVG nur für die Verletzung solcher Pflichten in Betracht kommen, welche der Unternehmer gegenüber dem Betriebsrat zu erfüllen hat. Den Anspruch auf Nachteilsausgleich auch an den Verstoß gegen Pflichten zu knüpfen, die der Unternehmer gegenüber der Arbeitverwaltung hat, überschreitet die Grenzen der (richtlinienkonformen) Auslegung.

    Allein mit dem Betriebsrat hat der Unternehmer nach § 111 Satz 1 BetrVG über das Ob und Wie der Betriebsänderung und Möglichkeiten des Ausgleichs oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile nach entsprechender Unterrichtung zu beraten. Nur auf diese Weise und nur von Seiten des Betriebsrats kann im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer Einfluss auf die Durchführung der Betriebsänderung und den Inhalt von Maßnahmen zum Ausgleich oder zur Milderung ihrer Folgen genommen werden. Eben dieses Beteiligungsrecht des Betriebsrats soll zum Schutz der Arbeitnehmer durch die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG gesichert werden. Die Erfüllung von Anzeigepflichten gegenüber dem Arbeitsamt dient dagegen arbeitsmarktpolitischen Zielen, nämlich der möglichst baldigen Vermittlung der Entlassenen auf dem Arbeitsmarkt (KR-Weigand § 17 KSchG Rn. 7). Wortsinn, Systematik und zugrunde liegender Wille des Gesetzgebers lassen eine Auslegung des § 113 Abs. 3 BetrVG dahingehend, dass bei fehlender oder unvollständiger Massenentlassungsanzeige an das Arbeitsamt Nachteilsausgleichsansprüche der einzelnen Arbeitnehmer entstehen, nicht zu.

    c) Ob den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes oder des Betriebsverfassungsgesetzes eine andere – und ggf. welche – Rechtsfolge entnommen werden kann, die die Verletzung einer Anzeigepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitsamt wirksam sanktioniert, ist für den Streitfall nicht zu entscheiden. Der vom Kläger geltend gemachte Nachteilsausgleichsanspruch jedenfalls kommt dafür auch unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzung der Richtlinienziele nicht in Frage.

    Diese Feststellung kann der Senat erneut ohne Vorlage an den Europäischen Gerichtshof treffen. Auf die Auslegung von Gemeinschaftsrecht kommt es nicht an. Unabhängig davon, welche Sanktion das Gemeinschaftsrecht für den Fall des Verstoßes gegen die in Art. 2 Abs. 3 Satz 2, Abs. 3 RL vorgesehenen Anzeigepflichten fordert, lässt sich dem deutschen Recht der vom Kläger eingeklagte Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht entnehmen.

  • Falls der Kläger den Feststellungsantrag nicht ohnehin nur als sog. uneigentlichen Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Leistungsantrag gestellt hat, ist der Antrag unzulässig. Mangels Existenz eines Nachteilsausgleichsanspruchs fehlt es an einem entsprechenden Rechtsverhältnis, auf dessen Bestehen oder Nichtbestehen gerichtlich erkannt werden könnte. Eine Entscheidung über den Feststellungsantrag liefe auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinaus.
 

Unterschriften

Wißmann, Linsenmaier, Kreft, Spiegelhalter, Klebe

 

Fundstellen

Haufe-Index 1167052

BAGE 2005, 122

BB 2004, 1791

DB 2004, 1511

EWiR 2005, 197

FA 2004, 249

FA 2004, 280

NZA 2004, 931

SAE 2004, 316

ZIP 2004, 1823

AP, 0

AuA 2004, 58

EzA-SD 2004, 18

EzA

AUR 2004, 318

ArbRB 2004, 241

BAGReport 2004, 274

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