Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung - Arbeitsunterbrechung

 

Orientierungssatz

1. Ist eine inhaltsgleiche tarifvertragliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Arbeitsunterbrechung gegeben, so kann in diesem Fall keine betriebliche Übung entstehen.

2. Der Begriff der Pause ist weder gesetzlich noch tariflich definiert. Die Bestimmungen der ArbZO und die tariflichen Normen setzen vielmehr den Pausenbegriff voraus.

3. Eine Pause im arbeitsrechtlichen Sinne liegt nur dann vor, wenn sie zumindestens eine Viertelstunde beträgt.

 

Normenkette

BGB § 611; MTB § 15 Abs. 9; MTB 2 § 15 Abs. 9

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 24.03.1986; Aktenzeichen 14/9 Sa 431/85)

ArbG Bad Hersfeld (Urteil vom 07.02.1985; Aktenzeichen 1 Ca 196/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Anrechnung einer 14-minütigen Arbeitszeitunterbrechung auf die Arbeitszeit.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Kfz-Handwerker und Lackierer des Teilplans VII in den Werkstätten der Grenzschutzabteilung B beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB II) vom 27. Februar 1964 und den Tarifverträgen, die den MTB II ändern, ergänzen oder an seine Stelle treten.

Die Grenzschutzabteilung wird von einem Abteilungskommandeur geleitet. In den Kfz- und Waffenwerkstätten sind Polizeivollzugsbeamte und Arbeiter beschäftigt. Sie verrichten die gleichen Tätigkeiten. Neben der Grenzschutzabteilung besteht in B auch eine Grenzschutzverwaltungsstelle, der die Schreiner-, Schuhmacher- und Schneiderwerkstätten sowie die Bekleidungskammer und die Verwaltungsstelle organisatorisch zugeordnet sind.

Seit dem Jahre 1963 gibt es im Bereich des Bundesgrenzschutzes eine sogenannte "Nato-Pause". In der Werkstattordnung vom 12. März 1968 setzte der damalige Abteilungskommandeur für die Waffenwerkstatt der I./GSG 4 erstmalig die Frühstückspause für das gesamte Werkstattpersonal auf die Zeit von 9.00 Uhr bis 9.15 Uhr fest. In einer Anlage vom 3. Februar 1984 zum Geschäftsverteilungsplan vom 1. Oktober 1980 ist folgendes geregelt: "Organisierte Kurz- bzw. Verschnaufpause von weniger als 15 Minuten. Diese Pause ist vormittags, abgestimmt nach dem jeweiligen Arbeitsanfall, in der Zeit von 09.00 Uhr bis 09.14 Uhr einzulegen. Die organisierte Kurz- bzw. Verschnaufpause dient der Erhaltung langfristiger Arbeitsfähigkeit. Während dieser Pause muß die Arbeitsbereitschaft gewährleistet sein." In einer weiteren Anlage der Grenzschutzverwaltungsstelle vom 16. Februar 1984 zum Geschäftsverteilungsplan vom 1. Oktober 1980 wird folgendes geregelt:

"3.4. A r b e i t s p a u s e n

Eine kurze Arbeitspause am Vormittag in der Zeit

von 09.00 Uhr bis 09.14 Uhr (weniger als 15 Minuten)

wird gestattet."

Am 8. März 1984 ordnete der Abteilungskommandeur des Grenzschutzkommandos für den Kfz- und Waffenbereich an, daß die 14-minütige Arbeitszeitunterbrechung nicht mehr zulässig ist und bis zu einer Neuregelung untersagt wird.

Der Kläger hat vorgetragen, ihm stehe ein Anspruch auf Weitergewährung einer 14-minütigen Pause unter Anrechnung auf die Arbeitszeit aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung zu. Die Bediensteten dürften den Werkstattbereich während der Pause nicht verlassen, sie stünden jederzeit zur Verfügung und hätten nicht wie bei einer Ruhepause das Recht, selbst zu entscheiden, wo sie ihre Freizeit verbringen wollen. Es sei bewußt keine Pause im Sinne des § 12 Abs. 2 AZO angeordnet worden, sondern eine kurze Verschnaufpause, in der die Arbeitsbereitschaft jederzeit gegeben sei. In dieser Pause solle die Leistungsfähigkeit wieder hergestellt und die Arbeitsproduktivität gesteigert werden. Es liege kein Verstoß gegen § 15 MTB II vor, da diese Arbeitszeitunterbrechung nicht Gegenstand der tarifvertraglichen Regelung sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,

ihm eine arbeitstägliche bezahlte 14-minütige

Arbeitsunterbrechung entgegen der Anordnung vom

8. März 1984 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, eine betriebliche Übung habe entgegen tariflicher Regelung nicht entstehen können. Eine dem Tarifvertrag widersprechende Handhabung könne nicht als eine unwiderruflich auf Dauer bindende Zusage gewertet werden, auch wenn sie über einen langen Zeitraum praktiziert worden sei. Es habe sich bei der Pause um eine normale Pause von 15 Minuten und somit um eine echte Frühstückspause gehandelt, während der die Arbeitnehmer den Arbeitsplatz verlassen und den Sozial- oder Frühstücksraum im Keller der Werkstatt hätten aufsuchen können. Auch seien Warmgetränke vorbereitet und zum Teil die Kantine aufgesucht worden, um dort einzukaufen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klagabweisung weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachaufklärung.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Anspruch auf die begehrte Arbeitszeitunterbrechung auf Grund betrieblicher Übung zu. Da der Kläger im öffentlichen Dienst arbeite, seien außer einer lang andauernden Übung zusätzliche Anhaltspunkte erforderlich, die aus der Sicht des Arbeitnehmers den Schluß rechtfertigten, ausnahmsweise solle eine tariflich nicht vorgesehene freiwillige Leistung erbracht werden. Ein solcher Anhaltspunkt sei zunächst, daß die Arbeitsunterbrechung bis zu ihrem Widerruf ca. 20 Jahre gewährt worden sei und auch der Kläger seit Beginn seiner Beschäftigung bei der Beklagten ab dem 1. Juni 1977 in den Genuß der Pause gelangt sei. Die stetige und gleichförmige Wiederholung der Pausenpraxis habe bei den Arbeitnehmern den Eindruck einer festen Regel erweckt. Der im öffentlichen Dienst Beschäftigte wisse in der Regel, daß eigens dafür geschaffene Verwaltungsstellen die Rechtsanwendung der Behörden überprüften. Wenn dennoch eine im Tarifvertrag nicht vorgesehene Vergünstigung jahrzehntelang gewährt werde, werde das Vertrauen, daß eine vertragliche Pflicht zur Gewährung der Leistung begründet werden solle, unterstützt. Als weiteres vertrauensbildendes Element sei die Werkstattordnung aus dem Jahr 1968 zu beachten, in der die Arbeitszeitunterbrechung durch den damals für den Bereich der Werkstätten zuständigen Kommandeur festgeschrieben worden sei und die bis zu ihrem Widerruf 16 Jahre gegolten habe.

Auch wenn die im öffentlichen Dienst Beschäftigten davon auszugehen hätten, daß der Arbeitgeber grundsätzlich nur die gesetzlichen und tariflichen Normen erfüllen wolle, sei für den Kläger ein solcher Normvollzug von vornherein ausgeschlossen gewesen. Denn rechtliche Grundlage der arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien seien der Arbeitsvertrag und die Vorschriften des MTB II. Weder der Arbeitsvertrag noch der MTB II enthielten eine Regelung über die Arbeitszeitunterbrechung. Beide Anspruchsgrundlagen seien eindeutig. Der Kläger habe daher nicht davon ausgehen müssen, daß der Arbeitgeber nur die gesetzlichen Normen erfüllen, aber keine zusätzliche Leistung habe gewähren wollen. Auch sei es rechtlich unbeachtlich, daß die Arbeitszeitunterbrechung für die in den Werkstätten beschäftigten Polizeivollzugsbeamten unzulässig gewesen sei. Mit einer Korrektur der fehlerhaften Pausenregelung bei den Beamten auch ihnen gegenüber brauchten die Arbeitnehmer nicht zu rechnen. Denn die Arbeitszeitunterbrechung sei in allen Werkstätten und Verwaltungen des Bundesgrenzschutzes allen Arbeitnehmern gegenüber gewährt worden und nicht etwa wegen einer Gleichstellung mit den dort auch eingesetzten Beamten. Im übrigen habe es der Einhaltung des Schriftformerfordernisses gemäß § 4 Abs. 2 MTB II nicht bedurft, da keine Nebenabrede vorliege.

II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung insofern nicht stand, als die Vorinstanz es unterlassen hat, sich mit dem von ihr verwandten Begriff "Arbeitszeitunterbrechung" rechtlich auseinanderzusetzen. Damit besteht die Möglichkeit, daß es sich bei der sog. Nato-Pause nicht um eine Arbeitsunterbrechung mit Arbeitsbereitschaft handelt, für die die Rechtsausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden wären, sondern um eine Pause wie sie in § 15 MTB II vorausgesetzt wird. Im letzteren Fall kann eine betriebliche Übung nicht entstehen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat rechtlich zutreffend angenommen, daß unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden wird, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aufgrund einer Willenserklärung, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen. Ob sich der Arbeitgeber binden wollte, beurteilt sich danach, ob der Arbeitnehmer aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers auf diesen Willen schließen durfte. Für die Bindungswirkung der betrieblichen Übung entscheidend ist daher die Frage, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen durfte (§§ 133, 157 BGB). In Arbeitsverhältnissen des öffentlichen Dienstes gelten die Grundsätze allerdings nicht uneingeschränkt. Denn die an Weisungen vorgesetzter Dienststellen, Verwaltungsrichtlinien, Verordnungen und gesetzliche Regelungen, vor allem aber durch die Festlegung des Haushalts gebundenen öffentlichen Arbeitgeber sind viel stärker als private Arbeitgeber gehalten, die Mindestbedingungen des Tarifrechts bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen zu beachten. Im Zweifel gilt Normvollzug. Unter diesen Umständen kann ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes daher selbst bei langjährigen Leistungen nicht ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte annehmen, ein gezahltes übertarifliches Entgelt oder die Gewährung sonstiger Vergünstigungen seien Vertragsbestandteil geworden und werden auf Dauer weitergewährt (BAGE 49, 31 = AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG Urteil vom 13. November 1986 - 6 AZR 567/83 - AP Nr. 27 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte seit dem 14. März 1968 bis zum 29. Februar 1984 in der Zeit von 9.00 - 9.15 Uhr eine Arbeitsunterbrechung gewährt. Auch der Kläger unterfiel seit Beginn seiner Beschäftigung bei der Beklagten im Jahre 1977 dieser Regelung, die in der Werkstattordnung ausdrücklich festgesetzt worden war. Diese Regelung wurde in der ab 1. März 1984 geltenden Anlage zum Geschäftsverteilungsplan dahin abgeändert, daß eine Arbeitspause von 9.00 - 9.14 Uhr gestattet wird. Aus dieser langjährigen Handhabung und den genannten zusätzlichen Anhaltspunkten hat das Landesarbeitsgericht den Schluß gezogen, der Kläger hätte dies als Angebot verstehen dürfen, diese Arbeitsunterbrechung über die tariflichen Regelungen hinaus gewährt zu bekommen. Dabei hat das Landesarbeitsgericht jedoch möglicherweise übersehen, daß es sich bei der von der Beklagten gewährten Arbeitsunterbrechung um eine Pause handelt, wie sie in § 15 Abs. 9 MTB II geregelt ist. In einem solchen Fall kann keine betriebliche Übung entstehen, weil eine inhaltsgleiche tarifvertragliche Rechtsgrundlage für die Gewährung gegeben ist (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung BAGE: 49, 151, 159 = AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972; 52, 340, 345 = AP Nr. 1 zu § 13 TVAng Bundespost).

a) Der Begriff der Pause ist weder gesetzlich noch tariflich definiert. Die Bestimmungen der AZO und die tariflichen Normen (vgl. z.B. § 15 Abs. 1 BAT, § 14 Abs. 1 BMT-G II, § 15 Abs. 9 MTB II) setzen vielmehr den Pausenbegriff voraus.

In § 12 Abs. 2 Arbeitszeitordnung ist für männliche Arbeitnehmer geregelt, daß bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden mindestens eine halbstündige Ruhepause oder zwei viertelstündige Ruhepausen zu gewähren sind. Eine Pause im arbeitsrechtlichen Sinne liegt demnach nur dann vor, wenn sie mindestens eine Viertelstunde beträgt (vgl. Röhsler, Die Arbeitszeit, S. 108; Denecke/Neumann, AZO, 10. Aufl., § 12 Anm. 18; Meisel/Hiersemann, AZO, 2. Aufl., § 12, Anm. 44; Röhsler, AR-Blattei, "Pausen und Ruhezeiten I", unter D II 1).

Das Bundesarbeitsgericht hat unter Rückgriff auf den natürlichen Sprachgebrauch die inhaltlichen Voraussetzungen der Pause definiert als im voraus festliegende Unterbrechungen der Arbeitszeit, in denen der Arbeitnehmer von jeder Arbeit einschließlich Arbeitsbereitschaft freizustellen ist, noch sich dafür bereitzuhalten, sondern freie Verfügung darüber hat, wo und wie er diese Ruhezeit verbringen will. Entscheidendes Kriterium für die Pause ist damit die Freistellung des Arbeitnehmers von jeder Arbeitsverpflichtung und auch von jeder Verpflichtung, sich zur Arbeit bereit zu halten, weil anderenfalls keine von der Arbeitszeit absetzbare Pause im arbeitsrechtlichen Sinne vorliegt (BAGE 18, 223 = AP Nr. 2 zu § 13 AZO; BAG Urteil vom 28. September 1972 - 5 AZR 198/72 - AP Nr. 9 zu § 12 AZO; Senatsurteile vom 5. Mai 1988 - 6 AZR 658/85 - und vom 23. Juni 1988 - 6 AZR 137/86 -, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; so auch BVerwG Beschluß vom 8. März 1967 - VI C 79.63 - AP Nr. 4 zu § 13 AZO).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall spricht die zeitliche Voraussetzung nicht für eine Pause im Sinne des § 15 Abs. 9 MTB II. Denn das Landesarbeitsgericht hat für die Revisionsinstanz bindend festgestellt, daß eine Arbeitszeitunterbrechung von ca. 14 Minuten gewährt wurde. Es hat jedoch keine Feststellungen zu den inhaltlichen Voraussetzungen der Arbeitsunterbrechung getroffen. Der konkrete Inhalt der Arbeitsunterbrechung ist zwischen den Parteien streitig. Somit wird das Landesarbeitsgericht durch Beweisaufnahme den Inhalt zu ermitteln haben.

Nur wenn der Kläger während der Arbeitsunterbrechung tatsächlich von jeder Arbeitsleistung freigestellt war und sich in dieser Zeit nicht zur Arbeitsleistung hat bereithalten müssen, er also den Arbeitsraum verlassen durfte und seinen Aufenthalt selbst bestimmen konnte, kann von dem Vorliegen einer Pause im Sinne des § 15 Abs. 9 MTB II ausgegangen werden. Eine betriebliche Übung wäre dann - weil entgegen der tariflichen Norm - aus Rechtsgründen ausgeschlossen.

Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider

Schmidt Fischer

 

Fundstellen

Haufe-Index 440709

ZTR 1989, 443-444 (ST1)

EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung, Nr 11 (ST1)

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