Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Weiterverwendungsvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

Die in Arbeitsverträgen über die Weiterverwendung von Lehrern aus dem Ostteil Berlins enthaltene Angabe einer bestimmten Schule schließt das Recht des Landes, den Lehrer an eine andere Schule umzusetzen, nicht aus.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 315; ZPO §§ 259, 256; PersVG Berlin § 86

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 24.07.1996; Aktenzeichen 8 Sa 38/96)

ArbG Berlin (Urteil vom 18.03.1996; Aktenzeichen 91 Ca 4949/96)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 24. Juli 1996 - 8 Sa 38/96 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land den Kläger an einer anderen Schule als bisher einsetzen kann.

Der am 22. Februar 1948 geborene Kläger studierte die Fächer Chemie und Mathematik und erwarb 1970 den Grad des Diplomchemikers mit Prädikat. In der Folgezeit war er an der im Ostteil Berlins gelegenen Ingenieurschule für Chemie als Lehrer beschäftigt und unterrichtete kontinuierlich in den Fächern Mathematik und Informatik. Diese Einrichtung wurde vom beklagten Land überführt und der Staatlichen Technikerschule eingegliedert.

Mit Datum vom 14. Januar 1992 schlossen die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag, der unter anderem folgende Regelung enthält:

"§ 1

Beginn und Art der Beschäftigung

Herr Dr. R wird vom 01.01.1991 an im Bereich der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport als Lehrkraft an der Berliner Schule - an der Staatlichen Technikerschule

und zwar als Lehrer weiterverwendet."

In § 5 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Parteien die Anwendung des BAT-O. Nunmehr findet auf das Arbeitsverhältnis der BAT Anwendung.

Mit Schreiben vom 19. Januar 1996 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, er werde zum 19. Februar 1996 an die L -Schule, ein Oberstufenzentrum im Berufsfeld Chemie/ Physik/Biologie, versetzt. Das beklagte Land beabsichtigte, den Kläger als Lehrer in den Unterrichtsfächern Chemie und technische Mathematik einzusetzen. Letzteres umfaßt auch den Bereich technisches Fachrechnen (Chemie). Im zweiten Schulhalbjahr 1995/1996 sollte der Kläger das Fach Chemie noch nicht selbst unterrichten, sondern zur Einarbeitung bei anderen Lehrern hospitieren. Ferner sollte für ihn ein Informationspraktikum für eine praxisorientierte Einführung veranstaltet werden.

Mit seiner am 12. Februar 1996 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat sich der Kläger gegen die beabsichtigte Umsetzung gewandt. Er hat die Ansicht vertreten, das beklagte Land sei im Hinblick auf die Festlegung des Arbeitsortes im Arbeitsvertrag vom 14. Januar 1992 nicht berechtigt, ihn durch einseitige Weisung an das Oberstufenzentrum umzusetzen. Die beabsichtigte Umsetzung sei zudem für ihn im Hinblick auf den erheblichen Einarbeitungsaufwand und die unterschiedlichen didaktischen Anforderungen an beiden Schulen unzumutbar.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, ihn über den 18. Februar 1996 hinaus an der Staatlichen Technikerschule B als Lehrer einzusetzen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat vorgetragen: An der Staatlichen Technikerschule bestehe seit dem Sommersemester 1996 ein Lehrerüberhang. Dieser beruhe darauf, daß für das am 1. Februar 1996 begonnene Sommersemester sich in den Fachrichtungen Umweltschutz- und Wasserversorgungstechnik ein Soll von 123 Unterrichtsstunden pro Woche bei sechs Lehrern und ein zu unterrichtendes Ist in den technischen Anwendungsfächern von 103 Unterrichtsstunden pro Woche ergeben habe. Die Differenz von 20 Stunden könne nur durch die in diesen Fachrichtungen anfallenden 18 Mathematikstunden pro Woche gedeckt werden. Die Zuweisung dieser 18 Mathematikstunden allein an den Kläger würde jedoch für die drei weiteren Mathematik als Hauptfach unterrichtenden Kollegen des Klägers eine jeweilige Unterdeckung von sechs Stunden pro Woche (ca. 30 % der Pflichtstundenzahl) bedeuten. Diese drei anderen Mathematiklehrkräfte kämen für eine Umsetzung deshalb nicht in Betracht, weil im Kreise der Kollegen seiner Abteilung an der Staatlichen Technikerschule - unstreitig - nur der Kläger im Bereich der chemischen Mathematik über die Qualifikation verfüge, die am Oberstufenzentrum benötigt werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das beklagte Land ist nicht verpflichtet, den Kläger über den 18. Februar 1996 hinaus an der Staatlichen Technikerschule B als Lehrer einzusetzen.

I. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes kann der Kläger den von ihm geltend gemachten Anspruch auf arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung im Wege der Leistungsklage geltend machen. Er ist nicht gehalten, die Unwirksamkeit der Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes im Wege der Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO feststellen zu lassen.

Bei der Klage auf arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung handelt es sich um eine Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO. Die Möglichkeit einer solchen Klage steht der Erhebung einer Feststellungsklage zwar nicht entgegen. Wie sich aus dem Wort "kann" in § 259 ZPO ergibt, steht dem Kläger aber ein Wahlrecht zu (vgl. RG Urteil vom 11. Mai 1926 - III 265/25 - RG 113, 410, 411; BGH Urteil vom 7. Februar 1986 - V ZR 201/84 - NJW 86, 2507). Dies hat der Kläger im vorliegenden Fall zugunsten der Leistungsklage ausgeübt. Die für eine Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO erforderliche Besorgnis, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde, ist vorliegend gerechtfertigt, nachdem das beklagte Land mit seinem Schreiben vom 19. Januar 1996 zu erkennen gegeben hat, daß es den Kläger nicht mehr als Lehrer an der Staatlichen Technikerschule beschäftigen will. Damit ist gleichzeitig das vom beklagten Land in Abrede gestellte Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

II. Das beklagte Land hat sein Direktionsrecht rechtmäßig ausgeübt. Dieses war nicht durch den Arbeitsvertrag vom 14. Januar 1992 eingeschränkt. Mit der Angabe des Arbeitsortes "Staatliche Technikerschule" in seinem § 1 haben die Parteien keine bindende Vereinbarung des Arbeitsorts getroffen.

1. Das Direktions- oder Weisungsrecht ermöglicht dem Arbeitgeber, die Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Art, Zeit und Ort zu konkretisieren. Seine Reichweite bestimmt sich vor allem nach dem Arbeitsvertrag. Weiter können Gesetz, Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung Regelungen dazu enthalten. Auch soweit das Direktionsrecht danach grundsätzlich besteht, darf es nur nach billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB ausgeübt werden. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen berücksichtigt worden sind. Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Dabei kommt dem Revisionsgericht ein unbeschränktes Überprüfungsrecht zu.

2. Die Umsetzung des Klägers war durch das Direktionsrecht gedeckt. Die Auslegung des Arbeitsvertrages vom 14. Januar 1992 ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar, da es sich um einen sog. "typischen Vertrag" handelt. Das ergibt sich aus der Verwendung eines auch sonst vielfach gebrauchten vorgedruckten Formulars.

Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. § 157 BGB verlangt eine Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte. Es sind demnach alle Begleitumstände zu würdigen, die dafür von Bedeutung sind, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie der Empfänger der Erklärung diese verstanden hat oder verstehen mußte (BAG Urteil vom 6. Februar 1974 - 3 AZR 232/73 - AP Nr. 38 zu § 133 BGB, zu II 2 der Gründe).

3. Dem Kläger ist zuzugeben, daß der Wortlaut des Arbeitsvertrages unklar ist. Einerseits wird in seinem § 1 die Staatliche Technikerschule als Einsatzort ausdrücklich genannt. Andererseits ist nach seinem § 5 der BAT-O und damit auch dessen § 12 Abs. 1 anwendbar. Nach dieser Vorschrift kann "der Angestellte aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen versetzt oder abgeordnet werden. Soll der Angestellte an eine Dienststelle außerhalb des bisherigen Dienstortes versetzt oder voraussichtlich länger als drei Monate abgeordnet werden, so ist er vorher zu hören".

In der Nennung des Einsatzortes im Vertrag kann je nach den Umständen eine vertragliche Begrenzung des Direktionsrechts gesehen werden. Das Landesarbeitsgericht hat aber den Arbeitsvertrag der Parteien zutreffend dahin ausgelegt, daß sich die vertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers nicht auf die Staatliche Technikerschule begrenzt.

Für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts spricht zunächst, daß § 1 des Arbeitsvertrages mit "Beginn und Art der Beschäftigung" überschrieben ist. Das deutet darauf hin, daß der genannte Arbeitsort nicht fest vereinbart wurde. Weiter spricht gegen eine bindende Festlegung des Arbeitsorts der Umstand, daß es sich nicht um einen Vertrag zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses, sondern um einen Vertrag über die Weiterverwendung handelt. Das Landesarbeitsgericht hat dazu für die Revisionsinstanz bindend (§ 561 ZPO) festgestellt, daß in den sog. Weiterverwendungsverträgen grundsätzlich die Einrichtung, an der die Weiterverwendung stattfand, angegeben wurde. Es hat weiter ausgeführt, es handele sich um eine historisch begründete Vertragsgestaltung, bei der lediglich die Einsatzstelle im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages wiedergegeben wurde. Die Angabe im Vertrag entsprach auch dem praktischen Bedürfnis der Arbeitnehmer, nach allen Abwicklungen, Auflösungen und Überführungen von Einrichtungen der ehemaligen DDR zu erfahren, wo sie beschäftigt werden sollten.

Der Kläger und seine aufgrund vergleichbarer Verträge beschäftigten Kollegen konnten den vom beklagten Land vorformulierten und vielfach verwendeten Vertrag aber nicht so verstehen, daß dadurch Um- oder Versetzungen an andere Schulen ausgeschlossen sein sollten. Besteht in einer Schule ein Lehrerüberhang und an einer anderen Schule desselben Arbeitgebers ein zusätzlicher Bedarf an Lehrern, so ist die Um- oder Versetzung eine sinnvolle Personalmaßnahme. § 12 Abs. 1 BAT-O erlaubt dem Arbeitgeber sogar Versetzungen und Abordnungen, d.h. die Zuweisung einer auf Dauer bestimmten Tätigkeit bei einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers bzw. die Zuweisung einer vorübergehenden Beschäftigung bei einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers oder eines anderen Arbeitgebers, beides unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses (BAG Urteil vom 18. Februar 1976 - 5 AZR 616/74 - AP Nr. 1 zu Saarland Universitätsgesetz, zu II 1 der Gründe). Der Verzicht des beklagten Landes auf das tarifvertraglich eingeräumte Recht zur Versetzung und Abordnung und darüber hinaus auch auf das Recht zur Umsetzung, d.h. Zuweisung einer anderen Arbeit innerhalb derselben Dienststelle, und damit auf die Möglichkeiten eines im Schulalltag erforderlichen flexiblen Personaleinsatzes, hätte einer ausdrücklichen Vereinbarung bedurft. Das gilt um so mehr, als in der historischen Situation der Wiedervereinigung und der Vielzahl von überführten (Schul)Einrichtungen mit erheblichen Veränderungen gerechnet werden mußte.

Dem Arbeitsvertrag ist auch nicht zu entnehmen, daß sich die Unterrichtsverpflichtung des Klägers auf die Fächer Mathematik und Informatik beschränkt.

4. Die Umsetzung des Klägers überschreitet nicht die Grenzen billigen Ermessens (§ 315 Abs. 3 BGB). Das macht der Kläger in der Revisionsinstanz auch nicht mehr geltend.

An der Staatlichen Technikerschule bestand ein Lehrerüberhang. Aus dem Kreise seiner Kollegen verfügt allein der Kläger über die Qualifikation, die am Oberstufenzentrum benötigt wird. Aufgrund seiner Ausbildung und bisherigen Tätigkeit ist der Kläger in der Lage, die Fächer Chemie und technische Mathematik zu unterrichten.

5. Die Umsetzung des Klägers ist auch nicht mangels Beteiligung des Personalrates unwirksam.

Nach § 86 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 PersVG Berlin hat der Personalrat mitzubestimmen bei Versetzungen und solchen Umsetzungen innerhalb der Dienststelle, die mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 86 Abs. 3 Satz 4 PersVG gilt der Wechsel von einer Schule zur anderen nicht als Versetzung und stellt auch keine Abordnung im Sinne dieses Gesetzes dar. Die Umsetzung führt hier auch nicht zu einem Wechsel des Dienstortes.

 

Unterschriften

Griebeling Schliemann Reinecke Utz P. Hansen Buschmann

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 29.10.1997 durch Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436441

BB 1998, 488

FA 1998, 98

NZA 1998, 329

RdA 1998, 188

ZAP-Ost 1998, 101

PersR 1998, 255

RiA 1998, 279

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