Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitnehmer kann in einer sog. Ausgleichsquittung auch auf die Erhebung oder Durchführung der Kündigungsschutzklage verzichten (im Anschluß an BAG AP Nr. 36 zu § 3 KSchG und AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969). Ein solcher Verzicht muß jedoch aus Gründen der Rechtsklarheit in der Urkunde selbst unmißverständlich zum Ausdruck kommen, etwa in der Weise, daß der Arbeitnehmer erklärt, er wolle auf das Recht verzichten, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, oder er wolle eine mit diesem Ziel bereits erhobene Klage nicht mehr durchführen.

 

Normenkette

KSchG 1969 § 4; BGB §§ 305, 397; AFG § 119

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 31.08.1976; Aktenzeichen 2 Sa 843/75)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 31. August 1976 – 2 Sa 843/75 – aufgehoben.
  • Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Spezialbetrieb auf dem Gebiet der Tapisserie, in deren Druckerei seit dem 9. Januar 1967 als Repro-Fotograf gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 1.870,-- DM beschäftigt. Außer dem Kläger arbeiteten in der Druckerei vier weitere Arbeitnehmer. Insgesamt beschäftigte die Beklagte 35 Arbeitnehmer. Mit Schreiben vom 14. Februar 1975 kündigte die Beklagte dem Kläger zum 14. März 1975 und zum gleichen Zeitpunkt auch drei anderen Arbeitnehmern der Druckerei wegen dringender betrieblicher Erfordernisse. Mit seiner beim Arbeitsgericht am 4. März 1975 eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen die Kündigung und erstrebt die Feststellung ihrer Rechtsunwirksamkeit.

Beim Ausscheiden des Klägers am 14. März 1975 unterzeichneten die Parteien eine mit “Ausgleichsquittung” überschriebene vorgedruckte Erklärung folgenden Wortlauts:

“Mein Arbeitsverhältnis mit der Firma atelier Sch…, Tapisserie-Werkstätten KG… in … R… B… Straße … ist mit dem 14.3.1975 beendet.

  • Ich habe den mir zustehenden Restlohn in Höhe von DM 1.210,38 für die Zeit vom 16.2.75 bis zu meinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis sowie meine Arbeitspapiere:
  • 1 Steuerkarte 1975
  • 1 Versicherungskarte 1974 + 1975

    + Vers.Heft

  • 1 Urlaubsbescheinigung
  • 1 Zeugnis
  • 1 Arbeitsbescheinigung

erhalten. Es bestehen nunmehr keinerlei Rechte aus dem Arbeitsverhältnis.”

Mit Schriftsatz vom 13. Mai 1975 hat der Kläger seine in der Ausgleichsquittung enthaltenen Erklärungen angefochten und behauptet, er habe den letzten Satz des Schriftstücks überhaupt nicht bewußt gelesen und lediglich den Empfang von Geld und Arbeitspapieren quittiert.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 14. Februar 1975 nicht beendet worden ist, hilfsweise, die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei wegen der ungünstigen Umsatzentwicklung in der Druckerei erforderlich gewesen. Weiter hat sie unter Hinweis auf die Ausgleichsquittung die Ansicht vertreten, der Kläger habe darin auch auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet. Er habe bei Unterzeichnung des Schriftstücks genau gewußt, worum es gegangen sei. Der Kündigung seien nämlich lange Erörterungen über die Lage der Druckerei und des Betriebes vorausgegangen. Die Anfechtung der Ausgleichsquittung könne außerdem schon deswegen nicht durchgreifen, weil sie verspätet erklärt worden sei.

Demgegenüber hat der Kläger behauptet, die Beklagte habe den Betriebsrat vor der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört. Weiter hat er geltend gemacht, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt und außerdem die Folge einer Betriebsänderung (Einschränkung der Druckerei) im Sinne des § 111 BetrVG. Da die Beklagte diese Maßnahme ohne Interessenausgleich durchgeführt habe, sei sie verpflichtet, ihm eine Abfindung zu zahlen.

Darauf hat die Beklagte erwidert, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung angehört worden und habe ihr zugestimmt. Die Durchführung einer Betriebsänderung hat die Beklagte bestritten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, in der Ausgleichsquittung sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten am 14. März 1975 eindeutig festgestellt. Diese Feststellung könne im Zusammenhang mit dem letzten Satz, daß “nunmehr keinerlei Rechte aus dem Arbeitsverhältnis bestehen”, nur bedeuten, der Kläger habe sich mit der vorausgegangenen Kündigung abgefunden und wolle keinen Kündigungsschutz mehr in Anspruch nehmen. Ein derartiger Verzicht auf Kündigungsschutz sei zulässig. Mangels entsprechenden Vorbehalts des Klägers müsse zudem davon ausgegangen werden, daß dieser mit seiner Unterschrift unter die Ausgleichsquittung auch einen Verzicht dahin ausgesprochen habe, sich auf etwaige andere Gründe für eine Unwirksamkeit der Kündigung zu berufen.

II. Dieser Auslegung der Ausgleichsquittung kann, wie die Revision zu Recht geltend macht, nicht gefolgt werden.

1. Die in der Ausgleichsquittung enthaltenen Erklärungen des Klägers sind in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen. Die Parteien haben für die Ausgleichsquittung ein vorgedrucktes Formular verwandt, das nicht nur für ein einzelnes Arbeitsverhältnis gilt, sondern weit verbreitet und daher als “typischer Vertrag” anzusehen ist. Als solcher unterliegt er der unbeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. statt vieler BAG AP Nr. 36 zu § 3 KSchG und BAG AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969).

2. Aus der Ausgleichsquittung ergibt sich nicht, daß der Kläger von der Weiterverfolgung der bereits eingereichten Kündigungsschutzklage absehen, daß er diese etwa zurücknehmen und damit auf den Kündigungsschutz verzichten wollte.

a) Der vorliegende Fall gibt dem Senat keinen Anlaß, die mit einem in einer Ausgleichsquittung erklärten Kündigungsschutzverzicht zusammenhängenden Fragen noch einmal grundsätzlich zu erörtern (zu dieser Problematik vgl. aus neuester Zeit Schwerdtner, Anm. EzA Nr. 12 zu § 4 KSchG n.F. mit zahlreichen Hinweisen). Daß in einer Ausgleichsquittung auch auf die Erhebung oder Durchführung der Kündigungsschutzklage verzichtet werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit längerem anerkannt (vgl. BAG AP Nr. 36 zu § 3 KSchG [mit zust. Anm. von A. Hueck]; BAG 22, 424 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB; BAG AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969 – jeweils m. w. N.). Daran ist festzuhalten. (Zur rechtsdogmatischen Einordnung eines solchen Verzichts s. Herschel, Anm. zu BAG AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969, und Schwerdtner, aaO, [unter I 2b dd, S. 55].)

Ein derartiger Verzicht, der je nach Lage des Falles einen Vergleich, einen Aufhebungsvertrag oder ein Klagerücknahmeversprechen bedeuten kann, muß jedoch aus Gründen der Rechtsklarheit in der Urkunde selbst unmißverständlich zum Ausdruck kommen, etwa in der Weise, daß der Arbeitnehmer erklärt, er wolle von seinem Recht, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, Abstand nehmen oder eine mit diesem Ziel bereits erhobene Klage nicht mehr durchführen. Nur dann ist sichergestellt, daß der Arbeitnehmer bei Unterschriftsleistung die Tragweite seiner Erklärung erkennt und daß spätere Unklarheiten über den Erklärungswillen des Arbeitnehmers weitgehend ausgeräumt werden.

b) Die vorliegende Ausgleichsquittung läßt den Willen des Klägers, auf Erhebung oder Durchführung der Kündigungsschutzklage zu verzichten, nicht erkennen. Schon der Text der Urkunde unterscheidet nicht zwischen den Rechten aus dem Arbeitsverhältnis und den Rechten aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie es in den der Entscheidung des erkennenden Senats vom 25. September 1969 (AP Nr. 36 zu § 3 KSchG) und des Vierten Senats vom 6. April 1977 (AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969) zugrunde liegenden Fällen geschehen war.

Zwar heißt es im Eingangssatz der vom Kläger unterschriebenen Ausgleichsquittung “Mein Arbeitsverhältnis … ist mit dem 14.3.1975 beendet”. Hieraus kann aber nicht auf das Vorhandensein des erforderlichen Verzichtswillens des Klägers geschlossen werden, weil dem ein wesentlicher, vom Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigter Umstand entgegensteht. Der Kläger hat nämlich mit seiner am 4. März 1975 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Feststellung beantragt, daß sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet worden sei. Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger die Ausgleichsquittung “bei Ausscheiden” unterschrieben, d.h. also am 14. März 1975 und mithin zehn Tage nach Einreichung der Kündigungsschutzklage. In der Urkunde ist keine Erklärung des Klägers darüber enthalten, wie der durch die Einreichung der Klage eingeleitete Rechtsstreit beendet werden solle.

Daß er die Klage zurücknehmen wolle, hat der Kläger weder schriftlich in der Urkunde selbst noch aber mündlich im Zusammenhang mit der Unterschriftsleistung erklärt; jedenfalls ist letzteres nicht festgestellt, von der Beklagten im übrigen auch nicht behauptet worden. Diese hat vielmehr nur vorgetragen, der Kläger habe – ebenso wie die drei anderen gekündigten Arbeitnehmer – bei den der Kündigung vorausgegangenen “Debatten” über die Lage der Druckerei und des Betriebes “Verständnis” für die beabsichtigte Maßnahme gezeigt. Wenn der Kläger aber bereits am 4. März 1975 durch seinen Prozeßbevollmächtigten Kündigungsschutzklage bei Gericht eingereicht hatte, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß er zehn Tage später den rechtsgeschäftlich erheblichen Willen hatte, von der Durchführung der Klage Abstand zu nehmen und sich zu ihrer Rücknahme zu verpflichten. Jedenfalls läßt sich das unter den vorliegenden Umständen aus dem Wortlaut der Ausgleichsquittung nicht herleiten. Dazu hätten weitere, besondere Anhaltspunkte gegeben sein müssen. Diese sind aber, wie gesagt, weder festgestellt noch auch nur behauptet worden.

c) Der Kläger hat mithin nicht auf seine Rechte nach dem Kündigungsschutzgesetz oder auf die Geltendmachung anderer Unwirksamkeitsgründe verzichtet. Ob er seine Erklärungen in der Ausgleichsquittung wirksam angefochten hat oder nicht, bedarf danach keiner Erörterung.

III. Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, die von beiden Parteien unterschriebene Ausgleichsquittung habe – falls die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst haben sollte – zugleich die Eigenschaft eines Aufhebungsvertrages. Das ergebe sich aus der ohne Bezugnahme auf die vorausgegangene Kündigung von beiden Parteien abgegebenen Erklärung, daß das Arbeitsverhältnis am 14. März 1975 “beendet ist”. Dieser Ansicht ist ebenfalls nicht zu folgen.

Ein Aufhebungsvertrag setzt voraus, daß besondere Anknüpfungspunkte für einen entsprechenden Vertragswillen vorliegen (vgl. BAG AP Nr. 64 zu § 626 BGB m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Aus dem Text des Quittungsvordrucks läßt sich ein rechtsgeschäftlicher Wille des Klägers, sein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten durch Aufhebungsvertrag zu beenden, nicht entnehmen. Gegen das Bestehen eines solchen Willens spricht schon der Umstand, daß der Kläger bei vertraglicher Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit der Möglichkeit einer Sperrfrist durch das Arbeitsamt rechnen mußte (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG). Vor allem spricht aber dagegen die Tatsache, daß der Kläger bereits zehn Tage vor Unterschriftsleistung die Kündigungsschutzklage eingereicht hatte. Es ist daher kein Umstand ersichtlich, der die Annahme rechtfertigen könnte, der Kläger habe unter Aufgabe seiner Rechte nach dem Kündigungsschutzgesetz und ohne jede Gegenleistung der Beklagten und damit angesichts einer drohenden Arbeitslosigkeit das seit Anfang Januar 1967 bestehende Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beenden wollen.

IV. Der Kläger ist mithin durch die Ausgleichsquittung nicht gehindert, die Nichtigkeit der ihm ausgesprochenen Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und ihre Sozialwidrigkeit nach § 1 KSchG geltend zu machen. Das Landesarbeitsgericht wird daher nunmehr die Frage der Rechtswirksamkeit der Kündigung prüfen müssen.

 

Unterschriften

Dr. Gröninger, Roeper, Dr. Gehring, Kerrmann, Hammel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI870926

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