Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinterbliebenenrente bei Freitod des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Ausschluß einer Betriebsrente des Arbeitnehmers bei vorsätzlicher oder leichtfertiger Herbeiführung der Dienstunfähigkeit enthält keine die Hinterbliebenenversorgung ausschließende Freitodklausel.

Versagung von Hinterbliebenenansprüchen wegen Rechtsmißbrauchs bei Fehlverhalten des Arbeitnehmers und seiner versorgungsberechtigten Hinterbliebenen.

 

Normenkette

BetrAVG § 1; BGB §§ 242, 133, 157

 

Verfahrensgang

LAG München (Teilurteil vom 21.06.1989; Aktenzeichen 2 (3) Sa 258/85)

ArbG Augsburg (Teilurteil vom 14.03.1985; Aktenzeichen 4 Ca 517/83)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juni 1989 – 2 (3) Sa 258/85 – in der Fassung des Berichtungsbeschlusses vom 2. Januar 1990 – 2 (3) Sa 258/85 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1) verlangt Sterbe- und Witwengeld und der Kläger zu 2) Waisengeld. Die Parteien streiten darüber, ob die Hinterbliebenenversorgung durch eine Freitodklausel ausgeschlossen ist und ob Pflichtverstöße des verstorbenen Arbeitnehmers oder eigenes Fehlverhalten der Kläger die Verweigerung der Hinterbliebenenversorgung rechtfertigen.

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe und Alleinerbin des am 3. Januar 1933 geborenen und am 15. Juli 1982 durch Freitod aus dem Leben geschiedenen F K. Der Kläger zu 2), der im Januar 1983 seine Berufsausbildung beendete, ist sein Sohn. Der Erblasser war seit 1. August 1969 als Oberverwalter (Administrator) mehrerer Gutsbetriebe beim Beklagten beschäftigt. Dem verstorbenen Arbeitnehmer war eine betriebliche Altersversorgung zugesagt worden. Der Dienstvertrag regelte sie wie folgt:

㤠6

(3) Die Kündigung hat, von welcher Seite sie auch ausgesprochen wird, den Verlust jeglicher Ansprüche auf Diensteinkommen einschließlich aller Nebenbezüge, auf Ruhestandsbezüge und Hinterbliebenenversorgung zur Folge.

§ 9

(1) Nach der Versetzung in den Ruhestand werden dem Dienstnehmer nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 2 ab dem 1. des der Versetzung folgenden Monats Ruhestandsbezüge gewährt. Ist die Dienstunfähigkeit auf Vorsatz oder Leichtfertigkeit des Dienstnehmers zurückzuführen, entfällt ein Anspruch auf Ruhestandsbezüge.

….

(3) Der Anspruch auf Ruhestandsbezüge erlischt:

  1. mit dem Ende des Monats, in dem der Dienstnehmer stirbt,
  2. wenn Gründe eintreten, die eine fristlose Entlassung des Dienstnehmers aus dem ak- tiven Dienst rechtfertigen würden,
  3. mit dem Eintritt des Dienstnehmers in fremde Dienste,
  4. wenn der Dienstnehmer einer Rückberufung nicht Folge leistet.

(4) Die Ruhestandsbezüge umfassen:

a) Das Ruhegehalt:

Bei der Berechnung des Ruhegehaltes wird die vom Dienstnehmer ab 1.8.1969 geleistete Dienstzeit berücksichtigt. Das Ruhegehalt beträgt für das 1. Dienstjahr 42 v.H. des aktiven Grundgehaltes (also ohne Aufwandsentschädigung, Wert der Dienstwohnung und freie Heizung) und steigt jedes weitere Dienstjahr bis zum Jahre 1976 um 2 v.H., ab 1977 um 1 v.H. bis zum Höchstbetrag von 75 v.H.

Ist der Dienstnehmer infolge eines nicht vorsätzlich oder leichtfertig verursachten Dienstunfalles dienstunfähig geworden und deshalb in den Ruhestand versetzt, so beträgt sein Ruhestandsgehalt mindestens 65 v.H. des aktiven Grundgehalts aus der Endstufe seiner Besoldungsgruppe.

§ 10

Die Hinterbliebenenversorgung bemißt sich nach folgenden Bestimmungen:

(1) Als Sterbegeld erhalten die Erben des Dienstnehmers eine Summe in Höhe der Aktivbezüge (ohne Aufwandsentschädigung) des auf den Sterbemonat folgenden Vierteljahres bzw. bei Tod im Ruhestand in Höhe des Dreifachen des zuletzt bezogenen Ruhegehaltes.

(2) Die Witwe des Dienstnehmers erhält 60 v.H. der vom Dienstnehmer erdienten Bezüge (Grundgehalt bzw. Ruhegehalt und Wohnungsgeld) als Witwengeld. …

(3) Das Waisengeld für eheliche, legitimierte oder angenommene Kinder des Dienstnehmers beträgt für die Halbwaise 20 v.H. des Witwengeldes, für die Vollwaise 33 v.H. des Witwengeldes. …

(4) Witwen- und Waisengeld werden erstmals gezahlt nach Ablauf des auf den Sterbemonat folgenden Monats. Sie werden nicht mehr gezahlt mit dem Ablauf des Monats, in dem der Berechtigte stirbt oder heiratet, Waisengeld auch dann nicht mehr, wenn die Waise das 20. Lebensjahr vollendet oder – sofern sie sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Berufsausbildung befindet – ihre Berufsausbildung abgeschlossen hat, spätestens jedoch mit Vollendung des 25. Lebensjahres.

(5) Witwen- und Waisengeld dürfen die Ruhestandsbezüge nicht übersteigen; tritt dieser Fall ein, werden sie anteilsmäßig gekürzt.”

Im Juli 1981 beanstandete Domänendirektor S die Bewirtschaftung des dem verstorbenen Arbeitnehmer unterstellten Bereichs und veranlaßte, daß der verstorbene Arbeitnehmer von der Oberleitung der drei oberschwäbischen Gutsbetriebe entbunden wurde. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der verstorbene Arbeitnehmer daraufhin im August 1981 einen Selbsttötungsversuch unternahm.

Am 15. Juli 1982 kritisierten der Beklagte und Domänendirektor S die Bewirtschaftung der dem verstorbenen Arbeitnehmer noch unterstellten Güter. Im Anschluß an das Gespräch fuhr der Arbeitnehmer in ein Waldgrundstück und tötete sich mit einem Pflanzenschutzmittel. Er hinterließ einen Abschiedsbrief. Darin erhob er gegen den Beklagten, Domänendirektor S und Rentamtmann K schwere Vorwürfe. Im Abschiedsbrief heißt es unter anderem:

„… wenn ich tot gefunden wurde, so sagt dies dem Fürsten, daß dies nicht ein üblicher Selbstmord ist, sondern daß er durch eine unmenschliche Behandlung durch Aufstellen von falschen und bewußt ehrrührigen Behauptungen über mich diesen Mord begangen hat. … Sie Herr Leser (ich hoffe es ist der Richter Herr P in A ) glauben nicht und können sich nicht vorstellen was mit mir angestellt wurde. Ich weiß nicht ist es aus Dummheit, Böswilligkeit oder sonst was. … Jetzt Eure Durchlaucht, Herr Domänendirektor S und Herr Amtmann K haben Sie es erreicht. Ich hoffe nur, daß Sie jede Nacht aufwachen und an diesen Mord denken. …

Abgesehen, daß der Vorwurf der Mehrwertsteuermanipulation bezüglich der Braugerste stimmt, Herr K hat diese selbst beim Lagerhaus abgerechnet, stimmt auch, daß wir M (genau Dir S H. K ich durfte ja nicht mitfahren) einige Male besichtigt haben. Wenn ich dies vor Gericht und wegen der Mehrwertsteuer vor der Steuerfahndung anders ausgesagt habe, so deswegen weil mir gesagt wurde (S K ) dann fliegen sie raus…”

Der Beklagte hatte 1980 von Herrn Sc die Pächterstellung am Gut M bei So übernommen. Wegen dieses Übernahmevertrages war es zu einem Rechtsstreit gekommen, der durch Vergleich vom 15. Juli 1980 beendet wurde. Der Beklagte focht diesen Vergleich wegen arglistiger Täuschung über den Zustand der Pachtfelder an. In dem hierüber geführten Rechtsstreit sagten Domänendirektor S und der verstorbene Arbeitnehmer aus, daß sie das Pachtobjekt vor Vergleichsabschluß nicht besichtigt hätten. Diesen Rechtsstreit bearbeitete Herr Richter am Landgericht P. An ihn war der Abschiedsbrief adressiert.

Nach Auffinden der Leiche übersandten die Kläger dem Beklagten ein Schreiben vom 20. Juli 1982 folgenden Inhalts:

„Den letzen Wunsch meines Gatten, unseres Vaters, respektierend, schreibe ich Ihnen heute.

Er erklärte in seinem Abschiedsbrief, daß seine drei Mörder, Sie, S und K nicht an seiner Beisetzung teilnehmen sollen.

Wir bitten Sie, diesen letzen Wunsch zu respektieren und in Zukunft Abstand zu unserer Familie zu halten.”

Am 11. September 1982 versuchte Herr F K, ein weiterer Sohn des verstorbenen Arbeitnehmers, die durch das Schreiben vom 20. Juli 1982 hervorgerufene schwere Verstimmung gütlich beizulegen. Mit Schreiben vom 15. September 1982 widerrief Rechtsanwalt Sp unter Vollmachtsvorlage im Auftrag des Beklagten mit sofortiger Wirkung die den Klägern im Dienstvertrag eingeräumte Hinterbliebenenversorgung, machte darüber hinaus Schadenersatzansprüche für die beim Gut So eingetretenen Schäden in Höhe von 412.000,00 DM geltend und behielt weitere Schadenersatzansprüche vor.

Der Beklagte hatte an die Klägerin zu 1) für August bis September 1982 Gnadenbezüge in Höhe von insgesamt 11.304,08 DM gezahlt. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leistete er an die Klägerin zu 1) bis 31. Oktober 1986 weitere 218.681,00 DM sowie 6.777,27 DM an den Kläger zu 2).

Die Kläger vertreten die Auffassung, der Dienstvertrag enthalte keine Freitodklausel, jedenfalls sei sie unwirksam. Es liege auch kein derart schwerwiegendes Fehlverhalten des verstorbenen Arbeitnehmers vor, daß ein Widerruf der Hinterbliebenenversorgung gerechtfertigt sei. Das fünf Tage nach dem Tode verfaßte Schreiben der Kläger lasse angesichts der besonderen Situation die Geltendmachung der Hinterbliebenenversorgung nicht treuwidrig erscheinen. Die Höhe der Hinterbliebenenversorgung richte sich nicht nach den fiktiven Ruhestandsbezügen des Erblassers, sondern nach seinen Bezügen als aktiver Arbeitnehmer.

Die Kläger haben beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) restliches Sterbegeld in Höhe von 9.540,74 DM zuzüglich 12 % Zinsen seit 1.11.1982 zu bezahlen;
  2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) rückständige Witwenversorgung für die Zeit vom 1.8.1982 bis einschließlich Februar 1985 in Höhe von 131.842,80 DM zu bezahlen;
  3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) ab 1.3.1985 monatlich 4.394,76 DM brutto als Witwenversorgung zu bezahlen;
  4. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2) rückständige Waisenversorgung für die Zeit vom 1.8.1982 bis einschließlich März 1983 in Höhe von 6.777,27 DM brutto zu bezahlen.

Der Beklagte hat in der Berufungsinstanz beantragt,

  1. die Klagen abzuweisen,
  2. die Klägerin zu 1) nach § 717 Abs. 2 ZPO zur Rückzahlung von 229.985,08 DM brutto zu verurteilen,
  3. den Kläger zu 2) nach § 717 Abs. 2 ZPO zur Rückzahlung von 6.777,27 DM zu verurteilen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, § 9 Abs. 1 in Verb. m. § 10 Abs. 5 des Dienstvertrags enthalte eine wirksame Freitodklausel. Den Klägern stehe kein Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung zu, weil der Versorgungsfall auf einer vorsätzlich herbeigeführten Dienstunfähigkeit beruhe. Außerdem sei die Geltendmachung der Hinterbliebenenversorgung sowohl wegen des Fehlverhaltens des verstorbenen Arbeitnehmers als auch wegen des eigenen Fehlverhaltens der Kläger treuwidrig. Im übrigen hätten die Kläger die Hinterbliebenenversorgung unrichtig berechnet. Das Witwen- und Waisengeld bemesse sich nach dem Ruhegehalt des verstorbenen Arbeitnehmers. Hilfsweise hat der Beklagte mit Schadenersatzansprüchen aufgerechnet.

Das Arbeitsgericht hat den Klägern mit Teilurteil vom 14. März 1985 die Hauptforderungen in vollem Umfang zugesprochen und die Klagen nur hinsichtlich der Zinsen teilweise abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten zwei Teilurteile erlassen. Soweit es der Berechnungsweise der Kläger nicht gefolgt ist, hat es mit rechtskräftigem Teilurteil vom 25. November 1986 die Klagen abgewiesen und die Kläger insoweit nach § 717 Abs. 2 ZPO zur Rückzahlung verurteilt. Mit Teilurteil vom 21. Juni 1989 hat das Landesarbeitsgericht der Klägerin zu 1) von den verbleibenden Beträgen den unpfändbaren Teil der Rente und dem Kläger zu 2) die Rente in voller Höhe zugesprochen. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Den Klägern stehen die ihnen vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Versorgungsansprüche zu.

I. Die Hinterbliebenenversorgung ist durch keine Freitodklausel ausgeschlossen.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Dienstvertrag enthalte zwar eine Freitodklausel, die erforderliche Billigkeitskontrolle führe jedoch zu ihrer Unwirksamkeit. Diese Frage kann im vorliegenden Fall offenbleiben. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts läßt sich dem Dienstvertrag keine Freitodklausel entnehmen.

1. Der Senat kann die Auslegung des Dienstvertrages voll überprüfen, weil sich der Vertragsinhalt aus einer Urkunde ergibt, die dem Revisionsgericht in gleicher Geschlossenheit vorliegt wie dem Landesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 12. Februar 1985 – 3 AZR 183/83 – AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG, zu II 2 a der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Sowohl das Landesarbeitsgericht als auch die Parteien stützen ihre Auslegungen ausschließlich auf den schriftlichen Dienstvertrag und nicht auf weitere, außerhalb der Urkunde liegende Umstände.

2. § 9 Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags ist nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang auf die Hinterbliebenenversorgung nach einem Freitod des Arbeitnehmers nicht anwendbar. Diese Bestimmung schränkt den Versorgungsanspruch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Dienstvertrages ein. § 9 Abs. 1 Satz 1 des Dienstvertrages regelt die Versorgungsbezüge des Arbeitnehmers nach seiner Versetzung in den Ruhestand. Dauernde Versetzung in den Ruhestand kann der Arbeitnehmer entweder nach Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 8 Abs. 1 Buchst. a des Dienstvertrages) oder dann beantragen, wenn er „vor Erreichung dieses Alters infolge körperlicher Gebrechen oder Rückgang seiner körperlichen und geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstobliegenheiten dauernd unfähig geworden ist” (§ 8 Abs. 1 Buchst. b des Dienstvertrags). Nach § 9 des Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags entfällt jedoch der Anspruch des Arbeitnehmers auf Ruhestandsbezüge, wenn die Dienstunfähigkeit auf Vorsatz oder Leichtfertigkeit des Arbeitnehmers zurückzuführen ist. § 9 Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags regelt demnach den Versorgungsfall „Dienstunfähigkeit”, nicht aber den Versorgungsfall „Tod des Arbeitnehmers”. Die Ruhestandsbezüge des Arbeitnehmers werden im Dienstvertrag durchgängig und klar von der Hinterbliebenenversorgung, die in § 10 geregelt ist, unterschieden. Wenn sowohl die Ruhestandsbezüge des Arbeitnehmers als auch die Hinterbliebenenversorgung erfaßt werden sollen, wird dies im Dienstvertrag auch sprachlich unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. So hat nach § 6 Abs. 3 Satz 1 des Dienstvertrags „die Kündigung …, von welcher Seite sie auch ausgesprochen wird, den Verlust jeglicher Ansprüche auf Diensteinkommen einschließlich aller Nebenbezüge, auf Ruhestandsbezüge und Hinterbliebenenversorgung zur Folge”. § 9 Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags beschränkt sich dagegen auf die vorsätzliche oder leichtfertige Herbeiführung der Dienstunfähigkeit und den Wegfall des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Ruhestandsbezüge. Eine entsprechende Vorschrift fehlt für den Fall des Freitodes.

3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann aus § 10 Abs. 5 des Dienstvertrages nicht hergeleitet werden, daß § 9 Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags auch auf die Hinterbliebenenversorgung bei einem Freitod des Arbeitnehmers anzuwenden ist. Nach § 10 Abs. 5 des Dienstvertrags dürfen Witwen- und Waisengeld die Ruhestandsbezüge nicht übersteigen. Tritt dieser Fall ein, werden sie anteilsmäßig gekürzt. § 10 Abs. 5 des Dienstvertrags regelt die Hinterbliebenenversorgung nicht dem Grunde, sondern der Höhe nach. Diese Vorschrift begrenzt lediglich die Gesamtbelastung des Arbeitgebers durch Versorgungsbezüge der Hinterbliebenen eines bestimmten Arbeitnehmers. Sie befaßt sich nicht mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Hinterbliebenenansprüche gänzlich entfallen.

4. Ebensowenig kann der Ansicht des Landesarbeitsgerichts gefolgt werden, die Akzessorietät der Hinterbliebenenversorgung führe zur Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags. Der Versorgungsfall „Dienstunfähigkeit” und der Versorgungsfall „Tod des Arbeitnehmers” sind voneinander zu unterscheiden. Die Versorgungsvereinbarung kann das vom Arbeitgeber zu tragende Versorgungsrisiko bei den verschiedenen Versorgungsfällen unterschiedlich oder übereinstimmend begrenzen. Dies ist eine Frage der Vertragsauslegung und hat mit der Akzessorietät der Hinterbliebenenversorgung nichts zu tun. Akzessorietät der Hinterbliebenenversorgung bedeutet, daß die Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen auf dem Rentenstammrecht des Arbeitnehmers beruhen und von ihm abhängen. Dieser Grundsatz sagt aber nichts darüber aus, welche Versorgungsfälle erfaßt oder ausgeklammert sind. Im vorliegenden Fall bestand eine Versorgungsanwartschaft des Arbeitnehmers im Zeitpunkt seines Todes. In der Versorgungsvereinbarung ist der Freitod nicht als Versorgungsfall ausgenommen worden.

5. Eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 des Dienstvertrags oder eine ergänzende Vertragsauslegung ist nicht möglich. Abgesehen davon, daß der Arbeitgeber die Versorgungszusage mit großer Sorgfalt abfassen muß und Unklarheiten zu seinen Lasten gehen (ständige Rechtsprechung des BAG seit den Urteilen vom 25. Juli 1969 – 3 AZR 73/69 – AP Nr. 2 zu § 242 BGB Ruhegehalt – Unterstützungskassen –, zu 3 c der Gründe und vom 25. Mai 1973 – 3 AZR 405/72 – AP Nr. 160 zu § 242 BGB Ruhegehalt), fehlt eine Vertragslücke. Eine Risikobegrenzung ist nur für die Ruhestandsbezüge des Arbeitnehmers bei Dienstunfähigkeit, nicht aber für die Hinterbliebenenversorgung bei einem Freitod des Arbeitnehmers vorgesehen. Diese unterschiedliche Risikobegrenzung entspricht dem Bestreben des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer eine beamtenähnliche Stellung einzuräumen. Der Beklagte hat selbst vorgetragen, daß er den Arbeitnehmeranteil zur Angestelltenversicherung deshalb übernommen habe, um den Arbeitnehmer in etwa so zu stellen wie einen Staatsbeamten. Während das Ruhegehalt eines Beamten nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG ausgeschlossen sein kann, wenn er sich die Dienstunfähigkeit durch grobes Verschulden zugezogen hat, fehlt eine entsprechende Beschränkung für die Hinterbliebenenversorgungsansprüche (§§ 16 ff. BeamtVG). Sie bestehen auch bei einem Freitod des Beamten.

II. Die Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung sind nicht nach § 9 Abs. 3 Buchst. b des Dienstvertrages erloschen. Wie diese Bestimmung auszulegen ist, kann offenbleiben. Sie ist nur insoweit rechtswirksam, als der Arbeitgeber auch nach den Grundsätzen des Rechtsmißbrauchs keine Versorgungsleistungen erbringen muß (BAG Urteil vom 8. Mai 1990 – 3 AZR 152/88 – AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG Treuebruch = BB 1990, 1910 = DB 1990, 2173 = NZA 1990, 807, zu III 1 der Gründe).

III. Soweit ein Fehlverhalten des verstorbenen Arbeitnehmers und seiner Hinterbliebenen vorliegt, reicht es nicht aus, die Berufung auf die Versorgungszusage als rechtsmißbräuchlich erscheinen zu lassen.

1. Verfehlungen des Arbeitnehmers müssen nach den Umständen des Einzelfalles so schwer wiegen, daß sich die erbrachte Betriebstreue rückwirkend als wertlos erweist (BAGE 32, 139, 147 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu III 1 b der Gründe; 41, 338, 343 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu II der Gründe; Urteil vom 24. April 1990 – 3 AZR 497/88 – BB 1990, 2415 = ZIP 1990, 1615 f. = EWiR 1991, 125, zu II 2 a der Gründe), etwa weil der Arbeitnehmer seine Stellung über lange Zeit dazu mißbraucht hat, den Arbeitgeber zu schädigen (BAGE 32, 139, 147 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu III 1 b der Gründe; Urteil vom 8. Mai 1982 – 3 AZR 152/88 – aaO, zu III 2 der Gründe; BGH Urteil vom 22. Juni 1981 – II ZR 146/80 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu 3 der Gründe), oder weil er die Unverfallbarkeit einer Versorgungsanwartschaft durch Vertuschung schwerer Verfehlungen erschlichen hat (BAGE 41, 338 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; BAG Urteil vom 24. April 1990 – 3 AZR 497/88 – aaO, zu II 2 a der Gründe). Diese Voraussetzungen sind, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

a) Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, daß weder ein Spesenbetrug des verstorbenen Arbeitnehmers noch eine Unterschlagung des Betriebskostenvorschusses bewiesen ist. Diese nicht angegriffene tatsächliche Feststellung des Landesarbeitsgerichts ist für das Revisionsgericht nach § 561 Abs. 2 ZPO bindend.

b) Selbst wenn der verstorbene Arbeitnehmer die ihm unterstellten Güter mangelhaft leitete und dadurch die vom Beklagten behaupteten erheblichen Schäden verursachte, ist das Geltendmachen der Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung nicht rechtsmißbräuchlich.

aa) Ein Rechtsmißbrauch kann weder aus der Schädigung als solcher noch aus der Schadenshöhe allein hergeleitet werden (BAGE 20, 298, 302 = AP Nr. 2 zu § 119 BGB, zu I 2 c der Gründe; BAG Urteil vom 8. Mai 1990 – 3 AZR 152/88 – aaO, zu III 2 der Gründe). Ebensowenig reicht ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung aus. Die Versagung von Versorgungsansprüchen wegen Rechtsmißbrauchs ist weder ein Mittel, jedes pflichtwidrige Verhalten zu sanktionieren, noch dient sie dazu, den pflichtwidrig handelnden Arbeitnehmer zu disziplinieren. Wer sich eine Versorgungsanwartschaft auf ehrliche Weise erdient hat, kann seine Anwartschaft nicht allein durch die Verletzung vertraglicher Pflichten verlieren. Dies würde dem Zweck des § 1 Abs. 1 BetrAVG widersprechen, der die unverfallbare Anwartschaft in den dort beschriebenen Grenzen gewährleistet (BAG Urteil vom 8. Mai 1990 – 3 AZR 152/88 – aaO, zu III 2 a der Gründe; BGH Urteil vom 22. Juni 1981 – II ZR 146/80 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu 3 der Gründe). Der Rechtsmißbrauchstatbestand ist auf Ausnahmefälle beschränkt.

bb) Nach dem Vorbringen des Beklagten bestanden die Hauptfehler des verstorbenen Arbeitnehmers darin, daß er die Entscheidungsbefugnisse der Gutsverwalter zu sehr einengte, sein eigenes Wissen und Können überschätzte, sich über die Hinweise und Warnungen der Gutsverwalter hinwegsetzte und ihm Bewirtschaftungsfehler unterliefen, die er zu vertuschen versuchte. Der Vortrag des Beklagten enthält keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß der verstorbene Arbeitnehmer vorsätzlich Fehlentscheidungen traf. Ihm sind allenfalls fahrlässige Fehlleistungen unterlaufen. Bei der Bewertung dieser Fehlleistungen kann, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Zuständigkeitsbereich des verstorbenen Arbeitnehmers seit seiner Einstellung erheblich ausgeweitet wurde. Auch der Beklagte nahm an, daß der verstorbene Arbeitnehmer hierdurch überfordert wurde, und entband ihn deshalb von der Oberleitung der oberschwäbischen Betriebe. Der verbleibende Zuständigkeitsbereich war immer noch deutlich größer als bei der Einstellung. Der Beklagte wußte, daß der verstorbene Arbeitnehmer ehrgeizig und prestigebewußt war. Auf Selbstüberschätzung und Überaktivität zurückzuführende Leistungsmängel schließen zwar ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht aus, wiegen aber nicht so schwer, daß sie zur Verweigerung der Hinterbliebenenversorgung berechtigen.

cc) Die Vertuschungsversuche des verstorbenen Arbeitnehmers führen zu keiner anderen Beurteilung. Bei ihrer Bewertung sind sowohl die Beweggründe für diesen Pflichtverstoß als auch Art und Ursache des Fehlverhaltens zu berücksichtigen, das verheimlicht werden sollte. Die maßgeblichen Umstände hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, weil er sich auf die rechtsvernichtende Einwendung des Rechtsmißbrauchs beruft. Im vorliegenden Fall kann die Furcht, bei einer Aufdeckung weiterer Fehler entweder eine Herabstufung hinnehmen zu müssen oder sogar mit einem Lebensalter von fast 50 Jahren den Arbeitsplatz zu verlieren, ein entscheidendes Motiv gewesen sein. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist nicht auszuschließen, daß sich der verstorbene Arbeitnehmer zwar in die Enge gedrängt fühlte, jedoch trotz der Vertuschungsversuche bemüht blieb, aus seinen Fehlern zu lernen und sie künftig zu vermeiden.

dd) Der verstorbene Arbeitnehmer hatte sich die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft auch nicht durch Vertuschung eines Kündigungsgrundes erschlichen. Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß sämtliche dem verstorbenen Arbeitnehmer angelasteten Verfehlungen nach Eintritt der Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft liegen.

c) Auch der Abschiedsbrief des verstorbenen Arbeitnehmers enthält keine so schwerwiegenden Verstöße gegen die Treuepflicht, daß eine Berufung der Hinterbliebenen auf die Versorgungszusage rechtsmißbräuchlich erschiene. Es kann offenbleiben, inwieweit die im Abschiedbrief erhobenen Vorwürfe der Wahrheit entsprechen. Ebensowenig muß die Frage vertieft werden, unter welchen Voraussetzungen Beleidigungen und Verleumdungen durch den Arbeitnehmer auch ohne wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers die Verweigerung der zugesagten Hinterbliebenenversorgung rechtfertigen. Selbst wenn sich der verstorbene Arbeitnehmer rächen, durch unberechtigte Vorwürfe dem Arbeitgeber und leitenden Mitarbeitern schaden und sie der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen wollte, müssen die besonderen Umstände berücksichtigt werden, die zu dieser erheblichen Treuepflichtverletzung führten. Die Selbsttötung ist meist eine anomale Kurzschlußhandlung, auch wenn im Zeitpunkt der Selbsttötung keine Unzurechnungsfähigkeit vorliegt. An das Verhalten eines Menschen, der so verzweifelt ist, daß er keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich das Leben zu nehmen, können nicht die üblichen Maßstäbe angelegt werden. Das Landesarbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, daß Inhalt, Diktion und Schriftbild des Abschiedsbriefes die außergewöhnlich erregte Gemütsverfassung seines Verfassers deutlich zeigen. Das situationsgebundende Fehlverhalten anläßlich der Selbsttötung entwertet nicht eine langjährige Betriebstreue so sehr, daß die Geltendmachung der Hinterbliebenenversorgung rechtsmißbräuchlich erschiene.

2. Zwar kann bei einem eigenen Fehlverhalten der Hinterbliebenen die Geltendmachung der Hinterbliebenenversorgung rechtsmißbräuchlich sein. Auch die durch einen Vertrag zugunsten Dritter Begünstigten stehen in einer Rechtsbeziehung zum Schuldner und können sich bei der Durchsetzung ihrer Rechte nicht über die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hinwegsetzen. Der Widerruf der Hinterbliebenenversorgung stellt jedoch – bei allem Verständnis für die Verärgerung des Beklagten – keine rechtlich angemessene Reaktion auf das Schreiben der Kläger vom 20. Juli 1982 dar. Dieser Brief wurde unmittelbar nach Auffinden der Leiche verfaßt; sein Inhalt ist durch den unmittelbaren leidvollen Eindruck des Freitodes des Ehemannes und Vaters bestimmt worden. Dabei handelt es sich um eine einmalige Entgleisung in einer emotional aufgeladenen Ausnahmesituation. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht berücksichtigt, daß die Familie des Verstorbenen nach ruhiger Überlegung nicht an dem Vorwurf im Schreiben vom 20. Juli 1982 festhielt, sondern den Versuch einer Aussöhnung unternahm.

3. Eine Gesamtschau ändert am Ergebnis nichts. Straftaten und vorsätzliche Schädigungen des Arbeitgebers durch den verstorbenen Arbeitnehmer sind nicht bewiesen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts arbeitete der Arbeitnehmer fast 12 Jahre lang pflichtbewußt und engagiert für den Beklagten. Ihm sind allenfalls wegen Selbstüberschätzung, übertriebenen Ehrgeizes und übersteigerten Geltungsbedürfnisses Fehlleistungen unterlaufen, die zu einem hohen Schaden des Beklagten geführt haben können. Eine dem Arbeitnehmer ausweglos erscheinende Situation führte zu seinem tragischen Freitod unter unerfreulichen Begleitumständen und zu einer spontanen einmaligen Überreaktion der Hinterbliebenen. Unter diesen Umständen erweist sich die Betriebstreue des Arbeitnehmers nicht rückblickend als wertlos.

IV. Das Rechenwerk des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden.

1. Das Sterbegeld ist nach § 10 Abs. 1 des Dienstvertrages „in Höhe der Aktivbezüge (ohne Aufwandsentschädigung) des auf den Sterbemonat folgenden Vierteljahres” zu gewähren. Nur bei „Tod im Ruhestand” ist das „zuletzt bezogene Ruhegehalt” maßgebend. Da sich der verstorbene Arbeitnehmer noch nicht im Ruhestand befand, sind die Aktivbezüge zugrunde zu legen.

2. Auch das Witwengeld richtet sich nicht nach dem fiktiven Ruhegehalt des verstorbenen Arbeitnehmers. Das Witwengeld beträgt nach § 10 Abs. 2 des Dienstvertrages „60 v. H. der vom Dienstnehmer erdienten Bezüge (Grundgehalt bzw. Ruhegehalt und Wohnungsgeld)”. § 10 Abs. 2 des Dienstvertrages sieht also in Übereinstimmung mit § 10 Abs. 1 des Dienstvertrages zwei Berechnungsalternativen vor. Stirbt der Arbeitnehmer nach Eintritt in den Ruhestand, so ist sein Ruhegehalt zugrunde zu legen. Stirbt der Arbeitnehmer während der aktiven Dienstzeit, so ist von seinem Grundgehalt auszugehen.

Das Waisengeld beträgt nach § 10 Abs. 3 Satz 1 des Dienstvertrages 20 v. H. des Witwengeldes. Die Bemessungsgrundlagen stimmen also überein.

Dieser Rechtslage entspricht die Berechnung des Landesarbeitsgerichts.

3. Der Beklagte hat die Schätzung der nach § 850 c ZPO unpfändbaren Teile des Witwen- und Waisengeldes durch das Landesarbeitsgericht nicht angegriffen. Sie weist auch keinen Rechtsfehler auf. Das Sterbegeld ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nach § 850 a Nr. 7 ZPO unpfändbar. Soweit die Ansprüche der Kläger unpfändbar sind, ist eine Aufrechnung ausgeschlossen (§ 394 BGB).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Kremhelmer, Paul-Reichart, Dr. Reinfeld

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951881

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