Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbringung baulicher Leistungen unter Wasser

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Fortführung des Rechtsstreits nach Aussetzung gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG; vgl. BAG Beschlüsse vom 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – (AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarif Zuständigkeit) und – 1 ABR 92/89 – (nicht veröffentlicht)

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bau

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 07.04.1987; Aktenzeichen 5 Sa 1336/85)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 04.09.1985; Aktenzeichen 6 Ca 2762/84)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 7. April 1987 – 5 Sa 1336/85 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es die Klage in Höhe von 6.685,55 DM und hinsichtlich der Erledigung der Ansprüche auf Auskunftserteilung ab 1. Juli 1984 abgewiesen hat.

2. Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin (ZVK) ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Die Beklagte betreibt ein Tauchunternehmen, das je nach Auftrag verschiedene Arbeiten unter Wasser ausführt. Seit dem 1. Juli 1984 ist die Beklagte Mitglied des Verbandes Deutscher Taucherei- und Bergungsbetriebe e.V. in Hamburg (Taucherei-Verband), der mit der Gewerkschaft ÖTV am 15. Mai 1981 einen Rahmentarifvertrag für das Taucherei- und Bergungsgewerbe (RTV-Tauchergewerbe) abgeschlossen hat. Über die Einzelheiten der von der Beklagten ausgeführten Tätigkeiten und ihr zeitliches Ausmaß besteht zwischen den Parteien Streit.

Mit ihrer Klage hat die ZVK die Beklagte nach Maßgabe der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes auf Auskunftserteilung über die Zahl der beschäftigten rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, die Höhe der Bruttolohnsumme und die entsprechende Höhe der Beiträge für die Zeit von August 1983 bis Juli 1984 und von November 1984 bis Januar 1985 sowie für den Fall der Nichterfüllung auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen. Außerdem hat die Klägerin die bereits berechneten Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte für den Monat Juli 1983 und die Monate August bis Oktober 1984 sowie Verzugszinsen für das ganze Jahr 1983 verlangt.

Die ZVK hat die Auffassung vertreten, daß der Betrieb der Beklagten vom fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (VTV) im Klagezeitraum von Juli 1983 bis Januar 1985 erfaßt worden sei. Sie hat dazu behauptet, die Arbeitnehmer der Beklagten hätten in diesem Zeitraum arbeitszeitlich überwiegend Sanierungsabeiten an Bauwerken (Brücken, Kraftwerken) unter Wasser ausgeführt, unter Wasser Bauwerke erstellt (Verschalen und Betonieren, Schneide- und Schweißarbeiten) sowie Unterwassersprengungen vorgenommen.

Die ZVK hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.791,67 DM zu zahlen,

2. ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,

2.1. wieviel Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter (RVO) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten August 1983 bis Juli 1984 und November 1984 bis Januar 1985 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden sowie in welcher Höhe die lohnsteuerpflichtige Bruttolohnsumme insgesamt für diese Arbeitnehmer und die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft in den genannten Monaten angefallen sind,

2.2. wieviel technische und kaufmännische Angestellte sowie Poliere und Schachtmeister in den Monaten August 1983 bis Juli 1984 und November 1984 bis Januar 1985 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden und in welcher Höhe Beiträge für die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG in den genannten Monaten angefallen sind.

3. Für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt wird, an die Klägerin folgende Entschädigung zu zahlen:

zu Nr. 2.1 DM 100.200,– zu Nr. 2.2. DM 387,10 Gesamtbetrag DM 100.587,10.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat bestritten, daß arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen ausgeführt worden seien. Die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit sei auf nicht bauliche Leistungen, wie die Aufzeichnung von Unterwasservideos, die Erstellung von Gutachten für Beweissicherungsverfahren bzw. zur Vorbereitung von Brückensanierungen und sonstige Bauhilfsmaßnahmen und Schlammabsaugungen entfallen.

Die Beklagte hat ferner die Auffassung vertreten, daß die Klage ab 1. Juli 1984 schon deshalb unbegründet sei, weil der RTV-Tauchergewerbe als der speziellere Tarifvertrag dem VTV vorgehe.

Das Arbeitsgericht hat nach Beweiserhebung über die bis zum 1. Juli 1984 von der Beklagten ausgeübten Tätigkeiten die Klage abgewiesen.

Dagegen hat die ZVK Berufung eingelegt und in der Berufungsinstanz die Entschädigungssumme um 20 v. H. ermäßigt sowie die Frist zur Auskunftserteilung auf 6 Wochen verlängert. Die ZVK hat ferner den Rechtsstreit bezüglich der Auskunftsklage in der Hauptsache für erledigt erklärt, da die Beklagte nach Eintritt der Rechtshängigkeit die Auskunft erteilt habe. Die ZVK hat demgemäß in der Berufungsinstanz beantragt,

den Rechtsstreit insoweit für erledigt zu erklären, als Auskunft beantragt worden ist und weiter die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.791,67 DM zu zahlen.

Die Beklagte ist der Erledigungserklärung entgegengetreten und hat insoweit vorgetragen, daß sie die Auskünfte lediglich unter Vorbehalt erteilt habe.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der ZVK mit der Begründung zurückgewiesen, daß die ZVK für die Zeit bis einschließlich Juni 1984 nicht habe nachweisen können, daß die Beklagte überwiegend bauliche Leistungen erbracht habe. Für die Zeit ab 1. Juli 1984 hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Klage sei deshalb unbegründet, weil der RTV-Tauchergewerbe als speziellerer Tarifvertrag dem VTV vorgehe. Ob durch die Auskunftserteilung der Beklagten eine Erledigung der Hauptsache eingetreten sei, hat das Landesarbeitsgericht dahinstehen lassen.

Gegen dieses Urteil hat die ZVK Revision eingelegt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Vierten Senat am 16. März 1988 die Klage auf die Zeit ab 1. Juli 1984 beschränkt.

Der Vierte Senat hat mit Beschluß vom 16. März 1988 den Rechtsstreit nach § 97 Abs. 5 ArbGG ausgesetzt. Zur Begründung hat er folgendes ausgeführt:

„Die Entscheidung des Rechtsstreits für den Klagezeitraum ab 1. Juli 1984 hängt von der Feststellung der Tarifzuständigkeit der tarifvertragschließenden Verbände des Rahmentarifvertrages für das Taucherei- und Bergungsgewerbe vom 15. Mai 1981 ab. Ist die Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien dieses Tarifvertrages gegeben, so kann der Betrieb der Beklagten, auch wenn arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen im Zusammenhang mit Taucharbeiten unter Wasser erbracht werden, als Betrieb des „Bautauchergewerbes” nach § 1 Nr. 3 d RTV-Tauchergewerbe unter den fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallen, der als speziellerer Tarifvertrag in diesem Falle den Bautarifverträgen vorgeht.”

Die ZVK hat daraufhin beim Arbeitsgericht Stuttgart die Feststellung beantragt, daß die ÖTV für den Abschluß des RTV-Tauchergewerbe in der Fassung vom 25. Mai 1983 insoweit nicht zuständig war, als dieser gem. § 1 Nr. 3 d Betriebe des Bautauchergewerbes mit dem erläuternden Zusatz: „Hierzu gehören die Betriebe des Baugewerbes, die zur Wirtschaftsgruppe Bauindustrie gehören, in ihren Betrieben jedoch Tauchergruppen unterhalten” in seinen fachlichen Geltungsbereich einbezieht. Dieses Verfahren endete mit Beschluß des Ersten Senats vom 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – (AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit), in dem festgestellt wurde, daß eine Tarifzuständigkeit der ÖTV nicht bestand.

In dem von der ZVK gegen den Tauchereiverband angestrengten Verfahren wurde mit Beschluß des Ersten Senats vom 24. Juli 1990 – 1 ABR 92/89 – (nicht veröffentlicht) festgestellt, daß eine Tarifzuständigkeit dieses Verbandes zum Abschluß des RTV-Tauchergewerbe bestand.

Daraufhin hat die ZVK beantragt, das ausgesetzte Revisionsverfahren wieder aufzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils, soweit es die Klage hinsichtlich der Beitragsansprüche für die Monate August, September und Oktober 1984 in Höhe von 6.685,55 DM und hinsichtlich der Feststellung der Erledigung der Ansprüche auf Auskunftserteilung für die Monate Juli, November und Dezember 1984 und Januar 1985 abgewiesen hat. Insoweit war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage für die Zeit ab 1. Juli 1984 mit der Begründung abgewiesen, daß der RTV-Tauchereigewerbe als der speziellere Tarifvertrag den Bautarifen vorgehe und die Beklagte deshalb weder zur Beitragszahlung noch zur Auskunftserteilung verpflichtet sei.

Mit dieser Begründung kann die Klage jedoch nicht abgewiesen werden. Durch den Beschluß des Ersten Senats vom 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – (AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit) ist bindend festgestellt, daß die ÖTV für den Abschluß des RTV-Tauchereigewerbes nicht tarifzuständig war. Da dieser Tarifvertrag somit nicht rechtswirksam zustandegekommen ist, bestand für die Zeit ab 1. Juli 1984 keine Tarifkonkurrenz zu den Bautarifverträgen. Demgemäß ist entscheidungserheblich, ob der Betrieb der Beklagten für den nunmehr allein noch streitigen Klagezeitraum vom betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen VTV erfaßt wurde.

II. Dies kann vom Senat nicht abschließend entschieden werden, so daß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt, wenn arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten ausgeführt werden, die in den Tätigkeitsbeispielen des § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV genannt sind oder die unter die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale des § 1 Abs. 2 Abschnitt I bis III VTV fallen (BAGE 55, 67 = AP Nr. 79 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Dazu hat die ZVK behauptet, daß im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend Sanierungsarbeiten an Bauwerken unter Wasser ausgeführt, Unterwasserbauwerke erstellt sowie Unterwassersprengungen vorgenommen worden seien. Dieser Sachvortrag ist hinsichtlich der in § 1 Abs. 2 Abschnitt II VTV aufgeführten Tätigkeiten schlüssig. Nach dieser tariflichen Bestimmung werden vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt:

„Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.”

Die tarifliche Bestimmung enthält keine Einschränkung in bezug auf die Erstellung, Instandsetzung oder Beseitigung von Bauwerken, die sich unter Wasser befinden. Deshalb werden vom betrieblichen Geltungsbereich insoweit auch Baubetriebe erfaßt, die bauliche Leistungen durch Taucher unter Wasser ausführen.

2. Ob der Betrieb der Beklagten derartige Arbeiten in der Zeit ab 1. Juli 1984 arbeitszeitlich überwiegend ausgeführt hat, muß das Landesarbeitsgericht noch feststellen. Die Beklagte hat den entsprechenden Sachvortrag der ZVK bestritten und ihrerseits behauptet, daß überwiegend Taucharbeiten, wie die Aufzeichnung von Unterwasservideos, die Erstellung von Gutachten für Beweissicherungsverfahren bzw. zur Vorbereitung von Brückensanierungen und sonstigen Bauhilfsmaßnahmen und Schlammabsaugungen durchgeführt worden seien. Diese Tätigkeiten fallen nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV.

Das Landesarbeitsgericht hat Feststellungen über die betriebliche Tätigkeit der Beklagten für die Zeit ab 1. Juli 1984 nicht getroffen, sondern seine Beweiswürdigung ausdrücklich auf die Zeit bis 30. Juni 1984 beschränkt. Deshalb sind, gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien, vom Landesarbeitsgericht noch Feststellungen für den nunmehr allein noch streitigen Zeitraum zu treffen.

3. Das Landesarbeitsgericht wird ferner über den Antrag der ZVK auf Feststellung der Erledigung der Auskunftsansprüche für die Monate Juli, November und Dezember 1984 und Januar 1985 zu entscheiden haben.

Der insoweit von der ZVK gestellte Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache, dem die Beklagte entgegengetreten ist, ist nur dann begründet, wenn die Klage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war (vgl. BAG Urteil vom 14. April 1971 – 4 AZR 201/70 – AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Dies hängt zum einen von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Tarifgebundenheit der Beklagten ab. Zum anderen ist zwischen den Parteien streitig, ob durch die Auskunftserteilung der Beklagten im Jahre 1985 der Auskunftsanspruch erfüllt wurde, so daß das Landesarbeitsgericht gegebenenfalls noch entsprechende Feststellungen zu treffen hat.

III. Über die Kosten der Revision ist vom Landesarbeitsgericht mit zu entscheiden.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Stabenow, Wolf

 

Fundstellen

Dokument-Index HI916081

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