Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug nach Kündigung

 

Orientierungssatz

Wird im Regelfall von einem Verzugseintritt über § 296 BGB ausgegangen, so kann durch die Erkrankung des Arbeitnehmers die kalendermäßige Bestimmbarkeit des Zeitpunkts der Mitwirkungshandlung entfallen, wenn der Zeitpunkt der Gesundung unklar ist. In diesem Fall wird sie erst durch die Gesundmeldung des Arbeitnehmers wieder hergestellt.

 

Normenkette

BGB §§ 296, 615

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 14.10.1987; Aktenzeichen 7 Sa 802/87)

ArbG Köln (Entscheidung vom 19.06.1987; Aktenzeichen 2 Ca 3119/87)

 

Tatbestand

Die Klägerin arbeitete seit dem 2. Juni 1986 bei der Beklagten als Bürogehilfin zu einem monatlichen Bruttogehalt von 1.700,-- DM. Vom 27. November bis 6. Dezember 1986 war sie arbeitsunfähig krank. Ihre Erkrankung hatte sie der Beklagten umgehend durch Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 27. November 1986 angezeigt.

Mit Schreiben vom 29. November 1986 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und fügte dem Kündigungsschreiben die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Bemerken bei:

"Ihre Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 27. November 1986

sende ich Ihnen zu meiner Entlastung zurück. Leiten Sie

es an Ihre Krankenkasse weiter."

Die Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit zeigte die Klägerin der Beklagten nicht an.

Die am 9. Dezember 1986 erhobene Kündigungsschutzklage, mit der die Klägerin auch die Weiterbeschäftigung verlangte, wurde der Beklagten am 13. Dezember 1986 zugestellt.

Am 19. Januar 1987 schlossen die Parteien im Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1986 endete. Die Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung einer Nettoabfindung von 1.700,-- DM und dazu, das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember 1986 "ordnungsgemäß finanziell abzuwickeln".

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin Gehalt für Dezember 1986. Sie ist der Auffassung, eines Arbeitsangebotes nach Wiedererlangung ihrer Gesundheit habe es nicht bedurft, da die Beklagte durch Rücksendung der Krankmeldung zu erkennen gegeben habe, sie nicht mehr beschäftigen zu wollen. Sie hat außerdem geltend gemacht, sie habe sich bei der Beklagten telefonisch über die weitere Behandlung der Angelegenheit erkundigt, wobei ihr gesagt worden sei, sie solle sich nicht mehr sehen lassen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.700,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie hat sich darauf berufen, die Klägerin habe ihre Leistung nicht in der gebotenen Form angeboten, insbesondere ihre Arbeitsfähigkeit nicht angezeigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, und zwar für die Zeiträume vom 1. bis 6. Dezember 1986 als Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall (§ 616 Abs. 2 BGB) und vom 13. bis 31. Dezember 1986 aus § 615 Satz 1 BGB.

Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, soweit sich die Verurteilung auf den - rechnerisch unstreitigen - Betrag von 1.041,93 DM für die Zeit vom 13. bis 31. Dezember 1986 bezieht. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin begehrt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht der zugesprochene Anspruch für den Zeitraum vom 13. bis 31. Dezember 1986 zu.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergebe sich nicht bereits aus Ziff. 2 des Vergleiches. Die Formulierung "ordnungsgemäß finanziell abwickeln" verweise auf die bestehende Rechtsordnung, wonach ohne Arbeitsleistung ein Lohnanspruch nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 615 Satz 1 BGB in Betracht komme. Diese seien erfüllt, denn das Arbeitsangebot der Klägerin gemäß § 295 BGB liege in der Erhebung der Kündigungsschutzklage, mit der sie auch Weiterbeschäftigung verlangt habe.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nur im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Die Auslegung des Vergleichs durch das Berufungsgericht begegnet revisionsrechtlich keinen Bedenken.

a) Die Auslegung einer atypischen Willenserklärung ist für das Revisionsgericht nur beschränkt daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB verletzt, gegen Denk- oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sind, außer acht gelassen hat (BAG Urteil vom 17. April 1970 - 1 AZR 302/69 - AP Nr. 32 zu § 133 BGB; BAGE 22, 424, 426 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB; BAGE 33, 119 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhausvertrag).

b) Das angefochtene Urteil hält diesem beschränkten Prüfungsmaßstab stand. Die Auslegung des Berufungsgerichts ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Vergleichswortlaut, sie ist jedoch in sich widerspruchsfrei und vom Sinn des Begriffes "ordnungsgemäß" her möglich. Mit der Formulierung "ordnungsgemäß finanziell abwickeln" könnten die Parteien zwar auch die bloße Abführung von Steuern und Sozialabgaben hinsichtlich eines ansonsten unstreitigen Dezemberentgelts gemeint haben, denn mit diesem Inhalt wäre der Vergleich geeignet gewesen, den Streit der Parteien endgültig beizulegen. Wenn die Parteien jedoch übereinstimmend von einer Erfüllungsverpflichtung der Beklagten betreffend den Monat Dezember ausgegangen wären, hätte es nahegelegen, dies durch eine klare, der Höhe nach konkrete Anspruchsformulierung zu dokumentieren.

2. Soweit das Berufungsgericht für den fraglichen Zeitraum die Voraussetzungen des § 615 Satz 1 BGB für gegeben erachtet hat, kann ihm in der rechtlichen Begründung weitgehend nicht gefolgt werden.

a) Die Qualifizierung des Weiterbeschäftigungsanspruches als wörtliches Angebot der Klägerin ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Schaub, ZIP 1981, 347, 348). Es kommt jedoch für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites hierauf nicht an. Es kann daher auch dahinstehen, ob das Berufungsgericht damit entgegen der herrschenden Meinung (vgl. BAG Urteile vom 18. August 1961 - 4 AZR 132/60 - AP Nr. 20 zu § 615 BGB; 26. August 1971 - 2 AZR 301/70 - AP Nr. 26 zu § 615 BGB und vom 27. Januar 1975 - 5 AZR 404/74 - AP Nr. 31 zu § 615 BGB) zum Ausdruck bringen wollte, die Kündigungsschutzklage allein sei als Angebot nicht ausreichend.

b) Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Bundesarbeitsgericht habe eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, seine Arbeitsfähigkeit anzuzeigen, bisher nur für Fälle angenommen, in denen der Verzug gemäß § 296 BGB ohne wörtliches Angebot begründet werde, ist unzutreffend. Sie beachtet nicht die ständige Rechtsprechung vor dem Senatsurteil vom 9. August 1984 - 2 AZR 374/83 - AP Nr. 34 zu § 615 BGB - (Urteile vom 26. August 1971 und 27. Januar 1975, jeweils aa0; vgl. auch Urteile vom 24. Februar 1981 - 6 AZR 334/78 - nicht veröffentlicht und vom 23. Juni 1981 - 6 AZR 1034/78 - nicht veröffentlicht).

c) Ebenso ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, § 297 BGB verlange für ein wirksames Leistungsangebot im Sinne von § 295 BGB lediglich die objektive Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers, nicht aber, daß diese in dem Angebot zum Ausdruck gebracht werde, in dieser Allgemeinheit nicht richtig.

aa) Zuzustimmen ist ihr für den Regelfall, in dem kein Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Schuldners besteht. Die positiven Tatbestandsvoraussetzungen des Verzugslohnanspruches sind in §§ 293 - 296 BGB normiert. Dazu gehört der Hinweis auf die Leistungsfähigkeit nicht. § 297 BGB enthält eine Einwendung, deren tatbestandliche Voraussetzungen der Gläubiger darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat (allgemeine Ansicht vgl. BAG Urteil vom 18. August 1961 - 4 AZR 132/60 - AP, aa0; Senatsurteil vom 30. April 1987 - 2 AZR 299/86 - nicht veröffentlicht).

bb) Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Schuldners bestehen (Eisemann, Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 19, 33, 47; Blomeyer, Anm. zu BAG AP Nr. 26 und 31 zu § 615 BGB; BAGE 46, 234, 244 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB, zu B II 5 der Gründe; Urteil vom 30. April 1987, aa0). Das ergibt sich aus der Doppelfunktion des Angebotes, das nicht nur die Leistungsbereitschaft zu manifestieren, sondern auch den Beginn des Annahmeverzuges klarzustellen hat (Blomeyer, aa0; BAGE 46, 234, 245 = AP, aa0; Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 189/87 - nicht veröffentlicht). Auch das Landesarbeitsgericht geht offenbar davon aus, ein Angebot im Zustande der Arbeitsunfähigkeit erfülle die zweite Funktion nicht.

cc) Das gilt aber auch für ein Angebot, das nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erfolgt, diese Tatsache aber nicht erkennen läßt. Es hält den Arbeitgeber im Unklaren darüber, ob er weiterhin mit Lohnfortzahlungs- oder mit Verzugslohnansprüchen rechnen muß.

Auch wenn für den Regelfall von einem Verzugseintritt über § 296 BGB ausgegangen wird, kann durch die Erkrankung des Arbeitnehmers die kalendermäßige Bestimmbarkeit des Zeitpunkts der Mitwirkungshandlung entfallen, wenn der Zeitpunkt der Gesundung unklar ist. In diesem Fall wird sie erst durch die Gesundmeldung des Arbeitnehmers wieder hergestellt.

Weder die Erhebung der Kündigungsschutzklage noch die Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsanspruchs allein können die Klarstellungsfunktion der Genesungsanzeige erfüllen, denn beide geben über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers keinen Aufschluß.

c) Geht das Berufungsgericht somit teilweise von unzutreffenden rechtlichen Erwägungen aus, so kann das Urteil nach dem festgestellten Sachverhalt dennoch mit anderer Begründung aufrecht erhalten werden (§ 563 ZPO).

aa) Der Einwand der Beklagten, sie sei über das Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht informiert worden, ist rechtsmißbräuchlich und daher unbeachtlich, weil sie durch die Zurücksendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Schreiben vom 29. November 1986 auf weitere Folgebescheinigungen und insbesondere auf die Anzeige des Endes der Arbeitsunfähigkeit konkludent verzichtet hat. Das ist vorliegend anzunehmen, wie der Senat abschließend selbst entscheiden kann, da die Auslegung allein aus dem Inhalt des vom Berufungsgericht durch Bezugnahme im Tatbestand zitierten Kündigungsschreibens in Verbindung mit der Rücksendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzunehmen ist und besondere Umstände des Einzelfalles, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, ausscheiden (BAG Urteile vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 418/55 - AP Nr. 6 zu § 550 ZPO; vom 4. März 1961 - 5 AZR 169/60 - AP Nr. 21 zu § 611 BGB Gratifikation; vom 12. September 1985 - 2 AZR 324/84 - AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung und vom 25. Juni 1987 - 2 AZR 504/86 - nicht veröffentlicht). Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin der Beklagten später nochmals telefonisch ihre Arbeit unter Hinweis auf ihre Gesundung angeboten hat.

bb) Das Kündigungsschreiben enthält zwar keinen ausdrücklichen Verzicht auf die Anzeige der Arbeitsfähigkeit. Im Zusammenhang mit einer fristlosen Kündigung kann die Rücksendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Aufforderung, sie an die Krankenkasse weiterzuleiten, jedoch nur als unbedingtes, über den Einzelfall hinausgehendes fehlendes Interesse der Beklagten am Gesundheitszustand der Klägerin verstanden werden. Es stellt geradezu eine Aufforderung dar, die Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Zukunft zu unterlassen. Da die Rechtsordnung nicht die Abgabe sinnloser Erklärungen verlangt, tritt in einem solchen Falle der Annahmeverzug nach § 296 BGB mit dem Eintritt der Gesundung des Arbeitnehmers ein, ohne daß es einer solchen aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers überflüssigen Anzeige bedürfte (vgl. Konzen, Anm. zu BAG AP Nr. 34 und 35 zu § 615 BGB). Die Beklagte handelt darüber hinaus arglistig, wenn sie der Klägerin ein Unterlassen vorwirft, das sie selbst veranlaßt hat, um sich so gegen den Verzugslohnanspruch zu verteidigen.

cc) Das Schreiben der Beklagten kann außerdem auch als ernsthafte und endgültige Ablehnung der Arbeitsleistung i. S. der ständigen Rechtsprechung des Senats ausgelegt werden (BAGE 28, 233, 245 = AP Nr. 8 zu § 103 BetrVG 1972; BAGE 46, 234, 244 f. = AP, aa0; Urteil vom 11. Juli 1985 - 2 AZR 106/84 - NZAM 87, 57). Auch dies führt zur Verzichtbarkeit der Gesundmeldung.

Die endgültige Ablehnung der Arbeitsleistung ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung (vgl. Soergel/Wiedemann, BGB, 11. Aufl., § 295 Rz 15 für die Ablehnung i. S. des § 295 BGB). Ihr Vorliegen ist daher entsprechend §§ 133, 157 BGB aus der Sicht des Empfängers zu prüfen (Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl., § 133 Anm. 4 c, m. w.N.).

Das Schreiben der Beklagten bezieht sich seinem Wortlaut nach zwar nicht auf die Arbeitsleistung der Klägerin. Die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ist aber die Voraussetzung der Arbeitsleistung. Daher bringt ein Arbeitgeber, der auf die Kenntnis dieses Umstandes verzichtet, zum Ausdruck, daß er den Arbeitnehmer in Zukunft unabhängig von dessen Gesundheitszustand keinesfalls mehr beschäftigen will.

3. Die Beklagte ist somit allein durch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin in Annahmeverzug geraten, ohne daß es einer Anzeige bedurfte.

Hillebrecht Triebfürst Ascheid

Dr. Kirchner Dr. Wolter

 

Fundstellen

Haufe-Index 438206

RzK, I 13b Nr 10 (ST1-2)

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