Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung für versicherungsfreie Studierende

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zu der Sache 6 AZR 501/95 (zur Veröffentlichung bestimmt)

 

Normenkette

BGB § 242; GG Art. 3 Abs. 1; BAT § 3 Buchst. n; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 3; BeschFG §§ 2, 6

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.06.1995; Aktenzeichen 3 Sa 35/95)

ArbG Reutlingen (Urteil vom 12.01.1995; Aktenzeichen 1 Ca 536/94)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. Juni 1995 – 3 Sa 35/95 – aufgehoben.

2. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 12. Januar 1995 – 1 Ca 536/94 – wird zurückgewiesen.

3. Das beklagte Land trägt auch die Kosten der Berufung und der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 Anwendung findet.

Der Kläger ist Student der Medizin und seit dem 1. Oktober 1993 als Pflegehelfer bei dem beklagten Land im Klinikum der Universität Tübingen beschäftigt. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt 25 % der Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten (rund 9,6 Stunden wöchentlich). In § 3 des Arbeitsvertrags heißt es:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den §§ 611630 des Bürgerlichen Gesetzbuches und dem Bundesurlaubsgesetz … und den diese Bestimmungen ändernden und ergänzenden Rechtsvorschriften.

Weiter gelten für das Arbeitsverhältnis die §§ 4–10, 13, 14, 18, 22, 23, 23 a, 26, 27, 28, 29, 30, 33, 34, 36 Abs. 1–6, 38, 42, 58–61, 66 und 70 des … BAT … in der jeweils geltenden Fassung …”

Der Kläger ist als ordentlicher Studierender nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V versicherungsfrei. Dadurch, daß der BAT nicht vollständig auf sein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, entstehen ihm in Bezug auf Urlaubsanspruch, Urlaubsgeld, Schichtzulage und Freistellungsanspruch nach § 15 a BAT Nachteile. Mit anderen Angestellten, die in gleichem Umfang wie er zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, vereinbart das beklagte Land regelmäßig die Anwendung des BAT in seiner vollständigen Fassung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf Gleichbehandlung mit den nichtstudierenden Arbeitnehmern, die im gleichen Umfang wie er beschäftigt sind. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmergruppen, wenn sie nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Solche lägen nicht vor. Weder seine soziale Lage als Student noch die für die Nebentätigkeit eines Studenten bestehende Versicherungsfreiheit berechtigten zur Differenzierung.

Der Kläger hat, soweit dies für die Revisionsinstanz erheblich ist, beantragt:

Es wird festgestellt, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien seit 1. Oktober 1993 durchgängig der BAT in der jeweils geltenden Fassung Anwendung gefunden hat und weiterhin Anwendung findet.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sei nach § 3 Buchst. n BAT vom Geltungsbereich des BAT ausgeschlossen.

Sachlicher Grund sei nicht nur die Versicherungsfreiheit, sondern auch, daß es sich hier um eine Nebenbeschäftigung handele, die neben der durch das Studium vorgegebenen Hauptbeschäftigung ausgeübt werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei unzulässig. Sie betreffe kein Rechtsverhältnis, sondern eine Rechtsfrage, die nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein könne. Auch in der Sache habe die Klage keinen Erfolg. Der Kläger werde als versicherungsfreier Studierender nicht vom persönlichen Geltungsbereich des BAT erfaßt. Darin liege kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Den Tarifvertragsparteien stehe es frei, für die Nebenbeschäftigung Studierender eine eigenständige Regelung zu treffen, um den beiderseitigen Interessen und den Eigenarten solcher Beschäftigungsverhältnisse Rechnung zu tragen.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.

1. Die Klage ist zulässig.

Der Feststellungsantrag des Klägers betrifft ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Frage der Geltung eines Tarifvertrags zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden (BAG Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92BAGE 71, 68, 71 = AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost, zu B I der Gründe, m.w.N.). Daran ändert sich im Gegensatz zur Auffassung des beklagten Landes nichts dadurch, daß bereits ein Teil des Tarifvertrags, nämlich die in § 3 des Arbeitsvertrags genannten Bestimmungen des BAT, kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung gilt. Trotzdem ist ungeklärt, ob der Tarifvertrag mit all seinen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist.

2. Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. § 242 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) einen Anspruch auf Anwendung des BAT in seiner vollständigen und jeweiligen Fassung ab dem 1. Oktober 1993.

a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage sachfremd schlechterstellt. Bildet der Arbeitgeber Gruppen von begünstigten und benachteiligten Arbeitnehmern, muß diese Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen (vgl. BAG Urteil vom 25. April 1995 – 3 AZR 446/94 – AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 19. April 1995 – 10 AZR 136/94 – AP Nr. 172 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 2 a der Gründe). Daran fehlt es hier.

b) Nach den für den Senat maßgebenden Feststellungen vereinbart das beklagte Land mit teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die ein wöchentliches Arbeitsvolumen von 25 % der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten (rund 9,6 Stunden) schulden und weder studieren noch die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung erfüllen, die Anwendung des BAT. Dadurch, daß nach dem Arbeitsvertrag nur einzelne Bestimmungen des BAT gelten sollen, wird der Kläger gegenüber diesen Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt. Während diese alle tarifvertraglichen Leistungen beanspruchen können, steht dem Kläger nur ein Teil derselben zu. Er ist somit benachteiligt, denn entsprechende oder günstigere einzelvertragliche Vereinbarungen, die an die Stelle der ausgesparten Tarifregelungen treten, sind nicht festgestellt oder behauptet.

c) Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung liegt nicht vor.

Zu Unrecht beruft sich das beklagte Land darauf, daß § 3 Buchst. n BAT die Unterscheidung erlaube. Diese Bestimmung ist wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam, soweit sie Studierende, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V versicherungsfrei sind, vom Geltungsbereich des BAT ausnimmt. §§ 2, 6 BeschFG schließen dieses Ergebnis nicht aus (vgl. BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

aa) Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (BVerfGE 21, 362, 372 = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO, zu B II 3 a der Gründe). Er ist auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten. Art. 9 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Mit der Tarifautonomie ist den Tarifvertragsparteien die Macht verliehen, wie ein Gesetzgeber Rechtsnormen zu setzen. Dementsprechend müssen sie sich auch wie der Gesetzgeber an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG halten. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt vor, wenn im wesentlichen gleichliegende Sachverhalte ohne sachlich einleuchtenden Grund unterschiedlich behandelt werden (BVerfGE 25, 198, 205; 25, 314, 321; 49, 280, 283). Ein sachlich einleuchtender Grund dafür, innerhalb der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten für die Tarifgeltung darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer versicherungsfreier Studierender ist oder nicht, ist nicht ersichtlich.

bb) § 3 Buchst. n BAT betrifft Teilzeitarbeitsverhältnisse, die nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien als alleinige Existenzgrundlage nicht ausreichen. Dies ergibt sich aus der Protokollnotiz zu § 3 Buchst. n BAT. Danach sind nebenberuflich tätig i.S. dieser Tarifnorm Angestellte mit einer arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden, die ihre Angestelltentätigkeit neben einer hauptberuflichen Erwerbstätigkeit ausüben. Zu Unrecht meint das beklagte Land unter Berufung hierauf, der Kläger übe als Student eine Nebenbeschäftigung aus, die neben der durch das Studium vorgegebenen Hauptbeschäftigung wahrgenommen werde. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt nicht die unterschiedliche Behandlung.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Urteil vom 1. November 1995 (– 5 AZR 84/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) seine bisherige Rechtsprechung, nach der Teilzeitarbeit schlechter bezahlt werden dürfe als Vollzeitarbeit, wenn der Teilzeitarbeitnehmer einen Hauptberuf ausübe und dadurch eine gesicherte Existenzgrundlage habe (vgl. BAGE 66, 17 = AP Nr. 8 zu § 2 BeschFG 1985; BAGE 70, 48 = AP Nr. 19 zu § 1 BeschFG 1985), aufgegeben hat. Einer Stellungnahme zu dieser neuen Rechtsprechung bedarf es nicht. Bei einem Studierenden kann von einer Haupttätigkeit im Sinne der aufgegebenen Rechtsprechung ohnehin keine Rede sein. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt kann, um i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V versicherungsfrei zu sein, immer nur eine Teilzeitbeschäftigung von nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich sein (vgl. Hauck/Haines, SGB V, Stand: März 1996, K § 6 Rz 66). Studierende mögen regelmäßig Ansprüche auf Unterhalt oder auf Leistungen nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes haben. Diese Leistungen gewähren aber grundsätzlich keine gesicherte Existenzgrundlage. Studierende sind deshalb in aller Regel auf ihren Verdienst aus Nebentätigkeit wirtschaftlich angewiesen. Daß die Dinge bei dem Kläger anders gelegen hätten, ist weder festgestellt noch behauptet worden.

cc) Als sachlicher Grund kann auch nicht die für die Nebentätigkeit von Studenten bestehende Versicherungsfreiheit angesehen werden. Zu Recht hat der Dritte Senat im Urteil vom 7. März 1995 (– 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 d gg der Gründe) ausgeführt, die im Sozialversicherungs- und Steuerrecht getroffenen Differenzierungen verfolgten öffentlich-rechtliche Zwecke und seien dort unmaßgeblich, wo auf die arbeitsrechtliche Bedeutung und Zielsetzung abgestellt werden müsse. Es handele sich um unterschiedliche, miteinander nicht zu vergleichende Rechtsgebiete. Dies gilt auch hier. Ein sachlicher Grund dafür, einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer deshalb, weil er wegen seiner mit dem Arbeitsverhältnis nicht in Zusammenhang stehenden Eigenschaft als Student in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei ist, gegenüber einem anderen Teilzeitbeschäftigten mit gleicher Arbeitszeit unterschiedlich zu behandeln, ist nicht ersichtlich.

d) Ist damit der Ausschluß der versicherungsfreien teilzeitbeschäftigten Studierenden vom Geltungsbereich des BAT wegen Fehlens einer sachlichen Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam, kann das beklagte Land für die individualrechtliche Behandlung des Klägers nicht auf das Ordnungssystem des BAT als Differenzierungsgrund verweisen. Das beklagte Land hat den BAT entsprechend seiner Handhabung gegenüber den anderen Teilzeitbeschäftigten auch auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger anzuwenden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Soltau, Augat

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093153

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