Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusatzurlaub für Minderbehinderte nach dem Saarländischen Gesetz Nr. 186

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Saarländischen Gesetzes Nr. 186 verstößt nicht gegen Bundesrecht. Weder das Bundesurlaubsgesetz noch das Schwerbeschädigten-/Schwerbehindertenrecht des Bundes steht dem landesrechtlichen Zusatzurlaubsanspruch für Minderbehinderte (Grad von 25 bis unter 50) entgegen. Das Landesgesetz verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG.

2. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Zusatzurlaub nach § 1 Abs. 2 des Landesgesetzes bedarf nicht des Vorbringens, daß die Behinderung des Arbeitnehmers auf einer Kriegs- oder Unfallbeschädigung beruht. Es genügt die Darlegung einer Behinderung von mindestens 25 v.H. und ihre gutachterliche Bestätigung durch das Staatliche Gesundheitsamt (teilweise Aufgabe und Klarstellung zu BAG Urteil vom 8. März 1994 - 9 AZR 91/93 - AP Nr. 2 zu § 1 Saarland Zusatzurlaub).

 

Normenkette

Saarländisches Gesetz Nr. 186 betreffend Regelung des Zusatzurlaubes für kriegs- und unfallbeschädigte Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft vom 22. Juni 1950 i.d.F. des Gesetzes vom 30. Juni 1951 § 1 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Saarland (Urteil vom 28.05.1996; Aktenzeichen 3 Sa 12/96)

ArbG Saarlouis (Urteil vom 14.12.1995; Aktenzeichen 2 Ca 90/95)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 12.03.1999; Aktenzeichen 1 BvR 222/98)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 28. Mai 1996 - 3 Sa 12/96 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Anspruch der Kläger auf Zusatzurlaub.

Die Kläger sind seit 1969 bei der Beklagten als gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt. Sie sind freigestellte Betriebsratsmitglieder. Beide sind nach den Feststellungen des Versorgungsamtes erwerbsgemindert mit einem Grad von 30, der Kläger zu 1. mit Wirkung zum 1. Januar 1988, der Kläger zu 2. mit Wirkung zum 27. September 1983. Die Erwerbsminderung wurde vom Staatlichen Gesundheitsamt für den Kläger zu 1. aufgrund eines ärztlichen Gutachtens vom 28. Oktober 1983 und für den Kläger zu 2. aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens vom 3. Oktober 1983 bestätigt. Die Behinderungen sind nicht Folge einer Kriegsverletzung oder eines Arbeitsunfalls. Am 24. November 1988/11. November 1983 hat die Hauptfürsorgestelle den Klägern die Erwerbsminderung bescheinigt. Es heißt dort weiter:

"Gemäß Gesetz betr. Regelung des Zusatzurlaubes für kriegs- und unfallbeschädigte Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft vom 22.06.1950 (Amtsbl. S. 452) und 06.07.1953 (Amtsbl. S. 440) ist ihm ein Zusatzurlaub vom drei Tagen zu gewähren. Herr ... wird in der beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung vorliegenden Liste unter Nr. ... geführt."

Die Beklagte gewährte den Klägern seitdem drei Tage Zusatzurlaub.

Das Saarländische Gesetz lautet:

"§ 1(1) Zu dem nach den Vorschriften des Gesetzes oder des Tarifvertrages zustehenden Urlaub wird nachfolgender Zusatzurlaub gewährt:

1. Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 bis ausschließlich 50 v.H. 3 Arbeitstage

2. Schwerbeschädigten mit einer Erwerbsminderung von 50 bis ausschließlich 60 v.H. 4 Arbeitstage

3. Schwerbeschädigten mit einer Erwerbsminderung von 60 v.H. und mehr 6 Arbeitstage

4. Für die anerkannten Opfer des Nationalsozialismus 3 Arbeitstage.

(2) Diese Regelung gilt auch für Erwerbsbeschränkte, die aufgrund eines ärztlichen Gutachtens des Staatlichen Gesundheitsamtes den Kriegs- und Unfallbeschädigten gleichgestellt sind. Der Minister für Arbeit und Wohlfahrt stellt die Liste des in Frage kommenden Personenkreises auf.

§ 2...

§ 3

Die Durchführungsbestimmungen erläßt der Minister für Arbeit und Wohlfahrt."

Am 5. Dezember 1994 erteilte die Hauptfürsorgestelle jedem der Kläger einen mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid, wonach er "hiermit" den Kriegs- und Unfallbeschädigten gleichgestellt werde. Die Beklagte hat den beantragten Zusatzurlaub für 1995 verweigert. Diesen haben die Kläger mit ihrer im Februar 1995 erhobenen Klage verlangt.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, den Klägern auf der Grundlage des saarländischen Gesetzes Nr. 186 betreffend Regelung des Zusatzurlaubes für kriegsund unfallbeschädigte Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft vom 22. Juni 1950 i.d.F. vom 30. Juni 1951 drei Tage Zusatzurlaub für das Jahr 1995 zu gewähren.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Gewährung von 2,5 Tagen Zusatzurlaub verurteilt und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Kläger bitten um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Zusatzurlaub.

I. Nach § 1 Abs. 1 Nr.1 des Saarländischen Gesetzes zum Zusatzurlaub wird Kriegs- und Unfallbeschädigten ein Zusatzurlaub von drei Arbeitstagen gewährt, wenn ihre Erwerbsfähigkeit um 25 bis ausschließlich 50 v.H. gemindert ist. Diese Regelung gilt nach § 1 Abs. 2 des Landesgesetzes auch für Erwerbsbeschränkte, die aufgrund eines ärztlichen Gutachtens des Staatlichen Gesundheitsamtes den Kriegs- und Unfallbeschädigten gleichgestellt sind.

Die Kläger haben für das Jahr 1995 diesen Anspruch erworben. Sie sind durch die Bescheide der Hauptfürsorgestelle vom 5. Oktober 1994 förmlich den Kriegs- und Unfallbeschädigten gleichgestellt worden. Die Bescheide beruhen auf ärztlichen Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes, in denen die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit jeweils 30 v.H. bewertet wird.

II. Die Regelung des Zusatzurlaubs für die sog. Minderbehinderten ist nicht verfassungswidrig. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.

1. Das Landesgesetz verstößt mit der hier streitigen Regelung nicht gegen Bundesrecht.

a) Das Schwerbehindertengesetz gehört mit seinen arbeitsvertraglichen Vorschriften zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Art. 74 Nr. 12 GG. Gleiches gilt für das Urlaubsrecht als Teil des Arbeitsrechts (BVerfGE 7, 342, 348 = AP Nr. 2 zu § 1 UrlaubsG Hamburg). Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund sperrt die Gesetzgebungsbefugnis der Länder. Entgegenstehende Landesgesetze werden aufgehoben (Art. 31 GG).

Die Sperrwirkung des Bundesrechts tritt nur ein, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis durch ein Bundesgesetz Gebrauch macht, das den betreffenden Gegenstand abschließend und erschöpfend regelt. Ob eine bundesrechtliche Regelung eine bestimmte Materie erschöpft, ist durch eine Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes zu ermitteln. Die Kodifizierung eines bestimmten Rechtsgebietes läßt noch keinen Schluß auf eine erschöpfende Regelung zu (BVerfGE 56, 110, 119).

b) Der Bund hat auf dem Gebiet des Urlaubsrechts für Minderbehinderte bisher von seinem Gesetzgebungsrecht nicht mit Sperrwirkung gegenüber den Ländern Gebrauch gemacht.

aa) Für das durch das Bundesurlaubsgesetz vom 8. Januar 1963 abschließend geregelte Recht des Erholungsurlaubs ergibt sich das unmittelbar aus der gesetzlichen Öffnungsklausel des § 15 Abs. 2 BUrlG. Danach gelten die landesrechtlichen Bestimmungen über den Urlaub für solche Arbeitnehmer weiter, die geistig oder körperlich in ihrer Erwerbsfähigkeit behindert sind.

bb) Gleiches gilt für das Behindertenrecht. Keines der von dem Bund erlassenen Gesetze hat das Saarländische Landesgesetz verdrängt.

(1) Das Schwerbeschädigtengesetz vom 16. Juni 1953 (BGBl. I S. 389 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 1961 BGBl. I S. 1234), ist durch Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes vom 3. Juli 1961 (BGBl. I S. 857, 863) im Saarland eingeführt worden. Das Zusatzurlaubsgesetz gehört nicht zu den in Art. 5 aufgeführten aufgehobenen Saarländischen Gesetzen. Es wird auch nicht von § 44 Abs. 2 Nr. 3 SchwBeschG erfaßt, mit dem alle von den Ländern nach dem 8. Mai 1945 erlassenen Rechtsvorschriften zur Änderung und Ergänzung des Schwerbeschädigtengesetzes vom 12. Januar 1923 außer Kraft gesetzt wurden. Denn das Landesgesetz ergänzt nicht das Schwerbeschädigtenrecht. Es stellt vielmehr eine zusätzliche Urlaubsregelung für den betroffenen Personenkreis zu dem damals im Saarland geltenden Urlaubsrecht dar.

(2) Weder das Schwerbeschädigtengesetz vom 16. Juni 1953 noch das Schwerbeschädigtengesetz vom 29. April 1974 (BGBl. I S. 1006) haben das Urlaubsrecht der Behinderten abschließend geregelt. Entgegen der Auffassung der Revision enthält auch das Schwerbehindertengesetz vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421) keine abschließenden Bestimmungen über die arbeitsrechtlichen Leistungen zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile. Den Gesetzen läßt sich auch nicht entnehmen, daß der Bund mit dem Anspruch aufgetreten ist, diese Materie abschließend und erschöpfend zu regeln. Denn die Bundesgesetze beschränken sich grundsätzlich auf Regelungen für die Gruppe der Schwerbeschädigten/Schwerbehinderten, also auf Arbeitnehmer mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 v.H.

(3) Die in § 2 der jeweiligen Gesetze vorgesehene Möglichkeit der Gleichstellung von Minderbehinderten mit einem Grad von mindestens 30 v.H. bewirkte weder nach § 34 SchwBeschG 1961, noch nach § 44 SchwbG 1974 oder § 47 SchwbG 1986 einen Anspruch auf Zusatzurlaub. Ein Verbot landesrechtlicher Einräumung eines Zusatzurlaubes läßt sich wegen der nur partiellen Regelung nicht erkennen.

Die Beklagte verkennt den unterschiedlichen Regelungsgegenstand der Gleichstellung der Minderbehinderten nach § 2 Abs. 1 SchwbG und der Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 des Landesgesetzes. Nach § 2 Abs. 1 SchwbG ist ein Minderbehinderter gleichzustellen, wenn er infolge seiner Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann. Bezweckt wird damit die Beschaffung oder die Erhaltung des Arbeitsplatzes; maßgebend sind arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Gründe. Wie der Zusatzurlaub nach § 47 SchwbG dient demgegenüber auch der Zusatzurlaub nach dem Landesgesetz dem Gesundheitsschutz. Er ist an keine weiteren Voraussetzungen als an die vom Staatlichen Gesundheitsamt bestätigte Erwerbsminderung von mindestens 25 v.H. gebunden. Dieser Unterschied wird bereits in § 4 der Durchführungsbestimmung vom 1. April 1952 (Amtsblatt S. 452) hervorgehoben. Danach bewirkt die Gleichstellung nach dem Landesgesetz keine Gleichstellung im Sinne von § 8 SchwBeschG 1923.

(4) Es kommt hinzu, daß der Bund auch den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nicht abschließend geregelt hat. Denn nach § 47 Satz 2 SchwbG bleiben tarifliche, betriebliche und sonstige Urlaubsregelungen für Schwerbehinderte, die einen längeren Zusatzurlaub vorsehen, unberührt. Mit dieser Öffnungsklausel auch für weitergehende landesgesetzliche Bestimmungen ist die Annahme, der Bund habe die Länder hinsichtlich einer Urlaubsregelung für Minderbehinderte sperren wollen, nicht vereinbar.

(5) Der Vorrang des Bundesrechts läßt sich entgegen der Revision auch nicht mit der Kürzung des Schwerbehinderten-Zusatzurlaubs von sechs auf fünf Arbeitstage durch die Novellierung des Schwerbehindertengesetzes vom 24. Juli 1986 begründen. Die Gesetzesänderung bezweckte nicht die Entlastung der zur Urlaubsgewährung verpflichteten Arbeitgeber. Vielmehr diente die Herabsetzung des Urlaubsanspruchs von sechs Arbeitstagen im Jahr (§ 44 SchwbG 1974) auf fünf Arbeitstage (§ 47 SchwbG 1986) der Anpassung des Zusatzurlaubs an die Einführung der Fünf-Tage-Woche.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Zusatzurlaubsgesetz weder unklar noch unbestimmt. Solange eine gesetzliche Regelung mit den herkömmlichen juristischen Methoden auslegungsfähig ist, ist ihre Reichweite feststellbar und der Inhalt damit verbindlich. Zweifelsfragen sind von den Gerichten zu klären (BVerfGE 77, 1, 51; 83, 130, 145).

Der Zusatzurlaub für die in der saarländischen Privatwirtschaft beschäftigten Behinderten ist in zwei Schritten eingeführt worden. Zunächst wurden, wie die Überschrift verdeutlicht, ausschließlich Behinderte berücksichtigt, deren Behinderung auf Kriegs- oder Unfallfolgen beruhten (§ 1 Abs. 1). Mit dem Gesetz vom 30. Juni 1951 (Amtsblatt S. 979) wurde die Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 eingeführt und damit der Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer erweitert. Für die Auslegung der in ihrem Wortlaut unverändert gebliebenen Bestimmungen ist die Rechtslage zur Zeit des jeweiligen Inkrafttretens des Gesetzes maßgeblich. Sein Geltungsbereich ist danach nicht zweifelhaft.

Mit dem erfaßten Personenkreis der Kriegs- und Unfallbeschädigten, der Unterscheidung zwischen Beschädigten und Schwerbeschädigten sowie zwischen Erwerbsbeschränkten und der Minderung der Erwerbsfähigkeit stellt das Landesgesetz auf die 1950/1951 im Saarland geltenden reichsgesetzlichen Bestimmungen ab, damit auf das Schwerbeschädigtengesetz von 1923 (RGBl. I S. 57), die Ausführungsverordnung zum Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 73), die Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 100) und die Bestimmungen des Unfallversicherungsrechts. Die Merkmale der Bemessung der Behinderung bestimmen sich nach den Festlegungen des früheren Reichsversicherungsamtes.

Auslegungsfähig und damit hinreichend klar ist auch die Gleichstellungsregelung von § 1 Abs. 2 des Landesgesetzes. Der Kreis der Begünstigten ist abgesteckt. Unter "Erwerbsbeschränkten" sind alle Erwerbsgeminderten in der Privatwirtschaft zu verstehen. Durch die Bezugnahme des § 1 Abs. 2 auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes wird gleichzeitig bestimmt, daß nicht jede Erwerbsbeschränkung ausreicht, sondern daß ein Behinderungsgrad von mindestens 25 v.H. erreicht sein muß. Die von dem Staatlichen Gesundheitsamt hierfür zugrundezulegenden Merkmale ergeben sich aus dem Behindertenrecht. Weitere materielle Voraussetzungen sind für die Gleichstellung nicht zu erfüllen. Rechtsfolge der vom Amtsarzt bestätigten Erwerbsminderung ist der Anspruch auf die Gewährung von Zusatzurlaub.

Soweit der Neunte Senat in seinem Urteil vom 8. März 1994 (- 9 AZR 91/93 - AP Nr. 2 zu § 1 Saarland ZusatzurlaubsG) entschieden hat, das Gesetz gelte (abgesehen von den Opfern des Nationalsozialismus) nur für kriegs- und unfallbeschädigte Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft, so wird daran in dieser Allgemeinheit nicht festgehalten. Der Senat hat nicht hinreichend zwischen den Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 und § 1 Abs. 2 des Landesgesetzes unterschieden. Nach § 1 Abs. 1 entsteht der Anspruch auf Zusatzurlaub für Beschäftigte in der Privatwirtschaft, wenn die Behinderung Folge einer Kriegs- oder Unfallbeschädigung ist. Dieses ist darzulegen und ggf. zu beweisen. Dagegen ist nach § 1 Abs. 2 nur erforderlich, daß eine Beschädigung vorliegt und diese Beschädigung durch ein Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes festgestellt oder bestätigt wird. Der Anspruch nach § 1 Abs. 2 setzt damit nicht voraus, daß die Beschädigung ursächlich auf Kriegs- oder auf Unfallfolgen beruht. Darzulegen und ggf. zu beweisen ist damit lediglich die Tatsache einer Behinderung von mindestens 25 v.H. und die amtsärztliche Bestätigung der Behinderung und ihres Grades.

Ob es eines förmlichen Verwaltungsaktes zur Gleichstellung bedarf, oder ob, wie das Landesarbeitsgericht meint, die Gleichstellung nach § 1 Abs. 2 ebenso "automatisch" bewirkt wird wie die Anspruchsberechtigung der Kriegs- und Unfallbeschädigten nach § 1 Abs. 1, kann offenbleiben. Beide Kläger sind förmlich gleichgestellt.

3. Die weitere Rüge der Revision, die Kläger seien deshalb nicht ordnungsgemäß gleichgestellt im Sinne von § 1 Abs. 2 des Landesgesetzes, weil dessen Durchführungsbestimmungen nicht auf verfassungsmäßiger Grundlage beruhten, ist unbegründet.

Art. 104 Abs. 1 der Landesverfassung Saarland bestimmt wie Art. 80 Abs. 1 GG, daß die Exekutive ermächtigt werden kann, Rechtsverordnungen zu erlassen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung müssen im Gesetz bestimmt werden. Außerdem ist in der Verordnung die Rechtsgrundlage anzugeben, auf der sie beruht. Vorkonstitutionelle Gesetze und Verordnungen brauchen diesen formellen Anforderungen nicht zu entsprechen. Es genügt, daß sie materiell hinreichend bestimmt sind. So liegt es hier.

Die zum 17. Dezember 1947 in Kraft getretene Landesverfassung vom 15. Dezember 1947 (Amtsblatt S. 1077) enthielt eine dem Art. 104 Landesverfassung Saarland vergleichbare Regelung nicht. Das Zusatzurlaubsgesetz von 1950/1951 brauchte damit den formellen Anforderungen von Art. 104 Abs. 1 Saarländischer Landesverfassung nicht zu genügen. Materiell sind Inhalt, Ausmaß und Zweck der Zusatzurlaubsgewährung im Landesgesetz selbst geregelt. Es bestimmt den betroffenen Personenkreis, legt die Anspruchsvoraussetzungen und die Rechtsfolge fest. Sowohl die begünstigten Arbeitnehmer als auch die belasteten Arbeitgeber können aus dem Gesetz ersehen, mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die danach erlassenen Bestimmungen haben können. Deshalb kommt es entgegen der Revision nicht darauf an, daß die zweite Durchführungsbestimmung vom 6. Juli 1953 (Amtsblatt S. 440) dem Staatlichen Gesundheitsamt aufgibt, für den Grad der Erwerbsbeschränkung auf die Beschäftigungsart des Arbeitnehmers abzustellen, während sowohl die erste Durchführungsbestimmung vom 1. April 1952 (Amtsblatt S. 452) wie auch die Durchführungsbestimmung vom 1. Juni 1989 (Amtsblatt S. 1471) auf die Beeinträchtigungen im allgemeinen Erwerbsleben abstellen. Unerheblich ist deswegen auch, daß in den Durchführungsbestimmungen auf die Definitionen des jeweils geltenden Behindertenrechts abgestellt wird. Nachdem die Kläger durch die Bescheide der Hauptfürsorgestelle vom 5. Dezember 1994 förmlich den Kriegs- und Unfallbeschädigten im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Urlaubsgesetzes gleichgestellt worden sind, kommt es auf mögliche Rechtsmängel der zweiten Durchführungsbestimmung ohnehin nicht an.

4. Bedenken gegen die Gleichstellung ergeben sich auch nicht aus der fehlenden Beteiligung des durch den Zusatzurlaub betroffenen Arbeitgebers an dem Verfahren. Die Rechtslage entspricht insoweit dem Recht des Schwerbehinderten, seine Schwerbehinderung festzustellen zu lassen (vgl. BSG Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 3/84 - AP Nr. 1 zu § 3 SchwbG).

5. Der Anspruch der Kläger auf Zusatzurlaub für das Jahr 1995 ist mit Ende des Kalenderjahres untergegangen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte in Leistungsverzug (§ 284 Abs. 1 BGB), weil die Kläger den Urlaub rechtzeitig verlangt hatten. Für die Unmöglichkeit der Erfüllung des Urlaubsanspruchs ist sie verantwortlich. Sie hat daher Zusatzurlaub als Schadenersatz zu gewähren (§§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1, 287 Satz 2, 249 Satz 1 BGB, vgl. z.B. BAG Urteile vom 28. November 1990 - 8 AZR 570/89 BAGE 66, 288 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Übertragung; vom 17. Januar 1995 - 9 AZR 664/93 - AP Nr. 66 zu § 7 BUrlG Abgeltung).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Leinemann Düwell Reinecke Fox Klosterkemper

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 27.05.1997 durch Klapp, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436540

BB 1998, 380

FA 1998, 68

NZA 1998, 649

RdA 1998, 123

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