Entscheidungsstichwort (Thema)

Überstundenvergütung für Orchestermusiker

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anordnung der nach § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 und 3 TVK im Ausgleichszeitraum zulässigen durchschnittlichen wöchentlichen Höchstzahl von Diensten eines Musikers setzt voraus, daß Größe und Aufgaben des Kulturorchesters eine Arbeitsleistung dieses Umfangs erfordern (§ 15 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 TVK). Dies gilt auch nach dem Ende einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Musikers für die restlichen Wochen eines Ausgleichszeitraums. Unzulässig ist die Anordnung der Höchstzahl wöchentlicher Dienste zum Zwecke der Nachholung krankheitsbedingt ausgefallener Arbeitszeit.

 

Normenkette

Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 i.d.F. vom 5. Oktober 1988 §§ 15-16, 18, 21; BGB § 612; AZO §§ 3, 15

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 02.04.1992; Aktenzeichen 13 Sa 847/91)

ArbG Darmstadt (Urteil vom 12.03.1991; Aktenzeichen 4 Ca 163/90)

 

Tenor

  • Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. April 1992 – 13 Sa 847/91 – aufgehoben.
  • Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Kläger verlangen von dem beklagten Land die Zahlung von jeweils 480,-- DM als Vergütung für Dienste, die sie als Orchestermusiker geleistet haben.

Die Kläger gehören der Instrumentengruppe der ersten Geigen am H… Staatstheater D… an und sind Mitglieder der Deutschen Orchestervereinigung e.V. in der DAG. Kraft beiderseitiger Tarifbindung findet auf die Arbeitsverhältnisse der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 i.d.F. vom 5. Oktober 1988 Anwendung.

In § 15 TVK ist die dienstliche Inanspruchnahme wie folgt geregelt:

(2) Die Anzahl der Dienste des Musikers richtet sich nach der Größe und den Aufgaben des Kulturorchesters. Der Musiker ist verpflichtet, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen bzw. bei Konzertorchestern von zwölf Kalenderwochen – nachfolgend Ausgleichszeitraum genannt – wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten. Enthält ein Ausgleichszeitraum zahlenmäßig überwiegend Aufführungen von Werken, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen sind, hat der Musiker in diesem Ausgleichszeitraum im Durchschnitt wöchentlich höchstens sieben Dienste zu leisten.

Die Ausgleichszeiträume sind aufeinanderfolgende Zeiträume. Der erste Ausgleichszeitraum beginnt mit dem ersten Montag nach dem Ende der Theater- bzw. Konzertferien. An den dem ersten Ausgleichszeitraum vorangehenden Tagen und an den dem letzten Ausgleichszeitraum nachfolgenden Tagen werden die Dienste anteilig berechnet.

(3) Der Musiker darf in einer Kalenderwoche unbeschadet des Satzes 2 nicht zu mehr als neun Diensten herangezogen werden. In jedem Ausgleichszeitraum kann der Musiker in zwei voneinander getrennten Kalenderwochen zu je zehn Diensten herangezogen werden. In der jeweils nachfolgenden Kalenderwoche, auch wenn sie dem nächsten Ausgleichszeitraum angehört, ist der Musiker zu höchstens acht Diensten verpflichtet …”

In dem Ausgleichszeitraum vom 23. Oktober bis zum 17. Dezember 1989 waren der Kläger P… vom 20. November bis zum 3. Dezember 1989 und der Kläger Qu… vom 23. Oktober bis zum 19. November 1989 arbeitsunfähig erkrankt. In der Woche vom 4. bis zum 10. Dezember 1989 leisteten beide Kläger jeweils 10 Dienste, obwohl die Belastung der 9 Mitglieder der Instrumentengruppe der Kläger in dieser Woche durchschnittlich nur 7,2 Dienste pro Musiker betrug. In der daran anschließenden Woche leisteten die Kläger bei einer Durchschnittsbelastung von 6,3 Diensten pro Musiker jeweils 8 Dienste.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die infolge Arbeitsunfähigkeit ausgefallenen Dienste seien mit 8 pro Woche zu veranschlagen. Damit komme der Kläger P… bei im Ausgleichszeitraum tatsächlich geleisteten 52 und 16 ausgefallenen Diensten auf insgesamt 68 Dienste. Für den Kläger Qu… ergebe sich die gleiche Anzahl, da er 36 Dienste tatsächlich geleistet habe und 32 Dienste ausgefallen seien. Die Kläger haben gemeint, das beklagte Land habe sie nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit über die tariflich zulässige Höchstzahl von 64 Diensten hinaus herangezogen. Es habe sich dadurch die Einstellung von Aushilfskräften erspart. Das beklagte Land müsse daher die vier über die Höchstdienstzahl hinaus geleisteten Dienste vergüten, und zwar jeweils mit dem Betrag, den es an Aushilfskräfte für eine Probe zahle. Dies seien 120,-- DM.

Die Kläger haben beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger zu 1) und den Kläger zu 2) jeweils 480,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 8. Mai 1990 zu zahlen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Arbeitseinsatz der Kläger nach Beendigung ihrer Arbeitsunfähigkeit habe sich in den tarifvertraglich zulässigen Grenzen gehalten. Ein Rechtsanspruch auf einen zeitlichen Einsatz, der die durchschnittliche Inanspruchnahme aller Musiker einer bestimmten Instrumentengruppe nicht überschreite, bestehe nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Klagen stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision bittet das beklagte Land um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Kläger Zurückweisung der Revision beantragen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, jeder Kläger sei vergütungsrechtlich so zu behandeln, als habe er in dem Ausgleichszeitraum vom 23. Oktober bis 17. Dezember 1989 4 Dienste über die nach § 15 Abs. 2 TVK zulässige Höchstzahl von 64 Diensten hinaus geleistet. Die Tarifnorm sei so auszulegen, daß jede wegen Arbeitsunfähigkeit ohne Dienstleistung gebliebene Kalenderwoche im Ausgleichszeitraum mit 8 Diensten zu veranschlagen sei. Daher seien beiden Klägern in dem genannten Ausgleichszeitraum jeweils 68 Dienste zu vergüten. Nach § 612 Abs. 1 und 2 BGB hätten sie somit Anspruch auf restliche Bezahlung von jeweils 4 Diensten. Die Vergütung betrage pro Dienst 120,-- DM, weil dies der Betrag sei, den das beklagte Land einer Aushilfe für eine Probe vergüte.

II. Diese Ausführungen des angefochtenen Urteils halten der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nicht stand. Der Rechtsstreit ist ohne weitere tatrichterliche Feststellungen weder dem Grunde noch der Höhe nach entscheidungsreif.

1. Ob die Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Bezahlung der weiteren jeweils vier Dienste haben, die sie in dem Ausgleichszeitraum vom 23. Oktober bis 17. Dezember 1989 geleistet haben, kann der Senat aufgrund der getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entscheiden.

a) Die Anzahl der wöchentlichen Dienste, die der Musiker schuldet, richtet sich nach § 15 Abs. 2 Satz 1 TVK. Danach kommt es für die Anzahl der zu leistenden Dienste auf die Größe und die Aufgaben des Kulturorchesters an. Die in § 15 Abs. 2 und 3 TVK folgenden tariflichen Bestimmungen enthalten Arbeitszeithöchstgrenzen und verfolgen somit den Zweck, den Musiker vor Überforderung zu schützen. Sie beschreiben jedoch nicht das Maß der wöchentlich geschuldeten Arbeitsleistung; diese ergibt sich allein aus § 15 Abs. 2 Satz 1 TVK. Dies hat das Berufungsgericht verkannt.

b) Für die Frage, welche Einsatzmöglichkeiten dem Arbeitgeber nach längerer Arbeitsunfähigkeit des Musikers für den Rest des Ausgleichszeitraums verbleiben, kommt es zunächst auf den Dienst- oder Einsatzplan an, falls ein solcher besteht. Aus ihm ist festzustellen, wieviele Dienste der Musiker im Ausgleichszeitraum bisher geleistet hat und wieviele Dienste durch Arbeitsunfähigkeit ausgefallen sind. Daraus ergibt sich, mit welcher Zahl von Diensten der Musiker in den letzten Wochen des Ausgleichszeitraums bis zur Höchstzahl von 64 Diensten noch belastet werden darf. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit ist somit nicht ohne weiteres die Höchstzahl der zulässigen Dienste von acht pro Woche anzusetzen, wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen hat. Wurde der Musiker in den Wochen der Arbeitsunfähigkeit zu weniger Diensten als der tariflich zulässigen wöchentlichen Höchstzahl eingeteilt, kann die Ausschöpfung der Höchstzahl für die letzten beiden Wochen tarifrechtlich zulässig sein. Dieser Einsatz unter Ausschöpfung der Höchstzahl ist jedoch nach der Grundregel des § 15 Abs. 2 Satz 1 TVK nur zulässig, wenn und soweit “Größe und Aufgaben” des Orchesters einen Einsatz dieses Umfangs rechtfertigen. Nicht zulässig ist die Ausschöpfung zum Zwecke der Nachholung durch Arbeitsunfähigkeit ausgefallener Arbeitszeit. Das Recht des Arbeitgebers, in den beiden letzten Wochen des Ausgleichszeitraums zehn und acht Dienste anzuordnen, setzt voraus, daß hierfür die tariflichen Voraussetzungen der Grundregel des § 15 Abs. 2 Satz 1 TVK vorliegen. Dabei ist die Anzahl der Dienste für jeden Musiker individuell zu bestimmen. Darauf, daß die anderen Musiker in den Wochen zwischen dem 4. und dem 17. Dezember 1989 im Durchschnitt weniger gearbeitet haben als die Kläger, kommt es nicht an, wenngleich dies das beklagte Land zwingen wird, substantiiert darzulegen, warum die Kläger mehr arbeiten mußten als die anderen Mitglieder ihrer Instrumentengruppe.

c) Das beklagte Land hat bisher nicht dargelegt, zu wievielen Diensten die Kläger während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit eingeteilt waren oder worden wären. Deshalb ist nicht feststellbar, ob nach der Höchstgrenzenregelung (§ 15 Abs. 2 und Abs. 3 TVK) der für den Rest des Ausgleichszeitraums tatsächlich erfolgte Einsatz (zehn und acht Dienste) tarifrechtlich überhaupt in Betracht zu ziehen war. Außerdem hat das beklagte Land keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, daß Größe und Aufgaben des Orchesters den erfolgten Einsatz der Kläger im restlichen Ausgleichszeitraum erforderten.

Das Landesarbeitsgericht wird dem beklagten Land Gelegenheit geben müssen, seinen Vortrag zu ergänzen.

2. Sofern die Kläger tarifrechtlich nicht zulässige Überarbeit geleistet haben, haben sie Anspruch auf Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB. Nach dieser Bestimmung gilt eine Vergütung als vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Tariflich nicht zulässige Überarbeit ist nach den Grundsätzen gesetzlich unzulässiger Mehrarbeit zu vergüten (vgl. BAG Urteil vom 12. Mai 1982 – 4 AZR 510/81 – BAGE 38, 383, 392 = AP Nr. 20 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; Senatsurteile vom 17. September 1987 – 6 AZR 560/84 – AP Nr. 32 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 1 der Gründe; vom 19. Dezember 1991 – 6 AZR 72/90 – nicht veröffentlicht; vom 13. August 1992 – 6 AZR 22/91 – nicht veröffentlicht).

Das Landesarbeitsgericht hat dies nicht geprüft, weil es rechtsfehlerhaft den Klägern den Betrag zugesprochen hat, den das beklagte Land einer Aushilfe für eine Probe vergütet. Es wird diese Prüfung nachholen müssen.

Die Parteien haben einzelvertraglich keine Regelung getroffen, wie tarifwidrig vom beklagten Land angeordnete Dienste zu vergüten sind. Auch im TVK fehlen jegliche Anhaltspunkte, wie solche Dienste abzugelten sind. In § 21 TVK ist nur bestimmt, wie sich die Normalvergütung eines Musikers zusammensetzt, mit der die tariflich zulässigen Dienste nach § 15 Abs. 2 und 3 TVK abgegolten werden. Ebenso kommt der Rückgriff auf die Regelungen über die wöchentliche und die tägliche Arbeitszeit, die sich in anderen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes befinden, nicht in Betracht, weil darin ein unzulässiger Eingriff in die Rechtssetzungsautonomie der Tarifvertragsparteien des TVK läge (BAG Urteil vom 21. März 1984 – 4 AZR 375/83 – BAGE 45, 238 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag).

Deshalb geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß nur die Grundsätze des in der AZO geregelten staatlichen Arbeitszeitrechts heranzuziehen sind (BAG Urteile vom 19. Dezember 1991 – 6 AZR 72/90 – und vom 13. August 1992 – 6 AZR 22/91 – beide unveröffentlicht). Da die AZO auch auf die Arbeitsverhältnisse der Musiker in Kulturorchestern Anwendung findet (vgl. § 18 TVK), ist dies möglich und führt zur Gewinnung brauchbarer Kriterien (vgl. BAGE 45, 238 – AP, aaO). Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sind die Höchstarbeitszeiten der AZO zugrundezulegen. Dazu zählen die Sechstagewoche und der Achtstundentag (§ 3 AZO), wobei die Sechstagewoche auch aufgrund tariflicher Regelung (§ 16 Abs. 1 TVK) für die Musiker in Kulturorchestern gilt. Auf dieser Grundlage ist rechnerisch von einem Achtstundentag der betroffenen Musiker auszugehen, so daß die mit 1/30 des Grundgehaltes ermittelten Tagesgagen nochmals durch 8 zu dividieren sind, um eine Stundenvergütung zu errechnen. Ausgehend von der dienstlichen Inanspruchnahme für höchstens 8 Dienste pro Woche (§ 15 Abs. 2 TVK) wäre für die vier von den Klägern geleisteten Dienste eine Vergütung von einer halben Arbeitswoche, also 3 Tage, zugrundezulegen. Hinzuzurechnen ist in entsprechender Anwendung von § 15 Abs. 2 AZO ein Zuschlag von 25 % (vgl. BAG Urteil vom 13. August 1992 – 6 AZR 22/91 – nicht veröffentlicht).

III. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dörner, Dr. Armbrüster Dr. Gehrunger

Ehrenamtlicher Richter Hilgenberg ist aus dem Richteramt ausgeschieden und daher an der Unterschriftsleistung gehindert

Dr. Peifer

 

Fundstellen

Haufe-Index 848148

BB 1994, 292

NZA 1994, 708

ZUM 1995, 62

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