Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachteilsausgleich als Nettobetrag

 

Orientierungssatz

Grundsätzlich sind Zahlungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer Bruttozahlungen. Der Arbeitnehmer trägt gemäß § 38 Abs 2 EStG die Steuerlast für die Bezüge aus nicht selbständiger Tätigkeit einschließlich der Sachbezüge. Außerdem hat er die Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung selbst zu tragen. Hiervon abweichende Vereinbarungen müssen ausdrücklich und eindeutig getroffen werden bzw den dahingehenden Willen klar erkennen lassen. Auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen können Vereinbarungen enthalten, die dem Arbeitgeber die für bestimmte Zahlungen entrichteten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge auferlegen. Es muß aber hinreichend deutlich erkennbar sein, daß ausnahmsweise eine abweichende Regelung gewollt war.

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen

Landesarbeitsgerichts vom 7. Juli 1998 - 5 Sa 1158/97 - wird

zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung eines Nachteilsausgleichs als Nettobetrag.

Die Klägerin war bei der Beklagten im Geschäftsbereich Werke in C. beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis ging mit Wirkung zum 1. Februar 1996 im Wege des Betriebsübergangs auf die Dienstleistungs- und Verkehrsmanagement Gesellschaft (dvm) bzw. Bahnreinigungsgesellschaft (BRG) über. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin findet der Tarifvertrag zur Sicherung der nach § 613 a BGB zur dvm Deutsche Verkehrsdienstleistungs- und Management GmbH oder einer Mehrheitsbeteiligung davon übergehenden Arbeitnehmer (SiTV-dvm) idF vom 1. Mai 1995 Anwendung. Dieser lautet idF vom 1. Mai 1995 auszugsweise:

"§ 3

Sozialleistungen

(1) § 23 Abs. 1 bis 5 RSTV gilt entsprechend.

(2) Für die zur dvm GmbH Übergehenden, die innerhalb von 3 Monaten nach dem Übergang einen Arbeitsvertrag mit der dvm GmbH schließen, bildet die DB AG einen Fonds zur pauschalen Abgeltung von Nachteilen, wie unter anderem:

- Auslaufen der Freifahrtregelung,

- Wegfall von Fahrpreisermäßigungen,

- geänderte Arbeitszeit,

- längere Anfahrtswege,

- Befristung des Wohnrechts in Wohnungen mit

Belegungsrecht der DB AG.

Die Verteilung des Betrags nach Satz 1 wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.

Protokollnotiz:

Die DB AG zahlt in den Fonds nach § 3 für jeden Arbeitnehmer, der

zur dvm GmbH übergeht und innerhalb von 3 Monaten nach dem

Übergang einen Arbeitsvertrag mit der dvm GmbH schließt, einen

Betrag, der das Zweifache der jährlichen Nachteile, höchstens

jedoch 8.000,00 DM, ausgleicht.

Ein sich aus dem Fonds ergebender Abfindungsbetrag wird vier

Monate nach dem Betriebsübergang gezahlt."

In der ab dem 1. August 1996 geltenden Fassung heißt es:

"§ 3

Sozialleistungen

(1) § 24 Abs. 1 bis 5 RSTV gilt entsprechend.

(2) Für die zur dvm GmbH Übergehenden, die innerhalb von 3

Monaten nach erstmaligem Angebot eines Arbeitsvertrags durch

die dvm GmbH einen Arbeitsvertrag mit der dvm GmbH schließen,

bildet die DB AG einen Fonds zur pauschalen Abgeltung von

Nachteilen, wie unter anderem:

...

Protokollnotiz:

Die DB AG zahlt in den Fonds nach § 3 für jeden Arbeitnehmer, der

zur dvm GmbH übergeht und innerhalb von 3 Monaten nach dem

erstmaligen Angebot eines Arbeitsvertrages seitens der dvm GmbH

einen Arbeitsvertrag mit der dvm GmbH schließt, einen Betrag, der

das Zweifache der jährlichen Nachteile, höchstens jedoch 8.000,00

DM, ausgleicht."

Die Betriebsvereinbarung Nr. 05/1995 zum Betriebsübergang von Reinigungs- und Wachkräften/Regelung sozialer Leistungen (dvm-Vereinbarungen/Sozialleistungen) zwischen der Leitung der DB AG/Geschäftsbereich Werke/Werk C. und dem Betriebsrat bestimmt:

"§ 3

Leistungen

1. Aus dem Fonds zur pauschalen Abgeltung von Nachteilen

erhält jede/jeder zur dvm übergehende

Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer einen Betrag in Höhe von 8.000,00

DM gezahlt. Damit sind die gemäß § 3 (2) des SiTV-dvm

genannten Nachteile abgegolten.

..."

Von den in § 3 SiTV-dvm genannten Nachteilen ist die Klägerin von der geänderten Arbeitszeit, 40 statt 38 Stunden pro Woche, betroffen.

Die BRG Mitteldeutsche Bahnreinigung GmbH rechnete mit der Lohnabrechnung für April 1996 8.000,00 DM brutto als "DB AG Nachteilsausgleich" ab und unterwarf diesen Betrag bei den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit als sonstigen Bezug in vollem Umfang der Lohnsteuer. Von dem Gesamtbruttobetrag für April 1996 von 10.164,50 DM brachte die Beklagte Steuern in Höhe von 1.963,25 DM und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 2.063,40 DM sowie 145,05 DM Solidaritätszuschlag in Abzug und zahlte der Klägerin einen Gesamtnettobetrag in Höhe von 5.992,80 DM aus. Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 7. Juni 1996 die Auszahlung der von dem Nachteilsausgleich einbehaltenen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Nachteilsausgleich als Nettobetrag zu zahlen. Soweit Steuern und Sozialabgaben entrichtet werden müßten, habe die Beklagte diese zu tragen. Den Formulierungen des Tarifvertrags und der Betriebsvereinbarung sei zu entnehmen, daß die ungekürzte Auszahlung des genannten Betrages beabsichtigt gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Bezeichnung der Zahlung als Abfindungsbetrag und als Sozialleistung, da sowohl Abfindungen als auch Sozialleistungen grundsätzlich steuerfrei seien. Da die Klägerin von den 8.000,00 DM erst 4.288,27 DM erhalten habe, müsse die Beklagte noch weitere 3.711,73 DM auszahlen. Darüber hinaus handele es sich um eine Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten, so daß § 3 Nr. 9 EStG anwendbar sei. Zumindest sei die Leistung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen iSd. § 24 Nr. 1 EStG gemäß § 34 Abs. 1 EStG zu einem ermäßigten Steuersatz zu versteuern.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.711,73 DM netto

nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit 30.

April 1996 zu bezahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie sei für die Klageforderung nicht passiv legitimiert. Sie sei nur verpflichtet gewesen, die im SiTV-dvm festgelegten Beträge in den Fonds einzuzahlen; weitergehende Pflichten bestünden für sie nicht. Im übrigen bestehe der geltend gemachte Anspruch nicht, da der Betrag als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu Recht um die entsprechenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gekürzt worden sei. Bei dem Ausgleichsbetrag handele es sich um steuerpflichtigen Arbeitslohn gemäß § 19 Abs. 1 EStG. "Betrag" im Sinne der Tarifbestimmung sei als Bruttobetrag zu verstehen; ein anderer Wille der Tarifvertragsparteien sei nicht erkennbar. Soweit die Formulierung "Abfindungsbetrag" in der Protokollnotiz mißverständlich auf § 3 Nr. 9 EStG hindeute, sei mit der Änderung der Formulierung in der Neufassung der Protokollnotiz vom 1. August 1996 eine Korrektur bzw. Klarstellung erfolgt. Die Klägerin habe auch nur Anspruch auf einen geringeren Ausgleichsbetrag. Auf sie treffe nur eines der Nachteilskriterien von § 3 Abs. 2 SiTV-dvm zu, da sich für sie nur die wöchentliche Arbeitszeit um zwei Stunden erhöht habe. Der Höchstbetrag von 8.000,00 DM sei nicht gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.

1. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, scheitert der Anspruch nicht bereits an der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten. Die Beklagte ist Schuldnerin des sich aus der Betriebsvereinbarung Nr. 05/1995 zwischen der Leitung der DB AG/Geschäftsbereich Werke/Werk C. und dem Betriebsrat iVm. § 3 SiTV-dvm ergebenden Nachteilsausgleichs. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß die Auszahlung des Nachteilsausgleichs durch die neue Arbeitgeberin der Klägerin, die BRG Mitteldeutsche Bahnreinigung GmbH, erfolgte.

2. Die Klägerin hat auch Anspruch auf einen Nachteilsausgleich in Höhe von 8.000,00 DM. Da in der Betriebsvereinbarung für jeden Arbeitnehmer ein Betrag in Höhe von 8.000,00 DM festgelegt wurde, kommt es auf den Einwand der Beklagten, die von der Klägerin erlittenen Nachteile rechtfertigen einen Nachteilsausgleich nur in geringerer Höhe, nicht an.

3. Die Beklagte schuldet den Nachteilsausgleich aber nicht als Nettobetrag.

a) Grundsätzlich sind Zahlungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer Bruttozahlungen. Der Arbeitnehmer trägt gemäß § 38 Abs. 2 EStG die Steuerlast für die Bezüge aus nicht selbständiger Tätigkeit einschließlich der Sachbezüge. Außerdem hat er die Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung selbst zu tragen. Hiervon abweichende Vereinbarungen müssen ausdrücklich und eindeutig getroffen werden bzw. den dahingehenden Willen klar erkennen lassen (BAG 19. Dezember 1963 - 5 AZR 174/63 - BAGE 15, 168; 18. Januar 1974 - 3 AZR 183/73 - AP BGB § 670 Nr. 19 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2; 17. April 1985 - 4 AZR 510/84 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 1 = EzA TVG § 4 Chemische Industrie Nr. 1; Schmidt/Drenseck EStG 19. Aufl. § 39 b Rn. 10). Auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen können Vereinbarungen enthalten, die dem Arbeitgeber die für bestimmte Zahlungen zu entrichtenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge auferlegen (Küttner/Griese Personalbuch 2000 "Nettolohnvereinbarung" Rn. 3). Es muß aber hinreichend deutlich erkennbar sein, daß ausnahmsweise eine abweichende Regelung gewollt war. Dies ist vorliegend nicht gegeben.

b) Der Nachteilsausgleich wurde weder in der Betriebsvereinbarung Nr. 05/1995 noch in § 3 SiTV-dvm als Nettobetrag bezeichnet; eine ausdrückliche Verlagerung der Steuerschuld sowie der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt auch eine Auslegung der Betriebsvereinbarung und des SiTV-dvm nicht, daß der den Arbeitnehmern zu zahlende Betrag ein Nettobetrag ist und die Beklagte zusätzlich ggf. auf den Betrag entfallende Steuern und Sozialabgaben entrichten sollte.

aa) Betriebsvereinbarungen sind nach den für die Tarifauslegung geltenden Grundsätzen auszulegen (BAG 27. August 1975 - 4 AZR 454/74 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Bergbau Nr. 4; 13. Oktober 1987 - 1 ABR 51/86 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 2 = EzA BGB § 611 Teilzeitarbeit Nr. 2; 8. November 1988 - 1 AZR 721/87 - BAGE 60, 94). Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Ferner ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und deshalb nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (st. Rspr., vgl. BAG 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308; 12. November 1997 - 10 AZR 206/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Deutsche Bahn Nr. 1; 28. Mai 1998 - 6 AZR 349/96 - AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5; 16. Juli 1998 - 6 AZR 672/96 - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27).

bb) Der Wortlaut der Betriebsvereinbarung "erhält einen Betrag in Höhe von 8.000,00 DM gezahlt" läßt nicht deutlich erkennen, daß der Nachteilsausgleich als Nettobetrag gezahlt werden soll. Das Wort "Betrag" läßt keine Rückschlüsse darauf zu, ob es sich um einen Brutto- oder einen Nettobetrag handelt. Auch die Formulierung "erhält gezahlt" rechtfertigt nicht die Annahme einer Nettolohnvereinbarung.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verwendung des Begriffs "Abfindungsbetrag" in der Protokollnotiz zu § 3 SiTV-dvm. Entgegen der Auffassung der Klägerin läßt auch die Bezeichnung einer Leistung als Abfindung keinen Rückschluß darauf zu, ob eventuell zu entrichtende Steuern und Sozialabgaben, abweichend vom Regelfall, vom Arbeitgeber zu zahlen sind. Zwar wäre eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 8.000,00 DM gemäß § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei; dies läßt aber nicht den Schluß zu, daß die Tarifvertragsparteien zwar davon ausgingen, daß es sich nicht um eine Abfindung handelt, die Arbeitnehmer aber dennoch wirtschaftlich so stellen wollten, als seien keine Steuern und Sozialabgaben zu zahlen, und diese daher dem Arbeitgeber auferlegen wollten.

Auch die Art der durch die Leistung abzugeltenden Nachteile zwingt nicht zu der Annahme, es müsse sich um einen Nettobetrag handeln. Zwar handelt es sich um Nachteile, die - soweit sie sich überhaupt als errechenbare wirtschaftliche Einbuße darstellen - aus dem Nettoeinkommen des Arbeitnehmers aufzubringen sind. Dies führt aber ohne entsprechende Vereinbarung nicht dazu, daß der pauschale Ausgleich als Nettozahlung zu gewähren ist.

4. Die Beklagte hat mit der Leistung von 8.000,00 DM den Anspruch der Klägerin vollständig erfüllt. Ob die Zahlung mit dem vollen Steuersatz oder gem. § 24 Nr. 1 a, § 34 Abs. 1 EStG nur mit dem halben Steuersatz zu versteuern oder gem. § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei war, kommt es streitgegenständlich nicht mehr an, da die Klägerin nach dem von ihr in der Revision vorgelegten Einkommensteuerbescheid für 1996 ohnehin keine Lohnsteuer zu zahlen hatte und somit die vom Arbeitgeber für den Nachteilsausgleich anteilig abgeführte Lohnsteuer zurückerstattet erhalten hat.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Armbrüster Böck Gräfl

H. Schmidt R. Schwarck

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611024

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