Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahrung der Klagefrist bei Klageerhebung durch einen Rechtsbeistand

 

Leitsatz (amtlich)

Auch ein Rechtsbeistand kann wirksam Klage zum Arbeitsgericht erheben; dessen Ausschluß gemäß § 11 Abs. 3 ArbGG betrifft nur das Auftreten in der mündlichen Verhandlung, nicht dagegen Prozeßhandlungen außerhalb der mündlichen Verhandlung (Abweichung von BAG Urteil vom 21. April 1988 – 8 AZR 394/86 – BAGE 58, 132 = AP Nr. 10 zu § 11 ArbGG 1979 Prozeßvertretung).

 

Normenkette

ArbGG § 11 Abs. 3, § 13 Abs. 1 S. 2 i. Verb. m. § 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 10.08.1995; Aktenzeichen 2 Sa 220/95)

ArbG Regensburg (Urteil vom 04.10.1994; Aktenzeichen 7 Ca 921/93 L)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10. August 1995 – 2 Sa 220/95 – aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt seit mehr als 13 Jahren bei der Beklagten tätig und verdiente zuletzt 6.135,-- DM brutto monatlich. Die Beklagte beschäftigt mehr als fünf Arbeitnehmer. Mit Schreiben vom 28. Juli 1993 erklärte sie die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Am 16. August 1993 ging beim Arbeitsgericht eine hiergegen gerichtete Klage vom selben Tag aus der Kanzlei von Rechtsbeistand S… und Rechtsanwältin W… ein. Rechtsbeistand S… ist Mitglied der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München. Der Klageschriftsatz trägt folgende handschriftliche Unterschrift: “i.V. S…”. Darunter befindet sich der maschinengeschriebene Zusatz: “Rechtsanwältin”.

In der Streitverhandlung am 6. September 1994 und im weiteren Verlauf des Rechtsstreits wurde der Kläger durch Rechtanwältin W… vertreten. Diese erklärte, sie könne sich nicht erinnern, ob die Klageschrift von ihr oder von Rechtsbeistand S… diktiert worden sei.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Klage sei mit der Klageschrift vom 16. August 1993 ordnungsgemäß erhoben worden. Rechtsbeistände seien nur in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht ausgeschlossen. Auch habe Rechtsanwältin W… im Termin vom 6. September 1994 die Klage zumindest konkludent genehmigt.

Der Kläger hat beantragt,

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten durch die außerordentliche/ordentliche Kündigung vom 28. Juli 1993 nicht aufgelöst worden ist.

Das Arbeitsgericht hat auf den Antrag der Beklagten die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist für unbegründet erachtet und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den genannten Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat im Anschluß an das Urteil des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 21. April 1988 – 8 AZR 394/86 – (BAGE 58, 132 = AP Nr. 10 zu § 11 ArbGG 1979 Prozeßvertreter) angenommen, die Klage sei zunächst unzulässig gewesen. Sie sei nicht von Rechtsanwältin W… verantwortet gewesen, sondern ausschließlich von dem, der sie unterzeichnet habe, also von Rechtsbeistand S…. Dieser sei aber gemäß § 11 Abs. 3 ArbGG generell nicht zur Prozeßvertretung befugt gewesen. Allerdings sei die Klage dadurch zulässig geworden, daß sie von Rechtsanwältin W… im Termin vom 6. September 1994 mit Stellung der Klageanträge genehmigt worden sei. Die streitige Kündigung vom 28. Juli 1993 gelte aber als von Anfang an rechtswirksam, da die Genehmigung nicht zurückwirke und somit die Klagefrist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG versäumt sei.

II. Dem folgt der Senat nicht. Die Klage wurde, wie die Revision mit Recht geltend macht, bereits durch Rechtsbeistand S… wirksam und damit fristgerecht erhoben, weil sich der Ausschluß des Rechtsbeistands in § 11 Abs. 3 ArbGG nur auf die mündliche Verhandlung bezieht.

1. Dies kann nicht etwa deshalb offenbleiben, weil Frau Rechtsanwältin W… die Klageerhebung durch Rechtsbeistand S… jedenfalls genehmigt hat. Insoweit sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zutreffend (vgl. ferner BGHZ 111, 339, m.w.N.). Dem Landesarbeitsgericht ist entgegen der Ansicht der Revision auch darin zu folgen, daß die Besonderheiten des vorliegenden Falles (Rechtsanwältin W… im Briefkopf der Klageschrift, Unterzeichnung durch Rechtsbeistand S… “i.V.” vor dem Zusatz “Rechtsanwältin”) für sich genommen nicht ausreichen, um von der Rechtsprechung des Achten Senats (aaO) abzugehen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit zutreffend erkannt, daß die Klageschrift vom 16. August 1993 nicht von Rechtsanwältin W…, sondern von Rechtsbeistand S… verantwortet wurde, und daß es für die Frage der ursprünglichen Zulässigkeit der Klage hierauf ankommt.

2. Mit dem Urteil vom 21. April 1988 (aaO) hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts trotz der Änderungen des § 11 ArbGG durch Art. 1 Nr. 10 des Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 (BGBl. I, 545 ff.) und Art. 2 Abs. 7 des Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 18. August 1980 (BGBl. I, 1503 ff.) die Rechtsprechung des Zweiten Senats (Urteil vom 6. Mai 1977 – 2 AZR 148/76 – AP Nr. 36 zu § 11 ArbGG 1953) fortgeführt, wonach Personen, die, ohne Rechtsanwälte zu sein, die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, als Bevollmächtigte im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz nicht nur in der mündlichen Verhandlung, sondern generell ausgeschlossen sind. Der Zweite Senat hatte dies mit der in § 11 Abs. 3 ArbGG bestimmten entsprechenden Anwendung des § 157 Abs. 1 ZPO begründet.

Der Achte Senat hat den unveränderten Ausschluß von Rechtsbeiständen von der Prozeßvertretung vor den Arbeitsgerichten im wesentlichen aus der Entstehungsgeschichte der jetzigen Fassung des § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG abgeleitet. Aus der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum 5. ÄndG zur BRAGO (BT-Drucks. 8/4277, S. 23) ergebe sich, daß der Ausschluß wie bisher die Prozeßvertretung als solche betreffe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Auslegung bestünden nicht.

3. In der Literatur ist die Reichweite des Ausschlusses in § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG umstritten.

Zum Teil wird angenommen, die Vorschrift regele generelle die Postulationsfähigkeit. Bader (in GK-ArbGG, Stand: September 1996, § 11 Rz 102) und Gift (in Gift/Baur, Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, D Rz 86) beziehen insoweit den Zusatz “in der mündlichen Verhandlung” nur auf “Beistände”, die nach den Vorstellungen des Gesetzes ohnehin nur in der mündlichen Verhandlung fungierten, wie § 90 Abs. 1 ZPO belege. Andere Befürworter eines generellen Ausschlusses von Rechtsbeiständen berufen sich ohne eigene Begründung auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere auf die Entscheidung des Achten Senats vom 21. April 1988 (so Heither/Schönherr, ArbGG, B § 11 – 06/2; Stahlhacke/Bader, ArbGG, 3. Aufl., § 11 Rz 10; Wieser, Arbeitsgerichtsverfahren, Rz 99).

Überwiegend wird dagegen Rechtsbeiständen seit der Arbeitsgerichtsnovelle vom 21. Mai 1979 (Manzyk, Rbeistand 1981, 155; a.A. Bitter, AR-Blattei D Arbeitsgerichtsbarkeit VI Prozeßparteien C Prozeßvertretung unter III 3), jedenfalls aber seit der Änderung des § 11 Abs. 3 ArbGG durch das 5. ÄndG zur BRAGO vom 18. August 1980 die Befugnis zuerkannt, Parteien gegenüber dem Arbeitsgericht außerhalb der mündlichen Verhandlung zu vertreten (Grunsky, Anm. zu AP Nr. 10 zu § 11 ArbGG 1979 Prozeßvertretung; ders. ArbGG, 7. Aufl., § 11 Rz 18; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 11 Rz 41; Hauck, ArbGG, § 11 Rz 6; Wenzel in GK-ArbGG, Stand: September 1996, § 12a Rz 136; Schaub, Formularsammlung, 4. Aufl., § 88 VI 4, unklar dagegen in der 5. und 6. Aufl.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 157 Rz 40; Rennen/Caliebe, Rechtsberatungsgesetz, 2. Aufl., Art. 1 § 1 Rz 116 f.; Altenhoff/Busch/Kampmann/Chemnitz, Rechtsberatungsgesetz, 9. Aufl., Art. 1 § 1 Rz 215; Brehm, RdA 1990, 73; Helkenberg, AuA 1993, 12). Begründet wird dies insbesondere mit dem eindeutigen Wortlaut von § 11 Abs. 3 ArbGG.

4. Der überwiegenden Literaturmeinung ist im Ergebnis zuzustimmen. Der Wortlaut von § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbGG, von dem für die Auslegung vorrangig auszugehen ist, ist zwar nicht völlig eindeutig, weil sich der Zusatz “in der mündlichen Verhandlung” rein grammatikalisch allein auf “Beistände” (§ 90 ZPO) beziehen könnte (vgl. Bader und Gift, jeweils aaO). Er spricht aber deshalb für eine Zulassung von Rechtsbeiständen zur Prozeßvertretung außerhalb der mündlichen Verhandlung, weil der genannte Zusatz, so wie ihn Bader und Gift verstehen wollen, völlig überflüssig wäre.

Was die Entstehungsgeschichte angeht, so war und ist es zu § 157 Abs. 1 ZPO einhellige Meinung, daß sich der Ausschluß nur auf die mündliche Verhandlung bezieht (vgl. die Nachweise bei Grunsky, Anm. zu AP Nr. 10 zu § 11 ArbGG 1979 Prozeßvertreter, unter 2b und bei Brehm, aaO, Fußn 4). Wenn der Gesetzgeber sich entschloß, statt der Anordnung einer entsprechenden Anwendung von § 157 Abs. 1 ZPO nun den bis dahin geltenden Wortlaut dieser Vorschrift in § 11 Abs. 3 ArbGG aufzunehmen, ohne den Zusatz “in der mündlichen Verhandlung” wegzulassen, so spricht dies eher dafür, daß damit die für die ZPO anerkannte Auslegung auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Geltung beanspruchen sollte. Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens lassen keine entgegenstehenden Wertungsgesichtspunkte erkennen (vgl. Grunsky, aaO, 2c).

Der systematische Zusammenhang stützt die Ansicht des Achten Senats nicht ausreichend, um von der nach dem Wortlaut nächstliegenden Auslegung abzugehen. Insoweit hat Grunsky (aaO, 2d) zu Recht darauf hingewiesen, da das Arbeitsgerichtsgesetz anders als die ZPO keine separaten Titel über Prozeßbevollmächtigte und Beistände einerseits und die mündliche Verhandlung andererseits enthalte, habe es nahegelegen, eine Parallelvorschrift zu § 157 Abs. 1 ZPO an eine inhaltlich möglichst eng benachbarte Stelle zu übernehmen; eben dies sei in § 11 Abs. 3 ArbGG geschehen.

Auch den Gesetzesmaterialien, die ohnehin nur heranzuziehen wären, wenn Gesetzeswortlaut und systematischer Zusammenhang keine sichere Auslegung erlaubten, läßt sich das Gegenteil nicht entnehmen. Die vom Achten Senat herangezogene Begründung des Rechtsausschusses für die vorgeschlagene Neufassung von § 11 Abs. 3 ArbGG ist ambivalent. Während die Sätze 2 bis 4 – jedenfalls isoliert betrachtet – für einen generellen Ausschluß von der Prozeßvertretung sprechen, heißt es in Satz 1: “In der Arbeitsgerichtsbarkeit sollten auch künftig Personen, die z. Z. als Rechtsbeistände tätig sind, nicht in der mündlichen Verhandlung auftreten können.” Damit bleibt unklar, ob sich die Sätze 2 bis 4 nicht lediglich auf die in Satz 1 angesprochene Prozeßvertretung in der mündlichen Verhandlung beziehen. Gleiches gilt von der vom Achten Senat als Beleg angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. März 1982 – AnwZ (B) 35/81 – (NJW 1982, 1880, 1881; vgl. Grunsky, aaO, unter 2b).

5. Die Abweichung vom Urteil des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 21. April 1988 – 8 AZR 394/86 – (aaO) erforderte keine Anrufung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 45 Abs. 2 ArbGG, weil der Achte Senat auf Anfrage erklärt hat, daß er an seiner in dem genannten Urteil geäußerten Rechtsansicht nicht festhält (§ 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG).

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Nielebock, Mauer

 

Fundstellen

Haufe-Index 875285

BAGE, 204

BB 1996, 2255

NJW 1997, 1325

JR 1997, 395

NZA 1997, 174

SAE 1998, 120

ZIP 1997, 251

MDR 1997, 271

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