Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Berufung bei wiederholter Berufungseinlegung

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Zulässigkeit der Berufung bei unzureichender Begründung der vor Zustellung des erstinstanzlichen Urteils eingelegten (ersten) Berufung und zureichender Begründung nach Einlegung einer weiteren Berufung nach Urteilszustellung

 

Normenkette

ZPO §§ 518-519

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 20.11.1990; Aktenzeichen 9 Sa 800/90)

ArbG Bonn (Urteil vom 16.08.1990; Aktenzeichen 2 Ca 2230/83)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. November 1990 – 9 Sa 800/90 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der im Jahre 1940 geborene Kläger war bei der beklagten Gemeinde seit Ende 1969 als Angestellter, zuletzt im Außendienst, beschäftigt und in VergGr. V b BAT eingruppiert. Er ist anerkannter Schwerbehinderter mit einer MdE (heute GdB) von 70 % seit dem Jahre 1982.

Mit Schreiben vom 30. September 1983 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 1984. Die Hauptfürsorgestelle hatte mit zwei Bescheiden vom 30. September 1983 den Kündigungen zugestimmt.

Mit der am 6. Oktober 1983 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen beide Kündigungen gewandt und gegen die Zustimmungsbescheide der Hauptfürsorgestelle Widerspruch erhoben.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 3. Mai 1984 – 2 Ca 2230/83 – festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 30. September 1983 als außerordentliche beendet worden ist. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht durch rechtskräftiges Urteil vom 16. April 1985 – 3 Sa 784/84 – zurückgewiesen.

Das weitere Verfahren hatte das Arbeitsgericht zunächst bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zustimmungsbescheide der Hauptfürsorgestelle ausgesetzt. Im Verwaltungsrechtsweg unterlag der Kläger in allen Instanzen.

In dem noch anhängig gebliebenen Verfahren vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger geltend gemacht, die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. September 1983 sei bereits aus formellen Gründen unwirksam. Das Kündigungsschreiben sei ihm nicht ordnungsgemäß zugegangen und entgegen den gemeinderechtlichen Bestimmungen nur von dem Gemeindedirektor unterschrieben worden. Dieser Mangel sei durch die spätere Genehmigung des Gemeindeamtmanns E nicht geheilt worden, da diese erst mehr als einen Monat nach Zustimmung der Hauptfürsorgestelle und auch erst nach Eintritt seiner Unkündbarkeit (§ 53 Abs. 3 BAT) erteilt worden sei; sein Arbeitsverhältnis habe spätestens am 16. Dezember 1984 15 Jahre bestanden. Ferner sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Kündigung sei auch nicht sozial gerechtfertigt.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die mit Schreiben der Beklagten vom 30. September 1983 ausgesprochene ordentliche Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis über den 30. Juni 1984 hinaus fortbesteht.

Ferner hat der Kläger von der Beklagten Verzugslohn für die Zeit vom 1. Juli 1984 bis 28. Februar 1990 in Höhe von 334.397,53 DM nebst Zinsen abzüglich 66.871,18 DM erhaltenes Arbeitslosengeld und Lohnzahlung von monatlich 4.811,71 DM ab 1. März 1990 gefordert sowie die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere Schäden zu erstatten, die ihm durch die unberechtigte fristlose Kündigung der Beklagten entstehen werden.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei formell in Ordnung. Sie sei auch sozial gerechtfertigt, weil der Kläger in mehreren Fällen sich während seiner Arbeitszeit längere Zeit in der Ortschaft K in einem von einer Frau M bewohnten Haus aufgehalten, in der von ihren Mitarbeitern selbst geführten Abwesenheitsliste aber für die betreffenden Tage keine Eintragungen vorgenommen oder Arztbesuche als Grund für seine Abwesenheit angeführt habe.

Der Kläger hat diese Vorwürfe bestritten. Er habe sich zwar an verschiedenen Vormittagen bei Frau M aufgehalten. Dies jedoch immer nur für kurze Zeit auf der Rückfahrt von fachärztlichen Behandlungen in S, da diese regelmäßig zu Schwindelanfällen und Bewegungsbeeinträchtigungen geführt hätten.

Das Arbeitsgericht hat die noch anhängige Klage abgewiesen.

Es hat die gegen die Kündigung erhobenen formellen Einwendungen für unbegründet angesehen und zur Begründung auf die entsprechenden Ausführungen in dem Urteil des Berufungsgerichts vom 16. April 1985 (zum Einwand der Unkündbarkeit) sowie in dem im Verwaltungsstreitverfahren ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1989 (zur Frage der nachträglichen Genehmigung der Kündigung und der Beteiligung des Personalrats) verwiesen. Die Kündigung sei auch sozial gerechtfertigt. Aufgrund der Aussage des vernommenen Zeugen B seien die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe erwiesen, wie bereits in dem Teilurteil vom 3. Mai 1984 näher begründet sei. Die späteren Ausführungen des Klägers gegen die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen seien nicht hinreichend substantiiert und erforderten keine erneute Beweisaufnahme. Diese Pflichtverletzungen des Klägers rechtfertigten jedenfalls eine ordentliche Kündigung.

Dieses Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 28. September 1990 zugestellt worden. Sie hatten bereits vorher mit einem beim Landesarbeitsgericht am 17. September 1990 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und haben diese mit

Schriftsatz vom 6. Oktober 1990, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 11. Oktober 1990, begründet. In diesem Schriftsatz wird zunächst „zur Begründung des Anspruchs” auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen verwiesen. Im übrigen besteht der Schriftsatz aus Fotokopien von 25 Seiten des erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 21. April 1990, in dem die formellen und materiellen Einwendungen des Klägers gegen die Kündigung nochmals zusammenfassend dargelegt sind.

Mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 24. Oktober 1990, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 29. Oktober 1990 (einem Montag), hat der Kläger nochmals Berufung eingelegt und „zur Begründung der Berufung sowie gleichzeitiger Beantwortung des Schriftsatzes der Gegenseite vom 12. November 1990” in dem Schriftsatz vom 15. November 1990, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 19. November 1990, in Auseinandersetzung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil und den darin in Bezug genommenen Urteilen des Berufungsgerichts vom 16. April 1985 und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1989 seine Kritik an diesem Urteil angebracht. Ein weiterer, nach der Berufungsverhandlung vom 20. November 1990 am 22. November 1990 beim Landesarbeitsgericht eingegangener Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom selben Tag enthält einen Berufungsantrag sowie eine Wiederholung der Ausführungen in den vorausgegangenen Begründungsschriftsätzen vom 6. Oktober und 15. November 1990.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine abgewiesenen Anträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet worden. Der allein innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangene Schriftsatz des Klägers vom 6. Oktober 1990 lasse nicht erkennen, welche einzelnen Angriffe gegen das arbeitsgerichtliche Urteil erhoben werden sollten. Die alleinige Verweisung auf erstinstanzlichen Sachvortrag reiche nicht aus, da es an der gebotenen Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung fehle. Daran ändere auch die Anfügung von 25 fotokopierten Seiten des erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 21. April 1990 nichts. Hierbei handele es sich um eine vollständige Wiederholung des Streitstoffes erster Instanz ohne jegliches Eingehen auf die Argumente, die das Arbeitsgericht zur Abweisung der Klage veranlaßt hätten.

Der Schriftsatz des Klägers vom 15. November 1990 enthalte zwar die erforderliche Auseinandersetzung, habe aber nicht mehr berücksichtigt werden können, da er erst am 19. November 1990 und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen sei.

II. Dieser Würdigung kann nicht gefolgt werden. Die Berufung ist jedenfalls in dem Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 15. November 1990 ordnungsgemäß begründet worden.

1. Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muß die Berufungsbegründung die Angabe der Berufungsgründe enthalten. Hierfür reicht die alleinige Verweisung auf erstinstanzliches Vorbringen nicht aus (BGH Beschluß vom 18. Februar 1981 – IV b ZB 505/81 – AP Nr. 34 zu § 519 ZPO). Vielmehr muß die Begründung erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist. Es müssen im einzelnen die Gründe dargelegt werden, die das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen; das erfordert eine Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen (vgl. BGH, aaO; BAG Urteile vom 21. Juni 1958 – 2 AZR 15/58 – und vom 20. Juli 1971 – 1 AZR 314/70 – AP Nr. 9 und 25 zu § 519 ZPO).

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Begründungsschriftsatz vom 6. Oktober 1990 diesen Anforderungen genügt, da er lediglich den Inhalt des erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 21. April 1990 wiedergibt, ohne auf die Begründung des angefochtenen Urteils einzugehen. Denn der Kläger hat nach Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils mit Schriftsatz vom 24. Oktober 1990 erneut Berufung eingelegt und diese in dem Schriftsatz vom 15. November 1990 in eingehender Auseinandersetzung mit den schriftlichen Entscheidungsgründen begründet. Damit liegt eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung und insgesamt eine zulässige Berufung vor.

a) Der Kläger konnte nach Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils erneut wirksam Berufung einlegen. Von einem Rechtsmittel, das der Partei gegen ein Urteil zusteht, kann sie mehrmals und solange Gebrauch machen, wie die Rechtsmittelfrist nicht verstrichen ist. Solange ihr das Rechtsmittel zusteht, kann sie wiederholt Rechtsmittelschriftsätze einreichen. Genügt eine Einlegung dem gesetzlichen Zulässigkeitserfordernis, so kommt es auf die Zulässigkeit der übrigen nicht mehr an. Die Rechtsmittelschriftsätze, durch die das Rechtsmittel früher oder später nochmals eingelegt worden war, sind gegenstandslos. Es ist nur ein Rechtsmittel anhängig (BAGE 24, 432 = AP Nr. 8 zu § 519 b ZPO; BGH Beschluß vom 10. Juli 1985 – IV b ZB 129/84 – VersR 1985, 1156). Wird erst die wiederholte Einlegung wirksam, so richtet sich die Begründungsfrist nach ihr (BGHZ 24, 179).

b) Im arbeitsgerichtlichen Verfahren beginnt die einmonatige Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG mit Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils (§ 516 ZPO, § 9 Abs. 5 ArbGG). Da im vorliegenden Fall das in vollständiger Form abgefaßte und mit Rechtsmittelbelehrung versehene arbeitsgerichtliche Urteil dem Prozeß- bevollmächtigten des Klägers am 28. September 1990 zugestellt worden ist, lief die Berufungsfrist bis 29. Oktober 1990 (der 28. Oktober war ein Sonntag). Der Kläger hat deshalb mit dem an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 24. Oktober 1990 erneut rechtzeitig Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz war auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung, da das Berufungsgericht im Tatbestand seines Urteils ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen hat. Gleiches gilt für den weiteren Begründungsschriftsatz vom 15. November 1990. Eine Tatbestandsberichtigung war deshalb nicht erforderlich.

Jedenfalls mit dem Schriftsatz vom 15. November 1990 ist die Berufung rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden. Auch wenn die Begründung im Schriftsatz vom 6. Oktober 1990 unzureichend sein sollte und damit erst die erneute Einlegung der Berufung wirksam wäre, richtete sich die einmonatige Begründungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) nach dieser (BGHZ 24, 179) und lief demgemäß bis zum 29. November 1990. Innerhalb dieser Frist ist der Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 15. November beim Berufungsgericht eingegangen. Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt er nicht nur eine (weitere) Begründung der ersten Berufungseinlegung dar. Wie ausgeführt, ist in Fällen der vorliegenden Art trotz mehrfacher Einlegungen nur ein Rechtsmittel anhängig. Ist innerhalb der für eine fristgemäße weitere Einlegung maßgebenden Begründungsfrist eine Begründung eingegangen, so erstreckt sich diese auf das anhängige einheitliche Rechtsmittel und nicht nur auf die weitere Einlegung. Dem Schriftsatz vom 15. November 1990 ist auch nicht zu entnehmen, daß damit nur die erste Einlegung begründet werde. Nach den Eingangsworten sollte der Vortrag in diesem Schriftsatz der „Begründung der Berufung” dienen. Das spricht gegen eine Beschränkung auf die erste Einlegung, wenn auch dargelegt wird, daß bereits deren Begründung den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Bereits dieser Schriftsatz enthält, wie auch das Berufungsgericht insoweit zutreffend angenommen hat, eine eingehende Auseinandersetzung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil zu allen Punkten, in denen es nach Ansicht des Klägers unrichtig ist. Auf den weiteren Begründungsschriftsatz vom 22. November 1990, der nicht mehr Gegenstand der Berufungsverhandlung geworden sein konnte, kommt es somit nicht an.

Da jedenfalls die erneute Berufungseinlegung den gesetzlichen Zulässigkeitserfordernissen genügt, kann die Zulässigkeit der ersten Einlegung dahingestellt bleiben. Es ist nur eine Berufung anhängig, die wirksam eingelegt, ordnungsgemäß begründet worden und somit insgesamt zulässig ist.

III. Da das Berufungsgericht die Berufung somit zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht muß nunmehr in der Sache über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten und die weiteren Zahlungs- und Feststellungsanträge des Klägers befinden.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Bitter, Dr. Wolter, Dr. Engelmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI915996

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