Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilzeitbeschäftigte Lehrer; Ausschlußfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

Tritt die Tarifbindung der Parteien eines Arbeitsverhältnisses erst nach Vertragsabschluß ein oder erfaßt ein Tarifvertrag ein Arbeitsverhältnis erst nach Vertragsabschluß, so werden die bis zum Zeitpunkt der Tarifgeltung entstandenen Ansprüche von einer tariflichen Ausschlußklausel jedenfalls dann nicht erfaßt, wenn sich die Klausel keine ausdrückliche Rückwirkung beimißt (Bestätigung von BAG Urteil vom 27.11.1958 2 AZR 9/58 = BAGE 7, 81 = AP Nr 69 zu § 1 TVG Auslegung).

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.02.1990; Aktenzeichen 13 Sa 717/89)

ArbG Lingen (Entscheidung vom 21.04.1989; Aktenzeichen 2 Ca 1085/88)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Januar 1988 anteilige Vergütung nach der Vergütungsgruppe III BAT zu zahlen.

Die Klägerin ist bei dem beklagten Land als teilzeitbeschäftigte Lehrerin für das Fach Schulsonderturnen beschäftigt. Zunächst belief sich ihre wöchentliche Unterrichtszeit aufgrund des Dienstvertrages vom 5. August 1982 auf 12 Stunden, später - vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Januar 1988 - auf 10 Stunden. Die Unterrichtszeit eines vollbeschäftigten Lehrers betrug damals 28 Wochenstunden. Die Klägerin erhielt Vergütung nach Jahreswochenstunden. Das Dienstverhältnis sollte sich gemäß § 6 des Vertrages nach den Bestimmungen des BGB regeln.

Unter dem Datum des 29. Januar 1988 schlossen die Parteien - zur Änderung des Arbeitsvertrages vom 5. August 1982 - mit Wirkung vom 1. Februar 1988 einen neuen Vertrag, der durchschnittlich regelmäßig 21 wöchentliche Unterrichtsstunden vorsieht und nach dessen § 2 sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT bestimmt. Die Klägerin ist Mitglied der GEW.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Januar 1988 die Differenz zwischen der ihr gezahlten Vergütung nach Jahreswochenstunden und der anteiligen Vergütung eines vollbeschäftigten Lehrers nach VergGr. III BAT. Sie hat diese Ansprüche erstmals mit der am 15. Dezember 1988 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage schriftlich geltend gemacht.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Vergütungsvereinbarung nach Jahreswochenstunden sei gemäß § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 unwirksam. Sie habe daher gemäß § 612 BGB Anspruch auf anteilige Vergütung nach der VergGr. III BAT. Außer ihrer Teilzeitbeschäftigung habe sie keine andere "Haupttätigkeit" ausgeübt. Ihr Ehemann sei - das ist im übrigen unstreitig - Lehrer.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet

ist, an sie für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis

zum 31. Januar 1988 unter Anrechnung der ihr in

diesem Zeitraum gewährten Vergütung 10/28 der

Vergütung aus der VergGr. III BAT nebst 4 %

Zinsen auf die sich monatlich ergebenden Netto-

beträge ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat vorgetragen, die getroffene Vergütungsvereinbarung sei rechtswirksam, jedenfalls komme als Anspruch der Klägerin nur eine anteilige Vergütung nach dem BAT auf der Grundlage der vereinbarten 42 Jahreswochenstunden berechnet nach der VergGr. IV a BAT in Betracht. Ein derartiger Anspruch sei aber gemäß § 70 BAT verfallen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Januar 1988 unter Anrechnung der ihr in diesem Zeitraum gewährten Vergütung 10/28 der Vergütung gemäß der VergGr. III BAT nebst 4 % Zinsen auf die sich monatlich ergebenden Nettobeträge ab dem 20. Dezember 1988 zu zahlen. Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land Berufung, die Klägerin Anschlußberufung mit dem Antrag eingelegt, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts festzustellen, daß auf die sich monatlich ergebenden Nettobeträge 4 % Zinsen ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen sind.

Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie ihren Klageantrag und ihren Antrag aus der Anschlußberufung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg, weil auf die bis zum 31. Januar 1988 entstandenen Ansprüche der Klägerin die Ausschlußklausel des § 70 BAT nicht anzuwenden ist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Ausschlußfrist des § 70 BAT erfasse nicht nur die Ansprüche der Klägerin, die nach dem 1. Februar 1988 entstanden und fällig geworden sind, sondern auch diejenigen, welche bereits vor diesem Datum entstanden und fällig waren. Auch für diese "Altansprüche" habe die Ausschlußfrist von sechs Monaten mit dem 1. Februar 1988 zu laufen begonnen. Da sie aber erst mit der Klage vom 15. Dezember 1988 erhoben worden seien, seien sie nicht rechtzeitig schriftlich geltend gemacht und daher verfallen.

Ab 1. Februar 1988 habe zwischen den Parteien kein neues Arbeitsverhältnis bestanden, vielmehr sei der Vertrag vom 29. Januar 1988 nur ein Änderungsvertrag bei Fortbestand des ursprünglich im Jahre 1982 begründeten Arbeitsverhältnisses. Beide Vertragsverhältnisse seien als Einheit zu bewerten. Finde auf ein einheitliches Arbeitsverhältnis, das sich ursprünglich nicht nach einem Tarifvertrag geregelt habe, zu einem späteren Zeitpunkt ein Tarifvertrag Anwendung, seien dessen Ausschlußfristen auch für Altansprüche einzuhalten. Tarifliche Ausschlußklauseln, die - wie § 70 BAT - alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfaßten, sollten generell wirken, eine Differenzierung nach Anspruchsgrundlage oder Entstehungszeitpunkt sei nicht möglich. Daher müsse der Arbeitnehmer ab Tarifgeltung die Ausschlußfrist einhalten. Es sei kein Grund ersichtlich, Altansprüche vom Zwang der rechtzeitigen Geltendmachung freizustellen, zumal der Arbeitnehmer sich ab Anwendbarkeit des Tarifvertrages auf die Ausschlußfrist und ihre Beachtung einstellen könne. Die Altansprüche würden durch die Ausschlußfrist auch nicht inhaltlich geändert, vielmehr werde ihre Durchsetzbarkeit nur tariflichen Beschränkungen unterworfen, und zwar lediglich für die Zukunft. Die Klägerin habe die mit dem 1. Februar 1988 beginnende und am 31. Juli 1988 ablaufende Ausschlußfrist nicht eingehalten. Da ihre Klage erst im Dezember 1988 erhoben worden sei, sei die Ausschlußfrist nicht gewahrt.

II. Das Landesarbeitsgericht hat auf den Streitfall ersichtlich die Erwägungen des Senats im Urteil vom 25. Januar 1989 (5 AZR 161/88 - AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) angewandt und ist sodann davon ausgegangen, daß der Klägerin der erhobene Anspruch grundsätzlich zusteht. Insoweit ist dem Landesarbeitsgericht beizupflichten. Dagegen kann ihm nicht gefolgt werden, soweit es den Klageanspruch mit der Begründung verneint hat, er sei im Hinblick auf die anzuwendende Ausschlußklausel des § 70 BAT nicht rechtzeitig geltend gemacht worden und daher verfallen. Die genannte Tarifbestimmung darf vorliegend nicht angewandt werden.

1. Wenn die Tarifbindung der Parteien eines Arbeitsverhältnisses erst zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Vertragsabschluß eintritt, dann fallen die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche aus dem bis dahin nicht tariflich erfaßten Arbeitsverhältnis nicht unter die Ausschlußklausel des erst später wirksam gewordenen Tarifvertrages. Das hat der Zweite Senat bereits in seiner Entscheidung vom 27. November 1958 (BAGE 7, 81,84 = AP Nr. 69 zu § 1 TVG Auslegung, zu I der Gründe) klargestellt und dazu ausgeführt, die Unterwerfung eines schon entstandenen Anspruchs unter die Verfallklausel eines erst von einem späteren Zeitpunkt ab geltenden Tarifvertrages bedeute eine wesentliche inhaltliche Veränderung des Anspruchs; denn der bisher zeitlich nicht beschränkte und von einem gewissen Zeitpunkt ab lediglich mit der Verjährungseinrede behaftete Anspruch würde zeitlich begrenzt und nach einer mehr oder weniger kurzen Zeit untergehen.

Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an. Eine spätere Ausschlußklausel greift in die Substanz eines Anspruchs ein, weil dieser nach Ablauf der Ausschlußfrist erlischt und die dann entstehende Rechtslage einem Erfüllungstatbestand gleichkommt. Rechtsbefristung ist materielle Rechtsbeschränkung und gehört, weil sie das Recht materiell schwächt, zur inhaltlichen Gestaltung selbst (so zutreffend Herschel, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip). Ob die Tarifvertragsparteien aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit zu einem derartigen Eingriff befugt wären, braucht der Senat nicht abschließend zu erörtern (ebenso wie BAGE 7, 81, 84 = AP Nr. 69 zu § 1 TVG Auslegung). Denn § 70 BAT, um dessen Anwendbarkeit es hier geht, legt sich jedenfalls keine rückwirkende Kraft auf frühere einzelvertragliche Ansprüche bei.

2.a) Soweit der Zweite Senat in einer früheren Entscheidung vom 24. April 1958 (BAGE 5, 279, 285 = AP Nr. 1 zu § 16 JugSchG Niedersachsen) die Auffassung geäußert hat, das Eingreifen einer tariflichen Verfallklausel in bereits früher entstandene Ansprüche komme nicht in Betracht, ohne daß den erst später Tarifgebundenen noch eine angemessene Nachfrist zur Geltendmachung ihrer Ansprüche einzuräumen sei, handelt es sich bei diesen Ausführungen ersichtlich um ein obiter dictum. Der betreffende Tarifvertrag behandelte nämlich nur Lohnansprüche, während die Kläger Lehrlinge waren und ihre Ansprüche nicht auf Tarifvertrag, sondern unmittelbar auf gesetzlicher Regelung beruhten.

b) Allerdings vertreten Wiedemann/Stumpf (TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 397) bei der Erörterung der Frage, in welcher Weise ein Tarifvertrag auf bereits entstandene und fällige Ansprüche einwirken könne, wenn diese Ansprüche bislang einer Verfallklausel nicht unterfielen, die Auffassung, die Verfallfrist beginne mit dem Zeitpunkt der Tarifgebundenheit der Parteien oder der aus anderen Gründen zu beachtenden Anwendbarkeit des Tarifvertrages zu laufen. Mit dem Eintritt in den tarifschließenden Verband erlangten die Tarifnormen unmittelbare und zwingende Wirkung für das bestehende Arbeitsverhältnis des beitretenden Arbeitnehmers. Durch § 4 Abs. 1 TVG würden nicht nur künftige Abmachungen, sondern auch die schon bestehenden Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses inhaltlich bestimmt und damit zu tarifunterworfenen Rechten und Pflichten. Dies könne jedoch nur für die Zukunft gelten.

Ausdrücklich abgelehnt wird die Ansicht, den Parteien des Arbeitsverhältnisses müsse eine angemessene Nachfrist zur Geltendmachung gewährt werden; maßgebend sei die tarifliche Verfallfrist. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, daß die zunächst geforderte Nachfrist einem obiter dictum zuzurechnen ist und daß der Zweite Senat eine verbindliche Antwort zu der hier gestellten Frage bereits im Urteil vom 27. November 1958 (aaO) gegeben hat. Dazu nimmt der Kommentar keine Stellung, sondern begründet seine Auffassung mit dem Hinweis, der Gesetzgeber habe gleiches bei der Neueinführung abweichender Verjährungsfristen vorgesehen. Verjährung und Verwirkung unterscheiden sich jedoch so erheblich, daß eine Analogie nicht gerechtfertigt erscheint.

Auch Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius (TVG, 2. Aufl., § 4 RZ 230) lehnen eine "angemessene" Nachfrist ab, übersehen aber, daß es sich in der von ihnen zitierten Entscheidung (BAG AP Nr. 1 zu § 16 JugSchG Niedersachsen) um ein obiter dictum handelt und wollen die Ausschlußklausel frühestens mit Beginn der Tarifbindung eintreten lassen. Auch sie berücksichtigen die Ausführungen des Zweiten Senats im späteren Urteil (BAGE 7, 81 = AP, aaO) nicht.

III. Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu früheren Urteilen des Dritten Senats.

1. Im Urteil vom 30. Oktober 1962 (- 3 AZR 405/61-AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip) hat der Dritte Senat den Standpunkt eingenommen, eine neue kollektivrechtliche Ordnung könne vorschreiben, daß auch solche Rechte, die der Arbeitnehmer auf der Grundlage einer bisherigen kollektiven Regelung erworben habe, innerhalb einer Ausschlußfrist geltend gemacht werden müssen.

Vorliegend bestand bei den Rechtsbeziehungen der Parteien jedoch bis zur Anwendbarkeit des BAT keine kollektive Ordnung, sondern eine einzelvertragliche Regelung, die ausdrücklich auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches Bezug nahm. Überdies legt sich § 70 BAT keine rückwirkende Kraft bei.

2. Im Urteil vom 12. März 1971 (BAGE 23, 248 = AP Nr. 9 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG Berlin) hat es der Dritte Senat für zulässig gehalten, daß, falls die Arbeitsvertragsparteien die Anwendung einschlägiger Tarifverträge vereinbaren, für den vertragsschließenden nichtorganisierten Arbeitnehmer tarifliche Ausschlußfristen ebenso wie für die kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten und daß die vereinbarten tariflichen Ausschlußfristen auch Ansprüche aus einem Gesetz erfassen.

Im Streitfall haben die Parteien jedoch für die Zeit vor dem 1. Februar 1988 keine Vereinbarung über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages getroffen, so daß die einschlägige Ausschlußklausel (§ 70 BAT) die Ansprüche des ausdrücklich den Bestimmungen des BGB unterstellten Vertrages der Parteien nicht erfassen konnte.

IV. Zur jeweiligen rechnerischen Höhe einer tariflichen Vergütung, die im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB als übliche Vergütung anzusehen ist, gehören nicht gleichzeitig tarifliche Ausschlußklauseln. Das hat der Senat in der Parallelentscheidung vom 26. September 1990 - 5 AZR 112/90 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) näher ausgeführt. Darauf wird in diesem Zusammenhang verwiesen.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Dr. Koffka Arntzen

 

Fundstellen

BAGE 66, 79-86 (LT1)

BAGE, 79

BB 1991, 138

BB 1991, 138-139 (LT1)

DB 1991, 390-391 (LT1)

NZA 1991, 246-247 (LT1)

RdA 1991, 62

ZTR 1991, 72-73 (LT1)

AP § 4 TVG Auschlußfristen (LT1), Nr 109

AR-Blattei, Ausschlußfristen Entsch 131 (LT1)

AR-Blattei, ES 350 Nr 131 (LT1)

EzA § 4 Ausschlußfristen, Nr 87 (LT1)

MDR 1991, 280 (LT1)

PersV 1991, 545 (L)

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